Mein lieber Ernst! Konstanz, 11.12.40
Heute habe ich Dir wieder allerhand zu berichten. Gestern kam Dein
liebes Päckchen Nr. 8 an. Da haben wir uns sehr darüber gefreut. Jörg war
besonders über den Reis begeistert. Das ist doch sein Lieblingsessen.
Dann erhielt ich einen Brief von Kurt, von
Elsa und Erna. Kurt kommt Weihnachten nicht heim und im Januar fährt er zu
Nanni. Elsa schreibt, daß Gerhard jetzt Gefangene bewachen muß. Erna schreibt,
daß Siegfried vom 21. – 23.12 und zu Neujahr heimkommt.
Heute erhielt ich von Dir Zeitungen und
meinen Brief vom 15.11. an Dich zurück. Nun kann ich mir nur denken, warum Du
nicht weißt, daß alle Päckchen angekommen sind. In diesem Brief bestätige ich
Dir ja auch ein Päckchen. Ich möchte bloß wissen, wo dieser Brief diesen ganzen
Monat rumgefahren ist. Ich bin schon schwer beim nähen. Aber es macht mir
Freude. Ich will doch zu Weihnachten soweit fertig sein. Ich freue mich ja
schon so sehr, wenn Du kommst. Es dauert ja gar nicht mehr so lange. Jetzt bin
ich selber froh, wenn Weihnachten recht schnell kommt. Es gibt ja gar nichts
Schöneres, als Dich bei uns zu haben.
Heute hatte ja Helga keine Schule, da
haben unsere Zwei zusammen gespielt, die ganze Küche ist von ihren Spielsachen
besetzt. Aber nicht nur spielen können sie. Da ich doch genäht habe, sind sie
auch fleißig gewesen. Helga hat Möhren geschabt und Kartoffeln geschält, Jörg
hat sie geschnitten. Dazu nimmt er sich immer ein Brett. Ich habe das
Mittagessen nur noch aufsetzen müssen. Auch die Treppe haben Beide gekehrt. Das
ist doch was? Bist Du mir böse, wenn ich Dir heute nicht so viel schreibe?
Weißt Du, vom nähen bin ich immer so abgespannt. Ich bin sehr froh, daß ich
beim Fortschaffen noch ein bißchen an die Luft komme.
Nun möchte ich heute schließen. Ich danke
Dir noch vielmals für das Päckchen und grüße und küsse Dich recht herzlich
Deine Annie
Mein liebster Schatz! Konstanz, 12.12.40
Manchmal ist es doch schwer, eine Frau zu
sein. Da erfahre ich nun aus Deinem Brief, daß Du krank warst (hoffentlich bist
zu inzwischen wieder gesund geworden) und ich muß hier sitzen und habe Dich gar
nicht ein bißchen pflegen können. Nimm Dich nur in acht und schone Dich. Wir
sind alle schon so froh, Dich bald wieder zu sehen. Ohrfeigen könnte ich mich
ja, daß ich Dir mit meinem Brief Sorgen gemacht habe, als Du krank warst. Deine
lieben Briefe, die ich erhielt, sind vom 4. und 6.12. Wenn Du gesund wirst,
sind es nur noch 10 Tage, bis Du dort fortfährst. Heute erhielt ich ein Päckchen
mit einem Polohemd für Jörg und einen langen Brief von Frau Diez. Sie schreibt
sehr nett. Sie wohnt den Winter über mit bei ihrer Tochter. Nur sonntags ist
sie in ihrer Wohnung, die nur 2 Häuser entfernt ist. Auch die Frau und das Kind
von ihrem Sohn Gerhard wohnt mit bei der Tochter, seit er in der „Cherisy-Kaserne“
ist. Er hat sich freiwillig gemeldet, seit das Gut, auf dem er schaffte und das
einem Juden gehörte, verkauft worden ist. Die Eltern von seiner Frau sind
Auslandsdeutsche und in Palästina von den Engländern interniert, ebenso die
Geschwister. Heute bin ich beim nähen eines Kleides für Helga. Vorläufig habe
ich es erst einmal zugeschnitten. Wir wollen Dir doch alle gefallen, wenn Du
kommst.
