Mittwoch, 31. August 2016

Brief 212 vom 31.8./1.9.1941


Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz, den 31.8.41                                                            

Da Dir Helga heute einen Brief geschrieben hat, möchte Dir Jörg auch von der Schule erzählen. Da er nun doch noch nicht schreiben kann, will ich alles, was er mir sagt Dir schreiben, also paß auf: 
Liebes Vaterle.
Ich habe eine Zuckertüte am ersten Tag wo ich in die Schule gekommen bin gekriegt, da war eine schöne Mietzekatze drin und dann Lebkuchen und dann Gebäck und Bonbons. Und dann habe ich vom Großvaterle noch eine Schnecke und ein Hörnle gekriegt. Am ersten Tag sind wir in die Schule gegangen, da haben wir uns auf die Bänke setzen müssen und dann hat uns die Lehrerin gesagt, wann wir in die Schule kommen müssen. Am zweiten Tag sind die Leute mit den Kindern in die Schule gegangen, aber ich bin alleine gegangen, ich bin doch kein kleines Kind. Da bin ich in unsere Klasse gegangen und die Lehrerin war immer ganz gut und dann haben wir nix aufgehabt und dann haben wir nix lernen müssen, weil so viele Kinder zu spät gekommen sind. Dann haben wir Klosettpause gehabt und dann habe ich gerade aufs Klosett müssen, wo Klosettpause war. Der neben mir gesessen ist, mit dem habe ich mich anfassen müssen und dann haben wir hinten hingehen müssen, damit wir eine Reihe machen und dann hat uns die Lehrerin gesagt, daß wir ein bißchen leise laufen sollen, weil der Lehrer Ege und der Leiber da waren, sonst täten sie rauskommen und schimpfen . Und dann sind wir in den Gang naus. Und dann haben wir lange auf dem Gang warten müssen, bis wir aufs Klosett gekommen sind und haben uns immer an der Hand halten müssen. Da waren die Klosetts ganz naß und niedrig waren sie. Da hat die Lehrerin gesagt, daß wir warten sollen, bis die anderen raus kommen und dann sollen wir rein gehen. Und dann, wo die Kinder vorgegangen sind, sich wieder in die Reihe aufstellen, ist eine Frau gekommen und da ist unsere Lehrerin hingegangen und hat mit ihr gesprochen. Dann bin ich auf dem Klosett gewesen, da hat der Bub schon im Gang auf mich gewartet, der bei mir sitzt. Dann bin ich schnell vorgerannt und habe ihr festgehalten bis wir wieder auf unseren Platz gegangen sind. Dann haben wir uns hinsetzen müssen. Und dann hat sie uns gesagt, wir hätten nix lernen können, weil immer so viel zu spät gekommen sind. Sie tät bös werden, wenn so viele immer zu spät kämen. Sie hat uns auch aufgerufen, wie wir heißen. Sie hat gesagt, daß wir am Montag lernen müßten. Dann haben wir erst die Tafel raufholen müssen, dann die Griffelschachtel und dann haben wir wieder alles einpacken müssen und dann, wo wir raus sind, haben wir uns wieder aufstellen müssen. Wo wir aufgestellt gewesen sind, habe ich den Bub neben mir gefragt, wo er wohnt, ob er nicht in der Wollmatingerstraße wohnt, aber da wohnt er nicht. Und dann haben wir uns wieder anfassen müssen und haben raus laufen müssen in den Gang und dann habe ich mich fest gefreut, daß ich hab raus können. Und da drin war`s fest heiß. Dann bin ich wieder heim über den Platz, der vor der Schule ist, da ist ein Weg über die wiese, da bin ich drüber gelaufen. Der Walter Leimenstoll, der bei uns wohnt, hat mich beim Frieden abgeholt und hat mir dann ein Stück den Schulranzen getragen, weil er mit mir spielen hat wollen. Gestern haben wir keine  Schule gehabt. Samstag  haben wir  frei, erst am Montag wieder.
Viele Grüße und Küsse von Deinem Jörg. 
Ist der Brief von Jörg nicht lang geworden? So viel hatte er mir am ersten Tag auch zu erzählen. Das sind ja nun alles neue Eindrücke, die er erst verarbeiten muß. Am ersten Tag, wo wir mit ihm zur Schule gehen mußten und wo er auch die Zuckertüte bekommen hat, war er von allem so gepackt, daß er nicht einmal gemerkt hat, daß ein Bub neben ihm gesessen ist. Als wir nämlich fragten, wie ihm denn sein Nachbar gefallen hat, sagte er ganz erstaunt, neben mir hat doch niemand gesessen, ich war doch ganz allein auf der Bank. Das hatte ich ganz vergessen zu schreiben, daß er von Frau Nußbaumer zum Schulanfang auch etwas Keks und einen Blumenstrauß bekommen hat.
Die kommende Woche nimmt Vater noch seinen Urlaub und morgen über 8 Tage fängt er wieder mit schaffen an. Sie haben ihm beim Stromeyer versprochen, sie wollen ihm etwas leichtere Arbeit geben, damit er sich nicht überanstrengt. Ich denke aber, sie werden nicht lange daran denken. Aussehen tut Vater wieder gut.
Ich ruhe mich heute wieder ein bißchen aus. Es sieht sowieso nicht so gut draußen aus. Zeitweise ist Sonnenschein und zeitweise regnet es wieder.
Heute ist mein Brief ziemlich kurz geworden, aber dafür hast du ja noch die Briefe von den Kindern. Da nimmst Du schon einmal mit einem kürzeren Brief vorlieb.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt, Du mein liebster Schatz, von Deiner Annie.


 Mein lieber Mann!                                                       Konstanz, 1.September 1941

Du hast mir heute mit Deinem lieben Brief vom 27.8. zu unserem Hochzeitstag eine ganz große Freude gemacht. Mit welch lieben Worten hast Du dieses Tages gedacht und ich fühle mich direkt beschämt, daß ich fast nichts zu diesem Tag geschrieben habe. Aber Du weißt ja, daß es mir nicht so gegeben ist, schriftlich meinem Empfinden Ausdruck zu verleihen und ich denke, daß Du auch so weißt, daß ich Dich von ganzem Herzen lieb habe und stets an Dich denke. Es wäre wirklich schön gewesen, wenn wir heute hätten zusammen sein können, aber es ist ja jetzt vielen nicht vergönnt, Feste zusammen zu verleben und so wollen wir dankbar sein, daß wir noch alle gesund sind. Wenn wir jetzt Aussicht haben, daß Du bald Deinen Urlaub bekommst, so ist das ja auch schon ein Glück.
Ich habe in den letzten Tagen besonders oft an die vergangenen 10 Jahre gedacht und ich habe mir immer wieder sagen müssen, daß wir doch recht daran getan haben, früh zu heiraten. Wenn wir uns auch oft durchbeißen mußten, da wir beide nicht unzufrieden waren, hat es uns nichts geschadet. Wir haben das Einteilen gelernt und empfunden es jetzt mit doppelter Freude, daß es jetzt nicht mehr ganz knapp zugeht. Auf fremde Hilfe haben wir uns noch niemals verlassen und so sind wir jetzt auch niemand etwas schuldig. Das macht mich besonders froh.
Daß ich meine Pflicht zu hause tue, ist ja selbstverständlich. Ich müßte mich ja sonst schämen. Soweit ich körperlich dazu in der Lage bin, macht mir die Arbeit auch Freude. Ich würde manchmal gern noch mehr schaffen, denn ich tue es gern, aber ich muß eben zusehen, daß ich nicht wieder krank werde, wenn ich mir auch manchmal dabei wie ein halber Faulpelz vorkomme.
Durch die Kinder habe ich schon viel Freude gehabt. Natürlich gibt es auch Sorgen, aber die Kinder sind uns ja nicht nur zur Freude gegeben, sondern damit wir sie zu ordentlichen Menschen erziehen. Abwechslung habe ich ja durch die Kinder auch viel und langweilig wird es den ganzen Tag nicht.
Du fehlst mir ja sehr und wo richtig mit ganzem Herzen werde ich das Freuen wohl erst wieder lernen, wenn Du wieder zuhause bist und der Krieg zu Ende ist. Aber wir wollen nicht undankbar sein, denn Not haben wir in diesem Krieg noch keine kennen gelernt, man kann sich gar nicht oft genug vorstellen, wie es wohl bei uns aussehen würde, wenn unsere Feinde ins Land gekommen wären.
Auch ich hoffe, daß wir noch recht lange Jahre zusammen verleben dürfen. Das ist mein großer Wunsch.
Vorhin brachte mir Helga zum Hochzeitstag ein duftendes Veilchensträußchen. Eigentlich wollten sie mir auch noch etwas schenken, aber ich habe ihnen das ausgeredet, denn ich habe ja schließlich nicht allein Hochzeitstag und Du bist ja nicht da.
Auf das Geschenk von Dir freue ich mich sehr, denn Deine Geschenke haben mich noch nie enttäuscht. Notwendig wäre es ja nicht gewesen, denn ich habe mich schon über Deinen lieben Brief so sehr gefreut. Ich hoffe, daß ich Dir recht bald auch mündlich danken kann für alles Liebe.
Heute bekam ich auch noch Deinen lieben Brief vom 28.8.
Die Kinder haben wirklich viel neue Eindrücke in Leipzig gesammelt und sie brennen darauf, Dir alles zu erzählen, wenn Du auf Urlaub kommst. Das ist ja alles so wichtig, daß Du es unbedingt wissen mußt, vor allem vom Zoo. Das ist ihnen mit das wichtigste.
Der mir von Dir gesandte Zeitungsartikel hat mich sehr interessiert. Es ist gut, daß so strenge Maßnahmen getroffen werden, denn sonst wäre diesem Pack der deutsche Soldat ja Freiwild. Vielleicht kommen sie so eher zur Überlegung.
Über solche Anranzer, wie Du sie mir wegen des Ahnenpasses geschickt hast, bin ich ganz froh. Ich hätte ja das alles nicht machen können, wenn Du nicht so viel Vorarbeit geleistet hättest. Die Ahnenliste, die du aufgestellt hast, hat mir viel geholfen. Von ihr habe ich erst abgeschrieben, dann habe ich die Unterlagen vorgeholt und die Angaben ergänzt. Ohne die Liste, in der ja die Reihenfolge schon festgelegt ist, hätte ich es bestimmt nicht geschafft, denn mir hat schon so hinterher der Kopf gebrummt vor lauter Namen, Nummern und Daten. Du glaubst gar nicht, wie es mich freut, daß es Dir recht ist, daß ich den Paß aufgestellt habe, Du lieber, lieber Kerl. Du siehst aber wieder, überflüssig bist Du nie und nirgends.
Laufen kann Vater wieder soweit. Natürlich rennt er nicht mehr so wie früher. Er muß aber immer noch das Bein etwas einbinden und außerdem bekommt er jetzt eine Einlage.
Vater hat jetzt vorläufig genug zu rauchen. Er bekommt ja auch immer von Kurt noch etwas. Siegfried bringt zwar auch Papa manchmal etwas mit, aber Du kannst Deinem Namen neuen Glanz verleihen, wenn Du ihm auch etwas schickst. Wenn Du auch noch ein paar Zigarren für Paul besorgen könntest, wäre es mir recht. Ich möchte mich doch gern für die Geschenke von Alice revanchieren.
Übrigens lobt und rühmt Papa seinen Schwiegersohn seine Tochter und Enkel überall. Mit wem ich in Leipzig in Berührung gekommen bin, die kannten uns alle schon und sagten: „Ihr Vater hat nämlich schon viel von Ihnen erzählt, Ihren Mann lobt er auch immer so.“ Wir sind also auch in Leipzig keine Unbekannten.
Das Päckchen mit den Bonbons ist noch nicht angekommen. Ich denke aber, daß es bald kommen wird. Wenn es nur zum Geburtstag rechtzeitig da ist.
Zum Schluß mußt Du doch in Deinem Brief noch spotten, oh, Du schlimmer Mann. Als ob mir je ein Brief zu lang wäre.
Nun will ich noch von heute berichte. Eigentlich wollte ich heute waschen, aber Frau Büsing hatte gestern vergessen, mir den Schlüssel zu geben. Sie hat sich heute sogar deshalb bei mir entschuldigt. Nun habe ich das waschen auf morgen verschoben und das war gut so, denn heute Vormittag kamen die 15 Ztr. Brikett, die ich auch noch schichten mußte. Außerdem bekam ich noch 5 Pfund Zwetschgen, die ich sterilisiert habe. Da ist der Tag auch so vergangen. Heute Abend habe ich mir zur Feier des Tages noch eine Tafel Schokolade hervorgeholt. Da habe ich vorhin mit essen angefangen.
Eben kam Vater. Er sagte mir, daß er heute an Dich geschrieben hat. Wegen  der restlichen 3,-Mk von den Schuhen sagte er, daß Du sie behalten sollst, denn Du würdest sowieso noch etwas zum Geburtstag bekommen.
Sei nun für heute  recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Brief 211 vom 29./30.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                                            Konstanz, den 29.8.41  

