Freitag, 10. Juli 2015

Brief 26 vom 4.7.1940


Lieber Ernst!                                                                          Konstanz, 4.7.40

Heute ist nun Dein Geburtstag. Wie wirst Du ihn verleben?
Heute früh haben wir gleich zwei Rosensträuße und einen Strauß Studentenblumen, letzteren aus dem Garten der Kinder, neben Dein Bild auf Deinem Platz gestellt. Das ist das einzige, was wir Dir heute zuliebe tun können.  Vorhin kam Dein lieber Brief vom 2.7. Es freut mich, daß Du unser kleines Geburtstagsgeschenk schon erhalten hast.
Lieber Ernst!                 Mir fällt diesmal der Abschied viel schwerer als das erste Mal. Ich weiß nicht warum, aber mich würgt direkt die Angst, daß Du uns vergessen oder uns, wenn Du länger fort bist, nicht mehr so lieb haben könntest. Sei mir deshalb bitte nicht böse, ich bekämpfe diese Angst immer, aber bis jetzt hat es nicht viel genützt. Hoffentlich bewahrheitet es sich nicht, daß Du sehr lang fort bleiben mußt.
Jetzt hast Du also schon die neue Uniform an. Da wirst Du wieder schneidig darin aussehen. Du hattest doch gar keine Hosenträger mit. Hast Du Dir dort welche gekaut?  Wie ich Dir schon gestern geschrieben habe, schreib mir bitte, wenn Du Geld brauchst, denn Du sollst richtig auskommen können und nicht überall einsparen müssen. 
Ich danke Dir auch vielmals für die Marken. Ich werde sie alle gut verwenden, aber sage mir aufrichtig, Du hast sie Dir doch hoffentlich nicht abgespart? Das möchte ich nicht, denn wir kommen schon aus, wir haben keinen Mangel. 
Es tut mir leid, daß Du jeden Abend bezw. jede Nacht in den Keller mußt. Da hättest Du es hier ruhiger. Die Hauptsache ist mir aber, daß Dir nichts dabei passiert. 
Ich werde Dir also auch weiterhin jeden Tag schreiben, nachdem Du wahrscheinlich noch einige Tage in Köln bist. 
Gestern Abend habe ich 2 ½ Pfund Johannisbeeren abgenommen. Ich habe davon 2 Pfund Marmelade gekocht und die anderen haben wir gegessen. Jetzt sind noch an drei Büschen Beeren dran. Nachdem die oberen sechs Reihen Erdbeeren, die ganz jungen Pflanzen, abgeerntet sind, habe ich sie heute früh gehackt, also das Unkraut entfernt.  Jetzt muß ich aber noch etwas fragen. Muß man die Ausläufer der Erdbeerpflanzen jetzt entfernen oder erst später? Ich bin mir darüber nicht im Klaren.
Es hat vorhin angefangen zu regnen, da habe ich heute im Garten nicht weiter schaffen können. Dafür werde ich heute einmal nähen, das ist auch notwendig.  Nun, lieber Ernst, will ich schließen. Behalte uns bitte lieb, auch wenn Du länger fort bist. Du weißt ja, daß Du der Einzige bist, zu dem ich volles Vertrauen habe.
Ich wüßte gar nicht, was ich tun sollte, wenn Du uns vergessen würdest.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber, lieber Vater! Heute haben wir Dein Platz schön bedeckt, weil Du Geburtstag hast. Wir haben zwei Vasen mit Rosen auf jeder Seite, und vorn sind Studentenblumen, und mitten drin ist Dein Bild. Da kannst Du Dich sicher freuen.  Viele viele viele Grüße und viele viele viele Küsse von Deiner Helga.    Jörg

                                                                                                            4.7.40

Es hat doch wieder aufgehört mit regnen, da kann ich doch noch im Garten schaffen. Ich möchte ja, daß er immer ordentlich aussieht, denn Du sollst Dich doch freuen mein lieber, lieber Mann.
(Päckchenbeilage)
Mein lieber Ernst! Wir gratulieren Dir herzlich zum Geburtstag. Bleib gesund und komm gesund wieder zu uns. Ich hätte Dir gern noch etwas Gebackenes geschickt, aber ich weiß nicht, ob dich ein Päckchen dort noch erreicht. Nimm bitte vorlieb mit unserem kleinen Geschenk. Sei vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie, Helga und Jörg.

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