Mein lieber Ernst! Konstanz, den 31.8.41
Da Dir Helga heute einen Brief geschrieben
hat, möchte Dir Jörg auch von der Schule erzählen. Da er nun doch noch nicht
schreiben kann, will ich alles, was er mir sagt Dir schreiben, also paß
auf:
Liebes
Vaterle.
Ich
habe eine Zuckertüte am ersten Tag wo ich in die Schule gekommen bin gekriegt,
da war eine schöne Mietzekatze drin und dann Lebkuchen und dann Gebäck und Bonbons.
Und dann habe ich vom Großvaterle noch eine Schnecke und ein Hörnle gekriegt.
Am ersten Tag sind wir in die Schule gegangen, da haben wir uns auf die Bänke
setzen müssen und dann hat uns die Lehrerin gesagt, wann wir in die Schule
kommen müssen. Am zweiten Tag sind die Leute mit den Kindern in die Schule
gegangen, aber ich bin alleine gegangen, ich bin doch kein kleines Kind. Da bin
ich in unsere Klasse gegangen und die Lehrerin war immer ganz gut und dann
haben wir nix aufgehabt und dann haben wir nix lernen müssen, weil so viele
Kinder zu spät gekommen sind. Dann haben wir Klosettpause gehabt und dann habe
ich gerade aufs Klosett müssen, wo Klosettpause war. Der neben mir gesessen
ist, mit dem habe ich mich anfassen müssen und dann haben wir hinten hingehen
müssen, damit wir eine Reihe machen und dann hat uns die Lehrerin gesagt, daß
wir ein bißchen leise laufen sollen, weil der Lehrer Ege und der Leiber da
waren, sonst täten sie rauskommen und schimpfen . Und dann sind wir in den Gang
naus. Und dann haben wir lange auf dem Gang warten müssen, bis wir aufs Klosett
gekommen sind und haben uns immer an der Hand halten müssen. Da waren die
Klosetts ganz naß und niedrig waren sie. Da hat die Lehrerin gesagt, daß wir
warten sollen, bis die anderen raus kommen und dann sollen wir rein gehen. Und
dann, wo die Kinder vorgegangen sind, sich wieder in die Reihe aufstellen, ist
eine Frau gekommen und da ist unsere Lehrerin hingegangen und hat mit ihr gesprochen.
Dann bin ich auf dem Klosett gewesen, da hat der Bub schon im Gang auf mich
gewartet, der bei mir sitzt. Dann bin ich schnell vorgerannt und habe ihr festgehalten
bis wir wieder auf unseren Platz gegangen sind. Dann haben wir uns hinsetzen
müssen. Und dann hat sie uns gesagt, wir hätten nix lernen können, weil immer
so viel zu spät gekommen sind. Sie tät bös werden, wenn so viele immer zu spät
kämen. Sie hat uns auch aufgerufen, wie wir heißen. Sie hat gesagt, daß wir am
Montag lernen müßten. Dann haben wir erst die Tafel raufholen müssen, dann die
Griffelschachtel und dann haben wir wieder alles einpacken müssen und dann, wo
wir raus sind, haben wir uns wieder aufstellen müssen. Wo wir aufgestellt
gewesen sind, habe ich den Bub neben mir gefragt, wo er wohnt, ob er nicht in
der Wollmatingerstraße wohnt, aber da wohnt er nicht. Und dann haben wir uns
wieder anfassen müssen und haben raus laufen müssen in den Gang und dann habe
ich mich fest gefreut, daß ich hab raus können. Und da drin war`s fest heiß.
Dann bin ich wieder heim über den Platz, der vor der Schule ist, da ist ein Weg
über die wiese, da bin ich drüber gelaufen. Der Walter Leimenstoll, der bei uns
wohnt, hat mich beim Frieden abgeholt und hat mir dann ein Stück den Schulranzen
getragen, weil er mit mir spielen hat wollen. Gestern haben wir keine Schule gehabt. Samstag haben wir
frei, erst am Montag wieder.
Viele
Grüße und Küsse von Deinem Jörg.
Ist der Brief von Jörg nicht lang
geworden? So viel hatte er mir am ersten Tag auch zu erzählen. Das sind ja nun
alles neue Eindrücke, die er erst verarbeiten muß. Am ersten Tag, wo wir mit
ihm zur Schule gehen mußten und wo er auch die Zuckertüte bekommen hat, war er
von allem so gepackt, daß er nicht einmal gemerkt hat, daß ein Bub neben ihm
gesessen ist. Als wir nämlich fragten, wie ihm denn sein Nachbar gefallen hat,
sagte er ganz erstaunt, neben mir hat doch niemand gesessen, ich war doch ganz
allein auf der Bank. Das hatte ich ganz vergessen zu schreiben, daß er von Frau
Nußbaumer zum Schulanfang auch etwas Keks und einen Blumenstrauß bekommen hat.
