Dienstag, 3. November 2015

Brief 84 vom 02.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                       2.November 

Auch heute schreib ich Dir bei Tag nur einen kurzen Gruß. Es ist heute so unbeständiges Wetter. Ich habe nun die Wäsche aufgehängt und muß immer auf dem Sprunge stehen, die trockene abzunehmen, damit sie nicht wieder naß wird. Nachher muß ich noch einkaufen fahren, da nehme ich den Brief mit.  Soeben erhielt ich Deine lieben Briefe vom 28.10. und den bisher fehlenden vom 23.10. Ich beantworte sie wieder heute Abend. Gefreut habe ich mich über beide sehr. Laß mich nun schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                      Konstanz, 2.November 40 abends

Wie ich Dir schon schrieb, erhielt ich heute Deinen lieben Brief vom 28.10. und den bisher fehlenden vom 23. Ich danke Dir für beide sehr. 
Ihr habt also jetzt ziemlichen Fliegerbetrieb. Ich denke immer an Dich, daß Dir nur nichts passiert. Wir leben hier in vollkommener Ruhe.  Du hast Dir ja große Mühe gegeben, um für mich Gummi zu besorgen. Du kannst mir glauben, daß ich ihn als etwas Wertvolles behandle. Erstens und vor allen Dingen deshalb, weil Du soviel Mühe und Ausgaben gehabt hast, zweitens weil es ein rarer Artikel ist. Schmaler Durchzuggummi hat bei uns ca. 13 Pfennig pro Meter gekostet. 
Wie ich aus Deinem Brief ersehe, gibst Du Dir ja große Mühe und hast viel Rennerei wegen einem Mantel für mich. Kaufe nur nichts zu kostbares, sonst traue ich mich ja gar nicht ihn anzuziehen. 
Für den Leimring zum Baum habe ich mir heute Pergamentpapier geholt. Vielleicht mache ich den Ring gleich am Montag dran. Heute hat es den ganzen Vormittag gegossen, was vom Himmel wollte. Als Helga aus der Schule kam, hat sie sich bis auf‘s Hemd ausziehen müssen, trotzdem sie den Regenmantel mit hatte. Die Schuhe waren direkte Kähne. Alles schwamm. Da die hohen Schuhe von Helga auch Wasser durchlassen, habe ich sie heute Vormittag gleich besohlt mit dem Leder, das Du geschickt hast. Darauf sind noch Zwecken gekommen. Jetzt kann sie wenigstens wechseln. Die anderen Schuhe brauchen sowieso ein paar Tage, bis sie wieder trocken sind. Ich beantrage in den nächsten Tagen hohe Schuhe für Helga, die jetzt besohlten bekommt dann Jörg. Am 15. November werden wir dann die Schuhe holen. 
Du schreibst auch, daß Du versuchen willst, für mich Filzschuhe zu kaufen. Nun habe ich mir ja inzwischen schon selbst welche gekauft.  Hoffentlich erfährst Du es noch rechtzeitig. 
Als heute Mittag sich der Himmel etwas aufhellte, habe ich gleich die Wäsche aufgehängt. Ich mußte aber immer auf dem Sprung stehen, damit nicht alles naß wurde. Es ist auch fast ganz trocken geworden.
Heute Nachmittag habe ich noch die Dahlien abgeschnitten. Die Stöcke lasse ich, wie Du mir gesagt hast, noch einige Tage in der Erde.  Als ich die Wäsche versorgt hatte, bin ich dann in die Stadt gefahren. Ich habe dann auch Quark mitgebracht und heute Abend auf dem großen Blech einen Quarkkuchen gebacken. Außerdem habe ich noch eine Marmeladenrolle, Jörg sagt „einen Mond“, gebacken. 
Die Kinder haben Dir heute Bilder gemalt. Ich fragte sie am Nachmittag, ob sie nicht rausgehen wollten, aber sie sagten, sie wollten lieber für ihr liebes Vaterle was malen. Jörg hat mir heute Abend erklärt, bei seinem Bild sei oben die Nacht mit Sternen, Mond und Regen und unten Tag mit Sonne und einem Korb.  Helga sagte heute Abend: „Mutterle, wir haben doch das allerliebste Vaterle. Glaubst Du, wenn Du das Vaterle nicht gefunden hättest, so einen herzliebsten Schatz hättest Du nicht mehr gekriegt.“
Siehst Du, sogar die Kinder sagen es schon und ich weiß es ja noch viel besser. Ich habe nur lachen müssen, wie wichtig sie das erklärt hat, der kleine Knirps. Helga gibt sich jetzt auch Mühe, mir zu helfen. Abends wäscht sie mir seit zwei Tagen ab. Ich lasse es sie gern tun, denn es schadet ihr nichts, wenn sie auch so etwas kann.  Heute haben die Kinder auch ein wichtiges Problem behandelt: „Wenn doch die Erde rund ist und drum rum ist Luft, und der Himmel ist Luft, da möchte ich bloß wissen, wo die Engel die ganzen Spielsachen hinstellen, die sie für Weihnachten machen.“ Darauf Jörg: „Und wie sie die Spielsachen runter bringen. Vielleicht lassen sie da Bindfaden runter und hängen´s dran.“ Ich höre mir nur noch die Nachrichten an und dann gehe ich schlafen.  Schlaf auch Du gut, mein lieber Mann, und wach gesund wieder auf. 

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