Montag, 1. Juni 2015

Brief 10 vom 01./02.06.1940


1. Juni   ¾ 4 Uhr                                                                                                            
So, lieber Ernst, nun bin ich mit waschen fertig, das meiste ist sogar schon trocken. Jetzt habe ich noch gebacken, denke Dir, sogar 2 Kuchen, 1 Quarkstolle und 1 Kartoffel-Napfkuchen. Ich bin doch verschwenderisch, nicht wahr? Den Kartoffelkuchen essen wir morgen zum Nachmittag  bzw. Abendbrot, da brauchen wir schon kein Zubrot.  Vorhin war Kurt da und fragte, ob ich heute Abend mit ins Kino gehe. Ich sagte zu ihm, ich wüßte nicht, ob Dir‘s recht sei, wenn ich fort ginge. Kurt sagte, Du hättest sicher nichts dagegen. Er ist runter gefahren, damit Vater bei den Kindern bleibt. Ich mache mir nun aber doch Sorgen, ob Du mir nicht böse sein wirst. Schreib es mir bitte ehrlich, ob es Dich geärgert hat. Ich möchte Dir gar nicht gern Anlaß zu Ärger geben. Heute ist wieder richtig gewittriges Wetter, aber bis jetzt hat es noch ausgehalten, trotzdem die Wolken direkt drohend am Himmel stehen.  Vor unserem Hause blühen jetzt die wilden Rosen, das sieht freundlich aus. Ich habe noch einen längeren Stock dranmachen müssen, bei Regen hat sich der ganze Rosenstock über den Eingang geneigt Jetzt kommen auch die Bohnen am Zaun raus. Es wird gar nicht mehr lange dauern, dann kann ich die Kartoffeln im großen Garten schon häufeln.  Nun will ich schließen. Wir essen jetzt gleich und dann schaffe ich den Brief noch fort.  Sei ganz herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Nächstes mal schreiben die Kinder wieder was dazu.

 Mein lieber Ernst!         Nacht vom 1. zum 2. Juni,  ¼ 1 Uhr. 

½ 12 Uhr sind wir vom Kino wiedergekommen. Jetzt ist Vater gerade fort gegangen. Heute hat Kurt sogar das Kino für mich bezahlt. Es war sehr schön, der Film hieß „Mazurka“. Ein ernster Film. Am Schluß kam die Wochenschau, über ¾ Stunde lang. Diese Wochenschau ist ergreifend. Belgien ist tatsächlich ein brennendes, zerschossenes Land. Überall in den Straßen feindliche Panzer, Fuhrwerke, Fahrzeuge, alles zerschossen. Überall brennende Häuser. Gefangenentransport von ungeheuren Ausmaßen. Man kann das gar nicht alles schildern, nur das eine muß man sagen, wir können unserem Führer und unseren Soldaten gar nicht genug danken, daß sie dieses Elend von unserem Land fern gehalten haben. Man kann den König verstehen, daß er im Interesse seines Landes kapituliert hat.  Nun will ich auch schlafen gehen. Ich mußte Dir aber erst noch schreiben, da ich Dir‘s ja nicht erzählen kann. Meine Gedanken sind ja immer bei Dir. Wahrscheinlich schläfst Du jetzt schon fest.  Gute Nacht, mein herzlieber Mann! 

Mein lieber Ernst!            2.6.40      ¾ 9 Uhr 

Heute, am Sonntag, kamen Deine lieben Briefe an. Da gestern keine Post da war, habe ich schon heute früh immer am Fenster gestanden und den Briefträger abgepaßt. Meine Freude wurde etwas getrübt durch Deine Nachricht, daß Du meine beiden ersten Schreiben immer noch nicht bekommen hast. Die habe ich doch schon am Donnerstag und Freitag der 2. Woche weggeschickt. Hoffentlich kommt morgen die Nachricht, daß Du jetzt alles bekommen hast.  Wenn es jetzt so heiß wird, da wirst Du ja noch oft schwitzen müssen. Du mußt ja direkt abmagern. Was mußt Du da auf dem Rücken tragen?  Wir gehen jetzt gerade runter ins Waschhaus zum Baden. Heute Nachmittag werden wir sicher ein bißchen fortgehen, evtl. schaffen wir auch diesen Brief an Dich weg, damit Du auch regelmäßig Post erhältst, wenigstens soweit es an mir liegt. Das Päckchen , welches Du zuerst bekommen hast, habe ich, soviel ich mich erinnern kann, in Petershausen aufgegeben, die anderen alle in der Stadt, weil ich meinte, da ginge es schneller, nun ist es gerade umgekehrt.  Den Kindern war das baden wieder ein Vergnügen. Sie haben sich so richtig austoben können. Ich hatte vom Kino ziemlich Kopfweh, da ist es mir im Bad ganz schwindlig geworden. Ich bin gleich d.h. nach 5 Minuten wieder raus und habe mich erst ein bißchen hinlegen müssen. Jetzt ist es wieder besser. Heute Nachmittag gehen wir nun den Brief wegschaffen und nach dem Wunsch der Kinder noch ein bißchen in den Stadtgarten. Es ist nicht ganz sicheres Wetter. Heute haben wir rohe Klöße zu Mittag gehabt. Helga und Jörg haben Dir beide was gemalt.  Wie wirst Du heute den Sonntag verbringen? Ob Du schon Ausgang hast? Ich werde es ja wieder aus Deinem Brief erfahren.  Nun will ich wieder schließen. Es grüßt und küßt Dich herzlich Deine Annie.

