Lieber Ernst!
Konstanz, 11.6.40
Gestern war doch ein ereignisreicher Tag.
Erst habe ich mich schon gefreut, als unser Sieg bei Narvik
bekannt gegeben wurde. Ich habe mir doch immer Sorge gemacht, ob unsere kleinen
Einheiten diese starke Übermacht standhalten können. Daß sie unsere Gegner aber
sogar vertreiben konnten, das hatte ich nicht geglaubt.
Abends kam dann die Rede des Duce und der Kriegseintritt
Italiens. Vater hat sich so darüber gefreut, daß er sich extra eine Zigarre
geleistet hat. Es herrscht überall Freude hier.
Heute ist ja der Abschiedsabend für Kurt, nun zum zweiten
Mal. Vater hat mir gestern Abend Geld gegeben, damit ich eine Flasche Wein
besorge. Diesmal bist Du nun nicht dabei.
Vor 4 Wochen haben wir Deinen Abschied gefeiert. Kurt hat
sich gestern noch mal die Haare schneiden lassen und zwar ganz kurz. Ich habe
direkt lachen müssen. Voriges Mal ist er nämlich gleich aufgefallen und sie
haben ihn gefragt, ob er die Mähne behalten will, trotzdem er sie sich doch auch
hatte schneiden lassen.
Gestern Abend habe ich wieder fest gegossen und heute früh
gleich wieder Wasser herausgestellt. Das hat den Kindern gefallen, das
Planschen im Wasser. Heute wird es auch wieder heiß. Für die Heuernte ist ja
das Wetter sehr gut.
Wir haben gestern wieder 2 Pfund Erdbeeren geerntet, da habe
ich Marmelade gekocht.
Ich schicke Dir heute wieder ein paar Zeitungsausschnitte
mit. Der eine Ausschnitt ist schon ein paar Tage alt, aber Vater nimmt immer
die Zeitungen zum lesen mit, da vergehen dann eben einige Tage.
Ich muß jetzt zum Zahnarzt, denn ich bin auf ½ 10 Uhr
bestellt, drum ist auch der Brief ein bißchen kurz.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber
Ernst! 11.Juni 1940 ¾ 11 Uhr Nachts
Nun ist die
Abschiedsfeier vür Kurt vorbei. Einen ganz kleinen Rest habe ich noch vor mir
stehen. Du weißt ja, daß ich nicht so viel trinken kann, da mir immer die Arme
so gelähmt werden. Heute früh war ich
beim Zahnarzt, der Zahn ist aber noch nicht fertig, der Nerv ist noch nicht
tot, beim bohren hat es ziemlich weg getan. Ich habe dem Zahnarzt gesagt, er
soll den Zahn ruhig fertig machen, wenns auch weh tut. Er wollte aber nicht,
weil es eine unnötige Quälerei sei. Nun muß ich am Montag wieder
hinkommen. Nachdem ich gestern
gewaschen habe, kam heute das bügel dran. Später habe ich wieder 1 ½ Pfund
Erdbeeren geholt. Sie kosten auf dem Markt 75 Pfennig pro Pfund. Da haben wir
doch schon ganz schön geerntet, mit den 1 ½ Pfund von heute sind es bis jetzt 6
½ Pfund. Ich habe gegen Abend wieder ziemlich gegossen. Die Gurken treiben
jetzt viel Blätter. Ich habe auch ein paar Johannisbeersträucher an einem Stock
etwas festbinden und somit stützen müssen, da sie sich ganz zur Seite geneigt
haben. Morgen muß ich Quassiaholz mit Schmierseife kochen, denn in den obersten
Blätt ern bei den Johannisbeeren sind wieder Blattläuse. Die 7 Johannisbeeren
haben jetzt ihre volle Größe erreicht, nur sind sie noch nicht reif. Erdbeeren
gibt es ja dieses Jahr nicht so sehr viel, auch Rebholzens haben nicht so viel.
