Mein lieber Ernst! Konstanz, 19.Januar 41
Heute ist Sonntag, wirklich Sonntag, denn
ich habe zwei Briefe von Dir erhalten, vom
12. und 13.1.
Mit besonderer Freude habe ich gelesen,
daß Dein Kamerad Graser wieder dort eingetroffen ist. Aus Deinem Brief spürt
man auch, wie Du Dich darüber gefreut hast. Nun bist Du doch wenigstens nicht
mehr allein. Es ist eben immer so, bei Tag hat man zu tun, aber wenn man abends
zur Ruhe kommt, ist es doch recht einsam, wenn man ganz allein ist.
Die beiden Umhänge für die Kinder sind
wirklich nicht teuer und dabei sind sie doch sehr schön.
Vater hat sich über die Schokolade sehr gefreut.
Er hat sie mit Genuß gegessen. Ich habe ja auch mehrere Tafeln verdrückt, aber
jetzt habe ich abgebremst, denn es muß ja nicht gleich alles weg sein.
Gestern erhielt Vater einen Brief von Kurt
vom 14.1. Er schreibt auch, daß es Nanni gesundheitlich nicht gut gehe.
Heute früh, als der Briefträger Deine
Briefe brachte, sagte er, daß ich noch ein Paket bekäme. Er brächte es am
Nachmittag, wenn sein Dienst beendet ist, mit. Am Morgen hat er mit dem Rad
nicht durch den Schnee kommen können. Es hat in der Nacht wieder ziemlich
geschneit. Jetzt ist es aber ziemlich wärmer geworden, so daß es heute früh
sogar ein bißchen geregnet hat. Dem Schnee hat es aber noch nicht viel anhaben
können.
Die Eltern haben sich sehr gefreut, daß Du
mich so reicht beschenkt hast.
Ach so, ich habe ja noch gar nicht
geschrieben, daß das Paket, das mir der Briefträger vorhin noch brachte, ein
Zeitungspaket von den Eltern war. Da habe ich also wieder zu lesen.
Wahrscheinlich werden sie Dir einen Durchschlag des Briefes an mich
mitschicken.
Also sie haben sich gefreut, daß Du mir so
schöne Sachen geschenkt hast. Mama schreibt, daß sich Paula sicher ärgern wird,
wenn sie mich in dem Mantel sieht. Wegen mir soll sie. Sie ist mir sowieso
nicht freundlich gesinnt. Einen sehr schönen Abreißkalender haben mir die Eltern
mitgeschickt, mit lauter Kinderbildern. Während ich schreibe, studieren die
Kinder schon fest die Zeitungen. Da geht der Tag auch schnell wieder rum.
Als Du beim vorigen Wunschkonzert das Lied
„Gute Nacht, Mutter“ hörtest, habe ich auch in der Stube gesessen und den
Kindern gesagt, sie sollten mal ganz still sein, das möchte ich hören. Heute höre
ich mir das Wunschkonzert ja auch wieder an. Dabei werde ich stricken und
lesen. Wie wirst Du diesen Sonntag verbringen? Ich bin nur froh, daß Du nicht
mehr so allein bist. Ich möchte doch, daß es Dir auch dort so gut wie irgend
möglich geht. Am schönsten wär es, wenn Du hier wärst, aber ehe England nicht
besiegt ist, gibt es doch nie richtigen Frieden.
Heute oder morgen werden wir die Wurst von
Dir aufessen. Wir haben sie uns bis zuletzt aufgehoben. Erst haben wir die von
Dr. Thomas aufgegessen.
Die Kinder wollen wieder den Brief
fortbringen. Wie ich gerade gesehen habe, regnet es schon wieder. Das wird
einen schönen Matsch geben, wo der Schnee so hoch liegt, d.h. wenn es nicht
wieder friert.
Nun, mein liebster Ernst, sei wieder recht
herzlich gegrüßt und ganz fest geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber, lieber Ernst! Konstanz, 20.1.41
Heute habe ich wieder zwei Briefe
bekommen, vom 9. und 10.1., nachdem gestern die zwei vom 12. und 13. ankamen. Über
die Briefe habe ich mich sehr gefreut, besonders darüber, daß Du schreibst, man
merkte eben doch, daß niemand da ist, der auf mich aufpaßt (bezüglich der
Wärmflasche) und daß Du von dort aus doch nicht so durchgreifen kannst wie es
notwendig ist. Da hast Du wirklich recht. Ich wäre froh, wenn Du da wärst und
über alles bestimmen würdest. Ich würde mich so gern nach Deinen Anweisungen
richten. Ich bin wirklich anlehnungsbedürftig. Das meine ich im Ernst.
Die Maße für die Gardinen sind für zwei
Fenster je 4 mtr. 80 cm breit, oder je 2 mtr. 140 cm breit. 80 cm wär mir
lieber, da brauche ich sie nicht erst durchschneiden. Die Farbe sollte ein bißchen zu den gelben Tapeten passen.
Diese Maße gelten für Stoff, nicht für fertige Garnituren. Für letztere wären
sie 1,40 -1,50 lang. Die Schuhgröße für die Kinder schicke ich Dir morgen mit.
Ich habe die Schuhe vorhin gerade mit Leinöl eingerieben, da kann ich die Maße
nicht gut abnehmen.
Mit dem trockenen Schnee ist es schon
wieder aus. Seit gestern regnet es und draußen ist fußhoher Schneematsch und
glatt ist es noch dazu. Ein böses Wetter.
Für Jörg haben wir jetzt das kleine
Tischle aus dem Kinderzimmer in die Stube gestellt, da kann er ungehindert
Plastellina spielen. Ich habe gerade gestern gedacht, welchen Zwecken das
Tischchen schon gedient hat. Erst war es bei Euch auf dem Balkon, dann haben
wir unser erstes Essen in unserer Wohnung drauf gegessen, dann war es unser
erster Tisch in der Stube, nun haben ihn die Kinder im Kinderzimmer und da er
so klein ist, paßt er überall hin. So kann nun Jörg sogar in der Stube darauf
spielen. Wenn er nämlich auf dem großen Tisch spielt, haben wir überhaupt
keinen Platz mehr. Er hat sowieso schon das meiste der Stube mit Beschlag
belegt und man muß zusehen, daß man nicht immer auf Spielsachen tritt. Ab und
zu werde ich mal energisch, dann verschwindet ein Teil der Sachen, aber nach 5
Minuten hat er wieder was Neues entdeckt, das er unbedingt mit rüber nehmen
muß.
Nachher geht nun Helga in die Schule. Sie
nimmt den Brief mit zur Petershauser Post. Sie muß ja sowieso fort, da müssen
wir uns nicht alle die Schuhe verderben. Wir wollen nun gleich Mittagessen,
damit sie rechtzeitig fertig wird.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und
geküßt, mein lieber Ernst, von Deiner Annie.
Ich bin gerade beim Stricken eines Schals
für Vater, die Hälfte habe ich fertig. Heute Nachmittag stricke ich weiter,
damit ich bald fertig werde, denn im Sommer braucht ja Vater keinen Schal mehr.
Vater fragte, als er sah, daß ich stricke, was es wird. Ich sagte, ein Schal,
ob er ihm gefällt. „Er ist schön“ war die Antwort. Er weiß aber nicht, daß er
für ihn ist. Ich bin gespannt, was er sagt, wenn er ihn bekommt.
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