Dienstag, 8. Dezember 2015

Brief 104 vom 6.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                                     6.12.                                                                                                                      
Also, die Kinder waren mit dem Nikolaus restlos zufrieden. Aber am besten erzähle ich Dir von vorn.
Am Abend hatten also Beide Teller in den Korridor auf die Truhe gestellt. Sie hatten mich gleich gebeten, ein Tuch drüber zu legen, damit sie, wenn sie einmal raus müssen, nichts sehen, denn sonst wär die Freude doch nicht so groß. Das habe ich auch getan. In der Nacht wurde ich durch den Ruf von Helga geweckt, daß Jörg immer schwätzt. Ich ging rüber und wurde mit Lachen von Jörg begrüßt: „Denke Dir, Mutterle, der Nikolaus hat was gebracht. Das Tuch liegt jetzt viel höher. Stehn wir noch nicht bald auf, damit wir sehen können, was wir gekriegt haben?“ Als ich ihm sagte, daß es erst 1 Uhr sei, war er sehr enttäuscht. So lange könnte er gar nicht mehr schlafen. Ich sagte ihm dann, je schneller er schläft, desto eher ist der Morgen da. Dann haben beide aber doch sehr unruhig geschlafen. Um 5 sind sie einmal raus, um 6 Uhr wieder. 1/2 7 haben sie es dann aber doch nicht mehr ausgehalten. „Stehen wir nooch nicht auf?“ Ich habe ihnen dann gesagt, sie sollen sich`s einmal ansehen und dann wieder ins Bett gehen. „Dürfen wir nicht noch eine Weile zu Dir ins Bett?“  das ist die Frage, die jetzt öfter am Morgen ertönt. „Na meinetwegen“. Nun ging ein Erzählen los. „Ist der Nikolaus lieb gewesen“  „Soviiel haben wir gar nicht geglaubt, daß er uns das bringen kann“, „Der Nikolaus ist bald so lieb wie´s Vaterle“, usw., usw. Um 7 Uhr sind wir dann aufgestanden. Da wurde alles noch einmal besehen und manches Stück wandere in den Mund. Mir haben sie auch immer ein Stückchen abgegeben. Nun ist dieser große Tag auch bald wieder vorbei.
Im Übrigen hat Helga dieses Jahr längere Weihnachtsferien, da die Kartoffelferien dazugerechnet werden. Am 21. Dezember beginnen die Ferien und enden, wenn ich`s noch recht weiß, um den 15.Januar herum. Das gilt aber nur für die Städte. Auf dem Land haben sie Herbstferien gehabt.
Am Vormittag hat es wieder gestürmt und geregnet, jetzt hat der Regen etwas nachgelassen. Die Kälte ist auch weniger geworden. Vorgestern habe ich die Pacht für den Garten zahlen müssen. Es kam mir ja jetzt gerade sehr ungelegen, aber nun ist es bezahlt. Helga sitzt gerade am Tisch und bedankt sich bei den Eltern für den schönen Adventskalender. Die Eltern werden sich sicher auch über einen Brief von Helga freuen. An Dich will Helga auch noch was schreiben. Auf Wunsch der Kinder muß ich Dir heute auch noch einen Nikolaus malen. Lach aber nicht zu sehr. Nun will ich aber schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                              Konstanz, 6.12.40

Heute erhielt ich 4 Briefe und 2 Päckchen von Dir. Auch der Brief an die Kinder kam an. Ich beantworte sie im nächsten Brief, nur den einen möchte ich herausgreifen, wo es sich um den Urlaub handelt.
Ich kann mir ja Weihnachten ohne Dich fast nicht denken, aber, nachdem Du nur drei Tage hier sein könntest und der Urlaub und die Fahrt auf den nächsten Urlaub gerechnet wird, halte ich es fast für besser, wir warten mit dem Urlaub bis zum Januar. Bei Teilung des Urlaubs sitzt Du mehr auf der Bahn als bei uns. Außerdem ist es für Dich auch keine richtige Erholung. Wenn wir die Aussicht haben, uns bald wieder zu sehen, können wir vielleicht leichter über die Weihnachtsfeiertage hinweg. Es ist ja, wie ich aus Deinem Schreiben ersehe, auch noch nicht sicher, ob Du zu Weihnachten Urlaub erhalten würdest.
Also, lieber Ernst, wenn es Dir recht ist, komme lieber im Januar. Ich habe meinen heutigen Brief schnell noch mal aufgemacht, um dies noch zu schreibe. Ich wollte gerade auf die Post fahren. Die Päckchen habe ich noch nicht geöffnet. Das will ich in Ruhe tun. Auch  die Briefe will ich nachher noch richtig lesen. - Nochmals viele Grüße und Küsse von Deiner Annie.

Mein liebster Mann!                                                      Konstanz,6.12.40      abends

Wie ich Dir heute schon kurz mitteilte, habe ich heute vier Briefe, vom 25., 26., 29., und 30. sowie die Päckchen 1 und 2 erhalten. Auch der Brief vom Nikolaus ging ein. Als ich diesen letzten Brief ansah, keinen Absender und diese Schrift, habe ich tatsächlich nicht gewußt, von wem der Brief sein konnte. So ungewohnt ist mir die deutsche Schrift bei Dir. Als ich sagte: „Von wem kann der Brief an Euch nur sein“, kam es wie aus einem Munde: “Sicher vom Nikolaus.“ Und tatsächlich! Das war eine große Freude. Das hast Du fein gemacht.
Nun erst zu den Päckchen. Ich habe mich sehr über die Konserven gefreut und danke Dir herzlich dafür. Einen Haken hat die Sache nur, ich weiß nicht was drin ist. Ich kann ja nicht französisch. Wenn ich nun was verwenden will, kann ich doch nicht erst die Dosen aufmachen. Ölsardinen, Ananas kenne ich ja. Aber das andere? Das eine ist wahrscheinlich Fleischextrakt, oder? Ich werde es evtl. so machen, daß ich alle Dosen, die ich nicht kenne, aufheben, bis Du auf Urlaub kommst. Daß dieser in absehbarer Zeit zu erwarten ist, ist das allerschönste, was ich aus Deinen Briefen ersehen habe.
Nun will ich sie aber erst einmal nach und nach beantworten.
Dein Bericht von Eurer Fahrt hat mich wieder sehr gefreut und interessiert. Wenn wir später diese Briefe wieder durchlesen, wirst Du wahrscheinlich noch manche Einzelheiten erzählen können. Als ich den einen geschlossenen Umschlag aus dem Brief nahm, dachte ich „aha, Briefmarken“. Als ich dann las, daß Du mir von Deinen Fahrten ein Andenken mitgebracht hast, habe ich den Umschlag aufgemacht und bin nun sehr begeistert von diesen Deckchen. Dir möchte ich danken, daß Du in so lieber Weise an mich gedacht hast.
Nachdem Du schreibst, daß Du mir noch Schokolade schicken kannst, werde ich bei Gelegenheit wieder einmal welche essen. Bis jetzt habe ich immer noch welche aufgehoben. Sie braucht ja auch nicht gleich alle zu sein, nachdem Du Dir mit der Beschaffung solche Mühe gibst.
Wie ich Dir schon schrieb, sollst Du mir die Weste ja auch nicht gleich kaufen, sondern später, wenn Du einmal Gelegenheit und Geld hast. Ich bin sehr froh, daß Dir durch den Adventskranz ein bißchen Adventsstimmung in Dein Zimmer gezaubert wurde. Ich erinnere mich sehr gut daran, als ich Dir den ersten Adventskranz gebracht habe. Papa durfte ja gar nichts davon wissen, nur die Mama wußte Bescheid. Es freut mich, daß wir Dir auch so fehlen, wie Du uns. Sehe ich doch daraus, daß Du uns auch lieb hast. Darüber habe ich Dir ja in meinen letzten Briefen schon geschrieben. Du glaubst gar nicht, wie froh es mich macht, hoffen zu dürfen, daß wir Dich im Januar wiedersehen. Zwischen dem jetzt beantworteten und dem Brief vom 29.11. liegt ja der vom 28.11., den ich vor einigen Tagen erhielt und der mich so froh gemacht hat. Leider mußte ich darin auch lesen, daß es Dir nicht recht war. Nach den folgenden Briefen zu urteilen, ist es Dir wieder besser geworden. Das beruhigt mich ein bißchen wieder.
Du fragst nach einem Päckchen mit Kakao. In dem Päckchen vom 29.10. war Kakao, Schokolade und der weiße Gummi. Das habe ich erhalten. Ich habe Dir ja in den letzten Tagen eine Aufstellung über die Päckchen geschickt. Inzwischen wirst Du sie erhalten haben. Ich habe Deinen Brief mit der Anfrage eben so spät erhalten, so daß die Beantwortung nicht eher möglich war. Du darfst mir also nicht böse sein, daß Du so lange hast warten müssen. Wegen dem Urlaub habe ich Dir ja heute schon geschrieben. Da es aber möglich sein  kann, daß Du diesen Brief erst später erhältst und dann doch nicht Bescheid wüßtest (es kommt ja jetzt öfter vor, daß Briefe ganz durcheinander ankommen) will ich Dir nochmals schreiben. Ich habe geschrieben, daß Du am besten Deinen ganzen Urlaub im Januar nimmst. Es wäre ja schön gewesen, wenn Du zu Weihnachten da wärst, aber es lohnt sich nicht. Du verfährst Deinen halben Urlaub. Drei Tage gehen so schnell herum und den halben Urlaub bist Du bald los. Wenn Du im Januar länger kommen kannst, hast Du doch wenigstens ein bißchen Erholung von der Arbeit, diese ginge sonst ganz verloren. Wenn es auch schwer sein wird, zu Weihnachten nicht zusammen zu sein, so haben wir doch wenigstens die Hoffnung, uns bald wiederzusehen. Ist es Dir recht, wie ich`s geschrieben habe?
Den Brief an die Eltern hast Du gut geschrieben. Sie haben ja in einem Briefe an Dich einmal bemerkt, sie würden das Geld sofort schicken. Also ist es auch nicht schlimm, wenn Du darum schreibst.
Manchmal ist es wirklich schlimm mit der Post, erst kann man tagelang warten und dann bekommt man, wie ich heute, gleich einen ganzen Stoß Briefe. Ich bin auch gespannt, wie lange ich nun wieder warten muß. Wenn man einmal verwöhnt wird, muß man es meistens tagelang wieder büßen.
Du schreibst, ich würde sicher froh sein, wieder einmal eine mit der Maschine geschriebenen Brief zu erhalten, damit ich nicht so herumbuchstabieren brauche. Das ist nun nicht einmal wahr. Bei den handgeschriebenen Briefen weiß ich, da ist Deine Hand über das Papier gefahren. Das macht sie mir besonders lieb. Und zu buchstabieren brauche ich bei Deinen Briefen niemals. Die kann ich sogar sehr gut lesen. Wegen mir brauchst Du also nicht mit der Maschine zu schreiben. Die anderen Briefe sind mir noch lieber. Mit anderen, d.h. mit der Maschine geschriebenen Briefen bin ich natürlich auch zufrieden, wenn es nur etwas von Dir ist.
Im Übrigen schreibst Du sehr gut deutsch. Ich habe gar nicht gedacht, daß Du die deutsche Schrift so schön schreibst. Dein Nikolausbrief gefällt mir sehr gut. Die Kinder haben große Freude daran gehabt. Der Nikolausbrief vom vorigen Jahr war auch auf gekästeltem Papier geschrieben.. Den haben sie sich noch aufgehoben und nun herausgesucht. Da passen nun beide gerade zusammen. Du bist doch ein lieber Kerl. An alles denkst Du.
Hoffentlich geht die Zeit bis Januar recht schnell herum. Wegen mir brauchte kein Weihnachten und kein Neujahr zu sei, wenn ich Dich nur bald wiedersehen würde. Das ist meine große Sehnsucht. Darauf will ich auch  meine ganzen Gedanken richten, um über die kommenden Wochen besser hinweg zu kommen. Die Festtage ohne Dich werden ja schwer werden, aber dafür haben wir Dich dann wieder mehrere Tage bei uns. Das ist für mich ein Lichtblick, Du lieber, lieber Ernst! Nun will ich schlafen gehen. Schlaf auch Du gut, mein lieber Schatz, und wach gesund wieder auf.

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