Montag, 3. April 2017

Brief 303 vom 29.3.1942


Mein ganz lieber Ernst 1                                                                                  Konstanz, 29.3.42           

Es ist Sonntagmorgen und in einer Stunde wollen wir in die Cherisy-Kaserne und später evtl. in die Klosterkaserne gehen. Schön ist das Wetter ja nicht gerade, ziemlich bedeckt und dabei weht Ostwind.
Vorher will ich aber noch an dich schreiben. Vorhin erhielt ich deinen lieben Brief vom 24.3., für den ich dir sehr danke.
Es war schon eine Überraschung, als Siegfried so plötzlich angerückt kam. Ich habe mich aber gefreut. Er ist mit seinem Lazarettzug bis hierher gekommen, wo sie nach Donaueschingen und Singen die letzten 30 Mann ausgeladen haben.
Wie ich dir schon schrieb, brauchst du dir über die Kürzungen in der Lebensmittelzuteilung keine Sorgen zu machen. Wir werden schon durchkommen. Viele andere müssen es ja auch. Und wie ich dir schon schrieb, wenn es dir irgendwo fehlt, wir haben immer etwas für dich da. Wir gehören doch zusammen und wollen auch zusammen teilen, nicht wahr!
Den Film „Jakko“ hast du nun doch gesehen. Mit hat er ganz gut gefallen. Man muss sich nur immer erst daran gewöhnen, dass die H.J. usw. mit im Mittelpunkt stehen.
Ich bin gespannt, wie weit du mit deinem Geld gekommen bist. Vielleicht hat dir ein Kamerad etwas geborgt und wir können es ihm oder seiner Frau wieder schicken? Du wirst mir schon darüber schreiben.
Vater ist gestern Abend nicht herauf gekommen. Vielleicht kommt er heute. Beim letzten Besuch brachte er übrigens wieder 1.64 Mk. Kupferpfennige für die Kinder mit. Wenn ich das Gehalt hole, tausche ich sie mit um.
Nun will ich mich fertig machen. Das Mittagessen für heute Abend kocht schon. Für Mittag nehmen wir ein paar Brote mit, die ich auch noch fertig machen will. Die Kinder sind schon angezogen und warten.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Die Adresse von Kurt lautet jetzt:
Gefr. K.Rosche, Meiningen/Thüringen. Res. Lag. 2, Barbarakaserne, Block A III


Mein liebster Ernst !                                                                                                  Konstanz, 29.3.42               

Vor einer Viertelstunde sind wir gerade aus der Kaserne wieder heim gekommen. Da wir noch nicht Abendbrot essen, es ist gleich 5 Uhr, will ich dir vorher noch unsere Erlebnisse berichten.
Zuerst von gestern. Dazu bin ich in meinem Brief heute Morgen nicht gekommen, da die Zeit zu knapp war. Wir sind also gestern Nachmittag in die Stadt gegangen. Am Bootssteg vom Neptun lagen die Schlauchboote an, d.h. zuerst jedenfalls mal. Aber da war so ein Gedränge, dass sich der Steg soweit senkte, dass die Leute, die unten standen, eine handbreit im Wasser standen. Unserer Helga ging es auch so, als sie aus dem Boot aussteigen wollte. Als die Soldaten merkten, dass es so nicht ging, haben sie am Weg, der schräg in´s Wasser führt, angelegt. Ich habe die Kinder zwei Mal hin und zurück über den Rhein fahren lassen. Darüber haben sie sich sehr gefreut. Während ich am Ufer wartete, wurde an der Rheinbrücke ein Bub, ca. 3-4 Jahre alt, von einem Auto angefahren. Er war ohnmächtig und wurde in den Neptun gebracht, von wo er dann mit dem Krankenauto abgeholt wurde. Die Mutter war dabei, aber ein Kind reißt sich eben schnell von der Hand los. Wir haben uns nach dem fahren die Tauchergeräte angesehen, was ganz interessant war. Aber 30 Pfg. haben sie nicht verlangt, wie es erst hieß, sondern sie sind so mit der Büchse sammeln gegangen. Einmal ist auch ein Zivilist in den Taucheranzug und in´s Wasser gestiegen. In´s Wasser natürlich nur bis kurz unter die Oberfläche. Bei den Tauchern nimmt man´s immer so selbstverständlich hin, dass sie einfach in´s Wasser steigen, aber bei dem Zivilisten hat man erst gesehen, dass es gar nicht so einfach ist. Man hätte Tränen lachen können, wie der herum getapst ist. Erst hat er die Leiter nicht gefunden, dann ging das steigen mit den schweren Stiefeln nicht. Wie ein Häufchen Unglück ist der an der Leiter gehängt. So viel Heiterkeit haben die Taucher selbst noch nie verursacht.
Es war gegen ¼ 6, als wir heim gingen. Wir haben noch eingekauft, haben zuhause gegessen und sind bald in´s Bett gegangen.
Heute Morgen sind wir gegen ¾ 7 aufgestanden. Nach dem frühstück hat Helga noch Schulaufgaben gemacht. Jörg macht sie Morgen, da er erst ¾ 12 Uhr Schule hat.
Gestern sind beide nicht dazu gekommen, da wir ja gleich in die Stadt sind. Ich habe inzwischen Essen gekocht und aufgeräumt, sowie an dich geschrieben. ¼ 11 Uhr sind wir fortgegangen. Wir sind doch nur in der Cherisykaserne gewesen. Da gab es ja so viel zu sehen. Zuerst haben wir beim reiten zugeschaut, dann haben wir die Ställe angesehen, dann sind wir in´s Fronttheater gegangen. Da war es ganz lustig. Als die Vorstellung zu Ende war, gingen wir zum „Alarm in der Unterkunft“. Da waren die Betten einer ganzen Stube auf dem Hof aufgebaut, sogar ein paar Schränke dazu. Dann wurde Feierabend geblasen und alle zogen sich aus. Dabei wurde allerhand Unsinn gemacht. Einer kam zu spät und schlich sich rein, wurde aber vom Unteroffizier gesehen. Da musste er dann auf den Schrank steigen, einen Spruch sagen und Kniebeugen dazu machen. Alle Sachen kann man gar nicht schreiben, so viel Unsinn haben sie gemacht. Dann kam der Alarm. Das Anziehen ging nicht schnell genug, halb angezogen kamen sie an, der Unteroffizier hat einen Mordskrach gemacht. Da ging es dann. Nun sind alle zu ihren Gewehren und auf den Hof gesprungen und nun ging das Gefecht los. Sehr interessant war das Stoßtruppunternehmen. Hinter dr Kaserne sind Schützengräben ausgebaut, dazu waren zwei Strohhäuser aufgebaut. In den Schützengräben, die uns am nächsten waren, lagen Russen mit einem Kommissar, in Russenuniform. Vorn arbeiteten sich unsere Soldaten näher und nebelten sich zuletzt ein. Als sie soweit heran waren, dass die Handgranaten in die Gräben und dahinter fielen, zogen sich die Russen in die Häuser zurück und unsere Soldaten nahmen die Gräben. Sie setzten dann mit Handgranaten oder so was die Häuser in Brand (sie brannten richtig lichterloh) und stießen nach. 2 Russen waren tot, 2 Deutsche verwundet, die anderen Russen wurden gefangengenommen. Vorher wurde alles erklärt und gesagt,, dass die Kämpfe eben sehr schwer sind, besonders solange der Kommissar nicht unschädlich gemacht worden ist.
Bei der Besichtigung feindlicher Bunker mit dem Scherenfernrohr konnte man die Schweizer Bunker sehen.
Mit einem MG-Fahrzeug sind die Kinder 3 Mal gefahren. Am Nachmittag waren wir noch mal im Fronttheater. Auch war das ein Gedränge. Ich bin froh, dass ich heil wieder herausgekommen bin. Ich habe immer Schutzstellung für unsere Kinder bezogen, damit sie nicht so gedrängt wurden.
Nach ¼ 5 Uhr sind wir heim gegangen. Ich habe natürlich das Radio gleich angestellt. Ich kann mich gar nicht satt hören, so gefällt es mir. Nun habe ich erst gleich geschrieben. Ich weiß nicht, ob dich alles interessiert, aber du sollst doch auch wissen, was wir alles erlebt haben. Ich habe doch immer an dich gedacht, wo du heute wohl gerade sein wirst. Das Wetter hat gut ausgehalten. Es war zwar verhängt, aber es hat doch keinen tropfen geregnet. Es war auch kühl. Aber wir hatten uns ja ganz warm angezogen. So ging es mir nicht, wie mehreren bekannten Frauen, die ich traf, die ganz durchgefroren waren, weil sie sich schon zu sommerlich angezogen hatten.
Nun ist es mit dem schreiben schon ¼ 7 Uhr geworden und ich will nun an´s Abendessen denken. Die Kinder werden heute auch müde sein, und sollen nicht zu spät in´s Bett. Jetzt sind sie noch auf der Straße und spielen Kreidspiel, oder „Himmelhuppe“, wie wir früher so schön gesagt haben.
Nimm wieder recht herzliche Grüße und Küsse entgegen von deiner immer an dich denkenden Annie.

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