Lieber Ernst! Konstanz,
15.7.40.
Heute erhielten wir Deinen lieben
Brief vom 7.7.
Das freut mich aber, daß es Dir
so gut geht. Es ist Dir zu gönnen, denn hier bei uns hast ja nicht viel Geld
für Dich verwenden können. Jetzt wirst Du dafür entschädigt. Hoffentlich
gefällt es Dir später wieder daheim, denn ich habe schon mehrere Fälle gehört,
einer davon bei den Leuten über uns, daß die Männer daheim dann ziemlich
unzufrieden sind, da sie doch dann nicht die Freiheiten haben, an die sie sich
schon gewöhnt haben. Aber ich will Dich
nicht mit anderen vergleiche, denn wir haben uns ja früher noch mehr
einschränken müssen, und haben es auch getan, ohne uns das Leben gegenseitig zu
verbittern. Freue Dich nur jetzt darüber, daß Dir‘s gut geht.
Ganz so nobel wie Du essen wir ja
nun nicht, aber wir sind noch immer gut satt geworden. Das ist ja die
Hauptsache.
Das kleine Taschenwörterbuch, um
das Du in Deinem Brief bittest, habe ich Dir bereits mit dem vorigen Brief von
mir geschickt. Jetzt habe ich auch das Englisch-Deutsche Wörterbuch
herausgesucht, aber ich kann es Dir leider nicht schicken, da es über 1 Pfund
wiegt und ich nur 250g (Höchstgewicht 275g) Päckchen schicken darf, die mit der
Briefpost gehen. Halt, da fällt mir
ein, Du schreibst von einem roten und gelben englischen Buch. Das Wörterbuch
ist aber blau, Du wirst die kleinen Bücher mit den Geschichten meinen, die ich
auf dem Speicher habe, ich will mal nachsehen.
Ich habe sie gefunden und schicke sie Dir mit. Ich bin froh, daß Du dort erfahren hast, daß die Briefe lange
unterwegs sind, da glaubst Du doch wenigstens nicht, daß ich nicht
schreibe. Ich schicke Dir heute
verschiedene Briefe, Abschriften und einen Artikel mit, der Dich sicher interessieren
wird. Helga ist heute mit der
Spielschar nach St. Kathrinen zu einem ganztägigen Ausflug. Da hat sie sich
riesig drauf gefreut, als wenn sie eine Weltreise machen wollte.
Ich habe heute 177Mk, statt 172,
bekommen. Ich weiß nun nicht, ob das die Erhöhung ist, da Du in eine höhere Altersklasse
gekommen bist, da ich den Gehaltszettel noch nicht erhalten habe.
Nun lieber Ernst, schließe ich
für heute. Sei recht herzlich und innig gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber, lieber Ernst! Konstanz, 16. Juli 40.
Du bist doch ein Prachtkerl!
Heute früh kam Dein Brief vom 7.7. Den
Antwortbrief habe ich vorhin auf die Post geschafft und als ich heim komme,
sind Deine beiden lieben Briefe vom 8. (der ganz lange) und 9.7. da. Da war ich
doch sprachlos. Hast Du Dich aber angestrengt. Dafür würde ich Dir am liebsten
lauter Küsse geben.
Ich habe mich sehr über Deine
Schilderungen gefreut, denn Deine Erlebnisse interessieren mich doch auch und
so habe ich doch ein bißchen teil an
Deinem Leben.
Ich glaube auch, daß die Höflichkeit
der Franzosen nur Tünche ist, sonst hätten sie mit gefangenen deutschen
Soldaten nicht so grausam und sadistisch sein können, denn an den Mißhandlungen
haben sich ja auch Frauen und Kinder beteiligt
. Wie ich schon verschiedentlich im Radio gehört habe, haben sie an
Grausamkeit teilweise sogar die Polen übertroffen. Man sieht es ja auch, wie Du
selbst schreibst, an dem Besuch bezw. Nichtbesuch der Gräber. Die Umbildung der
französischen Regierung ist ja auch so eine Komödie.
Daß Du, wie Du schreibst, das
Geld nicht verjubelst, das weiß ich. Wenn Du Dir allerlei anschaffst, so ist
das ja fein von Dir. Wenn Du Dir ein Paar Hemden anschaffen kannst, so würde
mich das sehr freuen, denn Du weißt ja, darin bist Du ja nicht so gut versorgt.
Was Du Dir alles angeschafft hast, ist prima und ich freue mich darüber sehr.
Du schreibst, wenn ich Geld brauche, soll ich es Dir schreiben. Na weißt Du,
das mache ich nun doch nicht gleich. Ich bekomme ja Dein Gehalt und wir kommen
damit aus. Außerdem freue ich mich, wenn Du mal ein bißchen Geld für Dich hast.
Es hat mir sowieso immer leid getan, daß ich Dir so wenig geben konnte, aber
weißt es ja, daß es nicht anders ging.
Du schreibst, daß Du etwas
Schönes für mich besorgt hast. Ein
bißchen neugierig bin ich ja schon, aber Du weißt ja, Neugier ist keine große
Schwäche von mir und so habe ich vor allem eine große, stille Freude, daß ich
etwas Schönes von Dir erhalten soll und daß Du an mich gedacht hast. Ich kann
Dir ja jetzt leider keine großen Freuden bereiten, denn ich kann Dir nur durch
mein Schreiben zeigen, daß ich immer mit großer Liebe an Dich denke.
Wenn Du die Briefe aus Köln
erhältst, wirst Du Dich vielleicht wundern, daß ich so Angst gehabt habe, daß
Du uns vergessen und nicht mehr so lieb haben könntest. Sei mir bitte nicht bös
deshalb. Ich habe mich tatsächlich so vereinsamt gefühlt und Du kennst mich ja,
zeitweise habe ich manchmal so schwere Gedanken. Ich war damals ganz
verzweifelt. Das ist aber jetzt wieder vorbei. Ich muß ja auch ganz festes Vertrauen
zu Dir haben, denn aus Deinen Briefen ersehe ich ja, daß Du auch mit großer
Liebe an uns hängst. Du weißt ja, der Gedanke, daß ich Dich verlieren könnte,
bringt mich bald um. Als Du noch da warst, hast du mir ja immer geholfen, die
trüben Gedanken zu vertreiben, aber jetzt muß ich den Kampf selber ausfechten
und das ist schwer. Doch mach Dir keine Sorge, ich habe es jetzt wieder
überwunden und schaue fröhlich in die Welt.
Das glaube ich schon, daß Du dich
nicht zum Säufer ausbildest. Du hast ja auch an Deinem Großvater gesehen, wie
schlimm das ist, wenn jemand im Übermaß trinkt. Außerdem hast Du ja einen
starken Willen und weißt, wie weit Du gehen kannst.
Da habe ich nun doch eine zu hohe
Meinung von Dir, daß ich Dir so etwas zutrauen würde. Ich habe mich auch gefreut, daß ich auch meinem Äußeren nach als
deutsche Frau angesehen werde, denn eine deutsche Frau zu sein, ist doch ein
Grund stolz zu sein.
So lange Briefe erwarte ich auch
nicht immer, ich bin schon so froh, wenn ich ein Lebenszeichen von Dir erhalte.
Aber daß ich einmal einen so langen erhalten habe, macht mir doch große
Freude.
Heute früh war ein Mann vom Amt
da. Er ist mit Fragebogen ´rumgefahren. Es handelt sich um das Gehalt, weil da
ein Teil vom Staat bezahlt wird. Er hat wissen wollen, ob ich verdiene, ob ein
Nebenverdienst vorhanden ist usw. Ich soll Dich recht herzlich grüßen. Meinst
Du, ich komme auf den Namen. Er ist mir einfach entfallen. Es ist der mit
seinem „Brüder“ aus dem Elsaß. Der Name liegt mir auf der Zunge und ich komme
einfach nicht drauf. Du wirst schon wissen, wen ich meine.
Eben ist Helga heimgekommen. Es
ist nach 5 Uhr. Es hat ihr sehr gut gefallen und sie ist ganz glücklich, daß
sie sich hat eine Limonade kaufen können.
Von 40 Pfennig hat sich mir 15 Pfennig wieder mitgebracht. Wie schnell
doch ein Kind froh ist.
Ich hatte Dir im vorigen Brief
geschrieben, daß sie mit der Spielschar nach St. Kathrinen gegangen ist.
Lieber Ernst! Nun fall nicht um,
wenn ich Dir sage, daß ich auch unter die Kauflustigen gegangen bin. Ich habe
mir ein Kostüm mit einer netten Bluse dazu und einen Rock für alle Tage
gekauft. Das Kostüm ist dunkelblau, ein wunderschöner Stoff und eine prima
Machart. Es kleidet mich, das kann ich ohne Übertreibung sagen, vorzüglich. Ich
bekomme das Kostüm am Donnerstag, denn wenn man es anprobiert, ist eine
Schneiderin dabei, die alles genau absteckt; Knopflöcher, Knöpfe und Länge
werden erst nach Maß fertiggemacht, damit es richtig paßt. Erschrick nun nicht, wenn ich Dir sage, daß
ich für die Sachen 73Mk, ausgegeben habe.
Wenn´s geht, photografiere ich
mich mal im Kostüm. Bei der Anprobe habe ich gesehen, daß ich doch wieder Form
bekomme. Das freut mich sehr. Vielleicht findest Du, wenn Du wiederkommst, eine
ganz nette Frau vor. Ich habe mich sehr gefreut, daß ich mir einmal so etwas
Schönes anschaffen konnte.