Donnerstag, 11. Juni 2015

Brief 16 vom 11.06.1940


Lieber Ernst!                                                                         Konstanz, 11.6.40

Gestern war doch ein ereignisreicher Tag.
Erst habe ich mich schon gefreut, als unser Sieg bei Narvik bekannt gegeben wurde. Ich habe mir doch immer Sorge gemacht, ob unsere kleinen Einheiten diese starke Übermacht standhalten können. Daß sie unsere Gegner aber sogar vertreiben konnten, das hatte ich nicht geglaubt.
Abends kam dann die Rede des Duce und der Kriegseintritt Italiens. Vater hat sich so darüber gefreut, daß er sich extra eine Zigarre geleistet hat. Es herrscht überall Freude hier. 
Heute ist ja der Abschiedsabend für Kurt, nun zum zweiten Mal. Vater hat mir gestern Abend Geld gegeben, damit ich eine Flasche Wein besorge. Diesmal bist Du nun nicht dabei.
Vor 4 Wochen haben wir Deinen Abschied gefeiert. Kurt hat sich gestern noch mal die Haare schneiden lassen und zwar ganz kurz. Ich habe direkt lachen müssen. Voriges Mal ist er nämlich gleich aufgefallen und sie haben ihn gefragt, ob er die Mähne behalten will, trotzdem er sie sich doch auch hatte schneiden lassen. 
Gestern Abend habe ich wieder fest gegossen und heute früh gleich wieder Wasser herausgestellt. Das hat den Kindern gefallen, das Planschen im Wasser. Heute wird es auch wieder heiß. Für die Heuernte ist ja das Wetter sehr gut.
Wir haben gestern wieder 2 Pfund Erdbeeren geerntet, da habe ich Marmelade gekocht. 
Ich schicke Dir heute wieder ein paar Zeitungsausschnitte mit. Der eine Ausschnitt ist schon ein paar Tage alt, aber Vater nimmt immer die Zeitungen zum lesen mit, da vergehen dann eben einige Tage. 
Ich muß jetzt zum Zahnarzt, denn ich bin auf ½ 10 Uhr bestellt, drum ist auch der Brief ein bißchen kurz. 
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                                         11.Juni 1940      ¾ 11 Uhr Nachts

