Sonntag, 12. Juli 2015

Brief 30 vom 11./12. und 13.7.1940


Mein lieber Ernst!                                                                         11.7.         

 Heute früh wieder kein Brief von Dir. Ich bin schon ganz unruhig.
Ein Brief von Herrn Gloger kam an. Er würde mir die Schuhe so bald als möglich besorgen. Sie sind noch in Hradisch. Das Gerede von Resi war also Unsinn. Vielleicht sind die aus Göding fortgekommen.
Übrigens soll, wie mir Helga sagte, Fritz nach dem Elsaß kommen. Ingrid hat es gesagt. Die Bemerkung von Resi, jetzt machte sie den Garten auch bald selber, würde dadurch klar. Ich hatte es anders aufgefaßt, daß Fritz nicht viel im Garten mit tut. Vielleicht wollte sie es mir vorher nicht sagen, weil sie vorher von Dir auch nichts gewußt haben. Mir ist es gleich und ich frage auch nicht danach. Die Adresse ist: Austraße 56. Wenn Du ja mal schreiben willst.
¼ 4 Uhr.                 Heute Nachmittag auch kein Brief von Dir. Ich glaube bestimmt, daß Du geschrieben hast und nun ist Dein Schreiben so lange unterwegs.  Da wirst Du auch auf Nachricht von uns warten und bekommst so lange nichts.  Hoffentlich bist du mir deshalb nicht böse, denn ich kann ja nichts dafür. 
Heute habe ich Stachelbeeren abgemacht. 8 ½ Pfund unterer Hochstamm (4 Pfund schon vorher) 9 Pfund oberer Busch, 9 unterer Busch. Vom oberen Hochstamm habe ich noch keine abgemacht, da sie noch nicht ganz reif sind. Ich koche davon Marmelade, soweit der Zucker reicht. Die anderen sterilisiere ich. Ein paar Pfund gebe ich Vater.  Wenn Helga morgen mit der Spielschar zu den Verwundeten geht, sollen sie Obst oder Blumen mitbringen. Ich gebe ihr da ein paar reife Stachelbeeren mit. Die schmecken gut. Wir haben heute auch schon gefuttert.
Lieber Ernst! Ich habe jetzt nur eine Sehnsucht, ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten. Die Unruhe treibt mich dauernd hin und her, ich habe zu nichts rechte Lust. Wenn ich nur wüßte, ob Du gesund nach Lille gekommen bist. 

12.7.                                                                                          ¾ 12 Uhr

Ein Brief ist heute auch nicht gekommen. 
Bis jetzt habe ich für Marmelade 8 ½ Pfund Stachelbeeren abgeknipst. Da tun mir schon ein bißchen die Fingerspitzen weh. Heute Nachmittag kommen noch mal 4 - 5 Pfund an die Reihe, dazu langt der Zucker noch.  Gestern Abend hat es ein schweres Gewitter gegeben mit viel Regen, der hat nur so gepeitscht. Da habe ich heute früh, nachdem ich die Kohlrabi von dem schrägen Stück geholt habe, gleich umgegraben und noch Kraut gesetzt. Wenn alles etwas wird, können wir ziemlich Sauerkraut einmachen. 
Ach, lieber Ernst. Ich wage schon gar nicht mehr auf einen Brief zu hoffen. Aber was vermag der Verstand gegen das Herz. Ich will nicht mehr so warten, aber wenn die Zeit kommt, wo der Briefträger kommen muß, bekomme ich mächtiges Herzklopfen und ich lauf doch immer hin und her und warte. Die Enttäuschung ist dann natürlich immer groß.  Heute Nacht habe ich eine ganze Weile munter gelegen und habe an Dich gedacht. Das ist der Krieg für uns Frauen zu hause, daß wir um unser Liebstes bangen. Ich habe es bis jetzt immer gut gehabt, da ich immer Nachricht von Dir hatte.
Es ist vielleicht gut, daß ich diese Sorge auch kennen lerne; wenn ich auch das Leben nicht von der leichten Seite nehme, so lerne ich doch die Sorgen der anderen Frauen verstehen, die manchmal schon länger keine Nachricht haben. Ich merke jetzt ganz besonders, wie mein Herz an Dir hängt und wie ich mit ganzer Seele bei Dir bin. Es ist gut, daß ich unsere Kinder habe, sind sie doch ein Stück von Dir, Zeugen von Deiner, von unserer Liebe. 

13.7.                                                                                                ¾ 10 Uhr   
Lieber, lieber Ernst! 
Ein Brief, ein Brief, ein Brief von Dir. Ich bin ganz aus dem Häuschen. Ich lasse jetzt alles stehen und liegen und mache ein paar Plätzchen für Dich fertig. Jetzt hat die Welt ein ganz anderes Gesicht.  Nun, lieber Ernst, schließe ich den Brief gleich, damit er so schnell als möglich fortkommt.  Sei vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.  Jörg habe ich vor Freude schon abgeküßt, Helga ist in der Schule.  Da Du nur eine Feldpostnummer hast und im Westen bist, dürfen, soviel ich weiß, nur Päckchen bis 250g geschickt werden. So kann ich Dir den Magenbitter vom Marinesturm noch nicht schicken. Ich erkundige mich noch auf der Post genau und schaue evtl., ob ich zwei kleinere Flaschen bekomme.  Vivil und Fruchtbrot ist auch vom Marinesturm. Es war auch etwas Kleingebäck dabei, aber das ist ganz zerbrochen, so daß ich es nicht extra mitschicke. Ich schreibe morgen wieder einen Brief.

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