Heute kommt nun schon wieder ein Schreibmaschinenbrief, nachdem ich mich erst gestern  deshalb entschuldigt habe. Aber ich schreibe heute erst am Abend und da möchte ich den Brief  doch noch fortbringen und mit der Maschine geht das schreiben am schnellsten.
Am Morgen hatte ich aufzuräumen. Dann ging Helga wieder für um 11 zur Schule und ich habe Essen gekocht, weil doch Jörg 3/4 1 schon fort mußte, um 1/2 2 in der Schule zu sein. Er hat dann 1/4 1 gegessen, hinterher habe ich ihn noch einmal gründlich gewaschen, denn er wäre ganz verschmiert fortgelaufen. Dann ist er ganz stolz fortgegangen. Ich hatte ihn gefragt, ob ich ihn bringen müßte, aber er sagte, das sieht ja aus wie bei einem kleinen Butzerle. Als Jörg fortgegangen war, habe ich gleich 1 1/2 Pfund Brombeeren gepflückt, bis Helga aus der Schule kam. Dann haben wir zusammen Mittag gegessen. Helga brachte aus der Schule eine ganz Aufstellung mit, was sie alles für neue Hefte und Bücher brauchen. Nach dem Essen bin ich mit Helga in den Garten gegangen. Da habe ich die untersten 5 Reihen Erdbeeren ausgeputzt (Das meiste hatte ich schon gestern gemacht) und habe umgegraben. Die oberen Reihen, die 3 jährigen, die nicht mehr viel waren, hat Helga inzwischen rausgerissen und auf den Misthaufen geschafft. Setzlinge von den jungen Pflanzen habe ich gestern gegen Abend an dem schrägen Stück hinterm Haus gesetzt. In den nächsten Tagen bekomme ich von der Frau Leimenstoll von ihren Erdbeeren Setzlinge, die ich dann auch mit anpflanze. Du wolltest doch gerne, daß wir einmal eine neue Sorte setzen. Sollte es nicht richtig sein, was ich gemacht habe, kannst Du es ja immer noch rausreißen.
Hinterher bin ich in die Stadt gefahren und habe die Bücher für Helga besorgt. Als ich bei Tengelmann vorbeikam, habe ich gleich gefragt, ob sie vielleicht Pralinen oder Bonbons haben und hatte tatsächlich nach langer Zeit Glück. Sie hatte gerade was hereinbekommen.
Als ich heimkam sah ich gleich, daß es bald Regen geben wird. Da habe ich gleich noch etwas Grünkohl gesetzt. Ich denke, daß wir jetzt genug haben. Vor einigen Tagen hatte ich doch Wintersalat und Wirsing und Spinat gesät. Das kommt alles schon raus. Vorhin hat es nun mit regnen angefangen.
Jörg sitzt jetzt gerade mit Helga zusammen und erzählt seine Erlebnisse von der Schule.
Ich will überhaupt noch von gestern erzählen. Wir sind also gestern mit Jörg zur Schule gegangen. Wir mußten uns alle im Hof versammeln, da kein Raum weiter frei ist. Da hielt der eine Lehrer eine kurze Ansprache, daß die Kinder wegen Platzmangel weniger Schule hätten wie die in der Stadt, und daß es deshalb notwendig wäre, daß sich die Eltern etwas mehr um die Arbeit der Kinder kümmern und die Schule unterstützen. Sie wollten aber die kleinen Kinder noch nicht über dem Rhein in die Schule schicken, da es für sie zu weit und auch zu gefährlich sei.
Hinterher wurden die Namen aufgerufen und wir mußten in das Schulzimmer gehen. Jörg`s Lehrerin heißt Hafner und ist eine Elsässerin. Sie ist scheinbar eine nette Lehrerin. Sie sieht Dora ähnlich.
Jörg hat Montag, Dienstag, Mittwoch von 9 - 10 Uhr 10 Minuten und Donnerstag von 1/2 2 - 3 Uhr Schule, Samstag ist frei.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 24.8., mit den Durchschlägen an Schnäutzel und den Marinesturm. Die Briefe sind auch wieder prima. Ich mag überhaupt alle Briefe von Dir gern lesen, es klingt immer so, als wenn Du gerade mit jemand reden würdest.
Das Päckchen mit Bonbons ist also doch nicht mehr zur Zeit angekommen. Jörg hat ja gestern sehr viel bekommen und so habe ich schon gedacht, ich hebe es vielleicht auf bis zu Helga`s Geburtstag. Da teile ich es dann den Kindern. Ich hoffe, daß es Dir so recht ist.
Vater hat durch seine Krankheit doch nichts gelernt. Vorgestern hat er schon wieder eine Nachtschicht gemacht. Da  hat er Brombeeren eingekocht, 5 Pfund und nun denke Dir, er nimmt jede einzelne Beere auseinander und guckt nach, ob Maden drin sind. 7 Stück hat er nun drin gefunden. Vorgestern sagte er mir schon einmal, daß er jede einzelne Beere aufmacht und meinte, daß sich wohl kaum jemand so viel Mühe gibt. Ich sagte ihm auch, alles was recht ist, wenn ich jede Beere nehmen wollte, könnte ich überhaupt nichts mehr anderes schaffen. Ja, meinte er darauf, ich scheue die Arbeit nicht, aber ich will es sauber haben. Was meinst du dazu? Vater hatte mir doch schon einmal gesagt, ich hätte doch nicht die Brombeerzweige abschneiden sollen, vielleicht hätte es doch noch Beeren gegeben. Gestern fing er wieder an: „Da sind doch noch so kleine Brombeerzweige da, dieses Jahr hat es so geblüht, daß sogar die kleinsten Zweige Beeren haben. Sogar die kleinen Zweige tragen etwas.“ Das wiederholte er noch öfter, aber ich habe gar nicht gemacht, als verstünde ich die Anspielung. Schreibe aber nichts darüber an Vater, denn sonst weiß er doch gleich, daß ich es Dir geschrieben habe und das möchte ich nicht. Geärgert habe ich mich diesmal nicht, sondern ich habe eigentlich lachen müssen, daß er wieder in alle seine alten Fehler verfällt.
Heute erhielt ich auch eine Karte von meinen Eltern aus Böhmisch Kamnitz. Seit Donnerstag sind sie nun in Neustadt und fahren am Samstag heim.
Von Frau Diez bekam ich auch eine Karte. Ich soll Dir von ihr auch viele liebe Grüße bestellen.
Gestern ist der alte Herr Kuster gestorben. Ich habe ihn ja nicht näher gekannt und schicke nur eine ordentliche Trauerkarte. Das wird doch reichen. Ihm war doch erst ein Fuß abgenommen worden und wie ich heute hörte, mußte er vor 8 Tagen nochmals operiert werden.
Nun will ich wieder schließen. Ich bringe erst noch die Kinder ins Bett und dann schaffe ich den Brief noch fort. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst                                                                              Konstanz, 30.8.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 26.8. und das Päckchen Nr. 22 mit Käse. Er ist gut angekommen und wir haben heute zum Abendbrot schon davon gegessen. Wir danken Dir dafür.
Ihr habt scheinbar auch viel mit den Sabotagefällen zu tun. Daß doch die Kommunisten keine Ruhe geben wollen. Es ist ja jetzt nur wegen diesen Saboteuren in Paris ein Sondergericht zusammen getreten. Da müssen diese Fälle doch einen ziemlichen Umfang angenommen haben.
Ich habe jetzt öfter Pflaumen bei Webers gekauft. Sie sind gut, nur ein bißchen klein. Dafür kosten sie aber auch nur 20 Pfg. Ich habe heute davon nochmals 2 Kuchen gebacken. Frau Weber sagte schon daß es wahrscheinlich nicht mehr lange welche gibt. Sollte ich nochmals welche bekommen, sterilisiere ich sie. Recht wäre es mir auch, wenn ich zu Helga`s Geburtstag noch ein paar Pfund bekäme. Von Birnen habe ich hier noch nichts gesehen, in Leipzig kosteten sie auch 50 Pfg.
Von den Eltern erhielt ich heute für unseren Hochzeitstag einen Brief. Der Brief ist an Dich und mich gerichtet. Ich weiß nun nicht, ob sie Dir auch einen Durchschlag geschickt habe. Meine Mutter wünscht uns, daß wir diesen Tag zusammen verleben können, das ist ja nun nicht der Fall, aber wir werden wohl an diesem Tag besonders aneinander denken. Die 10 Jahre sind eigentlich schnell vergangen. Man glaubte es gar nicht, daß schon so viele Jahre vergangen sind, wenn man nicht unsere großen Kinder sähe. Hoffen wir, daß wir alle noch viele Jahre zusammen leben können.
Ich habe heute schon etwas für Helga`s Geburtstag gekauft. Eine kleine Tasche, die sie mit zum Handarbeitsunterricht nehmen kann, und ein Buch „Was Heinz und Helga in Tirol erlebte.“ Es ist in einem N.S.-Verlag erschienen und ich hoffe, daß es etwas Ordentliches  ist. Viel werde ich nicht mehr kaufen. Ich backe einen Kuchen und vielleicht etwas Kleingebäck. Dann gibt es noch einen Pudding. Dazu werde ich noch die Bonbons von Dir legen, die bis dahin bestimmt angekommen sind. Da hat Helga doch einen schönen Geburtstagstisch.
Ich will Helga noch zum Briefkasten schicken, bevor sie hereinkommen müssen. Es ist bereits 1/4 8 Uhr.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Samstag, 27. August 2016

