Freitag, 11. Dezember 2015

Brief 107 vom 11./12./13.12.1940


Mein lieber Ernst!                                                                        Konstanz, 11.12.40 

 Heute habe ich Dir wieder allerhand zu berichten. Gestern kam Dein liebes Päckchen Nr. 8 an. Da haben wir uns sehr darüber gefreut. Jörg war besonders über den Reis begeistert. Das ist doch sein Lieblingsessen.
Dann erhielt ich einen Brief von Kurt, von Elsa und Erna. Kurt kommt Weihnachten nicht heim und im Januar fährt er zu Nanni. Elsa schreibt, daß Gerhard jetzt Gefangene bewachen muß. Erna schreibt, daß Siegfried vom 21. – 23.12 und zu Neujahr heimkommt.
Heute erhielt ich von Dir Zeitungen und meinen Brief vom 15.11. an Dich zurück. Nun kann ich mir nur denken, warum Du nicht weißt, daß alle Päckchen angekommen sind. In diesem Brief bestätige ich Dir ja auch ein Päckchen. Ich möchte bloß wissen, wo dieser Brief diesen ganzen Monat rumgefahren ist. Ich bin schon schwer beim nähen. Aber es macht mir Freude. Ich will doch zu Weihnachten soweit fertig sein. Ich freue mich ja schon so sehr, wenn Du kommst. Es dauert ja gar nicht mehr so lange. Jetzt bin ich selber froh, wenn Weihnachten recht schnell kommt. Es gibt ja gar nichts Schöneres, als Dich bei uns zu haben.
Heute hatte ja Helga keine Schule, da haben unsere Zwei zusammen gespielt, die ganze Küche ist von ihren Spielsachen besetzt. Aber nicht nur spielen können sie. Da ich doch genäht habe, sind sie auch fleißig gewesen. Helga hat Möhren geschabt und Kartoffeln geschält, Jörg hat sie geschnitten. Dazu nimmt er sich immer ein Brett. Ich habe das Mittagessen nur noch aufsetzen müssen. Auch die Treppe haben Beide gekehrt. Das ist doch was? Bist Du mir böse, wenn ich Dir heute nicht so viel schreibe? Weißt Du, vom nähen bin ich immer so abgespannt. Ich bin sehr froh, daß ich beim Fortschaffen noch ein bißchen an die Luft komme.
Nun möchte ich heute schließen. Ich danke Dir noch vielmals für das Päckchen und grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie

Mein liebster Schatz!                                                            Konstanz, 12.12.40

Manchmal ist es doch schwer, eine Frau zu sein. Da erfahre ich nun aus Deinem Brief, daß Du krank warst (hoffentlich bist zu inzwischen wieder gesund geworden) und ich muß hier sitzen und habe Dich gar nicht ein bißchen pflegen können. Nimm Dich nur in acht und schone Dich. Wir sind alle schon so froh, Dich bald wieder zu sehen. Ohrfeigen könnte ich mich ja, daß ich Dir mit meinem Brief Sorgen gemacht habe, als Du krank warst. Deine lieben Briefe, die ich erhielt, sind vom 4. und 6.12. Wenn Du gesund wirst, sind es nur noch 10 Tage, bis Du dort fortfährst. Heute erhielt ich ein Päckchen mit einem Polohemd für Jörg und einen langen Brief von Frau Diez. Sie schreibt sehr nett. Sie wohnt den Winter über mit bei ihrer Tochter. Nur sonntags ist sie in ihrer Wohnung, die nur 2 Häuser entfernt ist. Auch die Frau und das Kind von ihrem Sohn Gerhard wohnt mit bei der Tochter, seit er in der „Cherisy-Kaserne“ ist. Er hat sich freiwillig gemeldet, seit das Gut, auf dem er schaffte und das einem Juden gehörte, verkauft worden ist. Die Eltern von seiner Frau sind Auslandsdeutsche und in Palästina von den Engländern interniert, ebenso die Geschwister. Heute bin ich beim nähen eines Kleides für Helga. Vorläufig habe ich es erst einmal zugeschnitten. Wir wollen Dir doch alle gefallen, wenn Du kommst.
Wenn ich nur wüßte, ob es Dir schon wieder besser geht. Ich hoffe es ganz fest. Es dauert eben doch ziemlich lange, ehe man Bescheid bekommt. Eine Woche geht doch immer, ehe ich Deine Briefe erhalte. Na, es bleibt mir ja nichts anderes übrig, als abzuwarten. Die Kinder sind immer schwer gekränkt, daß der Schnee, den es ab und zu mal schneit, nicht liegen bleibt. Sie würden doch so gern mal Schlitten fahren. Damit es ihnen nicht zu langweilig oben wird, lasse ich sie Ketten zum Weihnachtsbaum machen, bzw. kleben. Auch kleine Figuren schneiden wir aus. Ein Muster schicke ich Dir mit. Kinder können ja kaum erwarten, bis Weihnachten ist. Sie bemühen sich auch, brav zu sein. Wenn es auch nicht immer gelingt, wie heute, wo ich unseren Burschen wieder mal kräftig verwichsen mußte. Aber das ist schon wieder vergessen.
Nun will ich mich wieder auf den Weg machen. Bei dem trüben Wetter wird es so schnell dunkel. Ich wünsche dir, daß Du recht bald wieder ganz gesund wirst und grüße und küsse Dich ganz herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, 13.12.40