 Mein liebster Ernst!           2.Juni 1940

Wir sind jetzt wieder daheim und haben Abendbrot gegessen. Es ist ¼ 7 Uhr. Wir sind nach der Stadt gegangen und haben vor allen Dingen Deinen Brief d.h. den Brief für Dich fortgebracht. Dann sind wir noch ein bißchen am Hafen und Stadtgarten spazieren gegangen und haben uns an der Seestraße noch ein Weilchen hingesetzt. Wir haben unterwegs Frl. Amann getroffen, die sich nach Dir erkundigt hat.  Du hättest auch schon einen Brief an´s Geschäft geschrieben. Danach ginge es Dir soweit gut. Ein Bekannter von ihr, der auch nach Göding gekommen war, wäre schon wieder zurück, da sich Herzschwäche eingestellt hätte. Ich soll Dich von ihr grüßen, was ich hiermit tue. Ich denke jetzt dauernd, ob Du wohl inzwischen weitere Post von mir bekommen hast. Ich hätte mich so gefreut, wenn Du das Gebäck zum Sonntag gehabt hättest. Na, ich erfahre es ja noch von Dir.  Das Wetter hat sich heute noch ziemlich aufgeklärt und es war wirklich schön am See. Der See war etwas wellig vom Wind, der darüber fuhr. Der Wind war es auch, der die Wolken vertrieben hat.  Helga und Jörg sind noch bis ½ 7 Uhr hinterm Haus. Sie haben mir die halbe Stunde noch abgebettelt. Sie haben ja den ganzen Vormittag nicht raus gekonnt, weil sie noch nasse Haare hatten.  Helga muß jetzt Montag und Dienstag ½ 10- ½ 11 zur Schule, Religion, und dann Nachmittag von ½ 2 Uhr  an wahrscheinlich bis ½ 4 Uhr. Mittwoch ist der Stundenplan noch nicht fest. Von Donnerstag bis Samstag hat sie um 8 Uhr Schule. Morgen werde ich mich gleich ans bügeln machen, damit ich dann wieder Zeit für unseren Garten habe. Ich bin doch froh, wenn ich Dir schön alles in Ordnung halte. Ich möchte doch vor Dir bestehen können, nicht wahr?  So, jetzt will ich mal unsere Banausen rauf rufen, damit sie ins Bett kommen. Du weißt ja, es dauert immer eine Weile, bis sie drin liegen.

 ¾ 8 Uhr Ich war jetzt gerade noch mal im Garten. Ich glaube, ich lasse das bügeln morgen sein und schaffe erst im Garten. Durch den festen Regen ist überall die Erde ganz hart. Ich werde erst wieder mal den Boden lockern und außerdem ist wieder Unkraut da, vor allen Dingen das mit den langen weißen Wurzeln. Du hast immer gesagt, sie sähen wie Spargel aus. Ich weiß nicht, wie es heißt. Noch etwas muß ich Dir mitteilen, ich habe jetzt die erste reife, rote Erdbeere gefunden. Sie liegt neben mir und duftet herrlich. Da werden sich morgen die Kinder freuen. Es ist eine von der kleineren Sorte, die wie Trauben aussehen. Jörg war heute sowieso schon empört, er sagte nachmittags: „Warum haben Rebholzens schon ein paar rote und wir noch nicht?“  Jetzt wird er ja zufrieden sein.  Du schreibst, dort würde man sehen, wie schön man‘s zu hause gehabt hat. Wenn Du einmal wieder heimkommst, da werde ich Dich wieder mal ganz fest verwöhnen, nicht wahr, lieber, lieber Ernst. Das würde ich so gern tun, denn ich habe Dich doch so lieb. Vorerst haben wir ja noch andere Pflichten. Du hast ja die schwereren, denn Du bist fort von zuhause und hast vollkommen neue Aufgaben. Ich bin stolz auf Dich, daß Du Dich so hineingefunden hast.  Ich gehe heute schon zeitig ins Bett, nachdem ich gestern so wenig habe schlafen können. Gute Nacht, mein lieber, guter Mann. 