Da habe ich nachher wenigstens ein bißchen Zucker für die Stachelbeeren. Sollte
es viel Kirschen geben, man spricht ja von einer Rekordernte, so koche ich
sicher davon auch Marmelade, denn da braucht man ganz wenig Zucker. In den
nächsten Tagen setze ich noch mehr Weißkraut, auch Rotkraut, Wirsing usw. will
ich noch setzen. Günstig wär‘s ja, es regnete mal ein bißchen, daß der Boden
nicht gar so trocken wär, da brauchte ich nicht so viel anzugießen. Für die
Heuernte ist das trockene Wetter natürlich wieder sehr erwünscht. Jedenfalls
macht‘s mir immer wieder Freude, wenn im Garten alles so wächst. So ist es ja
nun nicht, wie Du schreibst, daß ich Dich auch da vollkommen ersetze. Ich
möchte Dir nur alles recht machen und gebe mir alle Mühe, Dich wenigstens
soweit als möglich zu vertreten. Du bist ja garnicht zu ersetzen, Du lieber,
lieber Kerl. Schicke uns doch so bald
als möglich ein Bild von Dir, wir würden uns sehr freuen. Natürlich würde ich
Dich lieber einmal persönlich hier haben, aber das geht ja nicht und da ist
meine Bitte nach einem Bild doch nicht unbescheiden, oder doch? Wahrscheinlich
schlöfst Du jetzt schon, es ist inzwischen ¼ 12 Uhr geworden. Ich wünsche Dir
eine recht gute Nacht und gehe jetzt auch schlagen. Ich wollte aber erst gern
noch an Dich schreiben, denn Du bist mir doch der Liebste, Du mein lieber Mann.
Bei Tag bin ich leider nicht zum Schreiben gekommen.
4 Uhr
Heute habe ich wieder im Ga rten geschafft. Erst habe ich
den Boden gelockert und dann habe ich Weißkraut, Rotkraut und Wirsing gesetzt.
Im ganzen habe ich gesetzt 87 Weißkraut, 55 Welschkraut, 25 Rotkraut. Man muß
natürlich berücksichtigen, daß evtl. nicht alle etwas werden, aber ich glaube
Weißkraut und Welschkraut langt, Rotkraut kann ich ja evtl. noch ein paar
setzen. Rosen und Braunkohl kommt ja erst Anfang Juli dran. Sollten sie zu groß
werden, setze ich sie natürlich früher. Schreibe mir doch bitte, ob es Dir so
recht ist. Vorhin habe ich nochmals 2 Pfund Rhabarber geerntet und auch 1 ½
Pfund Erdbeeren . Es steht jetzt ein Gewitter am Himmel, vielleicht gibts mal
etwas Regen, wenn es sich nicht wieder verzieht, wie gestern Abend. Dieses Jahr habe ich schon mehr im Garten
geschwitzt als sonst. Aber ich glaube, auch bei Dir wird nicht wenig Schweiß
fließen. Heute Abend gehen wir und auch
Vater mit Kurt zur Bahn. Das ist doch sicher recht. 6 Uhr. Seit 5 Uhr regnet es jetzt, noch nicht gerade viel. aber
es sieht aus, als käme noch mehr. Da habe ich es mit den Setzlingen gerade
recht gemacht. Nachmittags habe ich auch die Johannisbeerzweige, d.h. die
Spitzen in den Quassiasud getaucht und die Blattläuse vertilgt. Sollte es noch
nicht restlos geholfen haben, wird das Verfahren halt wiederholt. Am Apfelbaum
hängen so viel kleine Äpfel. Wenn die alle dran bleiben würden, krachte der
Baum zusammen. Die Brombeerranken haben sich auch wieder gut entwickelt, ich
komme kaum mit dem Anbinden nach. Nun
schließe ich für heute. Am Montag erhielt ich die letzte Post von Dir.
Vielleicht kommt morgen wieder ein Brief.
Sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie, Helga Jörg 12.6.40
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