1. Juni ¾ 4 Uhr
So, lieber Ernst, nun bin ich mit waschen fertig, das meiste
ist sogar schon trocken. Jetzt habe ich noch gebacken, denke Dir, sogar 2
Kuchen, 1 Quarkstolle und 1 Kartoffel-Napfkuchen. Ich bin doch
verschwenderisch, nicht wahr? Den Kartoffelkuchen essen wir morgen zum
Nachmittag bzw. Abendbrot, da brauchen
wir schon kein Zubrot. Vorhin war Kurt
da und fragte, ob ich heute Abend mit ins Kino gehe. Ich sagte zu ihm, ich
wüßte nicht, ob Dir‘s recht sei, wenn ich fort ginge. Kurt sagte, Du hättest
sicher nichts dagegen. Er ist runter gefahren, damit Vater bei den Kindern
bleibt. Ich mache mir nun aber doch Sorgen, ob Du mir nicht böse sein wirst.
Schreib es mir bitte ehrlich, ob es Dich geärgert hat. Ich möchte Dir gar nicht
gern Anlaß zu Ärger geben. Heute ist wieder richtig gewittriges Wetter, aber
bis jetzt hat es noch ausgehalten, trotzdem die Wolken direkt drohend am Himmel
stehen. Vor unserem Hause blühen jetzt
die wilden Rosen, das sieht freundlich aus. Ich habe noch einen längeren Stock
dranmachen müssen, bei Regen hat sich der ganze Rosenstock über den Eingang
geneigt Jetzt kommen auch die Bohnen am Zaun raus. Es wird gar nicht mehr lange
dauern, dann kann ich die Kartoffeln im großen Garten schon häufeln. Nun will ich schließen. Wir essen jetzt
gleich und dann schaffe ich den Brief noch fort. Sei ganz herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Nächstes
mal schreiben die Kinder wieder was dazu.
Mein lieber
Ernst! Nacht vom 1. zum 2.
Juni, ¼ 1 Uhr.
½ 12 Uhr sind wir
vom Kino wiedergekommen. Jetzt ist Vater gerade fort gegangen. Heute hat Kurt
sogar das Kino für mich bezahlt. Es war sehr schön, der Film hieß „Mazurka“.
Ein ernster Film. Am Schluß kam die Wochenschau, über ¾ Stunde lang. Diese
Wochenschau ist ergreifend. Belgien ist tatsächlich ein brennendes,
zerschossenes Land. Überall in den Straßen feindliche Panzer, Fuhrwerke,
Fahrzeuge, alles zerschossen. Überall brennende Häuser. Gefangenentransport von
ungeheuren Ausmaßen. Man kann das gar nicht alles schildern, nur das eine muß
man sagen, wir können unserem Führer und unseren Soldaten gar nicht genug
danken, daß sie dieses Elend von unserem Land fern gehalten haben. Man kann den
König verstehen, daß er im Interesse seines Landes kapituliert hat. Nun will ich auch schlafen gehen. Ich mußte
Dir aber erst noch schreiben, da ich Dir‘s ja nicht erzählen kann. Meine
Gedanken sind ja immer bei Dir. Wahrscheinlich schläfst Du jetzt schon
fest. Gute Nacht, mein herzlieber
Mann!
Mein lieber Ernst!
2.6.40 ¾ 9 Uhr
Heute, am Sonntag, kamen Deine lieben Briefe an. Da gestern
keine Post da war, habe ich schon heute früh immer am Fenster gestanden und den
Briefträger abgepaßt. Meine Freude wurde etwas getrübt durch Deine Nachricht,
daß Du meine beiden ersten Schreiben immer noch nicht bekommen hast. Die habe
ich doch schon am Donnerstag und Freitag der 2. Woche weggeschickt. Hoffentlich
kommt morgen die Nachricht, daß Du jetzt alles bekommen hast. Wenn es jetzt so heiß wird, da wirst Du ja noch
oft schwitzen müssen. Du mußt ja direkt abmagern. Was mußt Du da auf dem Rücken
tragen? Wir gehen jetzt gerade runter
ins Waschhaus zum Baden. Heute Nachmittag werden wir sicher ein bißchen
fortgehen, evtl. schaffen wir auch diesen Brief an Dich weg, damit Du auch
regelmäßig Post erhältst, wenigstens soweit es an mir liegt. Das Päckchen ,
welches Du zuerst bekommen hast, habe ich, soviel ich mich erinnern kann, in
Petershausen aufgegeben, die anderen alle in der Stadt, weil ich meinte, da
ginge es schneller, nun ist es gerade umgekehrt. Den Kindern war das baden wieder ein Vergnügen. Sie haben sich so
richtig austoben können. Ich hatte vom Kino ziemlich Kopfweh, da ist es mir im
Bad ganz schwindlig geworden. Ich bin gleich d.h. nach 5 Minuten wieder raus
und habe mich erst ein bißchen hinlegen müssen. Jetzt ist es wieder besser.
Heute Nachmittag gehen wir nun den Brief wegschaffen und nach dem Wunsch der
Kinder noch ein bißchen in den Stadtgarten. Es ist nicht ganz sicheres Wetter.
Heute haben wir rohe Klöße zu Mittag gehabt. Helga und Jörg haben Dir beide was
gemalt. Wie wirst Du heute den Sonntag
verbringen? Ob Du schon Ausgang hast? Ich werde es ja wieder aus Deinem Brief
erfahren. Nun will ich wieder
schließen. Es grüßt und küßt Dich herzlich Deine Annie.
Mein liebster
Ernst! 2.Juni 1940
Wir sind jetzt wieder daheim und haben Abendbrot gegessen.
Es ist ¼ 7 Uhr. Wir sind nach der Stadt gegangen und haben vor allen Dingen
Deinen Brief d.h. den Brief für Dich fortgebracht. Dann sind wir noch ein
bißchen am Hafen und Stadtgarten spazieren gegangen und haben uns an der
Seestraße noch ein Weilchen hingesetzt. Wir haben unterwegs Frl. Amann
getroffen, die sich nach Dir erkundigt hat.
Du hättest auch schon einen Brief an´s Geschäft geschrieben. Danach
ginge es Dir soweit gut. Ein Bekannter von ihr, der auch nach Göding gekommen
war, wäre schon wieder zurück, da sich Herzschwäche eingestellt hätte. Ich soll
Dich von ihr grüßen, was ich hiermit tue. Ich denke jetzt dauernd, ob Du wohl
inzwischen weitere Post von mir bekommen hast. Ich hätte mich so gefreut, wenn
Du das Gebäck zum Sonntag gehabt hättest. Na, ich erfahre es ja noch von
Dir. Das Wetter hat sich heute noch
ziemlich aufgeklärt und es war wirklich schön am See. Der See war etwas wellig
vom Wind, der darüber fuhr. Der Wind war es auch, der die Wolken vertrieben
hat. Helga und Jörg sind noch bis ½ 7
Uhr hinterm Haus. Sie haben mir die halbe Stunde noch abgebettelt. Sie haben ja
den ganzen Vormittag nicht raus gekonnt, weil sie noch nasse Haare hatten. Helga muß jetzt Montag und Dienstag ½ 10- ½
11 zur Schule, Religion, und dann Nachmittag von ½ 2 Uhr an wahrscheinlich bis ½ 4 Uhr. Mittwoch ist
der Stundenplan noch nicht fest. Von Donnerstag bis Samstag hat sie um 8 Uhr
Schule. Morgen werde ich mich gleich ans bügeln machen, damit ich dann wieder
Zeit für unseren Garten habe. Ich bin doch froh, wenn ich Dir schön alles in
Ordnung halte. Ich möchte doch vor Dir bestehen können, nicht wahr? So, jetzt will ich mal unsere Banausen rauf
rufen, damit sie ins Bett kommen. Du weißt ja, es dauert immer eine Weile, bis
sie drin liegen.
¾ 8 Uhr Ich war
jetzt gerade noch mal im Garten. Ich glaube, ich lasse das bügeln morgen sein
und schaffe erst im Garten. Durch den festen Regen ist überall die Erde ganz
hart. Ich werde erst wieder mal den Boden lockern und außerdem ist wieder
Unkraut da, vor allen Dingen das mit den langen weißen Wurzeln. Du hast immer
gesagt, sie sähen wie Spargel aus. Ich weiß nicht, wie es heißt. Noch etwas muß
ich Dir mitteilen, ich habe jetzt die erste reife, rote Erdbeere gefunden. Sie
liegt neben mir und duftet herrlich. Da werden sich morgen die Kinder freuen.
Es ist eine von der kleineren Sorte, die wie Trauben aussehen. Jörg war heute
sowieso schon empört, er sagte nachmittags: „Warum haben Rebholzens schon ein
paar rote und wir noch nicht?“ Jetzt
wird er ja zufrieden sein. Du
schreibst, dort würde man sehen, wie schön man‘s zu hause gehabt hat. Wenn Du
einmal wieder heimkommst, da werde ich Dich wieder mal ganz fest verwöhnen,
nicht wahr, lieber, lieber Ernst. Das würde ich so gern tun, denn ich habe Dich
doch so lieb. Vorerst haben wir ja noch andere Pflichten. Du hast ja die
schwereren, denn Du bist fort von zuhause und hast vollkommen neue Aufgaben.
Ich bin stolz auf Dich, daß Du Dich so hineingefunden hast. Ich gehe heute schon zeitig ins Bett,
nachdem ich gestern so wenig habe schlafen können. Gute Nacht, mein lieber,
guter Mann.
10 Uhr Lieber Ernst!
Was machst Du für Sachen. Ich denke, ich sehe nicht recht,
kommt da ein Päckchen von Dir. Ich habe es erst gar nicht geglaubt. Hab recht
vielen Dank. Vor allen Dingen kauf D i
r aber was, wir verhungern ja hier
nicht und Du mußt jetzt so viel leisten, da kannst Du was Besonderes gut
brauchen. Gell, mein lieber Mann, laß Dir nichts abgehen. Wir gucken uns die
schönen Sachen immer wieder an und trauen uns gar nicht richtig, etwas davon zu
essen. Du bist doch so ein lieber Kerl. Da hast Du uns aber fest
überrascht. Das Päckchen hat auch
ziemlich lange gebraucht, da wird es mit meinem Päckchen an Dich ebenso
gegangen sein. Ich muß Dir immer wieder
für Dein liebes Päckchen danken, Du lieber Ernst.
Lieber Vater! Wir
haben uns auf die Schokolade ganz fest gefreut. Wo ich aus der Schule gekommen
bin, war es für mich eine Überraschung.
Wir haben vorhin ein Stück gegessen das hat gut geschmeckt. Auch auf den
Käse freue ich mich fest, den ess‘ ich gern. Heute Nachmittag hab ich ½ 2
wieder Schule. Sei herzlich gegrüßt und
geküßt von Deiner Helga. Vielen Dank
von Deinem Jörg.
Ich habe Jörg den Satz vorschreiben müssen, denn er wollte
Dir auch mal ganz richtig schreiben.
Heute früh war ich gleich im Garten und habe die Arbeiten, die ich mir
vorgenommen hatte, gemacht. Das Unkraut hat doch schon ziemlich nachgelassen,
man merkt doch, wenn man hinterher ist.
Lieber Ernst! Heute Nachmittag ist Dein lieber Brief vom
30.5. gekommen. Ich bin überglücklich,
so viel von Dir an einem Tag. Der Briefträger hat ihn mir erst gar nicht geben
wollen, wegen der Adresse, ich schicke sie Dir mit. Du, !! ich bin immer eine Frau R o s c h e, verstanden? Ich habe doch
lachen müssen, wie Du auf meinen Mädchennamen gekommen bist. Heute kam auch der
neue Gestellungsbefehl für Kurt, am 13. Juni nach Prag zur Panzerjäger Ers.
Abt. Er hat schon immer drauf gewartet. Nach Deinem Brief kannst Du doch sehr
gut schießen. Das ist doch mit die Hauptsache. Ich bin so froh, daß Du mein
Päckchen und den Brief mit den Photografien erhalten hast. Es wäre doch schade
gewesen, wenn es weggekommen wäre. Die Kinder haben ihre Sparbüchse gern für
Dich geleert, denn sie haben Dich doch auch sehr lieb. Sie erzählen oft von
Dir. Kurt war in der Zwischenzeit
wieder in der Zahnfabrik, schon des Geldes wegen. Die waren ganz froh, daß er
wieder mitgeschafft hat. Die Adresse
von Bautzens schreibe ich Dir ein andermal, ich weiß sie selbst nicht. Wegen der Reise Helga‘s nach Leipzig ist es
so eine Sache. Ich habe nicht den rechten Mut dazu. Die Reise ist ein bißchen
sehr lang und sie ist doch nicht mit anderen Kindern zusammen, außerdem hätte
ich sie jetzt im Krieg lieber bei mir. Man weiß eben nicht, wie man´s am besten
macht. Schreibe mir nur mal Deine Meinung.
Es ist ja ganz schön, daß meine Eltern auch an Dich gedacht haben.
Schreibe ihnen nur, Du weißt ja, sie sind sehr darauf bedacht. Wenn der Löhnungstag so ein wichtiger Tag
ist, werde ich ihn mir auch merken, denn was für Dich wichtig ist, ist es ja
für mich auch. Du hast ja wieder viel
geschrieben und ich freue mich bei jedem Brief von neuem, daß Du für uns soviel
freie Zeit opferst. Ich fahre jetzt
noch in die Stadt und nehme den Brief an Dich mit. Also mache ich für heute
Schluß und grüße und küsse Dich herzlich, Deine Annie.
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