Freitag, 1. Januar 2016

Brief 109 vom 1./2./3.1.1941


Mein lieber, lieber Ernst!                                                               Konstanz, 1.Jan.41

Nun sind wir wieder den ersten Abend allein. Es ist gleich 9 Uhr. Da wirst Du bald in Stuttgart sein. Ich denke immer an Dich. Der Abschied war wieder so schwer. Vater ist mit zu uns nach hause gekommen. Vorhin ist er eben heimgegangen. Er hat uns über den Abschied hinwegtrösten wollen. Aber das quält mich so. Ich muß damit allein fertig werden. Der beste Trost  ist für mich, daß ich Dir schreiben kann und dann die Arbeit.
Die Kinder waren auch sehr traurig. Sie schlafen jetzt zusammen in Helga`s Bett, nachdem sie vorher sehr geweint haben. Helga wollte erst, daß ich mit in ihrem Zimmer schlafe sollte. Ich konnte aber ja erstens Vater nicht einfach rausschmeißen und dann war es auch erst 1/4 8 Uhr.
So schwer der Abschied auch wieder ist, so bin ich doch so sehr froh, daß wir Dich wieder bei uns haben durften. Wie vergoldet doch Deine Anwesenheit selbst den nüchternen Alltag. Während der ganzen Zeit Deines Hierseins war für mich Feiertag. Es war ja so wunderschön, daß Du auch zu Weihnachten und Neujahr da sein konntest. Ich danke Dir für all Deine Liebe, die Du mir bewiesen hast und auch dafür, daß ich durch Dich diese Tage so froh sein konnte. Nun will ich wieder fest schaffen und meine Pflicht tun und vor allen Dingen hoffen, hoffen, daß Du uns gesund wieder kommst.
Heute Abend haben die Kinder immer wieder erzählt, wie lieb Du warst, wie Du ihnen erzählt hast, wie Du lustig mit ihnen warst und daß Du gestern, als Jörg noch bös war, gleich hinterher wieder lieb mit ihnen warst.
Ich sitze neben dem Sofa, auf dem Du noch heute lagst und es ist mir ganz unbegreiflich, daß Du jetzt wirklich schon wieder fortgefahren bist. Aber es ist eben jetzt so, wir haben viel Freude gehabt und nun kommt die Pflicht. Sie ist hart, aber sie muß getan werden. Wie ich Dir auch schon heute sagte, ich will alles tun, damit Du mit mir zufrieden bist.
Vorhin habe ich noch ein bißchen in den Illustrierten Zeitungen gelesen und an Dich gedacht. Jetzt wirst Du bald von Stuttgart wieder wegfahren. Komm nur gesund an Deinen Bestimmungsort. Immer wenn ich nach der Uhr sehe, sehe ich den Christbaum, der mich an unser gemeinsames Weihnachten erinnert.
Es ist doch am besten, ich gehe nun schlafen. Da brauche ich nicht mehr nachzudenken. Wenn ich ja nicht eher aufwache, so stelle ich mir doch den Wecker auf 1/4 8, damit ich 7,25 Uhr bestimmt munter bin. Da bist Du ja dann in Maastricht.
Mein liebster, liebster Ernst! Du wirst ja diese Nacht nicht viel schlafen können. Mein großer Wunsch ist  in jeder Minute, daß Du gesund hin kommen mögest. Bleib immer gesund und komm wieder, komm wieder zu uns, mein lieber, bester Schatz!

                                                                                                             2.Januar

Mein lieber, lieber Ernst!
Nun ist es 3/4 10 Uhr und wenn alles gut geht, fährst Du jetzt von Maastricht weg. Heute früh, als Du dort ankamst, war ich auch munter. Meine Gedanken sind ja immer bei Dir. Hier ist alles so leer ohne Dich.
Ich muß wieder fest schaffen, sonst ist es gar nicht auszuhalten.
3/4 3 Uhr                 Nun ist wieder Nachmittag. Ich will nachher mit den Kindern in die Stadt gehen und  verschiedenes einkaufen. Auch die Miete für Vater will ich bezahlen.
Gestern sprach ich noch mit Dir von Glatteis und heute haben wir schon welches. Wir hatten heute Nacht und am Vormittag Eisregen, so daß alles dich voll Eis hängt und die Straßen sind ganz glatt. Da fahre ich natürlich nicht mit dem Rad.
Du bist ja nun auch bald wieder an Deiner Arbeitsstelle. Es tut mir so leid, daß Du so einsam sein wirst, solange Deine Kameraden nicht da sind. Laß Dir`s nicht so schwer werden.
Am Vormittag erhielt ich das Päckchen Nr. 15 mit Schokolade. So nach und nach werden wohl alle Sachen noch eintreffen.
Sei Du, mein lieber, guter Ernst recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Lieber Vater! ich kann nichts schreiben als viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.

