Samstag, 28. November 2015

Brief 98 vom 25./26.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                                        Konstanz, 25.11.40 

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 20.11. Ich danke Dir sehr dafür.
Wie ich Dir ja schon schrieb, sind meine Finger inzwischen wieder geheilt. Es ist überall frische Haut gewachsen. Natürlich ist diese noch ein bißchen zart, aber schaffen kann ich schon wieder gut. Schlimm war es schon, aber jetzt ist es ja vorbei. Geduld muß man dabei nur haben.
Du meinst, daß Jörg noch nie beim Friseur war. Das stimmt aber nicht. Wir haben ihm schon in der Wilhelmstraße und beim Frieden die Haare schneiden lassen. Er kann sich sogar noch gut daran erinnern. Er sagt: „Weißt, die schneiden einfach zu. Da muß man immer still halten. Du wartest wenigstens einmal eine Weile, wenn ich`s Dir sage.“
Wenn Du eine Weste für ca. 6,- für Vater bekommen könntest, wäre es ja schön.
Wegen dem Geld für Deinen Mantel werde ich es so machen. Ich schicke Dir heute 15,-Mk. (Mehr habe ich diesen Monat nicht). Evtl. kannst Du davon mit die Weste für Vater bezahlen. Am 15.12. schicke ich Dir 50,-.  Doch warte mal, ich werde noch 10,- von der Sparkasse holen und schicke Dir heute 25,-. Du mußt mir dann eben noch schreiben, wie viel Geld noch fehlt. Ist es so recht?
Du fragst nach dem achten Päckchen der 1. Sendung. Soviel ich weiß, habe ich Dir doch alle Päckchen bestätigen können. Ich habe jetzt gerade nochmals alle Briefe durchgesehen in denen Du die Päckchen ankündigst und den Inhalt beschreibst. Danach habe ich alle Päckchen erhalten.
Am Vormittag habe ich noch das schräge Stück hinterm Haus umgegraben. Da ist dann alles soweit fertig. Nur der Mist muß noch auf die Erdbeeren getan werden. Das drückt mein Gewissen, daß ich das noch nicht gemacht habe.
Siehst Du, gerade als ich den letzten Satz geschrieben hatte, bin ich mit mir zu Gericht gegangen und habe mich gefragt, hast Du nun wirklich keine Zeit oder graut Dir nicht ein bißchen vor der Arbeit und es ist nur Faulheit, daß die Arbeit noch nicht gemacht worden ist? Und siehe da, nach gründlicher Prüfung mußte ich feststellen, daß das Letztere der Fall ist. Da habe ich mir erst einmal gesagt, daß ich doch ein Feigling bin, daß ich Arbeiten, die ich nicht gern mache, hinaus schiebe. Dann hat mich der Zorn gepackt und ich bin kurz entschlossen in den Garten gegangen und habe Mist auf die Erdbeeren getan und siehe da, ich bin sogar ganz fertig geworden. Es ist also halb so schlimm gewesen, als es vorher ausgesehen hat.
Nun muß ich aber für heute schließen. Es ist nun ziemlich spät geworden und ich will den Brief noch wegschaffen. Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 26.Nov.40

So, nun bin ich mit der Gartenarbeit ganz fertig. Heute früh habe ich vorm Haus am Zaun noch umgegraben, dann auf den Abfall auf dem Komposthaufen Erde getan wie Du es mir gesagt hattest, daß ich auf den Rhabarber auch Mist getan habe, ist doch sicher recht. Ich wollte beim Spinat auch welchen hintun, aber ich weiß nicht, ob das richtig ist. Heute steht in der Zeitung, daß man im Dezember das Doppelte des Wehrsoldes überweisen kann. Soviel habe ich ja nicht, aber ich könnte Dir statt der 50,- die ich schicken wollte, 60,- schicken. Soviel hätte ich gerade übrig. Diesen Monat hatte ich auch ca. soviel, aber ich brauchte davon 10,- für Kirchensteuer und 15,- für Schuhe, sowie 30,- für Weihnachten.
Lieber Ernst! Wenn ich Dir das Geld für den Mantel schicke, kann ich Dir ja nun leider kein anderes Weihnachtsgeschenk machen, denn Du hast ja keinen Wunsch weiter geäußert. Es kommt mir ja ein bißchen kahl vor, wenn ich Dir nur das Geld schicke, aber einen Mantel kannst Du eben doch gut brauchen. Ein kleines Geschenk für die Kinder kaufe ich nun doch noch und zwar Plastellina. Der Bub knetet immer wieder Figuren und sein Handwerkszeug ist fast alle. Wie Dir ja Helga schon schrieb, bin ich am Handschuh stricken. Jörg seine sind nun auch bald fertig. Hinterher will ich noch Socken für unsere zwei Banausen stricken, denn in die hohen Schuhe brauchen sie welche. Gestern habe ich zum ersten Mal mein Rücklicht ausprobiert, als ich den Brief für Dich fortschaffte. Um 6 Uhr ist es jetzt doch schon dunkel und vor allen Dingen neblig. Durch den Nebel ist es dann gleich so naßkalt. Da freut man sich dann auf eine warme Stube. Wenn Du einmal wieder auf Urlaub kommst, wirst Du auch staunen. Ich gebe jetzt nämlich immer Hauskonzerte auf der Mundharmonika. Du weißt ja, ich wollte schon immer gern spielen. Vor 3 Tagen habe ich mir mal die Mundharmonika rausgesucht und zu meinem Erstaunen kann ich fast alle Lieder spielen. Also nicht nur so stümpern, sondern fließend spielen, sonst hätte ich es gar nicht geschrieben. Die Kinder waren auch ganz paff, genau wie Vater und eigentlich ich selbst. Da kann man doch auch sagen, den Seinen gibt´s der Herr im Schlafe. Freuen tue ich mich ja sehr. Du weißt ja, singen kann ich nicht wegen meinem Hals, trotzdem ich´s gern möchte. Da ist das spielen ein Ersatz, denn wenn ich mal froh oder betrübt bin, kann ich doch spielen. In beiden Fällen erleichtert es. Lieber Schatz, nicht wahr, Du lachst mich nicht aus, daß ich Dir das geschrieben habe. Mit Dir möchte ich doch alles teilen, auch die kleine Freude, die ich jetzt habe. Einen Haken hat die ganze Sache nur. Die Kinder wollen abends nicht mehr ins Bett, immer soll ich noch weiter spielen. Du denkst doch nun nicht, daß ich mir auf meine Spielerei was einbilde. Ich freue mich nur so und besser als meine Singerei klingt es auf jeden Fall. Weißt Du, wenn Du jetzt hier wärst, würde  ich mal mit Dir umeinander tanzen, wie ich es früher manchmal gemacht habe, wenn ich mich gefreut habe. Nun schließe ich für heute wieder. Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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