Donnerstag, 20. April 2017

Briefe 315 vom 16. - 21.4.1942


16.4.

Heute bekam ich den letzten Brief aus Frankreich von dir, den du kurz vor deiner Abreise geschrieben hast. Mit Sehnsucht warte ich ja auf deinen Brief aus Marburg, denn ich weiß ja gar nicht, wo du dich jetzt aufhältst und was entscheiden worden ist. Ich wünsche mir recht sehr, dass ich recht bald Bescheid bekomme. Ich denke immer an dich und weiß doch nicht, wo dich meine Gedanken suchen sollen. Du mein lieber, guter, lieber Ernst!
Ganz ohne Gartenarbeit ist dieser Tag doch nicht vorüber gegangen. Ich meinte ja gestern, ich sei für einige Tage fertig. Da siehst du mal, was ich für ein großartiger Gärtner bin, das Aussäen hätte ich bald vergessen. Heute habe ich´s nun getan. Die Radieschen, die ich gesät hatte, kommen schon heraus, ebenso der Spinat. Der Kopfsalat wächst schon gut, und bei den Stachelbeeren gehen bald die Blüten auf. Es geht alles vorwärts.
Ich habe heute für Helga eine Strickjacke und für Jörg einen Pullover für Sonntags gekauft. Für Helga blau mit bunten Streifen, für Jörg rot mit bunten Mustern. Die rote Jacke von Helga, die ihr fast zu klein ist, trenne ich noch mal auf und stricke sie mit einer anderen Wolle zusammen neu und größer. Jörg braucht ja keine Jacke, da er ja den Anzug hat. Helga kann die Jacke besser brauchen, da sie nur als „gut“ die rote hatte. Ich bin wegen diesen Sachen alle Geschäfte abgelaufen, aber geschafft hab ich´s doch. Ich denke, dass du gegen diese Anschaffungen nichts einzuwenden hast.

17.4.

Mein lieber Schatz !

Am Morgen bekam ich deinen lieben Brief vom 14.4. aus Marburg. Die Fahrt dorthin mit dem vielen Gepäck muß ja ziemlich beschwerlich gewesen sein. Und dazu hattest du auch noch das Pech, am Sonntag wieder umkehren zu müssen. Das ist dann nichts. Man hat doch zu nichts mehr richtig Ruhe. Den Abschied von Frankreich hast du ja nun hinter dir und es freut mich, dass dir das Land zuletzt noch ein freundliches Bild gezeigt hat. In der Erinnerung wird dir ja auch sonst manches freundlicher erscheinen, als es vielleicht war. Du hast dort doch auch manche schöne Stunde verlebt, vor allem in Lille mit dem Tommy und Graser.
Eigenartig muss es dir ja gewesen sein, als du nach Marburg kamst, und keiner wusste Bescheid, was werden sollte. Denn tagelanges untätiges Warten ist ja nichts für dich. Ansehen hast du dir ja Marburg einmal richtig können.
Am Nachmittag bekam ich nun dein Telegramm. Wenn ich es richtig verstanden habe, bist du auch weiterhin K.-V.-Assistent. Ich werde nun deinen Brief abwarten. Du hast mir eine große Freude gemacht, dass du gleich ein Telegramm geschickt hast. So weiß ich wenigstens, dass du unterwegs bist.
Da das Telegramm aus Leipzig kommt, dachte ich schon, ob du vielleicht Gelegenheit hattest, mit Papa zu telefonieren oder ihn zu sprechen. Vielleicht bist du aber auch nur durchgefahren.
Am Abend hatten wir auch ein seltenes Erlebnis. ½ 8 gab es plötzlich Fliegeralarm und über dem Wald, unserem Haus gegenüber kamen 8 englische Flieger. Wir meinten erst, es seien deutsche, aber wie Leute aus Wollmatingen sagten, sind es Engländer gewesen. Sie sind wieder über die Schweiz gekommen. Gegen 8 Uhr war Entwarnung und ¼ 9 neuerlich Alarm. 1 oder 2 sind zurück gekommen. Für Dich ist es ja nichts seltenes, aber wir haben feindliche Flieger noch nie so nahe gesehen.
Mein lieber Ernst, wo wirst du jetzt wohl sein? Es ist ¼ 11. Wahrscheinlich unterwegs. Wie gerne gäb ich dir dein oder mein Bett, dass du dich richtig ausruhen kannst. Leider kann ich dir gar nichts erleichtern, auch nicht die große Umstellung, die du jetzt durchzumachen hast. Ich wäre so gern bei dir.

18.4.

Dein Brief vom 13.4. kam heute noch an, sowie die zwei Pakete von Frankfurt mit den stiefeln, Schuhen und zwei Schachteln Keks. Es ist alles gut angekommen und ich danke dir sehr dafür. Ich erwarte nun noch die 11 Päckchen, die du mir angekündigt hast und hoffe, dass auch diese uns richtig erreichen.
Ich habe heute schon immer daran gedacht, ob du wohl dein Fahrtziel heute erreicht hast und ob du über den Eindruck niedergedrückt bist. Ich weiß ja zwar noch nicht, wo du nun hingekommen bist.
Die Flieger von gestern sind also nach Augsburg geflogen, wie aus dem Wehrmachtsbericht hervor ging. Dort haben sie auch die Bomben geworfen.
Gestern habe ich übrigens auch zwei Kleider von Helga verlängert. Es ist mir noch mal gelungen. Man muss es immer richtig ausklügeln, damit man es fertig bekommt.
Am Mittag kam Vater. Er fragte, ob wir die Bohnenstangen holen könnten. Wir sind dann gleich mit dem Wagen runter gefahren. Es sind 22 Stück schön lange Stangen. Als wir heim kamen, habe ich erst mal unseren Platz im Vorraum aufgeräumt. Überflüssiges kleines Holz zerhackt, andere Stücke aufgehoben, den alten Korb, der bald zusammenfiel, zerhackt. Nun ist mal wieder Ordnung.
Du schreibst in deinem Brief, dass du meine Briefe bis zum 8.4. erhalten hast. Das sind dann alle gewesen, denn vom 9. ab habe ich ja nicht mehr geschrieben.
Ich höre jetzt gerade Lilli Marlen. Da denke ich daran, ob du an dem neuen Platz wohl auch Radio hast. Es gehen mir so manche Fragen durch den Kopf, aber durch deine kommenden Briefe wirst du sie ja sicher beantworten.
Wenn ich so die Briefe dieser Tage überlese, sehe ich, dass ich eigentlich nur von den täglichen Arbeiten geschrieben habe. Das ist wohl ziemlich nüchtern, aber ich hoffe, dass du mir deshalb nicht böse bist. Du weißt ja, dass ich dich sehr lieb habe und immer an dich denke. Ich kann es nur nicht immer schreiben. Aber du kennst mich ja und weißt, dass ich in meinen Gedanken immer mit dir lebe.
Heute hatte ja Mama Geburtstag. Ich hatte an Papa 3.-RM geschickt für Blumen für ihr Grab.
Der Pfarrer Dr. Schaack ist gestern gestorben. Du kennst ihn ja, soviel ich weiß. In der Zeitung stand heute unter Geburtsanzeigen: Michael, Vater Hans Dickreiter, Kaufmann. Das ist doch sicher der vom Ellegast, den wir kennen.

19.4.

Mein lieber, guter Ernst! Dieser Sonntag ist auch wieder vorbei. Zum Ausruhen bin ich ja nicht viel gekommen. Aber das ist ganz gut so, denn ich habe sowieso immer nicht die nötige Ruhe dazu. Ich habe wieder für die kommende Woche vorgeschafft, damit ich im Garten weitermachen kann. Auch will ich in der kommenden Woche noch mal nach den Schlüsselblumen sehen. Die müssen doch bald soweit sein.
Am Nachmittag habe ich an Elsa einen Brief und an Papa eine Karte geschrieben. Die Durchschläge sende ich dir mit.
Nach längerer Zeit hat es heute Nacht und am Vormittag wieder einmal geregnet. Das ist für die Pflanzen sehr gut gewesen. Die Sämlinge habe ich die Tage vorher schon immer gießen müssen. Es war zu trocken.
Wo wirst du diesen Sonntag verlebt haben? Die Antwort auf meine Fragen wird wohl noch etwas auf sich warten lassen, denn vom Osten werden die Briefe wohl ziemlich lange unterwegs sein.

20.4.