Mein lieber, lieber Schatz!                                                               Konstanz, 3.1.41

Nun bist Du 2 Tage fort und schon kann ich meinen Brief nicht zur rechten Zeit fortschaffen. Du wirst denken, da reißt ja eine schöne Bummelei ein. Damit Du mir nun aber nicht böse bist, will ich Dir auch schreiben, warum das so ist. Ich habe heute Wäsche und war bis gegen 3 Uhr im Waschhaus. Um Kohlen zu sparen, haben wir gleich anschließend gebadet.
Nun ist es 1/4 5 Uhr. Nun habe ich aber nasse Haare und kann nicht ins Freie, besonders, da es wieder sehr kalt ist. Gestern Nachmittag kam noch mal so Eisregen und hinterher Schnee. Da sind die Kinder wieder den ganzen Vormittag Schlitten gefahren. Nach dem Baden haben sie natürlich auch Hausarrest. Wenn meine Haare trocken werden, bringe ich den Brief nachher noch fort. Wir sind heute wieder in der Stube. Da ist es am schönsten warm. Jörg spielt natürlich wieder mit seinen Soldaten.
Aber du fehlst, Du mein lieber Ernst. Hoffentlich bist Du dort gut angekommen. Auf einen Brief von Dir muß ich ja schon noch warten. Damit wir den Tannenbaum, die Erinnerung an das gemeinsam verlebte Weihnachten, noch länger aufheben können, habe ich unten ein Stück abgesägt. Jetzt steht er auf dem Nähtisch und ist gar nicht im Weg. Ich möchte ihn doch noch gern stehen lassen, weil Du ihn doch mit geschmückt hast. Von dem weg gesägten Stück habe ich die Zweige in die schöne Vase von Dir gestellt.
Von meinem Weihnachtsgeld habe ich gestern für Jörg einen Stuhl mit Lehne für die Küche gekauft. Ich hatte ja schon deswegen mit Dir gesprochen und Du hattest nichts dagegen. Mit dem Kauf eines Bücherschranks würde es nichts werden, auch wenn wir das Geld dazu hätten. Es gibt einfach keine. Oder man müßte kaufen, was gerade am Lager wäre. Das hat natürlich keinen Zweck. Also warten wir schon, bis einmal Frieden ist.
So sehr ich mich, als Du hier warst, auf ein Ausruhen gefreut habe, so sehr treibt es mich jetzt umeinander. Immer muß ich etwas zu tun haben. Du fehlst mir eben doch überall.
Gestern fragte mich der Briefträger, wer Kurt Hagenauer ist. Dann fragte er, ob Frau Hagenauer mit uns verwandt ist. Die Pakete von Frau Hagnauer an Kurt Rosche seien zurückgekommen. Sie hätte nun gesagt, der Briefträger solle sie zu uns bringen, was er aber abgelehnt hat, da er sie nur dem Absender zurückgeben darf.
Ich denke mir, daß sie vielleicht eine falsche Adresse geschrieben hat und wir hätten die Pakete mit der richtigen Adresse an Kurt schicken sollen. Wenn ich an Kurt schreibe, werde ich es ihm mitteilen, damit er wenigstens weiß, daß Paula ihm was schicken wollte.
Am heutigen Tag wirst Du ziemlich zu tun haben, um Dich überall anzumelden. Morgen geht nun die Arbeit wieder richtig an. Hoffentlich hast du Dich nicht wieder erkältet, wie das vorige Mal.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie, die immer an Dich denkt.

Viele Grüße und Küsse auch von Deiner Helga. Jörg. 

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