Dienstag, 12. Januar 2016

Brief 113 vom 9./10./11.1.1941


Mein lieber, lieber Mann!                                                      Konstanz, 9.1.41     abends          

Heute Nachmittag war ich mit den Kindern in der Stadt. Wir haben den Brief an Dich fortgebracht. Ich habe Helga und Jörg mit dem Schlitten gefahren. Ich hätte evtl. auch mit dem Rad fahren können, aber erstens geht es bei dem Schnee nicht so gut und zweitens tut mir das Laufen auch ganz gut bei der guten Winterluft. Heute Abend weht ein ziemlicher Ostwind. Da ist man froh, wenn man eine warme Stube und ein gutes Bett hat. Beides ist ja bei uns der Fall. Es ist ja unser Heim, das wir uns zusammen geschaffen haben.
Von Jörg soll ich Dir schreiben, daß er aus Plastellina Tannenzweige- und Zapfen, sowie Flaschen und Löffel gemacht hat. Sie sind wirklich schön geworden. So hat jeder seine Liebhaberei. Jörg malt und formt gern, während Helga dafür nicht soviel Talent hat und lieber Mundharmonika spielt. Dafür hat wieder Jörg nicht viel übrig. Ich habe den Kindern mit den Bonbons von Dir schon öfter Freude gemacht. Sie staunen immer, wo ich wieder welche herbringe. Es war ja aber auch eine große Tüte voll. Das reicht schon eine Weile.
Das habe ich überhaupt in meinem vorherigen Brief vergessen. In dem Päckchen 19, das ich heute erhielt, waren drei Dosen Konserven drin. Es sind Fischstücke darauf abgebildet und darauf steht: BELL BRAND  FANCY PINK SALMON und dann nur noch die Firma. Vielleicht kannst Du mir genau schreiben, was es ist. Weit her sind diese Sachen ja, aus Yokohama. So, nun gehe ich wieder schlafen. Gute Nacht, mein lieber Schatz und wach gesund wieder auf. Denk auch immer an mich und unsere zwei Stromer.  

Lieber, lieber Ernst!                                                                           10.1.

Heute ist ein Festtag für mich. Dein erster Brief vom 2.1. kam an. Nun habe ich doch wenigstens Nachricht, daß Du gut hingekommen bist. Scheinbar war also die Fahrt soweit annehmbar. Da freue ich mich sehr. Wenn der Wagen am Bahnhof war, hast Du doch wenigstens keine Schlepperei gehabt. Die warme Stube wird Dir nach der langen Fahrt gut getan haben.
Heute kamen auch wieder drei Päckchen von Dir an, Nr. 14, 18, 22 mit Konserven und Tabak. Ich danke Dir auch nachträglich nochmals für all die schönen Sachen. Den Tabak werde ich nun Vater geben. Er hat ja ziemlich darauf warten müssen. Jetzt fehlen noch die Päckchen 12, 13, 16, 17.
Heute ist ganz blauer Himmel und strahlender Sonnenschein. Warm ist es ja nicht, aber bei Sonne sieht das alles gleich viel fröhlicher aus. Schlittenfahren heißt auch heute bei den Kindern die Parole. Das größte Übel vorher ist nur das Schuhe putzen. Da würden sie sich gern davor drücken. Es geht nur leider nicht. Beim Weberbuckel ist vorhin ein Unglück passiert. Drei Kinder von Brunners (Elektrizitätswerk) sind zusammen auf einem Schlitten den Buckel runter und in der Austraße in ein Lastauto gefahren. Dem großen Buben (10-12 Jahre) hat´s ein Knie zerschlagen, dem Mädel (2-3  Jahre) hat`s am Leib etwas getan, der Bub (2-3 Jahre) hat Blut gebrochen. Die zwei ersten sind ins Krankenhaus gebracht worden, der kleine Bub ist noch daheim. Jetzt ist das Fahren am Weberbuckel verboten. Gott sei dank, ich habe unsere zwei nur immer ungern dort fahren lassen, überhaupt erst, seit der Schutzmann sie vorm Haus weggewiesen hat. Ich dachte erst, die Bahn ging nur bis zur Austraße, derweil geht sie über dieselbe bis zu der Grube dahinter. Ich habe ja den Kindern immer gesagt, sie sollen an der Austraße bremsen und sie sind deshalb schon öfter von den größeren Buben angebrüllt worden. Na, nachher bringe ich ja den Brief fort und kaufe ein. Da nehme ich unsere zwei Burzels mit. Sie freuen sich ja schon immer, wenn sie gefahren werden. Bei diesem Sonnenschein geht man ja gern raus.
Nun laß mich für heute schließen. Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.


Mein lieber Ernst!                                                            Konstanz, 11.Januar 41

eigentlich wollte ich gestern Abend noch schreiben, aber dann bin ich doch, nachdem ich noch gestopft hatte, zeitig schlafen gegangen. Heute, am Samstagvormittag, habe ich gebacken. Für uns einen Kuchen und für Dich ein paar Törtchen, so Fruchttörtchen mit Marmelade, wie ich Dir schon früher mal geschickt habe. Nur das eine ist dabei, ich habe diesmal kein Gustin dazu verwenden könne, da ich ja keins mehr bekomme, sondern nur noch Mehl. Ich weiß nun nicht, ob sie Dir auch so schmecken. Du darfst mir ruhig schreiben, wenn sie nicht so gut sind, da schicke ich Dir nächstes Mal was anderes. Post habe ich heute keine von Dir bekommen, d.h. am Nachmittag war der Briefträger ja noch nicht da.
Bei den Kindern hat es sich schon direkt eingebürgert, daß ich sie, wenn ich den Brief fortschaffe, mitnehme und mit dem Schlitten ziehe. Vorhin haben sie mich gerade wieder danach gefragt.
Am Sonntag ist doch der Tag der Briefmarke. Da habe ich schon Herrn Kuster beauftragt, für Dich und Kurt je einen Sonderstempel, bzw. Sondermarke zu besorgen. Das ist Dir doch sicher recht. Es ist nur gut, daß Jörg zu Weihnachten auch Plastellina bekommen hat. Heute hat er wieder lauter Säcke gemacht, die er alle auf sein Lastauto verladen hat. Außerdem hat er einen Flieger und ein Schiff geformt. Alles gar nicht ungeschickt. Helga benutzt ihre Ferien mehr dazu, ihre Märchenbücher durchzulesen.
Heute steht es nun auch in der Zeitung, daß das neue Schuljahr nach den großen Ferien beginnt. Die Jahrgänge, die aber zu Ostern in die Schule gekommen sind, werden auch zu Ostern entlassen. Da kommt also Jörg nun tatsächlich mit 7 Jahren in die Schule.
Ich habe jetzt das Gebäck für Dich eingepackt. Es ging nicht alles in ein Päckchen, da habe ich noch ein kleines dazu getan, welches sicher mit der Briefpost geht und dadurch wahrscheinlich auch schneller dort ist. Deshalb schreibe ich es auch nur, damit Du nicht denkst, Du bekommst nur dieses kleine Päckchen.
Nun will ich aber schließen. Es ist schon ziemlich spät geworden.
Sei für heute recht, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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