10 Uhr Lieber Ernst!

Was machst  Du   für Sachen. Ich denke, ich sehe nicht recht, kommt da ein Päckchen von Dir. Ich habe es erst gar nicht geglaubt. Hab recht vielen Dank. Vor allen Dingen kauf  D i r  aber was, wir verhungern ja hier nicht und Du mußt jetzt so viel leisten, da kannst Du was Besonderes gut brauchen. Gell, mein lieber Mann, laß Dir nichts abgehen. Wir gucken uns die schönen Sachen immer wieder an und trauen uns gar nicht richtig, etwas davon zu essen. Du bist doch so ein lieber Kerl. Da hast Du uns aber fest überrascht.  Das Päckchen hat auch ziemlich lange gebraucht, da wird es mit meinem Päckchen an Dich ebenso gegangen sein.  Ich muß Dir immer wieder für Dein liebes Päckchen danken, Du lieber Ernst.
Lieber Vater!  Wir haben uns auf die Schokolade ganz fest gefreut. Wo ich aus der Schule gekommen bin, war es für mich eine Überraschung.  Wir haben vorhin ein Stück gegessen das hat gut geschmeckt. Auch auf den Käse freue ich mich fest, den ess‘ ich gern. Heute Nachmittag hab ich ½ 2 wieder Schule.  Sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Helga.  Vielen Dank von Deinem Jörg. 
Ich habe Jörg den Satz vorschreiben müssen, denn er wollte Dir auch mal ganz richtig schreiben.  Heute früh war ich gleich im Garten und habe die Arbeiten, die ich mir vorgenommen hatte, gemacht. Das Unkraut hat doch schon ziemlich nachgelassen, man merkt doch, wenn man hinterher ist.
Lieber Ernst! Heute Nachmittag ist Dein lieber Brief vom 30.5.  gekommen. Ich bin überglücklich, so viel von Dir an einem Tag. Der Briefträger hat ihn mir erst gar nicht geben wollen, wegen der Adresse, ich schicke sie Dir mit. Du, !!  ich bin immer eine Frau  R o s c h e, verstanden? Ich habe doch lachen müssen, wie Du auf meinen Mädchennamen gekommen bist. Heute kam auch der neue Gestellungsbefehl für Kurt, am 13. Juni nach Prag zur Panzerjäger Ers. Abt. Er hat schon immer drauf gewartet. Nach Deinem Brief kannst Du doch sehr gut schießen. Das ist doch mit die Hauptsache. Ich bin so froh, daß Du mein Päckchen und den Brief mit den Photografien erhalten hast. Es wäre doch schade gewesen, wenn es weggekommen wäre. Die Kinder haben ihre Sparbüchse gern für Dich geleert, denn sie haben Dich doch auch sehr lieb. Sie erzählen oft von Dir.  Kurt war in der Zwischenzeit wieder in der Zahnfabrik, schon des Geldes wegen. Die waren ganz froh, daß er wieder mitgeschafft hat.  Die Adresse von Bautzens schreibe ich Dir ein andermal, ich weiß sie selbst nicht.  Wegen der Reise Helga‘s nach Leipzig ist es so eine Sache. Ich habe nicht den rechten Mut dazu. Die Reise ist ein bißchen sehr lang und sie ist doch nicht mit anderen Kindern zusammen, außerdem hätte ich sie jetzt im Krieg lieber bei mir. Man weiß eben nicht, wie man´s am besten macht. Schreibe mir nur mal Deine Meinung.  Es ist ja ganz schön, daß meine Eltern auch an Dich gedacht haben. Schreibe ihnen nur, Du weißt ja, sie sind sehr darauf bedacht.  Wenn der Löhnungstag so ein wichtiger Tag ist, werde ich ihn mir auch merken, denn was für Dich wichtig ist, ist es ja für mich auch.  Du hast ja wieder viel geschrieben und ich freue mich bei jedem Brief von neuem, daß Du für uns soviel freie Zeit opferst.  Ich fahre jetzt noch in die Stadt und nehme den Brief an Dich mit. Also mache ich für heute Schluß und grüße und küsse Dich herzlich, Deine Annie. 


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