Freitag, 19. Juni 2015

Brief 20 vom 18./19.6.1940


Mein lieber Ernst!                                                                  18.6.40

Ich weiß gar nicht, ob ich den Brief wegschicken soll, denn wenn Du nicht mehr dort sein solltest, ging es ja lang, bis Du ihn nachgeschickt erhältst.
Wir hatten erst gedacht, daß Du vielleicht ein Telegramm schicken würdest, wenn Du dort fort kommst. Aber Du weißt ja sicher gar nicht, daß das Telegramm zuerst zu mir gekommen ist.
Ich bin wirklich gespannt, wie sich die Sache entwickelt hat.
Heute habe ich im Garten an den Kohlrabi Raupen vernichtet. Das mache ich ja nun am liebsten. 
Von den Eltern habe ich heute wieder ein paar Zeitungen geschickt bekommen. Am 12. wurden sie weggeschickt und am 18. sind sie angekommen. Da brauchen die Päckchen von Dir sicher etwas länger.
½ 5 Uhr.
Ich komme gerade vom Garten, wo ich Braunkohl und Rosenkohl gesetzt habe, Braunkohl 20 Stück, Rosenkohl ein paar mehr. Ich möchte da vielleicht noch ein paar setzen, aber ich muß erst wieder Platz haben.
Unkraut habe ich auch vertilgt. Die Setzlinge von dem Braun und Rosenkohl sind schon so groß, daß ich sie setzen mußte. 
Also, ich wage es und schicke den Brief fort.
Sei nun, lieber, lieber Ernst, recht vielmals gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 



Mein lieber, lieber Ernst!                                            Konstanz, 19.6.40

Heute früh kamen Deine lieben 5 Päckchen an.
Da muß ich direkt in den heimatlichen Dialekt verfallen und Dir sagen: Menschenskind, Du bist ja närrsch, Dir solche Ausgaben zu machen. Da brauchte ich mich nicht wundern, wenn Du mich anpumpen müßtest. Pumpe nur, aber ich verlange ungeheure Zinsen. Unter 100 Küssen pro Mark kommst Du nicht davon. Schreckt Dich das nicht ab? 
Als der Briefträger heute früh mit den 5 Päckchen erschien, umwehte ihn eine Wolke von Käseduft, der alles andere verdeckte. Ich habe direkt lachen müssen.
Also, lieber Ernst! Ich habe mich über alles riesig gefreut, besonders schön ist die Pralinen Bastschachtel. Ich mache sie nicht gleich auf, denn schon das Anschauen ist ein Genuß. Von der Schokolade haben wir schon versucht.
Zur Tröstung für das Haarschneiden habe ich sie heute auch schon verwendet. Nimm recht herzlichen Dank von uns entgegen, Du lieber Kerl. 
Auch Dein Brief vom 13.6. ist gekommen, das wirst Du ja schon bald auch meiner Andeutung wegen des Pumpens ersehen haben. Ich habe daraus auch ersehen, daß Du jetzt öfter Ausgang hast. Das wirst Du ja dankbar begrüßen. 
Wie wird es jetzt sein.  Ob du schon dort fort bist. Wenn ja, ist es Dir da nicht ein bißchen schwer gefallen, von Deinen Kameraden fortzugehen? 
Frau Meßmer, die von der NSV sammelt, läßt Dich grüßen. Ihr einer Sohn ist bei den Stukas, ihre Tochter bei dem Roten Kreuz.  Bei Wettsteins uns gegenüber war vorgestern eine Frau. Die hat sich nach deren Sohn erkundigt, ob sie Nachricht haben. Als sie sagten, längere Zeit jetzt nicht, sagte sie, so im Wegfahren, sie habe gehört, er solle gefallen sein. Ist das nicht eine Gemeinheit. Du kannst Dir denken, was die sich jetzt für Sorgen machen. 
Bei den Leuten über uns, Leimenstolls, ist jetzt der Mann auf Urlaub gekommen. Nach dem Aussehen zu schließen, ist es ein ganz anständiger Mann, man hört und sieht nicht viel von ihm.  Er ist beim Zoll, jetzt in Polen. 
Ich war heute beim Zahnarzt. Er hat den Zahn heute fertiggemacht. Jetzt hat es nicht ein bißchen mehr weh getan. Mal sehen, wie lange es hält, evtl.  muß man eine Krone drüber machen. 
Deine Unterhosen usw. habe ich heute mit gewaschen. Da sieht man, wie Ihr mit den Knien im Dreck gelegen seid. Soll ich Dir Hemd, Hose und Taschentücher wieder zuschicken?
Ich wollte Dir auch wieder einen Kuchen schicken, aber da ich nicht weiß, ob Du noch in Hradisch bist, laß ich es vorerst lieber. 
Mein lieber Mann, ich danke Dir nochmals für alle die gesandten schönen Sachen und gebe Dir im Geist recht herzliche Küsse.
Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber, lieber Vater! Ich hab mich sehr gefreut auf Deine Päckchen, daß gleich 5 angekommen sind. Die Schokolade schmeckt gut. Ich bin stolz auf Dich. Das habe ich nicht gewußt, daß Du im Krieg so viel schicken kannst.  Jetzt grad ist ein Flieger vorbei gefahren, der war schön. Sei herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Helga. Jörg. 

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