Die kommende Woche nimmt Vater noch seinen
Urlaub und morgen über 8 Tage fängt er wieder mit schaffen an. Sie haben ihm
beim Stromeyer versprochen, sie wollen ihm etwas leichtere Arbeit geben, damit
er sich nicht überanstrengt. Ich denke aber, sie werden nicht lange daran
denken. Aussehen tut Vater wieder gut.
Ich ruhe mich heute wieder ein bißchen
aus. Es sieht sowieso nicht so gut draußen aus. Zeitweise ist Sonnenschein und
zeitweise regnet es wieder.
Heute ist mein Brief ziemlich kurz geworden,
aber dafür hast du ja noch die Briefe von den Kindern. Da nimmst Du schon
einmal mit einem kürzeren Brief vorlieb.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt, Du
mein liebster Schatz, von Deiner Annie.
Mein lieber Mann!
Konstanz, 1.September 1941
Du hast mir heute mit Deinem lieben Brief
vom 27.8. zu unserem Hochzeitstag eine ganz große Freude gemacht. Mit welch
lieben Worten hast Du dieses Tages gedacht und ich fühle mich direkt beschämt,
daß ich fast nichts zu diesem Tag geschrieben habe. Aber Du weißt ja, daß es
mir nicht so gegeben ist, schriftlich meinem Empfinden Ausdruck zu verleihen
und ich denke, daß Du auch so weißt, daß ich Dich von ganzem Herzen lieb habe
und stets an Dich denke. Es wäre wirklich schön gewesen, wenn wir heute hätten
zusammen sein können, aber es ist ja jetzt vielen nicht vergönnt, Feste
zusammen zu verleben und so wollen wir dankbar sein, daß wir noch alle gesund
sind. Wenn wir jetzt Aussicht haben, daß Du bald Deinen Urlaub bekommst, so ist
das ja auch schon ein Glück.
Ich habe in den letzten Tagen besonders
oft an die vergangenen 10 Jahre gedacht und ich habe mir immer wieder sagen
müssen, daß wir doch recht daran getan haben, früh zu heiraten. Wenn wir uns
auch oft durchbeißen mußten, da wir beide nicht unzufrieden waren, hat es uns
nichts geschadet. Wir haben das Einteilen gelernt und empfunden es jetzt mit
doppelter Freude, daß es jetzt nicht mehr ganz knapp zugeht. Auf fremde Hilfe
haben wir uns noch niemals verlassen und so sind wir jetzt auch niemand etwas
schuldig. Das macht mich besonders froh.
Daß ich meine Pflicht zu hause tue, ist ja
selbstverständlich. Ich müßte mich ja sonst schämen. Soweit ich körperlich dazu
in der Lage bin, macht mir die Arbeit auch Freude. Ich würde manchmal gern noch
mehr schaffen, denn ich tue es gern, aber ich muß eben zusehen, daß ich nicht
wieder krank werde, wenn ich mir auch manchmal dabei wie ein halber Faulpelz
vorkomme.
Durch die Kinder habe ich schon viel
Freude gehabt. Natürlich gibt es auch Sorgen, aber die Kinder sind uns ja nicht
nur zur Freude gegeben, sondern damit wir sie zu ordentlichen Menschen erziehen.
Abwechslung habe ich ja durch die Kinder auch viel und langweilig wird es den
ganzen Tag nicht.
Du fehlst mir ja sehr und wo richtig mit
ganzem Herzen werde ich das Freuen wohl erst wieder lernen, wenn Du wieder
zuhause bist und der Krieg zu Ende ist. Aber wir wollen nicht undankbar sein,
denn Not haben wir in diesem Krieg noch keine kennen gelernt, man kann sich gar
nicht oft genug vorstellen, wie es wohl bei uns aussehen würde, wenn unsere
Feinde ins Land gekommen wären.
Auch ich hoffe, daß wir noch recht lange
Jahre zusammen verleben dürfen. Das ist mein großer Wunsch.
Vorhin brachte mir Helga zum Hochzeitstag
ein duftendes Veilchensträußchen. Eigentlich wollten sie mir auch noch etwas
schenken, aber ich habe ihnen das ausgeredet, denn ich habe ja schließlich
nicht allein Hochzeitstag und Du bist ja nicht da.
