Freitag, 18. Dezember 2015

Brief 108 vom 14./16./17.12.1940


Mein liebster Ernst!                                                                               Konstanz, 14.12.40

Heute waren wir in der Stadt und haben Geld geholt. Als wir heim kamen, war ein Päckchen von Siegfried da. Er hat Gebäck, Pralinen, Bonbons, Parfüm und 10,- geschickt. Das ist doch wirklich schön. Findest Du nicht auch? Von Dir war leider kein Brief da, so daß ich nicht weiß, ob es Dir wieder besser geht. Ich warte so auf einen weiteren Brief von Dir.
Heute hat es auch die Weihnachtsabzeichen gegeben. Kasper, Ritter, Prinzessin, Teufel, Räuber, Gretel usw. Sie sehen ganz putzig aus. Die Arme sind beweglich. Die HJ macht es genau wie die SA. Zuletzt halten sie einem immer noch um einen Pfennig an. In den nächsten Tagen muß ich mich mal hinsetzen und an alle schreiben, von denen ich in den letzten Tagen Briefe erhalten habe. An Elsa, Erna, Frau Diez und Siegfried. An Kurt schreibe ich nur noch ein paar Zeilen zum Päckchen, das will ich heute auch noch mitnehmen. Gestern bin ich, als ich den Brief wegschaffte, gleich noch beim Zahlarzt gewesen. Von den zwei Zähnen, die er zuletzt gemacht hat, war doch schon mal eine Plombe rausgegangen. Jetzt hatte ich wieder so einen Zahnarztgeschmack im Mund. Damit ich nun zu Weihnachten nicht mit Zahnweh dasitze, bin ich gleich mit hingegangen. Da war nun die andere Plombe gesprungen. Der Zahnarzt sagt, ich hätte zu schnell darauf gebissen. Das ist aber nicht wahr. Das hätte er ja auch damals sehen müssen, als er den Danebenliegenden nochmals gemacht hat. Ich bin nur gespannt, ob es diesmal hält. Gestern Abend hat es ganz verdächtig geknackt. Schwer weh getan hat die Behandlung ja gestern. Ich bin froh, daß es vorbei ist. Es ist eben immer wieder etwas.
Die Kinder sind wieder runter zu Großvater und ich will mich dann fertig machen.
Als ich heute den Gehaltszettel bekam, war da wieder 3,40 Arbeitsfront abgezogen. Ich habe angerufen und da wurde mir gesagt, daß die Nichtberechnung, der vergangenen Monate nur ein Versehen sei, denn solange der Gehalt weiterläuft, muß man auch Arbeitsfront bezahlen. Da kann man nix machen. Nun will ich schließen. Hoffentlich bekomme ich bald Bescheid, ob Du wieder gesund bist. Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                     Konstanz, 16.12.40                  

Zuerst möchte ich Dir für das Päckchen Nrr.10 und Deine lieben Briefe vom 3.und 8.12. danken. Gestern habe ich einmal keinen Brief an Dich geschrieben, was Du entschuldigen mußt. Ich habe gestern noch gebacken, da bin ich einfach nicht dazu gekommen. Gestern Abend ist mir dann noch etwas „Schönes“ passiert. Kurz vorm Schlafengehen wurde mir auf einmal der ganze Körper heiß und als ich mich dann auszog ist mir doch der Schreck in die Glieder gefahren. Der ganze Körper, von den Schenkeln bis zum Hals, war mit großen, angeschwollenen, roten Flecken bedeckt. Zuerst dachte ich an Scharlach, weil das auch an den Schenkeln anfängt. Ich habe mich gleich mit einer Sysoform-Lösung abgewaschen. Heute früh bin ich zum Arzt,  der feststellte, daß ich Nesselfieber habe. Von was weiß ich auch nicht. Der Arzt sagt, das kommt von verschiedenen Sachen, Verdauungsstörungen usw. Hoffentlich ist es wieder gut bis Du kommst.
Heute erhielt ich auch noch Deinen lieben Brief vom 9.12. Beantworten werde ich ihn nicht mehr viel, denn es fragt sich ja, ob dieses Schreiben Dich noch antrifft, ehe Du in Urlaub kommst. Wir können ja dann alles mündlich miteinander besprechen. Heute früh haben wir auch den Weihnachtsbaum gekauft. Er ist sehr schön, kostet aber auch  2,-. Von den Eltern bekam ich heute auch ein Paket. An Dich haben sie ja auch eine Stolle geschickt. Ich schreibe ihnen heute noch, daß Du höchstwahrscheinlich nun doch zu Weihnachten heim kommst. Ich freue mich ja schon so sehr darauf.
Mein liebster Ernst, nimm bitte heute mit diesem kurzen Brief vorlieb. Ich habe heute gar kein Sitzfleisch. Von dem Nesselfieber juckt es am ganzen Körper. Bleib Du nur gesund, damit wir uns recht bald wiedersehen. Ich danke Dir recht sehr für das liebe Päckchen und die Briefe und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                            Konstanz, 17.12.40

Du wirst sicher staunen, heute einen Schreibmaschinenbrief von mir zu erhalten. Es ist, glaub ich, das erste Mal. Heute kam Dein lieber Brief vom 10.12. an. Hab recht vielen Dank dafür. Nun ist es nicht mehr so lange, bis Du zu uns nach hause kommst. Es ist heute der letzte Brief, den ich bis zu Deinem Urlaub schreibe, die anderen würden Dich doch nicht mehr dort erreichen. Nach der Stadt kann ich ihn leider nicht bringen, da ich gestern Nachmittag und heute ein bißchen Stubenarrest habe, bzw. ich habe mir selber gesagt, daß ich nicht raus gehe, da ich noch immer Nesselfieber und auch ein wenig Nierenschmerzen habe. Da will ich mich lieber vorsehen, damit ich nicht etwa im Bett liege, wenn Du bei uns bist.
Ich mache mich heute einmal an die Beantwortung der verschiedenen Briefe, die ich bekommen habe. Da brauche ich mich nicht gerade zu Weihnachten dazu hinsetzen. Augenblicklich halten wir uns wieder in der Küche auf. Ich brauche zwar mehr Heizung, aber, da es mir doch nicht ganz gut ist, muß ich schon die Küche, in der ich doch immer zu tun habe, warm haben. Ich muß eben sehen, daß ich später wieder einspare. Bei uns ist es jetzt auch ziemlich kalt, heute sind es 14 Grad Kälte.
In dem Paket der Eltern waren neben den neuen auch noch einige alte Soldaten drin. Die habe ich Jörg nun gegeben. Jetzt spielt er die ganze Zeit mit ihnen und seiner Kaserne. Er sagt, daß er jetzt, wo er so viel Soldaten hat, viel schöner spielen kann. Wie wird das erst sein, wenn noch welche dazu kommen. Die „Rösser“ gefallen ihm ganz besonders.
Eine Sonderzuteilung von Fleisch gibt es zu Weihnachten nicht. Ich habe mir aber vorige Woche schon ein Pfund aufgehoben, diese Woche sind es auch bald zwei Pfund, die ich mir aufspare und Anfang nächster Woche gibt es nochmals ca. ein Pfund, außerdem kommt noch das Fleisch Deiner Urlauberkarte dazu, so daß wir schon auskommen , wenn Du auch nicht mitbringen kannst. Gebacken habe ich ja auch und auch sonst habe ich verschiedenes, so daß wir auf keinen Fall zu hungern brauchen.
So ziemlich die meiste Arbeit habe ich ja für Weihnachten hinter mir. Es ist doch gut, wenn man nicht alles bis zur letzen Minute aufhebt. Jetzt hätte ich nun gar nicht so gut schaffen können. So gibt es doch wenigstens die letzte Woche keine Hetzerei.
Ich freue mich ja schon mächtig, wenn Du kommst. Ich kann die Zeit kaum erwarten. Aber nun geht es ja mit Riesenschritten auf Weihnachten zu. Die paar Tage werden auch noch vergehen. Mein Wunsch ist nur, daß ich dann nicht mehr so scheckig aussehe. Wenn es auch keine Schmerzen macht, sondern nur heiß ist, sieht es doch ganz gefährlich aus. Das eigenartige ist, nachts in der Bettwärme gehen die Flecke alle weg und bei Tag, vor allen Dingen gegen Abend, kommen sie verstärkt wieder. Ich kann mich doch aber wegen diesem Zeug nicht ins Bett legen.
Nun will ich aber für heute schließen, sonst komme ich gar nicht mehr zu den anderen Briefen. Verschrieben habe ich mich ja im Brief mehrmals, aber Du mußt eben ein bißchen drüber weg sehen.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt  und geküßt von Deiner Annie.  

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