Dienstag, 24. November 2015

Brief 97 vom 23./24.11.1940


Mein lieber Mann!                                              Konstanz, 23.11.40  

Endlich hat heute die Post ein Einsehen gehabt. Nachdem ich so lange hab warten müssen, bin ich heute geradezu verwöhnt worden. Ich bekam Deine beiden lieben Briefe vom 14. (der 2. von diesem Tag) und vom 18.11. sowie die restlichen 5 Päckchen. Eins hatte ich ja schon vor einigen Tagen erhalten. Ich möchte Dir für alles recht, recht sehr danken. Über den Zucker habe ich mich sehr gefreut und über das Fett, auch über den Kaffee, die Seife und das Seifenpulver. Das Hemd hebe ich für Kurt auf. Den Preis teilst Du mir ja noch mit, damit ich‘s aufschreiben kann. Die 2 Päckchen, die ich noch nicht aufmachen darf, habe ich weggestellt. Du kannst Dich bestimmt darauf verlassen, daß ich sie nicht aufmache. Das weißt Du ja auch, sonst hättest Du sie ja noch nicht geschickt.
Du schreibst von einer Dose Konserven. Die war ja nicht dabei. Wahrscheinlich war sie zu schwer.  Über den Bericht von Eurer Sonntagsfahrt habe ich mich sehr gefreut, auch über die Karten. Da hast Du ja wieder allerhand gesehen. Durch Deinen Bericht kann ich mir doch von allem wenigstens ein wenig ein Bild machen.
Es freut mich, daß der Kuchen gut angekommen ist. Hoffentlich hat er auch geschmeckt. Hast Du eigentlich das kleine Buch vom Hegau bekommen? Wenn ich sie brauche, werde ich also die blauen Birnen vom Kaspertheater mit verwenden. Die neue Adresse von Kurt lautet: Feldpostnummer 19 655. In Deiner Nähe ist er ja nun noch nicht. 
Von dem Kaffee, den Du geschickt hast, verkaufe ich an Vater noch ½ Pfund. Von der Seife gebe ich ihm noch 2 kleine Stücke.  Ist Dir das auch recht?
Für die Kinder habe ich die meisten Weihnachtsgeschenke gekauft. Für Helga eine Puppe mit Kleider im Karton, Wilhelm-Busch-Bilderbogen. Da sind verschiedene Sachen von Busch drin, aber bunt für Kinder. Die Bilderbogen sind natürlich ein Buch, der Titel lautet nur so. Max und Moritz ist ausverkauft gewesen. Für Jörg ein Märklin-Motorrad, ein Motorrad mit Beiwagen, ein Lastwagen mit Anhänger. Alles ist so klein wie das Märklin Auto, das er schon hatte. ein Buch zum Ausmalen. Für Helga übrigens noch eine neue Umhängetasche, da die alte schon bald kaputt geht. Die neue Tasche ist auch ein bißchen größer, so daß sie Brot und Äpfel in die Tasche tun kann.  Ich will beiden noch ein paar Buntstifte kaufen, denn Jörg hat ja die anderen bald alle vermalt. Das dürfte in der Hauptsache alles sein. 
Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, daß ich wieder einen Brief von Dir erhalten habe. Ich habe schon nachts immer Angstträume gehabt. Heute Nacht träumte ich, mir wäre gesagt worden, von Lille aus dürfte nicht geschrieben werden, da dort Unruhen wären. Da dachte ich, also darum bekomme ich keine Briefe. Als ich heute früh aufwachte, war ich noch ganz benommen, so einen tiefen Eindruck hatte der Traum auf mich gemacht. Gott sei dank ist alles nicht wahr. Helga ist heute wieder ganz fleißig. Während ich schreibe, hat sie abgewaschen und die Küche ausgekehrt. Jörg, der eben noch geheult hat, daß für ihn gar nichts zum helfen da sei, räumt nun auch noch mit auf. Vor allen Dingen tun sie‘s auch deshalb, daß ich schnell fertig werde und bald wieder komme, damit ich noch vorlesen kann. Darauf freuen sie sich doch immer.  Lieber Ernst! Ich möchte Dir für Deine lieben Päckchen und Briefe nochmals danken. Ich habe mich so sehr darüber gefreut und bin so froh. 
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber Schatz, von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                                Konstanz, 24.11.40

So nach und nach treffen doch alle Briefe ein. Ich erhielt heute die beiden vom 12. und 15.11. Ich danke Dir recht herzlich dafür. Ich habe daraus auch ersehen, daß Du das kleine Buch vom Hegau erhalten hast, so daß meine Frage von gestern dadurch überflüssig geworden ist. 
Für meine Arbeit im Garten sollst Du mich nicht entschädigen. Das tue ich doch, weil ich Dich so lieb habe. Wenn ich weiß, daß Du Dich darüber freust, ist mir keine Arbeit zu viel. Bezüglich meiner „Schönheit“ gehe ich bestimmt nicht darauf aus, Komplimente von Dir zu hören. Nur lieb haben sollst Du mich, Ernst, liebhaben und mich nie vergessen.  Gestern habe ich das Buch „Max und Moritz“ in einem kleinen Laden doch noch entdeckt. Es war aber auch dort das letzte Exemplar. Ich habe es noch gekauft. Auch ein paar Buntstifte habe ich noch gekauft und nun ist es mit dem kaufen Schluß. 
Heute ist wieder ein ruhiger Sonntag. Wir sind erst ½ 9 Uhr aufgestanden, gegen 1 Uhr haben wir Mittagbrot gegessen, dann hat sich Helga und Jörg ein bißchen hingelegt. Vorhin war ein schönes Volkskonzert. Vielleicht hast Du‘s auch gehört. Es wurden verschiedene Lönslieder gesungen, die mir ja immer besonders gefallen. Das Wunschkonzert hören wir uns nachher auch an, denn zum Fortgehen haben wir alle keine Lust. Ich fahre nur noch schnell zum Brief fortschaffen. Ich habe Vater gestern ½ Pfund Kaffee runter gebracht. Für den in Verpackung habe ich 1,25 M für ½ Pfund verlangt.  Es freut mich sehr, daß Du mir jetzt wieder immer die Programme mitschickst, wo Du gewesen bist. Ich wollte auch schon wieder einmal ins Kino gehen, aber bis jetzt ist es noch nicht dazu gekommen. 
Jetzt, da die Schweiz abends ab 11 Uhr auch verdunkelt hat, sieht man erst, was richtige Verdunklung ist. Wenn man da zum Fenster hinaus schaut, ist es wirklich stockdunkel. Früher, als  es drüben noch hell war, hat man das gar nicht so empfunden. Nachher will ich mich nun bestimmt einmal hinsetzen und an die Eltern und Kurt schreiben. Ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Lieber Ernst! Ich freue mich immer noch sehr über Deine lieben Päckchen und möchte Dir deshalb heute nochmals dafür danken. Sei Du, mein allerliebster Schatz, für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie. Lieber Vater . Mutter hat gestern meine Handschuhe fertig gemacht, sie sind Braun, und sie sind schön gestrickt. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen