Dienstag, 10. November 2015

Brief 88 vom 9.11.1940


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 9.Nov. 1940  

Ich schreibe Dir heute Morgen nur kurz, da ich nachher Lebensmittelkarten holen und einkaufen fahren muß, möchte ich den Brief gleich mitnehmen.  Heute Nachmittag möchten wir baden, da kann ich dann nicht mehr fortfahren und ohne Nachricht sollst Du auch heute nicht bleiben. 
Gestern Abend wollte ich mich zeitiger schlafen legen. Als ich um ¾ 10 Uhr gerade ins Bett steigen wollte, ging die Sirene an.  Also schnell wieder angezogen und in den Keller. Da haben wir bis um 12 Uhr gesessen.  In der Nähe von uns hat es ziemlich gewummert, besonders im Westen und Osten. Auch Leuchtbomben hat es gegeben.  Die Schweiz verdunkelt doch jetzt doch ab 10 Uhr, nach unserer Zeit 11 Uhr. Das wissen die Engländer natürlich auch und da das helle Schweizer Gebiet doch ein wunderbarer Wegweiser ist, kommen sie nun scheinbar vor der Verdunklung.
Heute hat es wieder Frost gegeben und ich bin froh, daß ich das meiste im Garten schon geschafft habe. Um die Erdbeeren werde ich noch etwas Mist tun.  Der Gummi, den Du mir mitgeschickt hast, ist aber gut. Ich danke Dir dafür.
Soeben traf Dein lieber Brief vom 31.10. ein. Den vom 30.10 und 1.11. habe ich ja gestern erhalten. Ich beantworte ihn heute Abend, wenn ich richtig Ruhe dazu habe. Da freut es mich viel mehr, als wenn es so in Eile geschehen muß.  Nimm heute bitte mit diesem kurzen Brief vorlieb und sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 9.Nov. abends

Es ist ¼ 10 Uhr und Feierabend für mich. Gebadet habe ich auch schon, so daß ich also blitzsauber an Dich schreibe.  Wie ich Dir heute schon schrieb, habe ich Deinen lieben Brief vom 31.10. erhalten, nachdem bereits gestern der vom 1.11. eingetroffen ist. Ich danke Dir recht herzlich.  Der 1.November war hier ein Tag wie alle. Die Geschäfte hatten geöffnet und auch die Kinder sind in die Schule gegangen, nur daß eben viele Leute den Friedhof besuchten.  Du schreibst vom Brennmaterial sammeln und hast sehr recht, wenn Du meinst, man solle diese Zeiten nicht vergessen. Vor allen Dingen für Dich war es ja manchmal eine schwere Schinderei. Gemessen an dieser Zeit stehen wir ja heute gut da. Ich bin auch immer wieder dankbar und froh, wenn ich unser Eigentum überblicke. Es hängen soviel Erinnerungen an den einzelnen Stücken. Wie froh waren wir immer, wenn wir wieder ein Stück dazu kaufen konnten. Jetzt haben wir es ja ganz schön und vor allen Dingen ist alles selbst erarbeitet. Das gibt allen Sachen doppelten Wert. Wir haben ja immer gesehen, daß wir voran gekommen sind.
Wenn Du für Helga Stoff und für Jörg einen Anzug kaufen willst, so bin ich gern einverstanden damit. Es ist nur so, daß ich Dir diesmal nicht viel schicken könnte. Ich habe 30,-Mk übrig und davon möchte ich ein paar Weihnachtsgeschenke kaufen. Es kommt mir aber von mir aus direkt unverschämt vor, wenn ich einfach verlange, daß Du Dein Geld alles für uns ausgeben sollst.  Du fragst auch noch nach besonderen Wünschen von mir. Du lieber Kerl, was soll ich mir noch wünschen, wo Du mich schon so verwöhnst.
Aber von Dir möchte ich gern einen Weihnachtswunsch hören. Zeit zum überlegen hast Du ja gehabt, denn ich habe des Dir schon gesagt, als Du auf Urlaub warst. Da gibt es also gar keine Ausrede, hörst Du? Du mußt Dich sofort hinsetzen und mir Deinen Wunsch schreiben. 
Ich soll Dich auch noch etwas von Frau Leimenstoll fragen. Sie hat aus Frankreich einen Schlafanzug bekommen aus Seide, wahrscheinlich Seidentrikot. Der soll 10,- gekostet haben. Das kann sie nicht glauben. Ich soll Dich nun fragen, ob der Preis stimmen könnte. Der Schlafanzug hat kurze Ärmel. 
Wenn du jetzt in unseren Keller kommen würdest, hättest Du allen Grund zum Staunen. Du weißt doch, wo die Bank steht, neben dem Regal mit Eingemachtem. Davor steht jetzt ein weißer Tisch und drei Stühle. Der Tisch und ein Stuhl ist von L. Ich bringe unsere Stehlampe mit runter, unterm Tisch liegt ein ganz alter Teppich, da ist es soweit ganz gemütlich. Der Platz ist für die Kinder, für mich, für Leimenstolls und Frl. Nußbaumer. Frau N. als Luftschutzwart kann sowieso nicht immer sitzen bleiben und Frau B. und Kinder sollen sich selber was besorgen, wenn sie richtig sitzen wollen. Gestern Abend hat sie sich unten so dumm benommen. Die ganze Zeit hat sie sich so gesetzt, daß sie uns allen den Rücken zugekehrt hat und wenn sie einmal rausgegangen ist, hat sie so rücksichtslos rumgefuhrwerkt. Ich sehe gar nicht ein, daß ich mich da um etwas kümmern soll. Für uns und die anderen, die mitgeholfen haben, ist es ja jetzt ganz annehmbar im Keller geworden. Schöner ist es natürlich, wenn wir nicht oft runter müssen. Heute ist wieder eine ganz klare Nacht. Mal sehen, ob sie uns schlafen lassen.  Vorhin habe ich nach unseren Sternen gesehen. Ich bin jetzt sehr müd´ und geh schlafen.
Gute Nacht, mein lieber Schatz.

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