Brief 210 vom 27./28.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, den 27.8.41                                            

Heute habe ich die Sachen mit der Stadt erledigt. Erst bin ich aufs Standesamt gegangen und habe nach den Ahnenpässen gefragt. Sie waren mir ja nicht ganz fest auf heute versprochen worden, aber sie waren fertig. Hinterher bin ich auf die Polizei und habe das Leumundszeugnis geholt. Danach bin ich aufs Rathaus zu dem Herrn Mettenberger. Der hat sich riesig gefreut, daß ich Ahnenpässe hatte. Er sagte, so schnell sei er mit Vergleichen nie fertig geworden, denn die anderen hatten die Unterlagen gebracht, das dauerte eine ganze Weile bis man sich da durchgearbeitet hätte. Für mich war es ja auch ein Vorteil, denn ich habe dadurch nicht lange warten müssen. Diese Sache wäre als von uns aus erledigt.
Gestern Abend habe ich für Jörg eine Zuckertüte zusammengebaut aus dünner Pappe und aus Buntpapier allerhand Sachen drauf geklebt. So z.B. Trompete, Herzen, Kreisel, Mond und Stern usw. Ich denke, daß er sich morgen schon freue wird. Hinein getan habe ich Bonbons, die kleine schwarze Figur, die mein Vater ihm gekauft hat und einige Pfefferkuchenstückchen. Vater will auch noch etwas Gebäck kaufen und wenn noch die Bonbons von Dir ankommen, dann hat er wirklich viel bekommen.
Ich erhielt heute Deine lieben Briefe vom 23.8. Einer ist scheinbar morgens und eine nachmittags geschrieben.
Morgen Nachmittag geht nun Jörg in die Schule, um 15 Uhr, da doch nur 3 Schulräume zur Verfügung stehen, können nicht gleichzeitig Mädels und Buben aufgenommen werden. Du hast ja angekündigt, daß Du Bonbons für ihn schickst, da wird er schon seine Freude haben.
Wie ich Dir ja schon schrieb, ist mir der Zucker auch später jederzeit willkommen. Etwas Marmelade habe ich ja eingekocht und morgens essen wir ja meist Eingebrockte, so daß wir nicht  so viel Marmelade brauchen. In den nächsten Tagen kann ich auch noch ein paar Gläser voll einkochen, dann reicht es uns schon.
Der Brief an meine Eltern kommt ja gerade an, wenn sie verreist sind, aber das macht nichts. Da finden sie ihn wenigstens gleich vor, wenn sie heimkommen. Als ich in Leipzig war, sagte ich schon zu meinem Vater, als er an Dich wegen eines Briefes geschrieben hatte, daß Du Dir denken wirst, jetzt hat es keinen Zweck zu schreiben, da ich meinen Eltern ja alles erzählen kann, was Du mir so schreibst. Aber Papa ist nun einmal so. Als Siegfried dort gefahren war und Erna einen Brief erhalten hatte, er an demselben Tag aber nicht, hat er ihn auch gleich geschrieben, er hätte doch wenigstens erwartet, daß er ihnen auch schreibt. Am nächsten Tag war aber bereits ein Brief da, so daß die Mahnung gar nicht nötig gewesen wäre.
Ein bißchen ein Flegel ist ja Jörg auch, aber mit Euerm Hund kann er es ja nicht aufnehmen. Ich muß eigentlich sagen, die letzte Zeit ist es ohne Wichse gegangen, da hat ein Anschnauzer genügt. Hoffentlich bleibt es so. Jörg ist halt vielmals zu übermütig und weiß nicht, wo er mit seiner überschüssigen Kraft hin soll. Da boxt und kneift er natürlich Helga, die davon auch nicht gerade entzückt ist und 1, 2, 3 ist der schönste Krach im Gange. Meist vertragen sie sich aber bald wieder.
Ich hoffe, daß der Käse gut ankommt und nicht unterwegs zerläuft. Essen tun wir ihn schon, Du weißt ja, daß auch die Kinder besonders Käse gern essen. Ich danke Dir, daß Du auch da wieder an uns gedacht hast.
Vater geht es soweit gut. Etwas schwach fühlt er sich noch. Er will morgen noch einmal zum Arzt und ihm sagen, daß er wieder arbeiten geht, wenn der Arzt darauf besteht, daß er aber nicht weiß, wie lange er durchhalten wird, da er sich noch nicht so kräftig fühlt. Vom Urlaub will er dem Arzt nichts sagen. Den kann er ja nachher extra noch nehmen. Bis jetzt hat Vater nicht mehr gemault, er kommt ja auch nicht so oft rauf.
Nachher will ich noch in den Garten  gehen und sehen, ob ich noch gelbe Bohnen nehmen kann für Essigbohnen. Die kann man nachher wie Bohnensalat essen. Ich mache nicht gar so viel, damit sie auch alle werden.
In nächster Zeit will ich sehen, daß ich für Jörg einen Pullover stricken kann, denn er hat sonst gar nichts rechtes für die Schule anzuziehen. Der helle, den er hat, der geht kaputt. Nächsten Monat möchte ich auch zusehen, daß ich für Helga und Jörg einen Mantel kaufen kann, wenn möglich einen Lodenmantel. Vielleicht bist Du dann da, daß wir miteinander gehen könnten. Im Oktober oder November will ich dann noch einen für mich kaufen. Natürlich keinen Lodenmantel, sondern ein Wintermantel, oder meinst Du, wenn es welche gibt, ich soll auch einen Lodenmantel kaufen? Na, darüber können wir ja noch während Deines Urlaubs  sprechen.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz den 28.8.41

Heute wollte ich Dir wieder mit der Hand schreiben, aber die Zeit ist wieder so kurz, daß ich Dich schon bitten muß, mit einem schreibmaschinengeschriebenen Brief vorlieb zu nehmen. Ich weiß ja nicht, ob es Dir etwas ausmacht, aber bei mir ist es immer so, daß ich mich freue, wenn ich in den Briefen Deine Handschrift sehe.
Ich schreibe heute Mittag, ehe wir mit Jörg zur Schule gehen. Ich muß Dir da auch noch einige Sachen von Jörg erzählen: Ich erzählte im gestern, daß es in Leipzig so ist, daß die Eltern von den Kindern, die in die Schule kommen, zum Füllen der Zuckertüten 1 Pfund Pralinen kaufen können, die sie auf einen besonderen Schein bekommen. Da sagt Jörg: “Wenn ich bloß in Leipzig wär, das gefiele mir viel besser.“ Ich habe gestern Jörg die Stelle aus Deinem Brief vorgelesen, wo Du schreibst: „Es beruhigt mich, wenn ich auch einmal  mit dem Baukasten von Jörg bauen darf.“ Ich hatte mir doch schon immer Gedanken gemacht, ob er es wohl auch zulassen würde. Sage ihm nur, daß ich ihm recht herzlich danke.
Er ist natürlich noch zu klein um zu merken, daß es ein bißchen spöttisch gemeint ist und ich wollte es ihm auch nicht sagen, denn als ich vorgelesen hatte, war er über Deine Worte ganz glücklich und lächelte ganz strahlend. Er sagte zu mir: “Gell Mutterle, da ist doch eigentlich gar nicht viel zu danken, wenn ich Vaterle mitspielen lasse. Da braucht er sich keine Gedanken zu machen. Aber ganz fest gefreut hat es mich doch, daß Vaterle  so lieb ist und sich bedankt.“ Gestern waren wir uns nicht einig, ob Jörg heute zum ersten Mal schon den Schulranzen mitnehmen soll. Jörg meinte dann: „Ich würde ihn gern mitnehmen - weißt Du, es ist schon besser, wir nehmen ihn zur Not lieber mit.“  Helga war heute auch zum ersten Mal wieder in der Schule. Da sie noch nicht wußten, in welche Schule sie kommen, hatte sich die Klasse in Petershausen getroffen. Sie muß aber von jetzt ab nach dem Kloster Zoffingen über der Rheinbrücke. Ihre Lehrerin heißt Frl. Wagner. Morgen muß sie um 11 zur Schule. Ich weiß nicht, ob es jeden Tag so ist. Da hat sie einen ziemlichen Weg bis dorthin.
Eben kam Vater  noch und brachte für Jörg ein Hörnchen und eine Schnecke. Ich denke, daß Jörg nun genug zu essen hat. Ich habe ihm auch noch 10 gr. Gebäck gekauft.
Denke Dir, heute haben wir einmal weiße Bohnen zu Mittag gekocht. Ich hatte noch welche vom vorigen Jahr da, habe sie aber nie gekocht, weil ich meinte, wir würden sie alle nicht so gern essen. Nun bekommen wir diesen Winter aber ziemlich viel Bohne von unserem Garten, da während unserer Reise viele strohig geworden sind, die man als grüne Bohnen nicht mehr verwenden kann. Ich habe nun heute einmal probiert, ob sie die Kinder auch essen und siehe da, sie essen sie noch lieber als grüne Bohnen. Jetzt bin ich natürlich beruhigt, denn es hatte mich doch geärgert, wenn ich die vielen Bohnen nicht hätte verwenden können.
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Ich glaube auch nicht, daß noch einer kommt, da ich gestern 2 bekommen habe.
Wenn wir heute nach hause kommen, will ich noch 2 Pflaumenkuchen backen, einen für heute Abend und einen für morgen früh. Ich habe heute gerade noch einmal schöne Pflaumen bekommen. Sie sind etwas klein, haben aber den Vorteil, nicht madig zu sein. Das ist auch etwas wert. Das bißchen Mehrarbeit nimmt man dann gern in Kauf.
Ich habe heute auch wieder einmal Kartoffeln aus dem Garten geholt. Die Stauden geben bis jetzt ganz gut aus. An einer waren 20 Kartoffeln Sie sind auch ganz nett groß.
Das Kraut macht sich auch schon ganz schön heraus. Da werde ich wahrscheinlich ein Teil Sauerkraut bekommen, wenn es so weiter wächst. Die Tomaten werden auch so nach und nach reif. Es braucht eben noch etwas Sonnenschein. Wenn es mit Deinem Urlaub nicht mehr gar so lange dauert, wirst Du auch noch welche davon essen können.
Gestern habe ich nun noch Essigbohnen gemacht. Es ist ja dieses Jahr der erste Versuch damit, hoffentlich halten sie sich.
Ich will mich und auch Jörg so langsam fertig machen, damit wir rechtzeitig fort kommen. Helga freut sich schon ganz heimlich, was Jörg für ein Gesicht machen wird, wenn er die Zuckertüte sieht.
Sei Du, mein lieber Ernst, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt  von Deiner Annie .

Brief 209 vom 25./26.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                        Konstanz, den 25.8.41        

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 20.8. mit den Unterlagen. Außer dem Lebenslauf, den Du mir ja mit dem nächsten Brief angekündigt hast, hätte ich von Dir alles da. Nun fehlt nur noch das Leumundszeugnis und der Ahnenpaß. Bis zum Donnerstag werde ich ja alles zusammen haben.
Du mußt mir nicht böse sein, daß ich Dir nichts von dem Ärger im Haus geschrieben habe. Ich wollte Dir doch nicht auch noch das Herz schwer machen. Wenn ich nicht gerade in Leipzig davon gesprochen hätte, wüßten meine Eltern auch nichts davon. Inzwischen habe ich Dir ja geschrieben, daß es etwas besser geworden ist Ich bin froh, wenn es so bleibt.
Ich konnte mir schon denken, daß Du es noch nicht ganz genau weißt, wann Du auf Urlaub kommen kannst. Es ist ja schon manchmal so gewesen, daß es sich erst hingezogen hat und auf einmal hast Du fahren müssen. Wir werden ja sehen, wenn Du kommen kannst.
Vater war wieder beim Arzt. Ab nächster Woche sollte er eigentlich wieder schaffen gehen. Er  will aber sehen, daß er erst noch seinen Urlaub nehmen kann, denn das Bein ist doch noch nicht ganz gut.
Das Paket von Deinem Kameraden war unten drunter noch mit dem Paketpapier von Dir eingepackt, d.h. auch auf dem oberen Papier war die Adresse an mich von Dir geschrieben und auf dem unteren Papier war als Absender noch Graser angegeben. Ich weiß nicht, ob er es noch Mal umgepackt hat, es hat aber gar nicht so ausgesehen. Nur eine weiße Paketadresse war noch draufgeklebt.
Bei den Unterlagen habe ich das fehlende noch ausgefüllt. Die Eintrittsdaten kann die Stadt schon selber ausfüllen.
Die Karte von Gerhard ist ja ziemlich nichtsagend. Im Übrigen haben sie es ja von Anfang an gewußt, daß ich am 25.8. nach Leipzig fahren und 14 Tage dort bleiben wollte. Da hätten sie gleich im Kalender nachsehen können und hätten dabei festgestellt, daß bis zum Schulanfang nur 14 Tage angemeldet sind. Aber, wie gesagt, sie haben sich ja auch nur für 14 Tage angemeldet gehabt und morgen wären gerade die 14 Tage um. Da hätten sie noch 2 Tage bis zum Schulanfang gehabt. Es wird aber so sein. An den Schulanfang haben sie nicht gleich gedacht und haben gemeint wenn wir einmal in Konstanz sind, können wir auch ein bißchen länger bleiben, rausschmeißen kann sie uns doch nicht gut. Ich bin wirklich richtig froh, daß sie nicht mitgekommen sind. Ich habe jetzt wieder manchmal etwas Beschwerden, da kann ich mich doch, wenn wir allen sind, einmal ausruhen. Ich wollte doch wegen dem Durchleuchten noch zu Dr. Deeg gehen, aber der ist schon während unserer Ferien eingezogen worden, so daß ich schon wieder bei einem anderen Arzt anfangen müßte. Im Übrigen bin ich bald der Meinung, daß doch keiner richtig helfen kann. Da wurschtelt man sich am besten selber durch.
Vorm Mittagessen habe ich den Brief angefangen, jetzt um 1/4 4 Uhr schreibe ich weiter. Das kommt daher, daß Vater bis jetzt da war. Er kam heute Morgen gegen 9 Uhr und wollte mir sagen, daß es in der Wilhelmstraße Kartoffeln gibt. Ich bekomme ja aber schon von Webers welche und zur Not kann ich auch schon alle aus der Erde nehmen, denn man weiß noch nicht, wie es dieses Jahr mit dem einkellern ist, da haben wir auf jeden Fall etwas da. Vater wollte ja eigentlich gleich wieder gehen, aber dann hat er sich hinter die Zeitungen gesetzt. So ist es Mittag geworden. Um 12 Uhr wollte er nicht fort, weil da alle Leute aus den Betrieben kommen. Dann wollte er sich noch die Nachrichten anhören. Dann hatte er sich angezogen, kam aber noch ins Erzählen und so ist es nun 1/4 4 Uhr geworden.
Ich will, nachdem ich fertig geschrieben habe, noch in die Stadt fahren, an Kurt 2 Romanpäckchen aufgeben und Einmachzucker, Butter usw. holen. Ich will doch heute die Brombeermarmelade und die Pflaumenmarmelade kochen.
Ich hatte doch an meine Mutter ein Päckchen mit dem versprochenen Untersetzter geschickt. Nun erhielt ich heute eine Karte, daß das Päckchen gut angekommen ist und daß sie nun am Samstag nach Kamnitz gefahren sind. Von dort wollen sie mir wieder schreiben. Ich grüße und küsse Dich nun wieder herzlich Deine Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                  Konstanz, 26.8. 41