Auf das Geschenk von Dir freue ich mich
sehr, denn Deine Geschenke haben mich noch nie enttäuscht. Notwendig wäre es ja
nicht gewesen, denn ich habe mich schon über Deinen lieben Brief so sehr
gefreut. Ich hoffe, daß ich Dir recht bald auch mündlich danken kann für alles
Liebe.
Heute bekam ich auch noch Deinen lieben
Brief vom 28.8.
Die Kinder haben wirklich viel neue
Eindrücke in Leipzig gesammelt und sie brennen darauf, Dir alles zu erzählen,
wenn Du auf Urlaub kommst. Das ist ja alles so wichtig, daß Du es unbedingt
wissen mußt, vor allem vom Zoo. Das ist ihnen mit das wichtigste.
Der mir von Dir gesandte Zeitungsartikel
hat mich sehr interessiert. Es ist gut, daß so strenge Maßnahmen getroffen
werden, denn sonst wäre diesem Pack der deutsche Soldat ja Freiwild. Vielleicht
kommen sie so eher zur Überlegung.
Über solche Anranzer, wie Du sie mir wegen
des Ahnenpasses geschickt hast, bin ich ganz froh. Ich hätte ja das alles nicht
machen können, wenn Du nicht so viel Vorarbeit geleistet hättest. Die Ahnenliste,
die du aufgestellt hast, hat mir viel geholfen. Von ihr habe ich erst
abgeschrieben, dann habe ich die Unterlagen vorgeholt und die Angaben ergänzt.
Ohne die Liste, in der ja die Reihenfolge schon festgelegt ist, hätte ich es
bestimmt nicht geschafft, denn mir hat schon so hinterher der Kopf gebrummt vor
lauter Namen, Nummern und Daten. Du glaubst gar nicht, wie es mich freut, daß
es Dir recht ist, daß ich den Paß aufgestellt habe, Du lieber, lieber Kerl. Du
siehst aber wieder, überflüssig bist Du nie und nirgends.
Laufen kann Vater wieder soweit. Natürlich
rennt er nicht mehr so wie früher. Er muß aber immer noch das Bein etwas
einbinden und außerdem bekommt er jetzt eine Einlage.
Vater hat jetzt vorläufig genug zu
rauchen. Er bekommt ja auch immer von Kurt noch etwas. Siegfried bringt zwar
auch Papa manchmal etwas mit, aber Du kannst Deinem Namen neuen Glanz
verleihen, wenn Du ihm auch etwas schickst. Wenn Du auch noch ein paar Zigarren
für Paul besorgen könntest, wäre es mir recht. Ich möchte mich doch gern für
die Geschenke von Alice revanchieren.
Übrigens lobt und rühmt Papa seinen
Schwiegersohn seine Tochter und Enkel überall. Mit wem ich in Leipzig in
Berührung gekommen bin, die kannten uns alle schon und sagten: „Ihr Vater hat
nämlich schon viel von Ihnen erzählt, Ihren Mann lobt er auch immer so.“ Wir
sind also auch in Leipzig keine Unbekannten.
Das Päckchen mit den Bonbons ist noch
nicht angekommen. Ich denke aber, daß es bald kommen wird. Wenn es nur zum
Geburtstag rechtzeitig da ist.
Zum Schluß mußt Du doch in Deinem Brief
noch spotten, oh, Du schlimmer Mann. Als ob mir je ein Brief zu lang wäre.
Nun will ich noch von heute berichte.
Eigentlich wollte ich heute waschen, aber Frau Büsing hatte gestern vergessen,
mir den Schlüssel zu geben. Sie hat sich heute sogar deshalb bei mir
entschuldigt. Nun habe ich das waschen auf morgen verschoben und das war gut
so, denn heute Vormittag kamen die 15 Ztr. Brikett, die ich auch noch schichten
mußte. Außerdem bekam ich noch 5 Pfund Zwetschgen, die ich sterilisiert habe.
Da ist der Tag auch so vergangen. Heute Abend habe ich mir zur Feier des Tages
noch eine Tafel Schokolade hervorgeholt. Da habe ich vorhin mit essen
angefangen.
Eben kam Vater. Er sagte mir, daß er heute
an Dich geschrieben hat. Wegen der
restlichen 3,-Mk von den Schuhen sagte er, daß Du sie behalten sollst, denn Du
würdest sowieso noch etwas zum Geburtstag bekommen.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie.