Mein lieber Ernst! Konstanz, 21.1.41
Einen Brief habe ich heute von Dir nicht
erhalten. Aber das kann ich ja schließlich nicht erwarten, nachdem ich gestern
zwei bekommen hatte. Ich habe gestern den Schal für Vater fertig gestrickt.
Gestern früh war 1/4 fertig, von früh bis Mittag habe ich das 2te 1/4, am
Nachmittag und Abend die andere Hälfte gestrickt. Da habe ich zu schaffen gehabt.
Er ist hellbraun mit je zwei dunklen Streifen und 24 cm breit, 95 cm lang. Aber
jetzt freue ich mich sehr. Ich werde ihn wahrscheinlich noch heute Vater
bringen.
Helga hat am Nachmittag Schule. Da gehe
ich mit Jörg in die Stadt einkaufen. Morgen muß er ja zum Zahnarzt. Er hat auch
keine Angst davor.
Schöner ist das Wetter auch nicht
geworden. Es taut zwar nicht mehr so sehr, aber überall ist es glatt. Als
richtig Schnee lag, war es besser. Aber das Wetter richtet sich nicht nach
unseren Wünschen. Das wunderschöne Schlittenfahren ist ja nun für die Kinder
vorbei. Das fehlt ihnen sehr. Raus zum spielen können sie ja jetzt auch nicht.
So müssen sie sich wieder zu hause beschäftigen. Helga hat wieder mit
Schulaufgaben zu tun. Da vergeht die Zeit schnell.
Morgens und abends merkt man aber doch
schon, daß die Tage länger werden. Man braucht schon etwas weniger Licht. Da
bin ich ja nicht böse.
Bei uns in der Zeitung ist heute eine
kleine Geschichte. Über die habe ich lachen müssen. Vielleicht macht sie Dir
auch Spaß. Ich schicke sie Dir mit.
Auch die Schuhgrößen von Helga und Jörg
schicke ich mit. Sie sind von hohen Schuhen. Für Halbschuhe wären sie also noch
ein bißchen zu groß. Aber sie wachsen ja immer
so schnell aus den Schuhen heraus.
Morgen sind es schon 3 Wochen, seit Du von
uns wieder fortgefahren bist. Wenn wir recht viel Glück haben, könntest Du
vielleicht in 7 - 8 Wochen bei uns sein. Wir wollen uns zwar nicht vorher
freuen, aber eigentlich lebe ich doch nur von einem Urlaub zum anderen. Wenn
der eine Urlaub vorbei ist, rechnet man schon wieder aus, wie lange es bis zum
nächsten ist.
Die Eltern schreiben von kollosalen
Bunkern und Unterständen, die bei ihnen gegen Flieger gebaut werden. Also
rechnet man doch noch mit heftigen Angriffen. Na, es ist besser, man sorgt vor.
Nun will ich wieder schließen. Wir wollen
uns zum fortgehen fertig machen. Sei Du, mein lieber Schatz, recht oft und
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Jörg.
Mein lieber, guter Ernst! Konstanz,den 22.Jan.41
Post habe ich von Dir heute leider auch
wieder nicht bekommen.
Wie ich Dir gestern schrieb, wollten wir
gestern Vater den Schal bringen, den ich für ihn gestrickt habe. Als wir aus
der Stadt kamen, ist Jörg mit mir gleich hingegangen. (Helga war bis 6 Uhr in
der Schule) Vater hat sich über den Schal sehr gefreut. Kein Wort von „das war
nicht nötig“ oder so, sondern er hat ein paar Mal gesagt „ich dank auch schön“.
Da freut mich auch das Schenken. Gleichzeitig vergelten wir Vater auch sein reichliches
Weihnachtsgeschenk ein wenig, denn er hat sich doch große Ausgaben zu
Weihnachten gemacht.
Heute gehen wir ja mit Jörg zum Zahnarzt.
Da ist es endlich so weit gekommen, daß ich ihm die Haare geschnitten habe. Er
hat sich immer zu drücken versucht, aber eingesehen hat er es doch, daß er so
nicht zum Zahnarzt gehen kann. Nun hat es nicht mal wehgetan und er sagt jetzt
die ganze Zeit: „Jetzt sehe ich aber doch schön aus, erst war es so ein Büschel
Haare und ganz wild, ganz häßlich.“ Jörg hat auch wieder mal ein Wort, das er
bei jeder Gelegenheit anwendet „schade“. Soll er Kohlen holen, „schade“, soll
er Haare schneiden kommen, „schade“, soll er ins Bett, „schade“. So geht das
jetzt von früh bis Abend.
Zum laufen ist es jetzt auf der Straße
nicht gut. Überall getauter Schnee und Pfützen. Vor unserem Haus auf der Wiese,
wo die Kinder immer Schlitten gefahren sind, ist ein Bodensee im Kleinen. Mit
dem Rad zu fahren ist es auch nichts. Die Räder vollführen die reinsten
Eiertänze, besonders wenn sie in Autospuren geraten. Da ich nun nicht gern
runterfliege, habe ich das Radfahren einstweilen ganz eingestellt.
Ich bin sehr froh, daß ich das Öl von Dir
habe. So ist es mir möglich gewesen, öfter mal Eierkuchen, Kartoffelpuffer usw.
zu backen, was mir sonst nicht möglich gewesen wäre. Ich bin Dir sehr dankbar,
daß Du so für uns gesorgt hast.
Unsere Äpfel sind jetzt alle geworden. Es ist
ja schade, daß wir keine mehr haben, aber wir haben doch viel davon gehabt.
Schlecht geworden sind sie wenigstens nicht so viel und gut getan haben sie uns
auch. Getrocknete Apfelringe habe ich ja noch. Da haben wir gerade heute
Kompott davon gehabt. Das schmeckt gut. Ich bin froh, daß ich sie im Herbst gemacht
habe.
Da mir Vater öfter Brötchen mitgebracht
hat, konnte ich heute für meine Brotmarken drei Pfund Mehl kaufen. Da kann ich
schon wieder mal backen. Ich bezahle übrigens die Brötchen jetzt immer. Ich
habe Vater gesagt, daß ich sie sonst nicht mehr nehme. Ich will nämlich nicht,
daß er sich immer verpflichtet fühlt, mir alles zu schenken. Er ist nun auch
ganz einverstanden damit.
Ich will nachher noch an die Eltern eine
Karte schreiben, daß ich die Zeitungen erhalten habe. Einen Brief habe ich ja
erst vor ein paar Tagen geschrieben.
Lieber Schatz, hoffentlich bekomme ich
recht bald wieder einen Brief von Dir. Ich freue mich ja immer schon so drauf.
Seit dem 13., von dem Dein letzter Brief bisher ist, sind ja immerhin schon 9
Tage vergangen. Da möchte ich gern wieder wissen, wie es Dir geht, denn meine
Gedanken sind doch immer bei Dir.
Nun möchte ich wieder schließen. Sei Du
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Bleib mir recht gesund.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 22.1.41 abends
Heute Nachmittag waren wir nun beim
Zahnarzt. Es ist wirklich eine Freude zu sehen, wie tapfer sich die Kinder dort
benehmen. Genau wir Helga hat auch Jörg ganz ruhig gesessen und keinen Laut von
sich gegeben. Er hat zwei Zähne plombiert bekommen. Bei mir habe ich auch
nachsehen lassen, da ich an einem Zahn oft Schmerzen habe. Wie der Zahnarzt
sagt, wird es wahrscheinlich eine Wurzelhautentzündung sein. Er hat etwas
eingespritzt. Sollte es schlimmer werden, muß der Zahn entweder aufgebrochen
(er ist plombiert) oder rausgezogen werden. Das tät mir ja leid, wo es so ein
schöner Backenzahn ist. Na, abwarten.
Denke Dir, vorhin um 9 Uhr klingelt es und
Siegfried steht draußen. Er hat gerade noch den Omnibus erwischt, sonst hätte
er laufen oder bis 11 Uhr warten müssen. Siegfried hat für Helga eine große
Puppe mit echten Haaren und für Jörg eine M.G.-Bedienung mit M.G. und
M.G.-Wagen und Pferden und für mich eine Schachtel Pralinen und noch
verschiedene Sachen. Helga ist es gar nicht recht, daß sie morgen früh in die
Schule muß und nicht mit der Puppe spielen kann. Vorhin als Siegfried die
Mundharmonika sah, hat er gleich gespielt. Er kann wirklich prima spielen. Da
wird auch Helga begeistert sein und nachahmen wollen.
Nun gehe ich schlafen. Gute Nacht, mein
lieber Ernst!
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