Einen Brief habe ich heute Vormittag nicht bekommen. Am Nachmittag war der Briefträger noch nicht da.
Wie ich Dir gestern schon schrieb, habe ich Brombeeren und Pflaumen zu Marmelade gekocht. Es hat 5 3/4 ltr. Gläser und 1/2 ltr. Glas ergeben. Das ist doch ganz schön. Heute habe ich wieder 1 1/2 Pfund Brombeeren abgemacht. Da will ich nachher gleich wieder Marmelade kochen.
Ich habe den Kindern heute Morgen 2 kleine Puppen aus Gras gemacht. Eine Frau und einen Mann, jeder hat eine Papierzipfelmütze auf. Dazu haben wir aus einer aufgeschnittenen Tüte ein Zelt gebaut und es mit Gras  bedeckt. Da spielen die Kinder jetzt damit. Weißt Du, woher ich die Anregung dazu hatte. Aus einem Buch, das ich mir in Leipzig gekauft hatte. „Was spielen wir“, ich habe es ganz vergessen in dem Trubel in Leipzig Dir zu schreiben, daß ich mir das Buch gekauft habe. Da sind alle Spiele drin, die wir früher auch gespielt haben, von denen ich aber die Hälfte schon wieder vergessen hatte. Auch Sachen zum ausschneiden mit Glanzpapier usw. sind drin. Auch solch ein Netz, wie es Deine Mutter immer für den Weihnachtsbaum gemacht hat.
Eben kam Dein Brief vom 21.8. Vielen Dank dafür. Mit Kleiderkarten hast du jetzt also auch zu tun. Weißt Du, die hängen Dir jetzt aber ziemlich viel Arbeit auf. Kannst Du denn das alles leisten ohne daß Du ganz kaputt wirst? Man sollte sich doch ein bißchen auf die Hilfskräfte verlassen können, daß sie einen Teil der Arbeit übernehmen.
Das ist ja schrecklich, wenn Ihr jetzt in Frankreich auch noch mit den Kommunisten zu tun habt. Diese Bande ist doch das Schlimmste was es gibt. Die kennen nichts als Mord und Totschlag, in welchem Land es auch sein mag. Und natürlich hetzt England dieses Gesindel auch noch auf. Es ist auch schrecklich für die Angehörigen der wieder dort erschossenen und verletzten Leute.
Euer Hund macht ja schöne Sachen. Da muß man ja alles wegschließen, damit er nur ja zu nichts dazu kann. Ist der eine Hausschuh ganz hin? Ob die Schläge was nützen werden?
Nanni hat an Vater hat geschrieben, daß sie seit 3 Wochen wieder zuhause sei und noch gar keine Nachricht von Kurt bekommen habe. Er möchte doch sofort Bescheid gaben, ob Kurt schon an ihn geschrieben habe.
Wir haben heute wieder regnerisches Wetter, so daß die Kinder sich die meiste Zeit oben beschäftigen müssen. Jörg hat sich den alten Metallbaukasten vorgenommen und Helga spiel ein Zusammensetzspiel. Da vergeht ihnen wenigstens auch die Zeit.
Nun Schluß für heute. Bleib uns gesund und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mittwoch, 24. August 2016

Brief 208 vom 23./24.8.1941


Mein liebere Ernst!                                                                                  Konstanz, den 23.8.41                                                              

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 19.8. Vielen Dank.
Die Unterlagen hast Du also erhalten. Die Daten von Deiner Großmutter setze ich schon noch ein. Gerade als ich die Unterlagen weggeschickt hatte, fiel mir ein, daß wir ja noch den Ahnenpaß von Paula da haben. Ich habe mir nun überlegt, daß Kurt den später ja wieder der Paula bringen wird und dann müssen wir uns die fehlenden Unterlagen erst wieder besorgen. Ich habe nun einen Ahnenpass geschrieben, bzw. zwei. Einen so wie ich Dir das Muster davon mitschicke und einen nach dem Ahnenpaß meiner Eltern für mich. Der beiliegende Ahnenpaß ist also derjenige, den ich bescheinigen lasse. Den habe ich schon auf dem Standesamt, sondern das ist derjenige, den ich zuerst geschrieben hatte nach Deiner Aufstellung und nach den Unterlagen. Wie Du siehst, habe ich mehrmals verbessern müssen und so habe ich die ganze Sache nochmals rein in einen anderen Paß geschrieben. Bei meinem Paß habe ich von meinen Eltern abgeschrieben und habe noch einiges dazugefügt, da wir ja noch Unterlagen da hatten, die uns Tante Anna seinerzeit zuschickte. Ich hoffe ja, daß es Dir recht ist, was ich gemacht habe. Ich dachte eben, man braucht jetzt öfter einen Nachweis. So müßte man immer die ganzen Unterlagen mitschleppen, andernfalls braucht man aber nur den Ahnenpaß vorweisen.  Ich bekomme die beglaubigten Pässe am Mittwoch wieder und kann sie dann zusammen mit den anderen Sachen der Stadt vorlegen. Hoffentlich bekomme ich keinen zu festen Anranzer von Dir für meine Eigenmächtigkeit. Die „Plackens“ gehen am weitesten zurück, bis Nummer 68, während es sonst  nur bis 34/35 zurückgeht. Soviel ich gelesen habe, kostet das Bestätigen eines Passes bis zur Nr. 32 1,-Mk, alles weitere je 10 Pfg.
Die Flugblätter aus dem Schuhpaket habe ich bereits aufgehoben. Das ist ja allerhand, was sich die Kommunisten dort leisten.
Mit der Arbeit hier komme ich schon soweit durch. Wenn es einmal nicht geht, lasse ich einfach etwas liegen.
Mit dem Zucker ist es leider so, daß Vater genau so wenig hat wie ich. Er hat doch auch etwas Erdbeeren und ein paar Brombeeren eingekocht. Am Montag bekommen wir ja wieder den Zucker im Voraus, der sonst für Marmelade da wär. Den hole ich mir auch gleich und koche etwas Brombeer- und evtl. etwas Pflaumenmarmelade. Viel sterilisieren tue ich dieses Jahr nicht. Ich mache Salzbohnen, evtl. Essigbohnen, Sauerkraut ein. Außerdem lege ich für den Winter wieder Möhren ein und hänge diesmal das Kraut mit einem Bindfaden im Keller auf. Erst wollte ich wieder Senfgurken einmachen, aber es ist ja so, du bist nicht da, ich kann soviel Saures nicht vertragen, Jörg ißt auch wenig und Helga überhaupt keine. Die ich voriges Jahr eingemacht  habe, sind auch nicht alle geworden. Zu was soll ich mir da erst die Arbeit machen. Da essen wir lieber viel Gurken jetzt frisch.
Ich bin sehr froh, daß Du mir noch Zucker besorgen willst. Den kann ich auch noch gebrauchen, wenn ich nicht mehr einkoche, denn ich möchte doch öfter einmal Grieß oder Pudding für die Kinder kochen, backen möchte man auch, da habe ich nie zuviel Zucker da. Daß ich ihn nicht verschwende, das kannst Du glauben.
Wo denkst denn Du hin, Du sollst doch nichts mitbringen, wenn Du kommst, die Hauptsache ist doch, daß D U kommst. Darauf  freuen wir uns ja schon sehr.
Das ist natürlich nichts, wenn die Filme schon so abgespielt sind, daß einzelne Stücke fehlen. Da hat doch so ein Film gar keinen Zweck. Den Film „Der liebe Augustin“ haben wir ja zusammen gesehen. Der war ja wirklich schön.
Für die Sandalen von Dir habe ich schon Eisen geholt, damit sie nicht gleich von den Kindern schief getreten werden. Auf meine Schuhe mache ich auch kleine drauf. Sie sollen doch solange wie möglich schön bleiben. Morgen dürfen sie die Kinder zum ersten Mal draußen anziehen, darauf freuen sich schon Beide. Sie sind auch schön zur Schule. Ihre alten Sandalen waren schon so kaputt, daß wir sie fortwerfen mußten, natürlich nicht, ohne vorher die noch guten Lederteile abzuschneiden. Man kann jetzt alles gebrauchen.
Heute Nachmittag will ich noch in den Garten gehen und Winterspinat und Wintersalat säen, ebenso Wirsing, da hat man dann gleich etwas im Frühjahr. Mal sehen, ob alles richtig wächst.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                                                          Konstanz, den 24.8.41

Heute ist ein verregneter Sonntag, da fühlt man sich zuhause am wohlsten. Ich hatte gestern gegen Abend noch Bohnen abgemacht, die ich heute Vormittag zu Salzbohnen eingestampft habe. Heute Nachmittag will ich mich nun ans Schreiben machen. Außer an Dich will ich noch an Frau Diez und an Kurt schreiben. Diese beiden werden auch schon lange auf Antwort warten.
Wir haben jetzt fast jeden Tag ca. 2 Pfund Falläpfel. Manchmal essen wir das Apfelmus als Kompott, manchmal als Marmelade früh aufs Brot, alle wird es auf jeden Fall. Wenn die Äpfel noch etwas größer sind, will ich  die Apfelringe machen, die jetzt runtergefallen sind aber auch noch zu madig.
Heute haben wir den ganzen Tag Besuch von der Margret. Alle möglichen Sachen haben die 3 rausgeholt zum spielen. Sonntäglich sieht die Küche ja nicht gerade aus, aber dafür haben sie wenigstens keine Langeweile und können sich beschäftigen. An Spielsachen fehlt es ja bei uns wirklich nicht.
Im Hinblick auf den baldigen Schulanfang hat sich Jörg heute ohne Murren die Haare schneiden lassen. Er will doch anständig aussehen, wenn er in die Schule kommt. Mit dem Schulanfang beschäftigen sich seine Gedanken jetzt sowieso öfter. Ich will doch sehen, daß ich ihm eine kleine Zuckertüte mache, denn Helga hat ja auch eine bekommen und er soll auch nicht zu kurz kommen.
Ich habe mein Schreiben erst unterbrechen müssen, da die Kinder im Radio das Märchenspiel von den Bremer Stadtmusikanten hören wollten. Inzwischen hat sich das Wetter etwas gebessert, es regnet wenigstens nicht mehr. Nun sind alle 3 gleich ausgeflogen, denn unsere Zwei müssen doch ihre neuen Sandalen spazieren führen, das ist doch heute die Hauptsache. Die Sandalen sehen auch wirklich gut aus.
Als Vater jetzt einmal da war, erinnerte er mich daran, daß er doch recht gehabt hätte als er meinte, ich solle nicht „Du“ an Nanni schreiben. Sie wolle es doch nicht. Nanni hatte ja an Dich geschrieben, daß sie diese Angelegenheit hier regeln würde, sie hat aber kein Wort verlauten lassen. Ich hatte ihr ja auch gesagt, wenn wir fortfahren wollten und sie sagte daraufhin, daß sie vorher noch einmal heraufkommen wollte. Sie hat es aber nicht getan und hat auch bis jetzt nichts mehr von sich hören lassen. Ich bitte Dich, schreibe von der ganzen Angelegenheit nichts mehr an Nanni, ich will es jetzt gar nicht mehr, daß ich an sie schreibe, von mir erhält sie keine Zeile. Ich mag keinen Verwandten nachkrieben.
Du schreibst in dem Brief, den ich gestern erhielt, daß mir die Amaryllis schon viel Freude gemacht hat. Das ist wirklich der Fall. Schon, daß sie so gut gewachsen ist, hat mich gefreut, viel mehr noch, daß sie auch geblüht hat. Sie hat auch noch den Vorteil, daß sie nicht, wie die Kakteen, stachlig ist. Eigenwillige Pflanzen sind es ja, erst wachsen sie jahrelang nicht und dann treiben sie auf einmal ganz wild. Ich habe doch von der großen Zwiebel 3 kleine abgemacht und extra eingepflanzt. Eins hat schon 2 Blätter getrieben, eins hat ein Blatt. Bei der dritten Zwiebel sieht man schon seit Monaten nur eine kleine Blattspitze, ohne daß sie weiter wächst. Ich bin gespannt, wann sie losschießt.
Ich will nun noch die anderen Briefe schreiben und schließe deshalb. Sei Du, mein lieber Schatz, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 207 vom 21./22.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                       Konstanz, 21.8.41                                                         

