Mein ganz lieber Ernst 1 Konstanz, 29.3.42
Es ist Sonntagmorgen und in
einer Stunde wollen wir in die Cherisy-Kaserne und später evtl. in die
Klosterkaserne gehen. Schön ist das Wetter ja nicht gerade, ziemlich bedeckt
und dabei weht Ostwind.
Vorher will ich aber noch an
dich schreiben. Vorhin erhielt ich deinen lieben Brief vom 24.3., für den ich
dir sehr danke.
Es war schon eine
Überraschung, als Siegfried so plötzlich angerückt kam. Ich habe mich aber
gefreut. Er ist mit seinem Lazarettzug bis hierher gekommen, wo sie nach
Donaueschingen und Singen die letzten 30 Mann ausgeladen haben.
Wie ich dir schon schrieb,
brauchst du dir über die Kürzungen in der Lebensmittelzuteilung keine Sorgen zu
machen. Wir werden schon durchkommen. Viele andere müssen es ja auch. Und wie
ich dir schon schrieb, wenn es dir irgendwo fehlt, wir haben immer etwas für
dich da. Wir gehören doch zusammen und wollen auch zusammen teilen, nicht wahr!
Den Film „Jakko“ hast du nun
doch gesehen. Mit hat er ganz gut gefallen. Man muss sich nur immer erst daran
gewöhnen, dass die H.J. usw. mit im Mittelpunkt stehen.
Ich bin gespannt, wie weit du
mit deinem Geld gekommen bist. Vielleicht hat dir ein Kamerad etwas geborgt und
wir können es ihm oder seiner Frau wieder schicken? Du wirst mir schon darüber
schreiben.
Vater ist gestern Abend nicht
herauf gekommen. Vielleicht kommt er heute. Beim letzten Besuch brachte er
übrigens wieder 1.64 Mk. Kupferpfennige für die Kinder mit. Wenn ich das Gehalt
hole, tausche ich sie mit um.
Nun will ich mich fertig
machen. Das Mittagessen für heute Abend kocht schon. Für Mittag nehmen wir ein
paar Brote mit, die ich auch noch fertig machen will. Die Kinder sind schon
angezogen und warten.
Sei nun wieder recht herzlich
gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.
Die Adresse von Kurt lautet
jetzt:
Gefr. K.Rosche,
Meiningen/Thüringen. Res. Lag. 2, Barbarakaserne, Block A III
Mein liebster Ernst ! Konstanz, 29.3.42
Vor einer Viertelstunde sind
wir gerade aus der Kaserne wieder heim gekommen. Da wir noch nicht Abendbrot
essen, es ist gleich 5 Uhr, will ich dir vorher noch unsere Erlebnisse
berichten.
Zuerst von gestern. Dazu bin
ich in meinem Brief heute Morgen nicht gekommen, da die Zeit zu knapp war. Wir
sind also gestern Nachmittag in die Stadt gegangen. Am Bootssteg vom Neptun
lagen die Schlauchboote an, d.h. zuerst jedenfalls mal. Aber da war so ein
Gedränge, dass sich der Steg soweit senkte, dass die Leute, die unten standen,
eine handbreit im Wasser standen. Unserer Helga ging es auch so, als sie aus
dem Boot aussteigen wollte. Als die Soldaten merkten, dass es so nicht ging,
haben sie am Weg, der schräg in´s Wasser führt, angelegt. Ich habe die Kinder
zwei Mal hin und zurück über den Rhein fahren lassen. Darüber haben sie sich
sehr gefreut. Während ich am Ufer wartete, wurde an der Rheinbrücke ein Bub,
ca. 3-4 Jahre alt, von einem Auto angefahren. Er war ohnmächtig und wurde in
den Neptun gebracht, von wo er dann mit dem Krankenauto abgeholt wurde. Die
Mutter war dabei, aber ein Kind reißt sich eben schnell von der Hand los. Wir
haben uns nach dem fahren die Tauchergeräte angesehen, was ganz interessant
war. Aber 30 Pfg. haben sie nicht verlangt, wie es erst hieß, sondern sie sind
so mit der Büchse sammeln gegangen. Einmal ist auch ein Zivilist in den
Taucheranzug und in´s Wasser gestiegen. In´s Wasser natürlich nur bis kurz
unter die Oberfläche. Bei den Tauchern nimmt man´s immer so selbstverständlich
hin, dass sie einfach in´s Wasser steigen, aber bei dem Zivilisten hat man erst
gesehen, dass es gar nicht so einfach ist. Man hätte Tränen lachen können, wie
der herum getapst ist. Erst hat er die Leiter nicht gefunden, dann ging das
steigen mit den schweren Stiefeln nicht. Wie ein Häufchen Unglück ist der an
der Leiter gehängt. So viel Heiterkeit haben die Taucher selbst noch nie verursacht.
Es war gegen ¼ 6, als wir
heim gingen. Wir haben noch eingekauft, haben zuhause gegessen und sind bald
in´s Bett gegangen.
Heute Morgen sind wir gegen ¾
7 aufgestanden. Nach dem frühstück hat Helga noch Schulaufgaben gemacht. Jörg
macht sie Morgen, da er erst ¾ 12 Uhr Schule hat.
Gestern sind beide nicht dazu
gekommen, da wir ja gleich in die Stadt sind. Ich habe inzwischen Essen gekocht
und aufgeräumt, sowie an dich geschrieben. ¼ 11 Uhr sind wir fortgegangen. Wir sind
doch nur in der Cherisykaserne gewesen. Da gab es ja so viel zu sehen. Zuerst
haben wir beim reiten zugeschaut, dann haben wir die Ställe angesehen, dann
sind wir in´s Fronttheater gegangen. Da war es ganz lustig. Als die Vorstellung
zu Ende war, gingen wir zum „Alarm in der Unterkunft“. Da waren die Betten
einer ganzen Stube auf dem Hof aufgebaut, sogar ein paar Schränke dazu. Dann
wurde Feierabend geblasen und alle zogen sich aus. Dabei wurde allerhand Unsinn
gemacht. Einer kam zu spät und schlich sich rein, wurde aber vom Unteroffizier
gesehen. Da musste er dann auf den Schrank steigen, einen Spruch sagen und
Kniebeugen dazu machen. Alle Sachen kann man gar nicht schreiben, so viel
Unsinn haben sie gemacht. Dann kam der Alarm. Das Anziehen ging nicht schnell
genug, halb angezogen kamen sie an, der Unteroffizier hat einen Mordskrach
gemacht. Da ging es dann. Nun sind alle zu ihren Gewehren und auf den Hof
gesprungen und nun ging das Gefecht los. Sehr interessant war das
Stoßtruppunternehmen. Hinter dr Kaserne sind Schützengräben ausgebaut, dazu
waren zwei Strohhäuser aufgebaut. In den Schützengräben, die uns am nächsten
waren, lagen Russen mit einem Kommissar, in Russenuniform. Vorn arbeiteten sich
unsere Soldaten näher und nebelten sich zuletzt ein. Als sie soweit heran
waren, dass die Handgranaten in die Gräben und dahinter fielen, zogen sich die
Russen in die Häuser zurück und unsere Soldaten nahmen die Gräben. Sie setzten
dann mit Handgranaten oder so was die Häuser in Brand (sie brannten richtig lichterloh)
und stießen nach. 2 Russen waren tot, 2 Deutsche verwundet, die anderen Russen
wurden gefangengenommen. Vorher wurde alles erklärt und gesagt,, dass die
Kämpfe eben sehr schwer sind, besonders solange der Kommissar nicht unschädlich
gemacht worden ist.
Bei der Besichtigung
feindlicher Bunker mit dem Scherenfernrohr konnte man die Schweizer Bunker
sehen.
Mit einem MG-Fahrzeug sind
die Kinder 3 Mal gefahren. Am Nachmittag waren wir noch mal im Fronttheater.
Auch war das ein Gedränge. Ich bin froh, dass ich heil wieder herausgekommen
bin. Ich habe immer Schutzstellung für unsere Kinder bezogen, damit sie nicht
so gedrängt wurden.
Nach ¼ 5 Uhr sind wir heim
gegangen. Ich habe natürlich das Radio gleich angestellt. Ich kann mich gar
nicht satt hören, so gefällt es mir. Nun habe ich erst gleich geschrieben. Ich
weiß nicht, ob dich alles interessiert, aber du sollst doch auch wissen, was
wir alles erlebt haben. Ich habe doch immer an dich gedacht, wo du heute wohl
gerade sein wirst. Das Wetter hat gut ausgehalten. Es war zwar verhängt, aber
es hat doch keinen tropfen geregnet. Es war auch kühl. Aber wir hatten uns ja
ganz warm angezogen. So ging es mir nicht, wie mehreren bekannten Frauen, die
ich traf, die ganz durchgefroren waren, weil sie sich schon zu sommerlich
angezogen hatten.
Nun ist es mit dem schreiben
schon ¼ 7 Uhr geworden und ich will nun an´s Abendessen denken. Die Kinder
werden heute auch müde sein, und sollen nicht zu spät in´s Bett. Jetzt sind sie
noch auf der Straße und spielen Kreidspiel, oder „Himmelhuppe“, wie wir früher
so schön gesagt haben.
Nimm wieder recht herzliche
Grüße und Küsse entgegen von deiner immer an dich denkenden Annie.
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