Freitag, 10. Juli 2015

Brief 29 vom 9./10.7.1940


                                                                                                       9.Juli.     

Heute früh kam unverpackt, d.h. ohne Bindfadenverschluß, ein Päckchen von Hradisch zurück. Es war vom Marinesturm. Drin waren noch Briefe vom Marinesturm und vom Jugendamt, sowie eine Karte vom Pfluger.  Wie ich es bekommen habe, schicke ich es Dir zu.
Vom Elsa Legler habe ich auch einen Brief bekommen. Gerhard ist noch in Polen. Er bekommt wahrscheinlich in nächster Zeit mal Urlaub. Er möchte Deine Adresse wissen. Sobald ich Deine Adresse weiß, werde ich sie an Elsa schreiben.  Post von Dir ist heute Nachmittag auch nicht gekommen. Ich werde mich wohl etwas gedulden müssen.  Ich habe mir heute mal das Buch „Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer“ vorgenommen, das hilft ein bißchen über die Unruhe hinweg, die ich doch habe, bevor ich nicht weiß, wie Du in Lille angekommen bist. Du hast das Buch doch auch gern gemocht.

     Mein lieber Ernst!                                                         10. Juli.                                                             

Heute früh kam wieder kein Brief von Dir, nur einer von Kurt.
Jetzt habe ich doch noch mal mit Frau Ehret gesprochen, sie fährt übrigens heute wieder nach hause, und habe sie gefragt, wie lange die Post von ihrem Mann zu ihr braucht. Sie sagte, die letzten Briefe sind 10 Tage unterwegs gewesen. Der Mann von Frau Ehret ist zwar in Südfrankreich, aber ich habe doch ein bißchen neue Hoffnung bekommen, daß Dir nichts passiert ist, sondern daß nur die Briefe so lange unterwegs sind. Jetzt hoffe ich eben auf die nächste Ausgabe der Post heute Nachmittag.
Mittags wollen wir noch in die Wochenschau, da sind wir aber, bis der Briefträger kommt, wieder zurück. 
½ 4 Uhr.                 Eben waren wir in der Wochenschau. Als da Bilder von Brüssel kamen, haben wir gleich an Dich denken müssen. Vorhin traf ich Resi, sie sagte mir, daß Deine Kameraden in Böhmen erst nach Krakau und jetzt unbekannt wohin gekommen sind. (Wie ich Dir später geschrieben habe, ist es nicht der Fall) (Fußnote) Die Angehörigen wußten bis jetzt keine Adresse. Wenn dem so ist, werde ich wohl meine Schuhe in den Wind schreiben können, evtl. auch das Geld. Wir warten mal ab. 
Von Herrn Kuster soll ich Dich grüßen. Du hättest ihn scheinbar ganz vergessen, denn Du hättest nicht einmal ein Kärtle geschrieben. Er wird morgen gemustert. 
Schon wieder ist der Briefträger vorbei, ohne Post für mich.  Jetzt bist Du nun schon bald wieder eine Woche von Köln fort. Wie wird es Dir inzwischen ergangen sein? Hoffentlich geht es Dir gut und es gefällt Dir soweit. Sobald ich von Dir Bescheid habe, schicke ich Dir gleich das Gebäck, damit Du auch wieder mal was von zu hause hast.
10 Uhr.                   Heute haben wir den Soldaten das Geleit zum Bahnhof gegeben. Vater ist die ganze Zeit mit uns zusammen gewesen und ist nicht eher fortgegangen, bis die Soldaten verladen waren. Als wir schon eher gehen wollten, sagte er, jetzt warten wir noch, bis sie fortkommen. Die Kinder waren natürlich auch froh. Sie hatten vorher Blumen geben dürfen. Helga hat sich einen Soldaten rausgesucht, der, wie sie sagt, Dir ein bißchen ähnlich sehen sollte. Ich habe ihn nicht gesehen, drum weiß ich nicht, ob‘s wahr ist.
Vater mag scheinbar die Soldaten jetzt auch gern, seit Ihr, Du und Kurt, dabei sind. Ich habe schon zu Vater gesagt, „hoffentlich habe ich mir mit den Blumen einen Brief von Dir verdient.“
Um einen Brief von Dir würde ich alle Blumen gern hingeben. Ich habe heute immer nur an einen Brief von Dir gedacht, so daß ich heute Abend furchtbares Kopfweh hatte und auch noch etwas habe. Vielleicht wird meine Hoffnung auf einen Brief von Dir morgen erfüllt. Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich wär´. Nun will ich schlafen gehen, da ist der morgige Tag schneller da.
Gute Nacht, mein lieber, lieber Ernst.

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