Mein lieber Ernst! Konstanz, 9.Nov. 1940
Ich schreibe Dir heute Morgen nur
kurz, da ich nachher Lebensmittelkarten holen und einkaufen fahren muß, möchte
ich den Brief gleich mitnehmen. Heute
Nachmittag möchten wir baden, da kann ich dann nicht mehr fortfahren und ohne
Nachricht sollst Du auch heute nicht bleiben.
Gestern Abend wollte ich mich
zeitiger schlafen legen. Als ich um ¾ 10 Uhr gerade ins Bett steigen wollte,
ging die Sirene an. Also schnell wieder
angezogen und in den Keller. Da haben wir bis um 12 Uhr gesessen. In der Nähe von uns hat es ziemlich
gewummert, besonders im Westen und Osten. Auch Leuchtbomben hat es
gegeben. Die Schweiz verdunkelt doch jetzt
doch ab 10 Uhr, nach unserer Zeit 11 Uhr. Das wissen die Engländer natürlich
auch und da das helle Schweizer Gebiet doch ein wunderbarer Wegweiser ist,
kommen sie nun scheinbar vor der Verdunklung.
Heute hat es wieder Frost gegeben
und ich bin froh, daß ich das meiste im Garten schon geschafft habe. Um die
Erdbeeren werde ich noch etwas Mist tun.
Der Gummi, den Du mir mitgeschickt hast, ist aber gut. Ich danke Dir
dafür.
Soeben traf Dein lieber Brief vom
31.10. ein. Den vom 30.10 und 1.11. habe ich ja gestern erhalten. Ich
beantworte ihn heute Abend, wenn ich richtig Ruhe dazu habe. Da freut es mich
viel mehr, als wenn es so in Eile geschehen muß. Nimm heute bitte mit diesem kurzen Brief vorlieb und sei recht
oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 9.Nov. abends
Es ist ¼ 10 Uhr und Feierabend
für mich. Gebadet habe ich auch schon, so daß ich also blitzsauber an Dich
schreibe. Wie ich Dir heute schon
schrieb, habe ich Deinen lieben Brief vom 31.10. erhalten, nachdem bereits
gestern der vom 1.11. eingetroffen ist. Ich danke Dir recht herzlich. Der 1.November war hier ein Tag wie alle.
Die Geschäfte hatten geöffnet und auch die Kinder sind in die Schule gegangen,
nur daß eben viele Leute den Friedhof besuchten. Du schreibst vom Brennmaterial sammeln und hast sehr recht, wenn
Du meinst, man solle diese Zeiten nicht vergessen. Vor allen Dingen für Dich
war es ja manchmal eine schwere Schinderei. Gemessen an dieser Zeit stehen wir
ja heute gut da. Ich bin auch immer wieder dankbar und froh, wenn ich unser
Eigentum überblicke. Es hängen soviel Erinnerungen an den einzelnen Stücken.
Wie froh waren wir immer, wenn wir wieder ein Stück dazu kaufen konnten. Jetzt
haben wir es ja ganz schön und vor allen Dingen ist alles selbst erarbeitet.
Das gibt allen Sachen doppelten Wert. Wir haben ja immer gesehen, daß wir voran
gekommen sind.
Wenn Du für Helga Stoff und für
Jörg einen Anzug kaufen willst, so bin ich gern einverstanden damit. Es ist nur
so, daß ich Dir diesmal nicht viel schicken könnte. Ich habe 30,-Mk übrig und
davon möchte ich ein paar Weihnachtsgeschenke kaufen. Es kommt mir aber von mir
aus direkt unverschämt vor, wenn ich einfach verlange, daß Du Dein Geld alles
für uns ausgeben sollst. Du fragst auch
noch nach besonderen Wünschen von mir. Du lieber Kerl, was soll ich mir noch
wünschen, wo Du mich schon so verwöhnst.
Aber von Dir möchte ich gern
einen Weihnachtswunsch hören. Zeit zum überlegen hast Du ja gehabt, denn ich
habe des Dir schon gesagt, als Du auf Urlaub warst. Da gibt es also gar keine
Ausrede, hörst Du? Du mußt Dich sofort hinsetzen und mir Deinen Wunsch
schreiben.
Ich soll Dich auch noch etwas von
Frau Leimenstoll fragen. Sie hat aus Frankreich einen Schlafanzug bekommen aus
Seide, wahrscheinlich Seidentrikot. Der soll 10,- gekostet haben. Das kann sie
nicht glauben. Ich soll Dich nun fragen, ob der Preis stimmen könnte. Der
Schlafanzug hat kurze Ärmel.
Wenn du jetzt in unseren Keller
kommen würdest, hättest Du allen Grund zum Staunen. Du weißt doch, wo die Bank
steht, neben dem Regal mit Eingemachtem. Davor steht jetzt ein weißer Tisch und
drei Stühle. Der Tisch und ein Stuhl ist von L. Ich bringe unsere Stehlampe mit
runter, unterm Tisch liegt ein ganz alter Teppich, da ist es soweit ganz
gemütlich. Der Platz ist für die Kinder, für mich, für Leimenstolls und Frl. Nußbaumer.
Frau N. als Luftschutzwart kann sowieso nicht immer sitzen bleiben und Frau B.
und Kinder sollen sich selber was besorgen, wenn sie richtig sitzen wollen.
Gestern Abend hat sie sich unten so dumm benommen. Die ganze Zeit hat sie sich
so gesetzt, daß sie uns allen den Rücken zugekehrt hat und wenn sie einmal
rausgegangen ist, hat sie so rücksichtslos rumgefuhrwerkt. Ich sehe gar nicht
ein, daß ich mich da um etwas kümmern soll. Für uns und die anderen, die
mitgeholfen haben, ist es ja jetzt ganz annehmbar im Keller geworden. Schöner
ist es natürlich, wenn wir nicht oft runter müssen. Heute ist wieder eine ganz
klare Nacht. Mal sehen, ob sie uns schlafen lassen. Vorhin habe ich nach unseren Sternen gesehen. Ich bin jetzt sehr
müd´ und geh schlafen.
Gute Nacht, mein lieber Schatz.
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