Dienstag, 12. Januar 2016

Brief 114 vom 12.1.1941


Mein liebster Ernst!                                                              Konstanz, 12.Jan.1941                

Nun ist wieder ein Sonntag herangekommen. Ich hatte so auf einen Brief von dir gewartet, aber leider wieder vergeblich. Das hat mir einen ziemlichen Teil der Sonntagsfreude genommen, denn ich habe so Sehnsucht nach Dir. Du kannst ja nichts dafür und ich will nun wieder auf morgen hoffen.
Ich habe dir in meinem gestrigen Brief geschrieben, daß ich ein größeres und ein kleineres Päckchen an Dich abgeschickt habe, das kleine mit der Briefpost. Das stimmt nun nicht ganz. Ich habe das Päckchen gestern von  einem Postbeamten abwiegen lassen, der mir sagte, daß es noch unfrankiert geht. Heute kam nun der Briefträger und verlangte 20 Pfg., da das Päckchen zu schwer sei. Ich habe nun gesagt, wenn es geht, sollen sie es mir zurückbringen, da ich lieber noch was dazupacke. Jetzt werde ich ja sehen, ob ich es zurückbekomme.
Von Elsa bekam ich heute einen Brief. Sie schreibt, daß Gerhard  vom 22.-28.12. zuhause war und daß sie hoffen, daß er bald einmal länger Urlaub erhält. Am 10.1., also als sie den Brief geschrieben hat, habe Tilly sie besucht. Sie soll uns von ihm grüßen. Fliegeralarm haben sie jetzt auch lange nicht gehabt. Da haben also auch die Eltern Ruhe gehabt. Schnee liegt dort auch viel und kalt ist es auch. Ich glaube, es wird bald im ganzen Reich so sein.
Gestern, als Vater da war, habe ich ihm den Tabak gegeben. Er hat sich sehr gefreut. Erst  hat er natürlich gefragt, wie viel er kostet. Ich habe ihm gesagt, daß das noch ein Weihnachtsgeschenk sei. Den Kindern hat er wieder, wie jede Woche, 15 Pfennig gegeben und außerdem noch 1/4 Pfund Pralinen weil sie doch keine Schokolade essen, wie er sagte. Er ist doch immer wieder ein guter Kerl. Eins kann ich aber gar nicht mehr mit ansehen, seinen kleinen, winzigen Schal. Ich glaube, ich werde ihm bald noch einen stricken, der sieht so armselig aus.
Heute früh waren 14 Grad Kälte und alle Bäume, Sträucher und Zäune waren bereift. Es sah alles wunderschön aus. Jetzt scheint die Sonne und es hat sich ein bißchen erwärmt. Nachher wollen die Kinder auch den Brief an Dich wieder fortbringen. Ich bleibe zu hause und ruhe mich ein bißchen aus.
Morgen wird ja sicher Dein Kamerad Graser wiederkommen. Dann bist Du doch nicht mehr so allein. D.h.. wenn Du den Brief bekommst, wird er schon ein paar Tage da sein. Wie wirst Du die acht Tage, wo Du ganz allein warst, verbracht haben? Ich werde es ja in Deinen Briefen lesen. Auf die freue ich mich schon sehr.
Nun will ich schließen. Helga und Jörg wollen auch noch was schreiben.
Sei recht recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Lieber Vater! Wir schaffen wieder den Brief für Dich fort. Wir haben schon auf einen Brief von Dir gewartet aber keinen gekriegt. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.