 Nun ist die Abschiedsfeier vür Kurt vorbei. Einen ganz kleinen Rest habe ich noch vor mir stehen. Du weißt ja, daß ich nicht so viel trinken kann, da mir immer die Arme so gelähmt werden.  Heute früh war ich beim Zahnarzt, der Zahn ist aber noch nicht fertig, der Nerv ist noch nicht tot, beim bohren hat es ziemlich weg getan. Ich habe dem Zahnarzt gesagt, er soll den Zahn ruhig fertig machen, wenns auch weh tut. Er wollte aber nicht, weil es eine unnötige Quälerei sei. Nun muß ich am Montag wieder hinkommen.  Nachdem ich gestern gewaschen habe, kam heute das bügel dran. Später habe ich wieder 1 ½ Pfund Erdbeeren geholt. Sie kosten auf dem Markt 75 Pfennig pro Pfund. Da haben wir doch schon ganz schön geerntet, mit den 1 ½ Pfund von heute sind es bis jetzt 6 ½ Pfund. Ich habe gegen Abend wieder ziemlich gegossen. Die Gurken treiben jetzt viel Blätter. Ich habe auch ein paar Johannisbeersträucher an einem Stock etwas festbinden und somit stützen müssen, da sie sich ganz zur Seite geneigt haben. Morgen muß ich Quassiaholz mit Schmierseife kochen, denn in den obersten Blätt ern bei den Johannisbeeren sind wieder Blattläuse. Die 7 Johannisbeeren haben jetzt ihre volle Größe erreicht, nur sind sie noch nicht reif. Erdbeeren gibt es ja dieses Jahr nicht so sehr viel, auch Rebholzens haben nicht so viel. Da habe ich nachher wenigstens ein bißchen Zucker für die Stachelbeeren. Sollte es viel Kirschen geben, man spricht ja von einer Rekordernte, so koche ich sicher davon auch Marmelade, denn da braucht man ganz wenig Zucker. In den nächsten Tagen setze ich noch mehr Weißkraut, auch Rotkraut, Wirsing usw. will ich noch setzen. Günstig wär‘s ja, es regnete mal ein bißchen, daß der Boden nicht gar so trocken wär, da brauchte ich nicht so viel anzugießen. Für die Heuernte ist das trockene Wetter natürlich wieder sehr erwünscht. Jedenfalls macht‘s mir immer wieder Freude, wenn im Garten alles so wächst. So ist es ja nun nicht, wie Du schreibst, daß ich Dich auch da vollkommen ersetze. Ich möchte Dir nur alles recht machen und gebe mir alle Mühe, Dich wenigstens soweit als möglich zu vertreten. Du bist ja garnicht zu ersetzen, Du lieber, lieber Kerl.  Schicke uns doch so bald als möglich ein Bild von Dir, wir würden uns sehr freuen. Natürlich würde ich Dich lieber einmal persönlich hier haben, aber das geht ja nicht und da ist meine Bitte nach einem Bild doch nicht unbescheiden, oder doch? Wahrscheinlich schlöfst Du jetzt schon, es ist inzwischen ¼ 12 Uhr geworden. Ich wünsche Dir eine recht gute Nacht und gehe jetzt auch schlagen. Ich wollte aber erst gern noch an Dich schreiben, denn Du bist mir doch der Liebste, Du mein lieber Mann. Bei Tag bin ich leider nicht zum Schreiben gekommen. 

4 Uhr

Heute habe ich wieder im Ga rten geschafft. Erst habe ich den Boden gelockert und dann habe ich Weißkraut, Rotkraut und Wirsing gesetzt. Im ganzen habe ich gesetzt 87 Weißkraut, 55 Welschkraut, 25 Rotkraut. Man muß natürlich berücksichtigen, daß evtl. nicht alle etwas werden, aber ich glaube Weißkraut und Welschkraut langt, Rotkraut kann ich ja evtl. noch ein paar setzen. Rosen und Braunkohl kommt ja erst Anfang Juli dran. Sollten sie zu groß werden, setze ich sie natürlich früher. Schreibe mir doch bitte, ob es Dir so recht ist. Vorhin habe ich nochmals 2 Pfund Rhabarber geerntet und auch 1 ½ Pfund Erdbeeren . Es steht jetzt ein Gewitter am Himmel, vielleicht gibts mal etwas Regen, wenn es sich nicht wieder verzieht, wie gestern Abend.  Dieses Jahr habe ich schon mehr im Garten geschwitzt als sonst. Aber ich glaube, auch bei Dir wird nicht wenig Schweiß fließen.  Heute Abend gehen wir und auch Vater mit Kurt zur Bahn. Das ist doch sicher recht.  6 Uhr. Seit 5 Uhr regnet es jetzt, noch nicht gerade viel. aber es sieht aus, als käme noch mehr. Da habe ich es mit den Setzlingen gerade recht gemacht. Nachmittags habe ich auch die Johannisbeerzweige, d.h. die Spitzen in den Quassiasud getaucht und die Blattläuse vertilgt. Sollte es noch nicht restlos geholfen haben, wird das Verfahren halt wiederholt. Am Apfelbaum hängen so viel kleine Äpfel. Wenn die alle dran bleiben würden, krachte der Baum zusammen. Die Brombeerranken haben sich auch wieder gut entwickelt, ich komme kaum mit dem Anbinden nach.  Nun schließe ich für heute. Am Montag erhielt ich die letzte Post von Dir. Vielleicht kommt morgen wieder ein Brief.  Sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie, Helga  Jörg 12.6.40 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen