Samstag, 5. Dezember 2015

Brief 102 vom 3./4.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 3.12.40  

Post habe ich heute auch wieder keine erhalten. Da freue ich mich nun auf morgen,  wo ich hoffe, wieder etwas von Dir zu erhalten. Heute ist mir wieder einmal der Tag zu kurz, um alles zu schaffen. Am Vormittag habe ich gewaschen und am Nachmittag habe zuerst ich und dann Jörg gebadet. Helga kommt nachher dran, wenn sie aus der Schule kommt. Wir haben gleich im Anschluß an die Wäsche gebadet, um Kohlen zu sparen. Wenn ich Helga fertig abgerumpelt habe, fahre ich in die Stadt. Bis dahin sind dann auch meine Haare getrocknet.
Ich habe doch den Kindern einen neuen Adventskalender geschenkt. Gestern kam nun von den Eltern auch einer an. Heute erhielt ich auch einen Brief von ihnen. Ich solle Bescheid sagen, ob die Helga schon Grimm`s Märchen hat. Außerdem fragen sie, warum ich so wenig schreibe und von Dir hätten sie auch schon lange keine Nachricht. Da haben sie das Kaffeepäckchen von Dir also noch nicht erhalten. Von Kurt erhielt ich auch einen Brief. Ich solle ihm Deine und von meinen Eltern die Adresse schicken. Sie sind ihm verloren gegangen.
Gestern habe ich mir nun die Nähmaschine in die Stube geholt. Da ist es so mollig warm und was das Wichtigste ist, man braucht wenig Heizung. Das Einteilen und Einsparen ist jetzt bei allem das Wichtigste.
Für Jörg ist es jetzt etwas besonders Schönes, daß er sich in der Stube öfter mal aufs Sofa legen kann. Damit die gute Decke nicht gleich kaputt geht habe ich die rote Decke von Tante Anna drauf gelegt. Da kommt es nicht so darauf an. Morgen will ich mit den Kindern auf Messe gehen. Vater hat für Helga und Jörg je 30 Pfennig gestiftet. Ich bekomme von ihm auch wieder etwas Geld für`s Waschen.
An unseren Fensterschutz im Vorraum sind jetzt endlich Ketten gemacht worden, damit wir etwas aufmachen können und auch wieder ein bißchen Licht im Vorraum ist. Früher hat man ja immer die Tür ein bißchen offen gelassen, aber bei der Kälte jetzt geht das nicht mehr gut.
Nun ist es nach 1/2 5. Die Helga ist jetzt heim gekommen. Nun will ich mit ihr ins Waschhaus gehen. Hinterher fahre ich dann fort.
Ich schließe deshalb für heute und grüße und küsse Dich, mein lieber Schatz, recht herzlich Deine Annie.

Mein allerliebster Mann!                                                               Konstanz, 4.12.40

Nun habe ich mich wieder soweit durch die tiefe Niedergeschlagenheit, die mich seit einigen Wochen beherrschte, durchgerungen. Einen großen Anteil daran hat der Brief, den ich am Sonntag an Dich geschrieben habe. Um dieses Erfolges willen bitte ich Dich, mir wegen des Briefes nicht mehr zu zürnen, wenn Du Dich geärgert haben solltest. Wenn du da gewesen wärst, hätte ich mich ja nicht so lange rumquälen müssen, denn Du hast es immer verstanden, mich mit ein paar lieben Worten zu recht zu stupfen. Schreiben wollte ich aber nicht gleich und ich habe es erst getan, als ich nicht mehr allein damit fertig werden konnte.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 21.11. Der letzte vorher, den ich erhielt, war vom 23. Da fehlen also noch welche. Ich möchte Dir für Deinen lieben Brief recht herzlich danken. Ich glaube, mit dem unregelmäßigen Eingang der Post müssen wir uns bald abfinden. Jetzt, während der Weihnachtszeit wird es sicher damit nicht besser werden. Die Nummerierung der Päckchen ist am praktischsten. Da weiß man ganz genau, was man bekommen hat. 20.- bis 25.- Mk. ist eine ziemliche Summe, die Du da für uns ausgibst. Sollte es nötig sein, würde ich mich gern daran beteiligen. Du gibst mir darüber bitte noch Bescheid.
Da Du wegen des Verpackungsmaterials Schwierigkeiten hast, schicke ich Dir heute einmal 5 Faltkartons. Sollten sie Dir zusagen, könnte ich sicher noch einige besorgen.
In Deiner neuen Mütze würde ich Dich gern einmal sehen. Wenn Du wieder einmal Urlaub bekommen solltest, bringe sie nur mit, damit ich mich auch daran freuen kann. Ich glaube gern, daß sie Dich gut kleidet. Werde aber nun nur nicht eitel, hörst Du. Für die Zeitungsartikel, die Du mir mit senden willst, interessiere ich mich schon. Man kann immer wieder etwas lernen. Da wir heute Nachmittag auf die Messe gehen wollen, habe ich schon am Vormittag geschrieben. Wir müssen schon ziemlich zeitig fortgehen, weil ich für Vater noch die Lichtrechnung bezahlen will. Zum Fortgehen ist heute ganz gutes Wetter. Es ist zwar kalt, aber sonnig. Meine Wäsche, die ich gestern aufgehängt habe, ist steif wie ein Brett. Der Winter hat also doch seinen Einzug gehalten.
Von Vater soll ich Dich auch noch grüßen. Ich hatte es ganz vergessen. Sei nun von mir recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber Ernst und denke immer an Deine Annie.

Lieber Vater! Mama und Papa haben noch einen Adventskalender geschickt da sind schöne Sachen drin. Heute ist eine Wiege rausgekommen. Lieber Vater! Wir gehen heute Mittag auf die Messe es freut mich jetzt schon. Viele Grüße und tausend, tausend, tausend Küsse von Deiner Helga.    Jörg. 

Mein herzlieber Mann!                                                         Konstanz, 4.12.40       abends

Ich muß Dir heute Abend nochmals schreiben. So zutiefst beglückt hat mich noch kein Brief von Dir wie der, den ich  heute erhielt vom 28.11. Wie töricht war ich doch, zu befürchten, Du könntest Dich uns entfremden. Wie innig hast Du an uns gedacht. Mein Wunsch nach einem besonderen Brief ist eigentlich nun hinfällig, denn in Deinem Schreiben spüre ich Deine tiefe Liebe zu uns. Du Lieber, ich habe so große Sehnsucht nach dir. Ich kann es manchmal gar nicht fassen, daß Du von uns fort sein mußt. Eigentlich sollte ich mich schon daran gewöhnt haben, aber daran gewöhne ich mich nie. Aber ich will wieder versuchen, tapfer über diese Zeit hinwegzukommen. Die mir immer gesandten Sachen sehe ich als ein Zeichen Deiner Liebe an.
Hoffentlich bist Du nicht noch krank geworden und der Besuch des Konzerts hat Dir nichts geschadet. Es ist so lieb von Dir, daß Du, trotzdem es Dir nicht ganz recht war, noch an mich geschrieben hast.
Du fragst, in welchem Zustand die Päckchen ankommen. Im Allgemeinen kommen sie ganz gut an. Nur das Papier ist ziemlich durchgestoßen. Das eine Mal, als du mir den weißen Gummi geschickt hast, war der Karton so kaputt, daß man den Gummi gut hätte rausziehen können. Unsere Post ist aber ehrlich und so haben sie ihn drin gelassen.
Seife werde ich an Vater also nicht mehr abgeben. Von der mir gesandten habe ich noch 14 Stück Gesichtsseife, 8 Stück Waschseife, 4 Doppelstück Sunlichtseife und die 2 großen Blocks, die Du mir zuletzt geschickt hast. Mangel leide  ich also noch nicht. Ich gehe aber auch nicht verschwenderisch damit um, Seife wird ja beim liegen nicht schlecht.
Nach Deiner lieben Schilderung in Deinem Brief ist mir unsere Wohnung, in der ich mir in letzter Zeit manchmal ganz gefangen vorkam, wieder recht lieb geworden, sehe ich doch, daß mich Deine Gedanken hier suchen. Das ist das Schönste für mich.
Jörg und Helga haben Dir Bilder gemalt. So wie Jörg den Adventskranz gemalt hat, sieht unserer ungefähr aus. Er steht bei uns auch auf dem Tisch. Ich muß ja schon sagen, Du verstehst es, einen neugierig zu machen. Nun könnte ich mir wieder den Kopf zerbrechen, was das sein könnte, was in zwei Kartons zusammen gehört. Sei froh, daß ich so wenig neugierig bin, sonst könnte ich es bis Weihnachten gar nicht aushalten.
Heute waren wir auf der Messe. Es war aber nicht viel los, jedenfalls für die Kinder nicht. Auf dem einen Karussell, das da war, sind die Kinder einmal gefahren. Dann mußten wir aber wieder losstrampeln, denn es gab schon kalte Füße. Nun sitze ich in der Stube, die schön warm ist. Mir schon fast zu warm, aber Vater, der gerade da ist, sagt, so sei es ihm gerade recht, er könne ziemlich viel Wärme vertragen. Unten bei sich muß er ja sowieso genug frieren.
Vater hat sich sehr schwer von der warmen Stube trennen können. So ist es nun bereits 1/4 12 Uhr geworden, bis er sich aufgerafft hat. Er sagte immer wieder, nun müsse er wieder in die kalte Küche, da graue es ihm direkt.
Nun will ich aber auch schlafe gehen. Ich bin redlich müd. Schlaf Du auch gut, mein lieber Ernst und wach ganz gesund wieder auf.

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