Mein
liebster Ernst! Konstanz,
28.12.41
Heute
erhielt ich Dein liebes Paket Nr. 43. Nun habe ich bis 45 alle bekommen. Ich
war sehr erstaunt, daß sogar richtige Schokolade drin war. Du hattest wohl von
Süßigkeiten gesprochen, aber daß es sogar Schokolade war, habe ich doch nicht
gedacht. Ich danke Dir sehr dafür und werde sie mir gut einteilen. Von den
kleinen Tafeln, die Du mir schon früher geschenkt hast, habe ich auch noch ein
paar.
Du
hast mir wieder eine große Freude gemacht. Die Bonbons habe ich den Kindern
gegeben, weil sie die so gern essen.
Gestern
Abend kam Vater herauf. Ich habe mich nach langer Zeit wieder einmal ein
bißchen mit ihm gestrubbelt. Er wollte mich, allerdings erfolglos, davon
überzeugen, daß wir uns doch nicht jeden Tag schreiben sollen. „Ihr belastet
die Post zu sehr, ihr nehmt sie zu viel in Anspruch.“ Ich: „Wir nehmen sonst
nichts in Anspruch, die Freude lasse ich mir nicht gleich nehmen.“ Vater: „Ich
war ja schließlich auch fort, aber ich hätte nicht so viel Stoff gehabt, um
jeden Tag zu schreiben.“ Er führte dann
noch einen Fall an, wo eine Frau auch jeden Tag geschrieben hat, wenn sie auch
nicht wußte, was sie schreiben soll, nur damit geschrieben sei. Ich sagte
darauf, daß wir ja wüßten, was wir uns schreiben sollen und daß wir uns so
lange es geht schreiben. Das ging noch eine Weile hin und her und dann war er
etwas ärgerlich geworden.
Du
weißt doch sicher noch, daß sich Jörg früh immer langsam an und abends langsam
auszieht. Du weißt doch sicher auch noch, daß wir manchmal geschimpft haben
deshalb. Aber alles nützte nichts. Er kam immer wieder ins träumen und spielen.
Damit ich nun nicht immer schimpfen muß, habe ich die Kinder abends immer ein
bißchen zeitige ausziehen lassen. Jetzt in den Ferien bin ich darin ja nicht so
streng, denn sie können früh ja ausschlafen. Wenn nun Vater in letzter Zeit
rauf kam, sagte er immer: „Jetzt bummelt nicht so rum, macht Euch fertig, daß
ich in die Falle kommt, ihr erkältet Euch bloß“ usw. Gestern sagte er nun: „Das hätte es bei Ernst seiner Mutter nicht gegeben, wenn sie gesagt hat
„ausziehen“, da waren die Kinder in 5 Minuten fertig, sonst hätten sie ein paar
hinter die Ohren gekriegt.“ Jetzt möchte ich Dich fragen, bin ich wirklich so
dumm und kann die Kinder nicht erziehen? Muß ich doch lieber abends schimpfen
oder soll ich sie lieber etwas zeitiger ausziehen lassen? Ich möchte es doch
richtig machen. Drum möchte ich gern Deine Meinung wissen.
Heute,
als der Blockwart die Spende für die Soldaten aufschrieb, brachte er für jeden,
der Radio hat, eine Papptafel mit, die an einem Knopf vom Apparat befestigt
werden muß. Darauf steht:
-
Denke daran, das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die
nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit
schweren Zuchthausstrafen geahndet. -
Der
Blockleiter muß sich davon überzeugen, daß diese Tafel tatsächlich am Radio
befestigt wird. Da hat man also diese Warnung gleich vor Augen, die ja bei mir
überflüssig ist, denn ich denke gar nicht daran, diese Sender zu hören.
Ich
will nachher noch ein weiteres Paar Pulswärmer fertig machen, so daß ich also 3
Schals und 3 Paar Pulswärmer abliefere. Evtl. fertige ich aus dem alten
Filzhut, den ich mit aus Leipzig gebracht hatte, ein Paar Filzsohlen an.
Wir
hatten heute ziemliche Kälte: 10 Grad. Die Kinder waren am Vormittag draußen
zum schusseln. Jetzt sitzen sie an ihrem Tischchen und spielen Domino und das
neue Rennspiel.