Einen Brief habe ich heute nicht erhalten, trotzdem ich sehr darauf gewartet habe, denn ich mache mir doch Sorgen, ob du wieder ganz gesund oder noch krank bist. Aber sechs Päckchen erhielt ich und zwar Nr. 3, 4, 5, 6, 7, 9. Nun habe ich bis Nr. 9 all erhalten. Es ist direkt ein Vergnügen, die Päckchen auszupacken, so schöne Sachen kommen immer zum Vorschein. Von dem Spargel werde ich zu Weihnachten, wenn Du da bist, etwas kochen. Auch über die Hörnchen freue ich mich sehr sowie über den Kakao und die Ölsardinen. Bei den anderen Sachen weiß ich nicht, was es ist. Aber für die Seife möchte ich Dir noch danken. Die hat einen wunderbaren Geruch. Den ganzen Vormittag haben wir sie schon angerochen.
Der Pullover für Vater ist fein. Ich dachte erst, er sei zu lang, aber er dehnt sich dann in die Breite beim anziehen und verliert an Länge. Da hast Du wirklich etwas schönes gekauft. Er fühlt sich ganz mollig an.
Ich möchte Dir für alle gesandten Sachen recht herzlich danken, auch für die Mühe, die Du Dir immer mit den Päckchen machst. Helga hat heute einen Brief von den Eltern bekommen, in dem sie ihr für den Brief danken, den Helga an sie geschrieben hat. Sie loben sehr ihre Schrift. Helga hat den Brief ganz stolz gelesen, aber als sie an den Satz kam: „Du zankst Dich doch sicher nie mit Jörg...“ hat sie doch gestutzt und mich angesehen .
Da muß ich Dir auch nicht etwas erzählen. Gestern hatten die Kinder doch ein paar Sterne usw. ausgeschnitten. Jörg hat auch einen aus lauter Streifen geklebt. Ich habe ihn dann zu recht geschnitten. Hinterher hat er ihn immer voll Stolz angesehen und zuletzt gemeint: „Gell, Mutterle, das Schwerste habe ich doch gemacht, die bißchen Schnippselei ist das Wenigste.“ Also, von dem Wert seiner Arbeit ist er voll und ganz überzeugt.
Wir bereiten schon alles für Weihnachten vor und mein einziger Wunsch ist nur, daß Du gesund wirst und zu uns kommen kannst, Du mein lieber, lieber Ernst.
Das Kleid für Helga habe ich nun auch fertig. Es ist mir gut geraten. Darüber freue ich mich. Hoffentlich bist Du, wenn Du es siehst, auch damit zufrieden. Darauf lege ich nämlich besonderen Wert.
Kommen jetzt oft  feindliche Flieger zu Euch? Es heißt doch öfter „...flogen in das besetzte Gebiet ein.“ Ich denke da immer an Dich, daß Dir nichts passiert. Sei Du nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


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