Lieber Ernst ! Heute erhielt ich deinen lieben Brief vom 17.4. aus Leipzig. Ich war schon erstaunt, als ich das Telegramm von dort erhielt. Ich dachte allerdings nicht, dass du zwei Tage, also einen Tag länger, als eigentlich möglich war, dort geblieben bist. Hätte ich gewusst, dass das geht, hätte ich dich bestimmt gebeten, den einen Tag Urlaub, der dir von Douai aus angeboten wurde, zu nehmen, zu uns zu fahren und einen Tag später nach Marburg zu kommen. Jeder Tag mit dir zusammen ist doch ein Geschenk für uns. Aber es lässt sich nicht mehr ändern und wahrscheinlich bist du auch einmal ganz gern in Leipzig gewesen. Du hast nun Erna kennen gelernt und scheinbar gefällt sie dir ganz gut, sonst hättest du sie wohl nicht gleich in „unser“ Cafe ausgeführt und auch Familiensachen mit ihr besprochen. Die Wohnung hast du nun auch gesehen, und weißt, wo wir im vergangenen Jahr gewesen sind. Wir werden ja wohl nicht gleich wieder hinkommen.
Deine Geburtsstadt hat dich ja mit gutem Essen versorgt. Sie haben sicher gedacht, sie wollen auf dich einen guten Eindruck machen.
Das Geld schicke ich morgen an Erna weg. Am Nachmittag waren wir in Hegne, da bin ich heute nicht dazu gekommen. Wir haben eine ganze Menge Schlüsselblumen gefunden, wenn auch nicht so viele, wie in den vergangenen Jahren. Wir sind gerade heimgekommen, kurz bevor ein Gewitter losging.

21.4.

Heute Nacht hatten wir von 1 – 2 Uhr Luftalarm. Man ist es gar nicht mehr gewöhnt. Heute Morgen waren wir ganz verschlafen.
Mit dem Geld wegschicken ist es heute doch nichts geworden. Am Vormittag habe ich erst mal 20 Kohlrabisetzlinge geholt, damit man schon zeitig etwas hat. Hoffentlich schießen sie nicht auf. Am Nachmittag habe ich in beiden Gärten die Kartoffeln rein getan. Helga hat mir geholfen und hat sie in die Löcher geworfen. Nach dieser Arbeit wollte ich noch auf die Post fahren, aber ich hatte wieder so schlimme Kopfschmerzen, dass gar nicht daran zu denken war. Aber es wird ja morgen auch noch Zeit haben.
Unsere Stachel- und Johannisbeeren blühen jetzt alle. Um die Büsche summt es nur so von Bienen. Wenn alles gut bleibt, gibt es sicher viel Beeren. Die Büsche hängen dick voll.
Heute Morgen kam dein Brief vom 18.4. Ihr habt also einen ganz fröhlichen Abend verlebt, ehe ihr auf die Briefgeschichten zu sprechen gekommen seid. Wenn Papa meinen Brief als scharf empfindet, so kann ich es auch nicht ändern. Du weißt ja, ich habe eigentlich immer nur an Mama gehangen. Papa hat mir in letzter Zeit leid getan, weil ich meinte, er trauerte um Mama. Das war ja ein Irrtum meinerseits. Geschauspielert hat Papa eigentlich fein, das muss ich schon sagen. Tut immer, als wenn er ganz geknickt sei und denkt dabei schon beim Begräbnis an eine neue Heirat. Denn nur so kann ich es verstehen, wenn er sagt, er habe mit mir wegen Dora schon gesprochen. Wir saßen doch nach dem Begräbnis alle zusammen.
Ich sagte dir ja schon, dass mir Dora da ziemlich gefühlsroh vorgekommen ist. Sie wollte gleich alles Mögliche von Mama wegwerfen, was Mama in Ehren gehalten hatte. Ich war erst in der Küche beim Kaffe kochen. Als ich in die Stube kam, hatten sich alle unterhalten und Papa sagte zu mir, „Es ist gerade gesagt worden, ich soll Dora heiraten, was sagst du dazu?“
Ich habe gar nichts gesagt. Ich war doch so sehr traurig wegen Mama, dass ich schon gar keine fröhliche Unterhaltung hören konnte. Ich bin aus der Stube gegangen und habe heulen müssen. Papa kam dann auch heraus, auch er heulte und sagte, es sei doch nur Spaß gewesen, er dächte gar nicht daran, wieder zu heiraten. Daran, dass er überhaupt nicht an´s heiraten wieder denkt, habe ich ja von vornherein gezweifelt. Aber das habe ich ihm doch nicht zugetraut, dass er solche Gedanken schon beim Begräbnis hat. Dabei hat er immer traurige Briefe geschrieben und trübselige Gedichte gemacht, und ich hab´s für ernst genommen. So dumm kann man sein. Aber es ist eigentlich meine Schuld, ich sollte Papa von früher her besser kennen. Ich habe ja eigentlich mit ihm genug Erfahrung, meinst du nicht auch?
Er hat ja jetzt gesagt, er will vor Kriegende nicht heiraten. Ich würde mich nicht so sehr darauf verlassen. Ich muss auch sagen, mir ist es fast gleich, was er macht. Innerlich empfindet er ja doch nichts mehr für Mama, was nützt da das Äußerliche?

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