Heute
Mittag haben wir einmal den Pudding von Dir probiert. Er schmeckt prima,. Man
merkt keinen Unterschied zwischen unserem und französischem.
Vater
sagte mir gestern, daß er wahrscheinlich am Sylvester heraufkommen wird. Ihr
werdet wohl dort im Kreise der Kameraden feiern, oder bist Du evtl. wieder in
Lille?
Nun
laß mich wieder schließen. Von Jörg hast Du ja auch noch einen Brief zu lesen.
Sei
wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Mein
liebster Ernst! Konstanz, 29.12.41
Vielen
Dank für Deinen lieben Brief vom 23./24.12.
Am
Geburtstag von Deiner Mutter haben wir auch an sie gedacht und Du hast recht,
wenn Du schreibst, daß ich vielleicht erst jetzt richtig ermessen kann, was Ihr
durch den frühen Tod Eurer Mutter verloren habt. Ich habe in letzter Zeit oft
daran gedacht. Als Vater bei uns war, hat er auch von Deiner Mutter erzählt.
Vor
den Feiertagen war ich ziemlich hin, aber da ich einen Ruhetag eingeschoben
hatte, war ich dann wieder etwas ausgeruht. Es ist immer wieder so, daß ich
meine Kräfte überschätze.
Die
Kinder haben sich ihre Freude nicht trüben lassen und ich habe mir auch in
keiner Weise anmerken lassen, wie traurig mir zu Mute war. Ich habe Dir ja
schon geschrieben, daß sie sich über den Baum und die Geschenke, überhaupt über
Weihnachten sehr gefreut haben. Ich hatte leider die ganzen Tage fest
Herzschmerzen, so daß ich am 2. Feiertag doch zu den Herztropfen gegriffen
habe. Daraufhin ließ es etwas nach und seit gestern spüre ich nichts mehr.
Du
Ernst, ich habe die Absicht, bei der Wintersachen-Sammlung auch meinen
Trainingsanzug mit abzugeben. Es soll ja ein Opfer sein, nicht nur, daß man
ganz überflüssige Sachen. schenkt. Ich ziehe ihn jetzt ja doch nicht oft an und
zum Zelten kommen wir jetzt auch nicht. Bis dahin kommt wieder Rat. Viele
Soldaten haben ja schon ihr Leben und ihre Glieder geopfert. Da wollen wir doch
nicht so kleinlich sein. Wir leben hier ja fast noch wie im Frieden. Ich hoffe,
daß Du damit einverstanden bist.
Heute
bekam ich Dein Päckchen 36 mit den 2 Büchern. Das eine hatten wir ja schon,
aber nicht in so schöner Ausführung mit Bildern. Sicher sind beide Bücher
schön. Hast Du sie schon gelesen?
Wir
haben auch heute wieder kaltes Wetter, wieder 10 Grad Kälte. Die Kinder sind
wieder beim Schusseln. Jörg ist zwar ein bißchen erkältet, er ist etwas heißer,
aber ich denke, die kalte, trockene Luft wird ihm nichts schaden. Sonst ist es
ihm ja wohl.
Ob
es wohl wahr wird, daß Du Mitte Januar auf Urlaub kommst? Das wären ja nur noch
ca. 3 Wochen. Ich meine manchmal, ich kann es gar nicht erwarten, bis du
wirklich hier bist. Aber dann muß ich mich immer zur Ordnung rufen, damit ich
mich vorher nicht zu sehr freue. Ach, wie froh wäre ich, wenn Du wirklich bald
auf Urlaub kämst. Diesmal kommt es mir vor, als wärst Du furchtbar lang nicht
mehr zuhause gewesen.
So,
jetzt will ich nun weiter schaffen. Ich habe heute noch viel zu tun, denn den
ganzen Vormittag habe ich an den Pulswärmern usw. gesessen, damit ich alles
sauber und ordentlich abliefern kann. Damit bin ich jetzt ganz fertig.
Heute
erhielt ich den Gehaltszettel, auf dem steht, daß das Geld am 30.12. verfügbar
ist. Da werde ich es morgen, wenn ich einkaufen gehe, mit holen und Dir gleich
66,- zuschicken. Ich hätte das Geld evtl. etwas später geholt, aber am 2. kann
ich nicht wegen großer Wäsche und noch später kann ich Dir vielleicht vorm
Urlaub nicht mehr rechtzeitig schicken.
Nun
laß mich schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.