Freitag, 24. Juli 2015

Brief 38 vom 24./25.7.1940



 Mein lieber Ernst!                                                  24.Juli 1940

Heute früh kam kein Brief von Dir. Das ist direkt eine Ausnahme und ich warte nun heute Nachmittag auf den Briefträger. 
Ich habe wieder ein bißchen im Garten geschafft. Die Roten Rüben habe ich auseinander gesetzt, dann habe ich noch das halbe Erbsenbeet umgegraben. Das wollte ich jetzt frei lassen für Winterspinat und Wintersalat. Ist das richtig? Ich weiß nicht, ob Du Dich noch erinnern kannst, daß zwischen dem Kraut eine einzelne Kartoffelstaude stand. Die habe ich heute herausgemacht, weil das Kraut sonst im Wachstum gehindert wird. Davon habe ich 4 Pfund Kartoffeln geerntet. Und was für Riesen. Ein paar haben einen Umfang von 28 bezw. 25 cm.  Das hat mich gefreut. Das Pfund Kartoffeln kostet jetzt doch noch 10 bis 12 Pfg.  Ein paar Tomaten werden auch rot. 1 Pfund Buschbohnen habe ich wieder holen können. Du glaubst gar nicht, was wir in der einen Reihe für riesige Möhren haben. Frau Steinmehl hat sie schon mit Erstaunen betrachtet. Sie haben auch eine gewaltige Stärke.  In der anderen Reihe sind längere Möhren, die aber noch nicht ganz ausgewachsen sind.  Es ist aber gerade recht so, da haben wir jetzt und später welche. In einigen Tagen muß ich wieder das Kraut nach Raupe absuchen, denn die Kohlweißlinge fliegen viel rum. Wir haben doch noch ein zweites Beet Erbsen. Die haben sich jetzt, nachdem sie anfänglich so windig aussahen, gut gemacht und tragen auch reichlich. In 2 Wochen werden sie ausgewachsen sein. Die Schoten fangen an, dick zu werden. 
Heute Nachmittag ist auch kein Brief von Dir gekommen.  Ich schicke heute die Hosenträger mit. Ein kleines Stück Schokolade lege ich dazu. Ich weiß nicht, ob Du dort auch Schokolade erhältst, und wenn, dann wird sie Dir trotzdem schmecken.  Ich habe heute Nachmittag noch ein bißchen gewaschen und nun ist es schon ¼ 5 Uhr. Da wird der Brief heute wieder ein bißchen kurz, da ich ihn doch noch auf die Post bringen will. Das nimmst Du mir bitte nicht übel. Mein lieber, guter Ernst! Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Lieber Ernst!                                                    Konstanz, 25. Juli 1940

 Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 17.Juli.
Was heißt das, O.U., den 17. Juli? Bisher hast Du doch immer Lille geschrieben? 
Das war ja schon eine Enttäuschung für mich, daß Du wahrscheinlich doch nicht auf Urlaub kommst. Ich hatte mich schon sehr gefreut. Wollen wir aber froh sein, daß Du wenigstens einen Tag bei uns sein konntest. So haben wir uns doch noch mal gesehen, ehe Du dorthin gefahren bist.
Ich habe überhaupt vergessen, Dir zu schreiben, daß ich mich über die Anfertigung eines Anzuges für Dich freue. Sehr leid tut es mir, daß Du so von Schnaken geplagt wirst. Bei uns sind jetzt in den Zimmern noch keine zu spüren, aber sie werden schon noch kommen.  In St. Gallen ist jetzt schon der Kartoffelkäfer festgestellt worden, da müssen wir uns bald darauf gefaßt machen, daß er zu uns rüber kommt. In der Zeitung hat schon die Aufforderung gestanden, daß zwei Mal wöchentlich die Kartoffeln und Tomatenblätter abzusuchen sind. Das ist auch eine schöne Arbeit, aber immerhin besser, als wenn dieser Käfer uns alles weg frißt. 
Hört Ihr dort auch davon, wie frech die französischen Zeitungen, Minister usw. schon wieder werden. Daß sie behaupten, Frankreich wäre am Krieg schuldlos und daß sie eine schnellere Heimbeförderung usw. für die Flüchtlinge von uns Deutschen fordern. Denen geht es wahrscheinlich noch zu gut. Im vorigen Krieg haben sie überhaupt nicht danach gefragt, wie wir versorgt waren, im Gegenteil, sie haben uns hungern lassen. Alles was recht ist, aber die Franzosen sind doch ein hinterhältiges, falsches Volk. 
Lieber Ernst! Ist es Dir eigentlich nicht lästig, wenn ich so viel vom Garten schreibe? Ich möchte Dir nur gern immer zeigen, wie alles steht, damit Du Dir einen Begriff davon machen kannst. 
Im Allgemeinen geht ja ein Tag vorbei wie der andere. Essen, schaffen, schlafen.  Nur gut, daß es immer zu schaffen gibt. Ich bin so froh, daß ich immer liebe Briefe von Dir bekomme. Ach Ernst, ich meine oft, ich müßte Dich sehen und mit Dir reden können. Hinter aller Sehnsucht steht aber immer wieder das Wort: Es geht nicht! Nein, es geht nicht.  Nun will ich schließen, mein lieber, lieber Ernst! Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