Ich erhielt Deinen lieben Brief vom 16.8. Mir scheint, auf die Sonntage freust Du Dich nicht besonders. Es ist ja auch so, wochentags hat man wenigstens seine geregelte Arbeit, aber sonntags hat man viel freie Zeit und weiß nicht, was man damit anfangen soll. Bei mir war es ja in letzter Zeit so, daß die Sonntage in Leipzig ganz unterhaltend waren und am vergangenen Sonntag habe ich mich gern etwas ausgeruht. Ich hoffe ja, daß es nicht mehr so lange dauert, bis Du auf Urlaub kommst. Da können wir, soweit es das Wetter halbwegs zuläßt, ja öfter mal ein bißchen ausfliegen und wenn es nur ein Stück in den Wald ist.
Heute hat sich bei uns das Wetter wieder etwas aufgehellt, nachdem es gestern den ganzen Tag  gegossen hat. Heute ist die Margret wieder aus Stuttgart zurückgekommen, da sitzen die Kinder nun den ganzen Tag  bei Steinmehls drüben und tauschen Ferieneindrücke aus.
Denk Dir, heute hat der Erich Büsing einem kleinen Buben, der etwas einkaufen mußte, Geld aus dem Geldbeutel gestohlen. Er hat zu dem kleinen Kerl gesagt, er soll sofort einmal seinen Geldbeutel hergeben und hat ihm das Geld daraus gestohlen. Die Kinder entwickeln sich doch wirklich gut.
Heute gibt es bei uns zum Abendbrot Pflaumen. Sie waren gar nicht so teuer, 18 Pf. Natürlich kannst Du nun nicht so viel kaufen, wie Du willst, sondern ein paar Pfund. Aber zum essen reichen sie gut und einmachen tue ich jetzt doch keine. Apfelmus haben wir jetzt auch öfter. An Obst fehlt es also nicht ganz. Gemüse haben wir ja auch. Viele Tomaten haben wir bis jetzt noch nicht gehabt, es ist zu wenig warm bzw. es fehlt die Sonne. Gestern war ich ja für den Regen ganz dankbar, da brauchte ich die Setzlinge schon nicht angießen, die ich vorgestern gesetzt hatte.
Ist es eigentlich wahr, was man hier so erzählt, daß die Franzosen öfter deutsche Soldaten umbringen und daß man die Leichen meist in den Kanälen findet, die durch die Städte laufen. Wenn es wahr ist, so sei nur vorsichtig und gehe gegen Abend nicht allein fort.
Nun schließe ich für heute wieder. Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                        Konstanz, den 22.8.41

Heute kam Dein lieber Brief vom 18.8. Ich danke Dir sehr dafür. Gleichzeitig haben wir heute auf das Paket mit den Schuhen von Deinem Kameraden erhalten. Auch dafür möchte ich Dir recht sehr danken. Sie passen alle. Natürlich müssen wir sie erst ein bißchen einlaufen, denn sie brennen, wie alle neuen Schuhe, noch an den Füßen. Gefallen tun sie uns allen sehr gut. Jetzt haben wir alle wieder noch etwas Schönes. Ganz richtig danken wir Dir dafür, wenn Du auf Urlaub da bist. Auch über die Beilagen von Milch habe ich mich gefreut. Die Zigarren und den Tabak für Vater hebe ich auf. Augenblicklich hat er soviel zu rauchen, daß er es nicht braucht. Du kannst es ihm ja mitgeben, wenn Du selber da bist.
Von Vater soll ich Dir auch noch sagen, daß Du die Schuhe nur schicken sollst, die Nummer wäre schon richtig.
Nun zu Deinem Brief. Inzwischen hast Du ja sicher die Unterlagen bekommen, die ich Dir zugeschickt habe. Vielleicht sind sie auch schon auf dem Wege zu mir. An die Stadt weitergeben kann ich sie ja sowieso nicht vor kommenden Donnerstag, da ich da erst das Leumundszeugnis bekomme. Erst nachdem die Unterlagen bei der Stadt sind, geben sie ja Anweisung an Deine Dienststelle zur Ablegung des Diensteides. Vielleicht bis Du auch gerade hier, wenn sie Dich vereidigen wollen. Im Beamtenrecht habe ich heute wegen dem Treueid nachgesehen, er hat folgenden Wortlaut:
„Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“
Ich muß Dir meine Bewunderung aussprechen, daß Du so genau gewußt hast, so der Eid, bzw. Eidesformel steht. Da habe ich es mit dem Suchen nicht schwer gehabt.
Daß doch die Franzosen nicht schlau werden und immer noch den Engländern und Russen anhängen. Sie haben doch von dort her nichts Gutes zu erwarten. Wenn wir sie noch grausam und ungerecht behandeln würden, aber soviel ich davon verstehe, tun wir doch beides nicht. Aber der Hass ist den Franzosen schon von Kind auf eingeprägt, daß man sie nicht so schnell ändern kann.
Ich habe erst einmal ein frisches Farbband rein tun müssen, denn die Schrift war ja bald nicht mehr zu lesen. Es ist aber so, daß die Buchstaben ziemlich scharf sind und das Band bald durchschlagen. Ich habe in Leipzig gesehen, da hielt das Band viel länger, ja man merkte ihm den Gebrauch gar nicht viel an, während hier nach mehrmaligem Schreiben schon kleine Löcher im Farbband sind.
Wir haben uns jetzt hier wieder gut eingelebt, Als wir vor mehreren Jahren in Leipzig waren, kann ich mich gut erinnern, daß mir Konstanz bei unserer Heimkehr fad und öde vorkam. Das war ja diesmal nicht so. An die Stadt hatte ich mich gleich wieder gewöhnt und es gefiel mir auch, als wir in unsere frisch gestrichene Küche kamen. Wir waren eben doch wieder daheim. Das Selberkochen  kam mir ja komisch vor, wie ich Dir schon schrieb. Die Nebenumstände bei unserer Heimkehr, wie der Krach im Hause, waren natürlich nicht nach meinem Geschmack, aber inzwischen ist ja soweit Ruhe eingekehrt.
Etwas hat ja der Aufenthalt in Leipzig schon ausgemacht. Während  ich nach meiner Krankheit, mit Sachen, 131 Pfund gewogen habe, waren es bei meiner Abreise von Leipzig 135 Pfund. Ich schlafe jetzt auch wieder gut. Wenn ich nicht den Wecker stelle, wache ich morgens nicht vor 1/2 8 auf.
Nachdem wir in Leipzig, ohne Schuld der Eltern, mit Milch ziemlich knapp gehalten wurden, haben wir das jetzt nachgeholt. Ich nehme jeden Morgen 2 Liter Magermilch, da trinken wir uns satt. Ich sagte Vater, daß meine Eltern gesagt haben, sie wären froh, wenn sie auch so viel Magermilch bekämen. Das will er nicht glauben. „Sie würden es schon bald satt haben, wenn ihnen beim Kochen die Milch immer anbacken würde, daß man die Töpfe nicht mehr sauber bekommt“ meint er. Ich sagte ihm, daß das absolut nicht der Fall sei, denn ob sie nun den 1/2 ltr abkochen, den sie bekommen, oder 2 ltr, das ist doch schließlich gleich. Aber über so etwas kann man sich mit Vater immer noch rumkampeln, wenn man will. Ich will nur nicht, darum lasse ich ihn reden. Denn wir haben doch wirklich nichts zu klagen. Wir bekommen regelmäßig unsere Lebensmittel und sie sind schließlich auch nicht zu knapp bemessen, man muß sich eben einteilen. Aber man weiß doch genau, das bekommst du nächste Woche. Das ist doch meines Erachtens viel wert. Wir haben ja schließlich schon 2 Jahre Krieg und in der Lebensmittelzuteilung hat sich nichts geändert.
Nächste Woche kommt ja nun auch Jörg in die Schule, am 28. Da wirst Du sicher an ihn denken. Mit einer großen Zuckertüte ist es ja diesmal nichts, aber vielleicht kaufe ich ihm ein Stück Torte. Ein paar Bonbons bekommt er ja. Da habe ich noch welche von Kurt da.
Heute habe ich einen Pflaumenkuchen gebacken. Hättest Du da nicht auch Appetit? Wir haben nämlich diesmal nicht mehr so reichlich Brot, da wir ja schon eins allein auf der Bahn gebraucht haben, aber Mehl hatte ich noch da, da gibt es morgen früh Pflaumenkuchen und am Sonntag einen „Mond“, also einen gewickelten Kuchen mit Marmeladenfüllung, den die Kinder wegen seiner Form Mond genannt haben. Das ist doch eigentlich komisch, wenn man kein Brot hat, ißt man Kuchen. So schnell wird das ja nicht vorkommen, da ich mir die Brotmarken in der neuen Zuteilungsperiode wieder richtig einteilen kann.
Nun will ich für heute wieder schließen. Viele, viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Freitag, 5. August 2016

Brief 206 vom 18./19.20.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                          Konstanz, 18.8.41                                                    

Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 14.8., den ich gerade vor einigen Minuten erhielt.
Vor einer Woche waren wir den letzten Tag in Leipzig. Um diese Zeit, am Nachmittag, habe ich gerade die Fahrkarten besorgt.
Jetzt habe ich mich wieder ziemlich eingewöhnt. Da sich Büsings, seitdem ich bei Herrn Ganahl war, bis jetzt ruhig verhalten, ist man auch wieder lieber zuhause.
Euer Hund ist ja ein ziemlicher Strolch. Das könnten wir hier ja jetzt nicht gebrauchen, daß er Sachen zerfrißt, denn jetzt bekommt man solche Sachen doch nicht zu kaufen. Wenn einem die Neuanschaffung selbst nichts kostet, ist es ja nicht gar so schlimm.
Die Eltern sind diese Woche noch nicht verreist. Wir hatten uns alle getäuscht. Sie fahren erst am Samstag den 23. fort und kommen am 30.8. wieder. Am 1.9. fängt Papa dann bei der neuen Firma an. Papa sagte schon, wir sollten den Daumen halten, daß er sich gut eingewöhnt.
Bei uns ist es jetzt wieder ziemlich warm. Vielleicht hat sich das Wetter dort auch gebessert.
Der Tommy denkt doch immer wieder an dich. Also muß er dich doch ziemlich gut leiden können. Wahrscheinlich wirst Du ihn inzwischen schon wieder besucht haben. Da hast Du doch wenigstens immer jemand, mit dem Du Dich soweit verstehst.  Morgen hat ja Vater Geburtstag. Ich werde ihm die Zigarren von Dir bringen. Ich denke sicher, daß er sich darüber freut.
Von Kurt erhielten wir heute ein Bobon-Päckchen. Er hatte es mir schon vor ein paar Tagen angekündigt. Etwas habe ich verteilt, das meiste habe ich aber für Helga`s  Geburtstag  und zum Schulanfang von Jörg auf, denn Bonbons oder so etwas bekommt man ja jetzt nirgends, das wird für die Soldaten verwendet, die es ja schließlich bei ihren Märschen auch notwendiger brauchen, als wir.
Die Eltern haben mir heute den Ahnenpaß geschickt. Ich behalte ihn eine Weile, evtl. können wir uns selbst auch einen Ahnenpaß anlegen.
Ich muß noch einkaufen fahren und hinterher will ich evtl. noch nach dem Garten sehen. Einen Teil des Unkrautes an den Beerensträuchern habe ich schon heute Vormittag rausgerissen.
Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz, 19.8.41

Ich komme erst am Abend dazu, an Dich zu schreiben. Heute Morgen sind wir erst zu Vater  runter gegangen und haben ihm gratuliert. Die 50 Zigarren von Dir haben wir mitgenommen. Bei Vater war heute Morgen der Geburtstagsbrief von Dir und ein Zigarren- und Zigarettenpäckchen von Kurt angekommen. Er hat sich über beides gefreut.
Als wir heimkamen, habe ich Essen gekocht. Nachdem wir gegessen hatten, wollte ich in den Garten gehen. Es hatte aber inzwischen mit regnen angefangen. Da habe ich mir dann die Wäsche zum bügeln vorgenommen. Das war auch wichtig. Das brauche ich dann schon nicht machen, wenn schöneres Wetter wird. Am Abend kann man jetzt, wo man verdunkeln muß, auch nicht gut bügeln, denn ich brauche frische Luft dazu. So ist der Nachmittag vergangen. Nach 5 Uhr haben wir Abendbrot gegessen, da hörte dann auch das regnen auf. Ich bin natürlich gleich noch in den Garten gegangen. Da habe ich die Tomaten angebunden, Grünkohl gesetzt, einige Weiß-,  Rotkraut und Wirsingssetzlinge nachgesetzt, die restlichen Sämlinge von Kohl habe ich rausgerissen und das Stück umgegraben. Dann habe ich etwas Ackersalat gesät, Wintersalat und Spinat kommt in Kürze dran. Gestern Abend haben wir alle drei fest geschafft. Ich wollte ja eigentlich an den Erdbeeren nichts machen, aber da ich gesehen habe, daß das Unkraut so schrecklich hoch ist und auch dicht, daß man von den Erdbeeren überhaupt nichts sieht, habe ich mich doch drangemacht, das hauptsächlichste rauszureißen. Die Kinder haben alles auf den Misthaufen getragen. Jetzt sieht es wenigstens wieder einem Garten gleich und keinem Unkrautfeld. Das meiste ist jetzt getan. Jetzt kommen dann die Bohnen dran.  Vielleicht sterilisiere ich doch einige Gläser. Es brauche ja nicht viel zu sein. Die Tomatenstöcke hängen dick mit Tomaten voll. Eigentlich sind nur die Gurken nichts geworden. Kraut, Kohlrabi usw. stehen bis jetzt ganz gut da.
Vater sagte heute, er will Dir in den nächsten Tagen schreiben und will Dir alles wegen seiner Krankheit auseinander setzen, da brauche ich ja darüber nichts mehr schreiben.
Morgen will ich evtl. an Kurt, Alice und Erna schreiben. Mal sehen, wie weit ich komme.
Gestern habe ich den Schott gesehen, er muß es gewesen sein. Er kam mit einer etwas stärkeren Frau. Er ist doch bei der Marine? Du hättest ihn nur sehen sollen, wie würdevoll er daher kam. Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt. Was doch die Uniform ausmacht.
Nun will ich wieder schließen. Ich will den Brief noch wegschaffen, hinterher muß ich noch Apfelmus fertig mache. Dann wird es auch für mich Zeit, schlafen zu gehen. Es ist jetzt schon 1/2 10. Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                              Konstanz, 20.8.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 15.8. Du kannst mir glauben, daß ich gar nicht  böse bin, wenn ein Brief so lang ist wie dieser. Ich kann ja von Dir gar nicht genug lesen.
Meinen Regenmantel habe ich in Leipzig schon brauchen können. Er hat auch meinen Eltern sehr gut gefallen. Es ist doch ein schönes Gefühl, wenn man etwas Anständiges anzuziehen hat. Am meisten habe ich in Leipzig das Strickkostüm gebraucht, das Du mir zu Weihnachten geschenkt hast.
Alice, Paul und Erna waren wirklich sehr nett zu uns und man hat gemerkt, daß es von Herzen kommt. Ehe wir uns kennen lernten hatte Erna etwas Angst vor mir, daß ich sie vielleicht nicht leiden könnte. Ich bin aber ganz unvoreingenommen an die Bekanntschaft rangegangen und bin Erna auch freundlich entgegengekommen. Ich muß sagen, daß sie mir gut gefällt. Sie ist keine Schönheit, das heißt natürlich nicht, daß sie häßlich ist. Sie hat aber ein freundliches Wesen. Über näheres können wir uns ja in Deinem Urlaub unterhalten.
Von Jörg soll ich Dir sagen, daß Du natürlich mit seinem Metallbaukasten spielen darfst. Er hat schon heute Pläne gemacht, was Du evtl. alles bauen könntest.
Wir sind froh, daß wir gestern wieder im Garten gearbeitet haben, denn heute regnet es wieder den ganzen Tag. Heute habe ich mir wieder Hausarbeit vorgenommen.
Mit dem Essen ist es bei uns jetzt so, daß wir meist das essen, was im Garten wächst. Wir haben schon öfter Bohnen und auch Kohlrabi gehabt. Zwischendurch gibt es mal Kartoffelstückchen, Kartoffeln und Gulasch, Kartoffelbrei und Hackfleisch, (das Lieblingsessen der Kinder) Kartoffelpuffer und Apfelmus und auch mal Klöße. Teigwaren gibt es bei uns selten, denn davon bekomme ich doch im Monat für uns drei nur 1 1/2 Pfund. Den Gries, den wir außerdem bekommen, essen die Kinder zum Abendbrot. Hoffentlich gibt es dieses Jahr auch wieder reichlich Kartoffeln, denn damit kann man sich überall helfen.
Laß mich nun für heute wieder schließen, denn ich weiß heute gar nichts weiter zu berichten. Da es immerzu regnet, muß man doch die ganze Zeit in der Wohnung bleiben.
Sei recht herzlich gegrüßt von Deiner Annie.

