Dienstag, 23. Juni 2015

Brief 22 vom 23./24.6.1940


Lieber Ernst!                                                                        Konstanz, 23.6.40

Du wirst Dich über meine komische Schreiberei wundern, aber wir sind beim baden auf unserem alten Platz und ich habe nur ein Buch als Unterlage.  Ich habe heute mal die Gelegenheit beim Schopf gefaßt und bin mit den Kindern zum baden gegangen. Heute Nacht hat es geregnet, so daß ich heute mal nicht zu gießen brauche. Wochentags geht es nicht gut, daß wir gehen, denn erstens ist der Weg ziemlich weit und zweitens habe ich da immer zu schaffen.
Wir haben gestern für Deine Bilder zwei Rahmen gekauft, einen für das Kinderzimmer und einen für die Küche, damit wir Dich immer vor Augen haben. Jetzt schaust Du doppelt auf uns herab, einmal in Uniform und einmal in Zivil. Wir können ja gar nicht genug von Dir haben. 
Post ist heute keine gekommen, aber wir haben ja erst gestern einen lieben Brief von Dir bekommen.
Als gestern die Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages gemeldet wurde, war Vater gerade da und hat sich´s mit angehört. Er ist um 10 Uhr gekommen und ¾ 12 gegangen.
Ich bin heute noch ganz müd´, ich bin das lange Muntersein einfach nicht gewöhnt.
An unserem Pfirsichbäumchen hängen 8 oder 9 Pfirsiche. Jörg hat sie zuerst entdeckt.  Die Zweige vom Apfelbaum drückt es bis auf die Brombeeren runter, so voll hängen sie. 
Ich bin vorhin auf ein ganzes Stück rausgeschwommen. Das war wieder schön, aber mit Dir war es viel schöner.  Wir haben die Margret als Gast mit. Man kann mit ihr auskommen. Wenig´ Leute sind hier draußen, man kann sie bald zählen und dann sind es auch meist Frauen mit Kindern, am ganzen Strand hier bei uns sind es sicher nicht ganz 20 Personen. Weißt Du noch, was voriges Jahr für ein Betrieb war? 
Am Mittwoch gehen wir in die Wochenschau, weil da Helga keine Schule hat. Jeden Mittag 2 Uhr ist Wochenschauvorführung. Ich bin gespannt, wenn die Unterzeichnung des italienisch-französischen  Waffenstillstandes vorgenommen wird. Dann geht es gegen England.
Nun, mein lieber, guter Ernst, gebe ich Dir im Geist einen recht herzlichen Sonntagskuß.  Sei vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.  Sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Helga.   Jörg.


Mein lieber Ernst!                                                                      Konstanz, 24.6.40

 Jetzt, um 3 Uhr, kamen Deine beiden lieben Briefe vom 20. und 21.  an, über die ich mich fest freue. 
Auf den Bildern siehst Du, wie ich Dir schon schrieb, sehr fein aus. Ich habe Vater eins gegeben, der sich sehr darüber gefreut hat. Heute schicke ich auch an die Eltern ein Bild.
Wenn Du dort nicht so reichliches Essen hast, so schreibe mir aber wirklich, wenn Du was brauchst.  Hoffentlich ist Deine Blase wieder weg. So schnell geht´s ja meist nicht. 
Bei den Tschechen sieht man doch, daß es auch dort die Herrschaften sind, die immer zu meckern haben, während die anderen zufrieden sind.  Ich habe freilich Verständnis dafür, daß Du gern einmal ausgehst. Nur sollst Du mich dabei nicht vergessen. Das tust Du doch nicht, oder? 
Am 2.6.  hast Du an Dora geschrieben. Tante Elsbeth schrieb auch, daß Dora jetzt selten etwas von sich hören läßt. Sie hat sicher auch manche Arbeit im Krieg jetzt übernommen.
Zum Geburtstag hätte ich Dir ja gar zu gern etwas geschickt, aber Du mußt ja am besten wissen, ob es geht. Wenn Ihr dort ja fort kommt, hat es natürlich keinen Zweck.  Wegen Helga habe ich immer Angst, sie bekommt tüchtiges Heimweh. Du weißt ja, wie weich sie ist. Es ist doch eine große Strecke und wir könnten sie nicht gleich zurückholen. Also, wie gesagt, ich habe wenig Schneid dazu. 
Im 2. Brief schreibst Du nun, daß Ihr doch nicht fortgekommen seid.
Nun ist ja der deutsch-französische Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet und ich bin gespannt, ob Ihr da nun gleich fortkommt.
Ich habe jetzt meist regelmäßig Post bekommen, oft jeden zweiten Tag 2 Briefe. Ich schaffe die Briefe an Dich regelmäßig fort und zwar fahre ich jeden Nachmittag zwischen 6 und 7 Uhr in die Stadt und stecke den Brief auf der Post ein. An mir liegt es also nicht, wenn Du nicht regelmäßig Post erhältst. 
Unser Stromer hat jetzt wieder mal eine Periode, wo er dauernd bockt. Das meiste ist aber vorbei und er wird wieder bald brav werden. Ich habe ihn halt öfter versohlen müssen. 
Gestern habe ich Dir ja geschrieben, daß wir beim baden waren. Nachdem wir an unserem Platz gebadet hatten, wollten die Kinder noch mal ans Horn zum Sand. Da die Sonne so gebrannt hat, haben wir dort nochmals gebadet. Heute tut mit vom Schwimmen der Rücken weh. Ich bin‘s doch gar nicht mehr gewöhnt. Aber schön war‘s im Wasser doch. Vielleicht gehen wir nächsten Sonntag wieder. 
Bezüglich des Weines habe ich Dir in einem meiner letzten Briefe ja geschrieben. 
Du hast Dir wirklich viel vorgenommen auf einmal, Eis essen, schreiben, Radio hören. Kannst Du das alles in der Kaserne oder warst Du da fort? Eis essen kann man jetzt vertragen, wir haben uns sogar auch mal welches geleistet, es sind bloß immer 30 Pfennig futsch, wenn wir 3 uns welches kaufen. Na, so oft gehen wir ja nicht in die Stadt, daß es einen verlockt. 
Jörg hat Dir heute Äpfel, ein phantastisches Verkehrszeichen und Schiffe gemalt. Er ist ganz stolz.  Vom baden habe ich einen ganz roten Rücken, es tut aber nicht weh.  Helga hat mir heute angekündigt, daß Stadtpfarrer Koch mich besuchen will, weil Helga nie zur Kirche kommt. Ich werde ihm schon Bescheid sagen, denn schließlich tun wir immer noch, was wir wollen. 
Also lieber Ernst, solange Du noch Gelegenheit hast, gehe nur ruhig aus, ich nehme es Dir nicht übel. Du bist ja schließlich sonst den ganzen Tag angespannt. 
Es sieht heute wieder ziemlich gewittrig aus. Hoffentlich kommt wieder ein bißchen Regen, es ist alles schon wieder strohtrocken.  Nun, mein lieber Ernst, will ich schließen, denn Helga und Jörg wollen auch noch schreiben. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Lieber Vater! Ich wollte Dir schon lange was schreiben was mir immer in der Schule beten und das heißt: Lieber Gott mit starker Hand, schütze unser Vaterland, schütze unsre tapfern Krieger, führ sie in die Heimat wieder.   Ich muß jetzt noch meine Aufgabe machen, denn Morgen muß ich wieder fort in die Schule.  Sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Helga.   Jörg.


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