Donnerstag, 16. Juli 2015

Brief 31 vom 13./14.7.1940


Mein lieber Ernst!                                                             Konstanz, 13.7.40.                

 Nun ist, wie vorigen Samstag, für mich Feierabend, nachdem wir 3 gebadet haben. Ehe ich bade sind dann immer die Kinder im Bett und lesen noch ein bißchen. Nachdem ich gebadet habe, beten wir zusammen und dann müssen sie schlafen. 
Ich habe heute fünf Päckchen an Dich abgeschickt. Leider mußte ich auf der Post nochmals drei auspacken, da sie zu schwer waren. Die Grenze ist 275 g. Dadurch sind sie vielleicht nicht mehr so sorgfältig eingepackt. Sei mir bitte deshalb nicht böse. In dem Kleingebäck für Dich ist Johannismarmelade von unseren eigenen Johannisbeeren. 
Ich schicke Dir morgen das kleine Taschenwörterbuch mit. Solltest Du es nicht brauchen können, schickst Du mir‘s bei Gelegenheit wieder mit zurück. Ich habe nur gedacht, vielleicht tut‘s Dir doch gute Dienste, weil man‘s überall mitnehmen kann. 
Morgen werde ich auch an Kurt schreiben. Ich hatte die letzte Zeit, als ich keine Nachricht von Dir hatte, gar keine Lust dazu. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, daß ich nun weiß, daß Du gut dort angekommen bist. Helga sagte heute, wo wir wieder einen Brief vom Vaterle haben, schmeckt mir das Essen gleich viel besser. Ich habe sie heute auch recht von Dir abgeküßt. 
Nun will ich Dir noch vom Garten berichten. Nächste Woche, vielleicht Donnerstag oder Freitag, kann ich schon Buschbohnen holen. Die Gurken blühen gewaltig. Ich habe heute schon die erste winzige Gurke entdeckt. Und das Kraut wächst. Das macht auch, weil‘s öfter regnet. Tomaten hängen viele an den Stöcken, ein paar färben sich schon gelblich. Für morgen habe ich wieder Erbsen  und Möhren geholt. Ich gebe den Kindern auch öfter die Erbsen roh. Sie dürfen sie sich sogar selber pflücken. Das ist für sie eine große Freude und gesund ist es auch. Ich esse auch öfter mal welche, auch mal Möhren. 
Von Siegfried habe ich auch eine Karte erhalten, ich weiß aber nicht, ob aus Belgien oder Frankreich.  Helga hat nun sieben Wochen Ferien. Da hat sie ja Zeit zum Ausruhen. Mit besonderer Freude sagte sie mir heute gleich, daß sie nichts aufhaben, daß sie also gleich runter könnte.  Ach, Ernst, wie bin ich glücklich, daß ich einen Brief von Dir bekommen habe.

14.7.                                                                             ¾ 11 Uhr Lieber Ernst!

 Da Helga am Freitag mit der Spielschar doch nicht im Lazarett war, habe ich Helga und Jörg heute früh mit den Stachelbeeren und ein paar Blumen ins Krankenhaus geschickt. Sie sind auch zu zwei Soldaten vorgelassen worden, die sich sehr gefreut haben. Vor allen Dingen hat sich Helga mit den Soldaten unterhalten, Jörg war, wie die Schwester gesagt haben soll, schüchtern. Der eine Soldat hat unseren Beiden viele Bilder von seiner kleinen Tochter, die ein Jahr alt ist, gezeigt und hat Helga versprochen, daß er ihr schreibt, wenn er wieder zu hause ist. Helga hat mir gesagt, ich sollte Dir doch bitte alles schreiben, so richtig könnte sie es nicht. Beide haben von den Soldaten eine Rolle Fruchtdrops bekommen.
Die Schwester hat gesagt, sie sollen es nehmen, sonst ärgern sich die Soldaten. Vorhin sind sie eben ganz stolz wieder gekommen. 
Soeben kam ein Zeitungspäckchen von den Eltern. Ich soll ihnen und Siegfried Deine Adresse mitteilen, was ich heute Nachmittag gleich tue. Wir schaffen heute Nachmittag auch den Brief an Dich fort. 
½ 3 Uhr.                Nun ist Nachmittag und wir gehen in die Stadt, um diesen Brief fortzubringen. Du sollst doch nicht so lange auf Nachricht warten, nachdem Du sowieso wirst fast drei Wochen kein Lebenszeichen von uns erhalten haben.   Lieber Ernst! Ich grüße und küsse Dich viele, viele Mal, Deine Annie. 

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