Brief 205 vom 16./17.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, den 16.8.41                             

Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Zu beantworten habe ich also nichts.
Der Samstag ist nun auch wieder vorbei. Am Morgen bin ich einkaufen gefahren und bin gleich mit bei der Polizei vorbei gegangen, um ein Leumundzeugnis zu beantragen. Ich habe ein Formular ausfüllen und 2,50 Mk bezahlen müssen. In 10 Tagen muß ich wieder vorbeikommen, da erhalte ich dann das Zeugnis.
Am Nachmittag habe ich dann gebacken und gewaschen. Ich habe auch wieder eine ganze Schüssel Apfelmus fertig gemacht. Das ist jetzt, wo man doch kein Obst kaufen kann, sehr von Nutzen. Wir essen es ja auch alle sehr gern. Zum Mittagessen haben wir heute wieder Kohlrabi aus dem eigenen Garten gehabt. Die Kinder essen Kohlrabi lieber als Bohnen, bei denen sie immer einen Flunsch ziehen. Ich weiß gar nicht, ob ich so viel sterilisieren soll, wenn sie keiner gern ißt. Du wirst ja sicher in diesem Winter auch noch nicht zu hause sein. Sauerkraut möchte ich ja wieder machen, wenn vielleicht auch nicht so viel wie voriges Jahr, denn ich habe es jetzt noch nicht alles aufgebraucht. Du fehlst einfach überall.
Ich freue mich, daß ich den einen Garten wieder in Ordnung habe. Nächste Woche werde ich drüben einmal nachsehen, was alles so zu machen ist. Zwischen den Erdbeeren ist ja das meiste Unkraut, aber wir wollen ja die meisten sowieso raus machen, da werde ich wahrscheinlich nicht erst noch einmal anfangen, alles sauber zu machen.
Ich weiß jetzt gar nicht mehr soviel zu schreiben, wie in den vergangenen Wochen, das kommt daher, daß jetzt wieder alles seinen alten Gang geht. Jetzt habe ich eben wieder meine regelmäßige gleichbleibende Arbeit und davon ist nicht viel zu schreiben. Ach weißt Du, manchmal kriege ich noch Reisesehnsucht. Es war eine wunderschöne nach Leipzig. Erst der Schwarzwald, dann die schöne Ansicht von Stuttgart, später die schöne Fahrt durch Thüringen. Es war einfach wunderbar. In und um Suhl haben mir die Schieferhäuser so gefallen, das sah so sauber aus und die Umgebung ist wirklich fein. Eine ganze Strecke ist so dichter Wald und unten läuft ein Bach dahin. Mit Worten kann ich das gar nicht so schildern, wie mir das alles gefallen hat. Die Fahrt möchte ich gleich noch einmal machen. Man sollte an Stellen,, die einem besonders gefallen, immer einen Tag Zeit haben. Am allerschönsten wäre es aber, wenn Du wieder da wärst und wir könnten öfter mit dem Rad  fortfahren. Nur sollte ich dazu noch ein bißchen gesünder sein, denn mich strengt schon immer das Radfahren bis in die Stadt und zurück an, besonders wenn es ein bißchen den Buckel rauf geht. Aber bis Du wieder ganz heimkommst, wird wohl noch eine Zeit vergehen und ich hoffe, daß ich bis dahin auch wieder ganz gesund bin. Fein wäre es auch, wenn ich so unverhofft einmal zu Dir nach Frankreich kommen könnte. Ich würde ganz schnell sparen. Ich möchte ja so gern viel, viel sehen. Die Welt ist doch so schön und wenn es nicht kindisch wäre, möchte ich meinen Wunsch von früher wiederholen, daß ich nach meinem Tode, ehe ich in irgendeine Ferne komme, erst einmal um die ganze Erde fliegen könnte. Vielleicht wirst Du jetzt lachen und sagen, ich glaube, sie ist verrückt geworden. Aber Du mußt keine Angst haben, auch diese Reiselust wird sich wieder legen.
Vater  war bis jetzt da. Es ist gegen 1/2 10. Eigentlich sollte er ja um 7 zuhause sein, aber da war er ja noch nicht einmal bei uns. Er war gestern beim Vertrauensarzt. Schaffen kann er also noch nicht, das hat auch der Vertrauensarzt eingesehen. Sonst hat er aber nicht viel gesagt. Als Vater ganz krank war, habe ich doch bei ihm Erdbeeren abgemacht. Da waren doch die Brombeeren zwischen den Erdbeeren durchgewachsen und zwar über die Mitte des Gartens. Um die Erdbeeren abmachen zu können, habe ich dann die Brombeerranken, an denen übrigens keine Blüten waren, da sie erst neu aus der Erde rausgekommen waren, abgeschnitten. Heute sagte Vater, ich hätte doch vielleicht die Ranken dranlassen sollen, evtl. hätte es noch einige Brombeeren gegeben. Ich habe ihm aber gesagt, daß das ein Unsinn sei, erstens waren keine Blüten dran, zweitens hätte man dann eben die ganzen Erdbeeren kaputt gehen lassen müssen. Ich möchte im Übrigen nur wissen, wie er überhaupt mit den Brombeeren fertig werden will. Die hat er nicht etwa zurückgeschnitten, sonder hat jede neue Ranke, die aus dem Boden gekommen ist, stehen lassen. Der ganze Garten ist überwuchert. Ich habe ja nun nur ganz in der Mitte weggeschnitten, 1/2 bis 3/4 mtr, breit ist die Hecke immer noch. Da kommt er sowieso nicht überall dazu. Na, mir soll es gleich sein. ich muß ja den Garten nicht in Ordnung bringen, aber ich mache auch nichts mehr daran. Erst war er damit einverstanden, daß ich das Zeug wegschneide und jetzt bereut er es.
Ach Unsinn, ärgern werde ich mich deshalb nicht auch noch. Ich habe getan, was notwendig war und damit basta.
Wenn nur erst Dein Urlaub da wäre, es gibt so manches, was ich mit Dir reden möchte. Auch von unserer Reise. Wenn ich zu Vater was sage, daß es so schön war, kann er es gar nicht begreifen. Aber Du wirst es begreifen, Du wirst auch nicht weise mit dem Kopf schütteln, wenn ich ein bißchen vom Reisen erzähle. Du bist mein liebster, bester Kerl, ich habe große Sehnsucht nach Dir. Die Tage bis zu Deinem Kommen vergehen mir viel zu langsam. Wenn ich nur eine lange Nacht einlegen könnte bis zum Urlaub, dann müßten wir aufwachen und schon wärst Du da. Fein wär das. Vielleicht lachst Du jetzt doch über das viele Zeug, was ich zusammenschreibe, aber ich habe wirklich große Sehnsucht nach Dir und nur den einen Wunsch, daß Du recht bald Urlaub bekommst. Ich möchte Dich so gern  wieder einmal lachen sehen und möchte Dir über die Haare streiche, ich möchte mit Dir reden. Ach, es hat ja keinen Zweck zu träumen, ich muß eben doch warten, bis Du kommen kannst. Wenn Du Wirklich Anfang September kommen kannst, dauert es ja nicht mehr so lange.
Sei nun Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                        Konstanz, 17.8.41

Heute will ich wieder einmal mit der Hand schreiben, sonst meinst Du vielleicht, ich kann es gar nicht mehr.
Es ist nun Sonntagnachmittag. Die Kinder sind draußen und spielen und ich faulenze ein bißchen. Am Vormittag hatte ich ja zu tun, aber jetzt habe ich alle Arbeit beiseite gelegt.
Gestern haben wir schon die Schulsachen für Helga und Jörg fertig gemacht und eingeräumt. Ich kann es nicht leiden, wenn das erst am letzten Tag geschieht.
Heute Morgen hatte ich eine große Freude, ich bekam 2 Briefe von Dir, vom 12. und 13.8. Das hat mich gefreut.
Der Zoo hat den Kindern sehr gefallen. Sie haben sich von ihrem Geld mehrere Photo-Postkarten von Tieren gekauft, die jetzt in ihrem Zimmer hängen. Das ist immer gleich eine Erinnerung.
Meine Mutter war froh, daß ich ihr verschiedene Sachen umgeändert habe. Entweder  versteht die Frau Junghanns nichts Modernes zu nähen, oder sie hat meine Mutter mit Absicht so rumlaufen lassen. Ich habe mich jedenfalls über den Pfusch sehr geärgert. Dabei hat die Frau, als sie einmal bei meiner Mutter war, im Hinblick auf ihren Tod gesagt: „Wie schlimm, daß diese geschickten Hände auch einmal ruhen müssen“. So geschickt kommen sie mir gar nicht vor. Die Erna kann die Frau Junghanns auch nicht leiden und es hat mich amüsiert, wie sie mir vorgemacht und erzählt hat, welch scheinheiliges Gesicht Frau Junghanns immer macht, wenn sie einmal herkommt.
Ich habe Vater wegen den Schuhen noch nicht fragen könne, aber bringe sie nur mit oder schicke sie. Er nimmt sie bestimmt. Andernfalls würden wir sie hier auch loswerden.
Der Film „Wunschkonzert“ ist doch sehr schön. Das müssen nette Kaffern sein, die so abfällig drüber urteilen. Da kann man manchmal bei anderen Filmen fragen, warum die eigentlich gedreht wurden, aber bei dem bestimmt nicht.
Wir hatten gestern gegen Abend wieder Regenwetter und rechneten schon damit, daß es heute wieder so werden würde. Nun ist doch noch schönes Wetter geworden. Man freut sich ja über jeden schönen Tag. Da kann man wenigstens noch die Fenster richtig offen lassen.
Mein „Leiber“ ist bestimmt ein Tippfehler. Ich habe Dich ja solange nicht gesehen und weiß nicht. ob Du so dick geworden bist. Aber ein unverbesserlicher Spötter bist Du, nicht einmal an so einem harmlosen Tippfehler kannst Du vorübergehen, Du schlimmer Kerl. Das mußt Du aber bestimmt büßen, wenn Du heimkommst, daß Du mich immer so aufziehst. Richte Dich also schon immer darauf ein.
Wenn Du Dir noch einen Anzug machen lassen willst, ist es recht. Das Geld werden wir auch noch zusammen bringen. Schuhleder könnte ich schon noch gebrauchen. Etwas habe ich ja noch da. In den nächsten Tagen muß ich mich auch wieder mit ans schustern machen. Jörg hat seine Schuhe in Leipzig ziemlich abgelatscht.
Wir haben vorhin gerade wieder einige Brombeeren abgemacht. Es ist schade, daß ich sie nicht zu Marmelade kochen kann. Aber ich habe jetzt nur den Zucker von den 2 Wochen, den brauche ich so. Übernächste Woche erhalte ich ja wieder welchen im Voraus für die Marmeladenkarte. Da koche ich noch ein paar Gläser voll.
Nun, mein liebster Schatz, will ich wieder schließen. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.