Wenn ich nur wüßte, ob es Dir schon wieder
besser geht. Ich hoffe es ganz fest. Es dauert eben doch ziemlich lange, ehe
man Bescheid bekommt. Eine Woche geht doch immer, ehe ich Deine Briefe erhalte.
Na, es bleibt mir ja nichts anderes übrig, als abzuwarten. Die Kinder sind
immer schwer gekränkt, daß der Schnee, den es ab und zu mal schneit, nicht
liegen bleibt. Sie würden doch so gern mal Schlitten fahren. Damit es ihnen
nicht zu langweilig oben wird, lasse ich sie Ketten zum Weihnachtsbaum machen,
bzw. kleben. Auch kleine Figuren schneiden wir aus. Ein Muster schicke ich Dir
mit. Kinder können ja kaum erwarten, bis Weihnachten ist. Sie bemühen sich
auch, brav zu sein. Wenn es auch nicht immer gelingt, wie heute, wo ich unseren
Burschen wieder mal kräftig verwichsen mußte. Aber das ist schon wieder vergessen.
Nun will ich mich wieder auf den Weg
machen. Bei dem trüben Wetter wird es so schnell dunkel. Ich wünsche dir, daß
Du recht bald wieder ganz gesund wirst und grüße und küsse Dich ganz herzlich
Deine Annie.
Mein liebster Ernst! Konstanz, 13.12.40
Einen Brief habe ich heute nicht erhalten,
trotzdem ich sehr darauf gewartet habe, denn ich mache mir doch Sorgen, ob du
wieder ganz gesund oder noch krank bist. Aber sechs Päckchen erhielt ich und
zwar Nr. 3, 4, 5, 6, 7, 9. Nun habe ich bis Nr. 9 all erhalten. Es ist direkt
ein Vergnügen, die Päckchen auszupacken, so schöne Sachen kommen immer zum Vorschein.
Von dem Spargel werde ich zu Weihnachten, wenn Du da bist, etwas kochen. Auch
über die Hörnchen freue ich mich sehr sowie über den Kakao und die Ölsardinen.
Bei den anderen Sachen weiß ich nicht, was es ist. Aber für die Seife möchte
ich Dir noch danken. Die hat einen wunderbaren Geruch. Den ganzen Vormittag haben
wir sie schon angerochen.
Der Pullover für Vater ist fein. Ich
dachte erst, er sei zu lang, aber er dehnt sich dann in die Breite beim
anziehen und verliert an Länge. Da hast Du wirklich etwas schönes gekauft. Er
fühlt sich ganz mollig an.
Ich möchte Dir für alle gesandten Sachen
recht herzlich danken, auch für die Mühe, die Du Dir immer mit den Päckchen
machst. Helga hat heute einen Brief von den Eltern bekommen, in dem sie ihr für
den Brief danken, den Helga an sie geschrieben hat. Sie loben sehr ihre
Schrift. Helga hat den Brief ganz stolz gelesen, aber als sie an den Satz kam: „Du
zankst Dich doch sicher nie mit Jörg...“ hat sie doch gestutzt und mich
angesehen .
Da muß ich Dir auch nicht etwas erzählen.
Gestern hatten die Kinder doch ein paar Sterne usw. ausgeschnitten. Jörg hat
auch einen aus lauter Streifen geklebt. Ich habe ihn dann zu recht geschnitten.
Hinterher hat er ihn immer voll Stolz angesehen und zuletzt gemeint: „Gell, Mutterle,
das Schwerste habe ich doch gemacht, die bißchen Schnippselei ist das Wenigste.“
Also, von dem Wert seiner Arbeit ist er voll und ganz überzeugt.
Wir bereiten schon alles für Weihnachten
vor und mein einziger Wunsch ist nur, daß Du gesund wirst und zu uns kommen
kannst, Du mein lieber, lieber Ernst.
Das Kleid für Helga habe ich nun auch
fertig. Es ist mir gut geraten. Darüber freue ich mich. Hoffentlich bist Du,
wenn Du es siehst, auch damit zufrieden. Darauf lege ich nämlich besonderen
Wert.
Kommen jetzt oft feindliche Flieger zu Euch? Es heißt doch öfter „...flogen in das
besetzte Gebiet ein.“ Ich denke da immer an Dich, daß Dir nichts passiert. Sei
Du nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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