Mein lieber Mann!                                                             Konstanz, 12.Jan.41

 Der Sonntag ist auch wieder einmal vorbei. Die Kinder sind, als sie den Brief fortgeschafft hatte, noch eine Weile Schlitten gefahren. Dann haben wir gegessen. Hinterher habe ich noch ein paar Märchen vorgelesen und schließlich haben wir noch Mensch ärgere Dich nicht gespielt. Das war der besondere Wunsch von Jörg. Nun sind beide im Bett und mir ist recht einsam zu Mute. Ich weiß nicht, soll ich stricken, lesen oder ins Bett gehen. Ich habe zu  nichts rechte Lust. Aber große Sehnsucht nach dir habe ich. Hoffentlich bekomme ich morgen einen Brief von Dir. Der Urlaub war so schön, daß ich mich in das andere Leben immer noch nicht rein finden kann. Wenn Du da bist, ist alles noch mal so schön. Du fehlst mir überall. Eine Weile habe ich mich heute ausgeruht, aber lange halte ich das nicht aus. Ich muß etwas zu tun haben. Da ist es mir am wohlsten. Wenn Du wieder Urlaub hast, ruhe ich mich aus. Das sind dann meine Ferien. So habe ich es ja die letzten Male auch gehalten.
Ob Du heute beim Wunschkonzert wohl auch zugehört hast? Wenn ich Dich doch jetzt sehen und mit Dir reden könnte. Du bist aber so weit fort. Bleib mir gesund, lieber Ernst, daß wir Dich wiedersehen und behalte uns lieb.
Ich habe mir noch die Nachrichten angehört und gehe nun schlafen. Vorhin habe ich mir noch ein Buch raussuchen wollen und bin auf „Till Eulenspiegel“ gestoßen. Darin habe ich noch ein bißchen gelesen. 
Nun gute Nacht, mein lieber Schatz. 
Mein lieber Ernst! Diese Nacht haben wir uns so ziemlich um die Ohren geschlagen. Von 3/4 2 bis 1/4 4 Uhr, von 3/4 5 - 5 Uhr und von 1/4 6 - 3/4 6 Uhr Alarm. Das erste Mal waren wir im Keller, die beiden nächsten Mal nicht mehr. Da habe ich die Kinder in die warme Stube gesetzt und ich hab am Schlafzimmerfenster gestanden. Wenn Flieger näher zu hören gewesen wären, hätten wir gleich runter gehen können. Heute früh haben wir alle bis um 9 Uhr geschlafen.
Vorhin erhielt ich vom Briefträger Deine restlichen vier Päckchen, 12, 13, 16, 17. Nun habe ich also alles bekommen. Ein Brief von Dir war aber leider wieder nicht dabei, nur einer von Siegfried. Er schreibt, daß er am 9. meinen Brief vom vergangenen Montag erhalten hat, den ich ihm zu Weihnachten geschickt habe. Das hat auch lang gebraucht. Siegfried ist noch an seinem alten Platz. Es hat dort auch ziemlich Schnee und er fährt mit seinen Kameraden fast täglich Bob. Er will sich in den nächsten Tagen noch Ski kaufen und auch das lernen. Ich soll dich von Siegfried grüßen.
Nachdem wir erst so spät aufgestanden sind, ist der Vormittag ziemlich kurz. Ich will nun gleich Essen kochen. Am Nachmittag gehe ich mit den Kindern in die Stadt einkaufen und den Brief wegschaffen.
Das kleine Päckchen an Dich habe ich übrigens nicht mehr zurück bekommen. Es ist also so an Dich abgegangen. Bei den Päckchen von Dir war ja auch noch mal Schokolade dabei. Da kann ich ja die Lücken wieder auffüllen, die ich in meinen Bestand gerissen hatte. Ich habe nämlich schon ein paar Tafeln gegessen. Auch über die Seife freue ich mich sowie über die Konserven. Da ist ja noch eine Dose von den feinen Pilzen dabei. Die letzte Dose hat doch so fein geschmeckt.
Heute ist es uns so zumute, wie an dem zweiten Tag, wo Du da warst. Wir sind alle ein bißchen verschlafen von heute Nacht.
Vielleicht kommt heute Nachmittag doch noch ein Brief von Dir. Ich würde mich so freuen. Sei nun für heute recht oft und fest gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga und Jörg.

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