25.7.40. Lieber Ernst! Es ist jetzt 11 Uhr.

 Vor einer halben Stunde bin ich vom Garten gekommen, nachdem ich das Erdbeerbeet (die 5 Reihen) umgegraben habe. Ich habe gleich um 6 Uhr angefangen. ½ 8 Uhr sind die Kinder aufgestanden und wir haben gefrühstückt. Dann habe ich weitergegraben. Außer denen von gestern habe ich noch 14 Engerlinge ausgegraben. An der Längsseite der Erdbeeren kann ich noch nicht umgraben, da überall Rote Rüben dazwischen stehen.  Nun habe ich mich inzwischen gewaschen und umgezogen und fühle mich wieder frisch.
Nachdem ich gestern keinen Brief von Dir bekommen hatte, dachte ich, es käme heute früh einer. Es war aber wieder nichts. Mit dem Einkaufen warte ich heute bis der Briefträger am Nachmittag vorbei ist. Vielleicht ist dann etwas für mich dabei. 
¾ 3 Uhr. Jetzt kam Dein Brief vom 21., auch der an Helga. Ich danke Dir auch für das Taschentuch. 
Den Brief von dem Herrn Naumann wirst Du ja inzwischen erhalten haben.
Mit Herrn Kuster werde ich einmal wegen der Briefmarke reden. 
Helga hat sich sehr über Deinen Brief gefreut. Sie hat ihn Jörg eben vorgelesen. Sie schreibt Dir bald wieder. Heute ist gerade ein so schöner Tag, da sollen sie lieber draußen spielen. Jörg hat sich nun doch ein Auto gewünscht, kein Fernlenkauto. Mal sehen, ob ich was Nettes finde.
Ich freue mich, daß Du jemanden gefunden hast, der Deine Wäsche versorgt. Danach hatte ich Dich auch schon immer fragen wollen. 
Pralinen und Schokolade werde ich Dir also nicht mehr schicken, wenn Du dort welche bekommst, aber die aus dem mir geschenkten Karton nimmst du doch bitte noch. Du machst mir damit eine große Freude. 
An dem Gerede von Resi war insofern etwas wahres, als Deine Kameraden, die noch in G ö d i n g geblieben waren, nach Krakau gekommen sind. Inzwischen sind sie aber schon wieder nach Göding gekommen.
Frau Gloger hat es mir bei ihrem Hiersein erzählt. Resi hat mich durch Helga (sie ist vorbei gefahren) eingeladen, sie zu besuchen. Ich habe aber nicht viel Lust und meist auch keine Zeit. Ich stricke nämlich einen Pullover mit halben Ärmeln für mich, da nutze ich jede freie Minute dazu aus. 
Schreib mir bitte, ob es Dir wirklich nicht lächerlich vorkommt, wenn ich so viel von meiner Gartenarbeit schreibe. Ich will nämlich wirklich nicht damit prahlen. 
Nun, mein lieber, lieber Ernst! Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


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