Sonntag, 26. Juli 2015

Brief 39 vom 26./27.7.1940


Lieber Ernst!                                                     Konstanz, 26. Juli 40

Gestern Nachmittag habe ich für Dich und für Kurt die Marken von Eupen-Malmedy besorgt. Einmal ungestempelt, ein Randstück und heute schicke ich zwei Briefe an dich mit je einer Marke zu 6+4 und 12+8, da die Marken so auf einem Papier nicht mehr abgestempelt werden. Schreibe mir auch bitte, ob ich die Marke vom braunen Band in Berlin bestellen soll. Die Adresse habe ich mir auf der Post geben lassen. 
Heute früh sind wir auf den Bismarckturm gegangen und ich habe zwei Einkaufstaschen voll Lindenblüten gepflückt. Vielleicht gehen wir morgen früh noch mal, wenn das Wetter gut ist.
Heute tut mir erst mal das Genick vom raufgucken weh. Wir sind um 8 Uhr fort und waren um 11 Uhr wieder da. Ich habe aber auch in die Taschen hineingestopft was nur ging. 
Als wir heimkamen, war Dein lieber Brief vom 20.7. da, in dem Du den Empfang von 5 Päckchen und den Briefen von Köln bestätigst. 
Wer war die Kollegin, die Dir zum Geburtstag gratuliert hat? Woher wußte sie Deine Adresse?
Ich bin so froh, daß Du endlich von uns etwas bekommen hast.  Mit den Erdbeeren  werde ich es so machen, wie Du geschrieben hast. Wann muß ich die neuen Setzlinge setzen und wo? Die Erdbeeren bei den Johannisbeerbäumchen müssen doch auch raus? 
Deinen Brief aus Brüssel habe ich bekommen und sogar schon nach  zwei Tagen. Der Bahnbeamte hat ihn also gut besorgt. 
Von Kurt habe ich schon längere Zeit keine Post, das ist aber nicht so schlimm. Kurt schreibt ja sowieso selten. Gestern habe ich schon 1 ½ Pfund Stangenbohnen abnehmen können. Jetzt dauert es nicht mehr lange, dann muß ich welche sterilisieren. Salzbohnen mache ich auch ein, wenn es viele Bohnen gibt. Auch zwei rote Tomaten haben wir geerntet. Einige Gurken sind schon so groß wie meine Hand. Es wird dieses Jahr ziemlich viel geben, denn es ist noch alles voller Blüten. 
Am Sonntag über 8 Tagen hat Jörg nun Geburtstag. Ich kaufe ihm nun doch kein Fernlenkauto, denn die sind sehr empfindlich. Er bekommt dafür einen Wasserflieger, den er sich auch gewünscht hat. 
Mein lieber Ernst! Ich sende Dir nun recht herzliche Grüße und Küsse und bin immer Deine Annie.


 Mein lieber Mann!                                                Konstanz, 27.Juli 40. 

Heute früh ist kein Brief von Dir angekommen.
Wir sind um ½ 8 Uhr früh auf den Bismarckturm gegangen und ich habe nochmals eine Tasche voll Lindenblüten gepflückt. Es sind noch viel Lindenblüten da, aber leider für mich unerreichbar. Da müßtest Du da sein, daß Du auf den Baum kletterst. Ich bin ja froh, daß ich im Ganzen wenigstens 3 Taschen voll pflücken konnte, das ist doch besser als nichts. Unsere ganze Stube riecht jetzt nach Lindenblüten.
Es hatte die ganze Nacht geregnet, so daß ich ziemlich beim pflücken gewaschen worden bin. Das war aber ganz erfrischend. Nicht so schön war es, daß ich aus Versehen eine Wespe in die Hand bekommen habe. Die hatte so schön in der Blüte versteckt gesessen, daß ich sie gar nicht gesehen habe. Beim Stechen habe ich es aber gemerkt. Ich habe immer dran denken müssen, wie wir früher immer zusammen zum  pflücken gegangen sind. Das war auch fein. 
Vom Siegfried ist heute früh ein Brief gekommen aus Weimar. Ich muß ihm auch wieder mal schreiben, denn ich habe seinen Brief vom 13.7. auch noch nicht beantwortet. Seine Briefe schicke ich Dir dann mit.
Bei uns wird das Wetter nicht besser. Jeden Tag gibt es mal Regen. Ich schicke Dir heute mal ein Bild mit. Ist das Euer Beutewein? 
½ 4 Uhr. Nachdem ich gestern Deinen Brief vom 20.Juli erhielt, kam heute Dein lieber Brief vom 18. an, in dem Du noch auf Post wartest. Inzwischen hast Du ja welche erhalten. 
Ich habe nun aus Deinem Schreiben ersehen, daß Du jetzt ein Lokal gefunden hast, wo deutsch gesprochen wird und wo es Dir gefällt.  Nachdem Du dort soweit gut versorgt bist, Dein Auskommen hast und ziemlich ungebunden leben kannst, zweifle ich tatsächlich immer mehr, ob es Dir später wieder bei uns gefallen wird. Dort hast Du soweit Ruhe und freie Zeit, während man sich zu hause doch öfter mal über die Kinder ärgern muß. Du weißt ja, sie machen vielmals Lärm, wenn man Radio hören will usw. Na, wir werden ja sehen. Ich komme mir ja oftmals sehr vereinsamt vor, denn ich habe ja niemand, der mir näher steht.
Die Kinder sind wohl liebe Kerle, aber über vieles kann man doch nicht mit ihnen reden. Manchmal kommt es mir vor, als wärst Du für mich unerreichbar und es könnte nie mehr so werden, wie es vor Deiner Einberufung war. Ich glaube, ich habe großes Heimweh nach Dir, denn es tut im Herzen sehr weh. Du brauchst nicht immer etwas für mich zu kaufen, wenn Du mich nur recht lieb behältst. Das ist mein einziger Wunsch. 
Lieber Ernst! Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von uns allen, besonders aber von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen