Donnerstag, 16. Juli 2015

Brief 32 vom 15./16.7.1940


Lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 15.7.40. 

Heute erhielten wir Deinen lieben Brief vom 7.7.
Das freut mich aber, daß es Dir so gut geht. Es ist Dir zu gönnen, denn hier bei uns hast ja nicht viel Geld für Dich verwenden können. Jetzt wirst Du dafür entschädigt. Hoffentlich gefällt es Dir später wieder daheim, denn ich habe schon mehrere Fälle gehört, einer davon bei den Leuten über uns, daß die Männer daheim dann ziemlich unzufrieden sind, da sie doch dann nicht die Freiheiten haben, an die sie sich schon gewöhnt haben.  Aber ich will Dich nicht mit anderen vergleiche, denn wir haben uns ja früher noch mehr einschränken müssen, und haben es auch getan, ohne uns das Leben gegenseitig zu verbittern. Freue Dich nur jetzt darüber, daß Dir‘s gut geht. 
Ganz so nobel wie Du essen wir ja nun nicht, aber wir sind noch immer gut satt geworden. Das ist ja die Hauptsache. 
Das kleine Taschenwörterbuch, um das Du in Deinem Brief bittest, habe ich Dir bereits mit dem vorigen Brief von mir geschickt. Jetzt habe ich auch das Englisch-Deutsche Wörterbuch herausgesucht, aber ich kann es Dir leider nicht schicken, da es über 1 Pfund wiegt und ich nur 250g (Höchstgewicht 275g) Päckchen schicken darf, die mit der Briefpost gehen.  Halt, da fällt mir ein, Du schreibst von einem roten und gelben englischen Buch. Das Wörterbuch ist aber blau, Du wirst die kleinen Bücher mit den Geschichten meinen, die ich auf dem Speicher habe, ich will mal nachsehen.  Ich habe sie gefunden und schicke sie Dir mit.  Ich bin froh, daß Du dort erfahren hast, daß die Briefe lange unterwegs sind, da glaubst Du doch wenigstens nicht, daß ich nicht schreibe.  Ich schicke Dir heute verschiedene Briefe, Abschriften und einen Artikel mit, der Dich sicher interessieren wird.  Helga ist heute mit der Spielschar nach St. Kathrinen zu einem ganztägigen Ausflug. Da hat sie sich riesig drauf gefreut, als wenn sie eine Weltreise machen wollte. 
Ich habe heute 177Mk, statt 172, bekommen. Ich weiß nun nicht, ob das die Erhöhung ist, da Du in eine höhere Altersklasse gekommen bist, da ich den Gehaltszettel noch nicht erhalten habe. 
Nun lieber Ernst, schließe ich für heute. Sei recht herzlich und innig gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber, lieber Ernst!                                                    Konstanz, 16. Juli 40.

Du bist doch ein Prachtkerl! Heute früh kam Dein Brief vom 7.7.  Den Antwortbrief habe ich vorhin auf die Post geschafft und als ich heim komme, sind Deine beiden lieben Briefe vom 8. (der ganz lange) und 9.7. da. Da war ich doch sprachlos. Hast Du Dich aber angestrengt. Dafür würde ich Dir am liebsten lauter Küsse geben.
Ich habe mich sehr über Deine Schilderungen gefreut, denn Deine Erlebnisse interessieren mich doch auch und so habe ich doch ein bißchen  teil an Deinem Leben. 
Ich glaube auch, daß die Höflichkeit der Franzosen nur Tünche ist, sonst hätten sie mit gefangenen deutschen Soldaten nicht so grausam und sadistisch sein können, denn an den Mißhandlungen haben sich ja auch Frauen und Kinder beteiligt  . Wie ich schon verschiedentlich im Radio gehört habe, haben sie an Grausamkeit teilweise sogar die Polen übertroffen. Man sieht es ja auch, wie Du selbst schreibst, an dem Besuch bezw. Nichtbesuch der Gräber. Die Umbildung der französischen Regierung ist ja auch so eine Komödie. 
Daß Du, wie Du schreibst, das Geld nicht verjubelst, das weiß ich. Wenn Du Dir allerlei anschaffst, so ist das ja fein von Dir. Wenn Du Dir ein Paar Hemden anschaffen kannst, so würde mich das sehr freuen, denn Du weißt ja, darin bist Du ja nicht so gut versorgt. Was Du Dir alles angeschafft hast, ist prima und ich freue mich darüber sehr. Du schreibst, wenn ich Geld brauche, soll ich es Dir schreiben. Na weißt Du, das mache ich nun doch nicht gleich. Ich bekomme ja Dein Gehalt und wir kommen damit aus. Außerdem freue ich mich, wenn Du mal ein bißchen Geld für Dich hast. Es hat mir sowieso immer leid getan, daß ich Dir so wenig geben konnte, aber weißt es ja, daß es nicht anders ging. 
Du schreibst, daß Du etwas Schönes für mich besorgt hast.  Ein bißchen neugierig bin ich ja schon, aber Du weißt ja, Neugier ist keine große Schwäche von mir und so habe ich vor allem eine große, stille Freude, daß ich etwas Schönes von Dir erhalten soll und daß Du an mich gedacht hast. Ich kann Dir ja jetzt leider keine großen Freuden bereiten, denn ich kann Dir nur durch mein Schreiben zeigen, daß ich immer mit großer Liebe an Dich denke. 
Wenn Du die Briefe aus Köln erhältst, wirst Du Dich vielleicht wundern, daß ich so Angst gehabt habe, daß Du uns vergessen und nicht mehr so lieb haben könntest. Sei mir bitte nicht bös deshalb. Ich habe mich tatsächlich so vereinsamt gefühlt und Du kennst mich ja, zeitweise habe ich manchmal so schwere Gedanken. Ich war damals ganz verzweifelt. Das ist aber jetzt wieder vorbei. Ich muß ja auch ganz festes Vertrauen zu Dir haben, denn aus Deinen Briefen ersehe ich ja, daß Du auch mit großer Liebe an uns hängst. Du weißt ja, der Gedanke, daß ich Dich verlieren könnte, bringt mich bald um. Als Du noch da warst, hast du mir ja immer geholfen, die trüben Gedanken zu vertreiben, aber jetzt muß ich den Kampf selber ausfechten und das ist schwer. Doch mach Dir keine Sorge, ich habe es jetzt wieder überwunden und schaue fröhlich in die Welt. 
Das glaube ich schon, daß Du dich nicht zum Säufer ausbildest. Du hast ja auch an Deinem Großvater gesehen, wie schlimm das ist, wenn jemand im Übermaß trinkt. Außerdem hast Du ja einen starken Willen und weißt, wie weit Du gehen kannst.
Da habe ich nun doch eine zu hohe Meinung von Dir, daß ich Dir so etwas zutrauen würde.  Ich habe mich auch gefreut, daß ich auch meinem Äußeren nach als deutsche Frau angesehen werde, denn eine deutsche Frau zu sein, ist doch ein Grund stolz zu sein. 
So lange Briefe erwarte ich auch nicht immer, ich bin schon so froh, wenn ich ein Lebenszeichen von Dir erhalte. Aber daß ich einmal einen so langen erhalten habe, macht mir doch große Freude. 
Heute früh war ein Mann vom Amt da. Er ist mit Fragebogen ´rumgefahren. Es handelt sich um das Gehalt, weil da ein Teil vom Staat bezahlt wird. Er hat wissen wollen, ob ich verdiene, ob ein Nebenverdienst vorhanden ist usw. Ich soll Dich recht herzlich grüßen. Meinst Du, ich komme auf den Namen. Er ist mir einfach entfallen. Es ist der mit seinem „Brüder“ aus dem Elsaß. Der Name liegt mir auf der Zunge und ich komme einfach nicht drauf. Du wirst schon wissen, wen ich meine. 
Eben ist Helga heimgekommen. Es ist nach 5 Uhr. Es hat ihr sehr gut gefallen und sie ist ganz glücklich, daß sie sich hat eine Limonade kaufen können.  Von 40 Pfennig hat sich mir 15 Pfennig wieder mitgebracht. Wie schnell doch ein Kind froh ist.
Ich hatte Dir im vorigen Brief geschrieben, daß sie mit der Spielschar nach St. Kathrinen gegangen ist. 
Lieber Ernst! Nun fall nicht um, wenn ich Dir sage, daß ich auch unter die Kauflustigen gegangen bin. Ich habe mir ein Kostüm mit einer netten Bluse dazu und einen Rock für alle Tage gekauft. Das Kostüm ist dunkelblau, ein wunderschöner Stoff und eine prima Machart. Es kleidet mich, das kann ich ohne Übertreibung sagen, vorzüglich. Ich bekomme das Kostüm am Donnerstag, denn wenn man es anprobiert, ist eine Schneiderin dabei, die alles genau absteckt; Knopflöcher, Knöpfe und Länge werden erst nach Maß fertiggemacht, damit es richtig paßt.  Erschrick nun nicht, wenn ich Dir sage, daß ich für die Sachen 73Mk, ausgegeben habe.
Wenn´s geht, photografiere ich mich mal im Kostüm. Bei der Anprobe habe ich gesehen, daß ich doch wieder Form bekomme. Das freut mich sehr. Vielleicht findest Du, wenn Du wiederkommst, eine ganz nette Frau vor. Ich habe mich sehr gefreut, daß ich mir einmal so etwas Schönes anschaffen konnte.  

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