Freitag, 6. November 2015

Brief 87 vom 6./7./8.11.1940


Mein lieber Ernst!                                     Konstanz, den 6.Nov. 40 abends

Es ist nun wieder 9 Uhr und ich habe Zeit, an Dich zu schreiben. Post habe ich heute keine erhalten, so daß ich also keinen Brief beantworten kann.  Aber etwas anderes möchte ich mit Dir besprechen. 
Ich habe die Kinder nach ihren Weihnachtswünschen gefragt. Ich möchte doch nach dem 15. an die Besorgung der Geschenke gehen. Ich schreibe Dir nun die Wünsche und bitte Dich, Deine Meinung zu äußern, ob Du etwas dagegen hast, wenn ich diese Sachen kaufe. Vielleicht hast Du auch noch ein paar bessere Vorschläge. 
Also Jörg wünscht sich: Eine Reichsautobahn (sie ist in 8er Form aufgebaut und ein Auto fährt darauf) Ich muß mich aber erst einmal erkundigen, wie teuer sie ist.  Ein oder zwei Motorräder, so groß  wie das Märklin-Auto, sie dürfen aber auch größer sein.  Ein paar Soldaten, einen davon mit Fahne. 
Helga wünscht sich eine Puppe in einem Karton mit Anziehkleidern.  Sie wünscht sie sich schon lange, wir haben aber immer gesagt, es sein nicht nötig. Ein Bettchen dazu. Ich dachte, daß wir ihr vielleicht das Buch von Max und Moritz schenken könnten. Beide bekommen noch die Trainingshosen. 
Nun zu etwas anderem. Ich habe heute mit Herrn Gaßner wegen dem Mist gesprochen. Ich kann welchen bekommen. 1 Kubikmeter 4,-Mk. Ich muß ihn selber aufsetzen, dann wird er geschätzt und dann hole ich ihn mit dem Handwagen nach und nach. Ich habe 1 Kubikmeter bestellt und werde ihn in den nächsten Tagen, evtl. auch erst nächste Woche holen. Erst schiebe ich ein paar faule Tage zum Kräfte sammeln ein, denn kaputt will ich mich nicht machen.
Der Garten ist ja fast fertig, da geht das schon.  Als ich heute die Knöpfe an der Weste festgenäht habe, die Du mir geschickt hast, habe ich festgestellt, daß die Knöpfe aus einem verschwundenen Staat stammen, nämlich aus  „Czecho-Slovakia“. Ich habe gestern Abend die Bluse und die Weste einmal anprobiert. Beides paßt wunderbar. Ich möchte Dir nochmals dafür danken.  Heute haben wir eine klare Nacht und ich habe vorhin längere Zeit unsere Sterne angesehen. Es ist eine große Freude, daß Du sie auch sehen kannst.  Nun gute Nacht, mein lieber Ernst! Ich habe manchmal doch große Sehnsucht danach, Dich hier bei uns zu haben.

 Mein lieber Ernst!                                                     7.Nov. 40

Heute habe ich wieder keine Post von Dir bekommen. Der letzte Brief von Dir, den ich erhalten habe, war vom 29.10. Da dürfte mir die Post bald mal wieder einen Brief bringen, denn wenn ich morgen wirklich den vom 30. erhalte, so war der 10 Tage unterwegs. Das ist eine lange Zeit. Na, ich muß mich einstweilen bis morgen vertrösten.
Heute habe ich also einen Ruhetag eingelegt, wie ich gestern schrieb. Faulenzen tue ich ja nun auch nicht gerade, aber ich mache keine schwere Arbeit.  Ich bin heute wirklich schwer enttäuscht, daß ich gar keine Nachricht von Dir bekommen habe. Ich hatte so fest damit gerechnet. Ich bin direkt ein bißchen unruhig geworden. Du wirst doch nicht etwa krank sein, daß Du nicht hast schreiben können?
Na, es wird mir alles nichts nützen, ich werde bis morgen warten müssen. Wenn nur die Zeit bis morgen recht bald vorbei ginge.  Ich weiß heute gar nichts mehr zu schreiben. Meine Gedanken sind immer nur bei Dir. Hoffentlich treffen Dich diese Zeilen auch gesund an.  Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                          Konstanz, 8.Nov.40

Gestern bin ich nicht zum schreiben gekommen. Ich hatte noch zu schaffen. Heute will ich aber gleich bei Tag schreiben, denn ich glaube, heute Abend werde ich ziemlich müd´ sein. Ich habe nämlich heute Mist geholt. Um 8 Uhr bin ich auf den Gutshof gegangen, habe einen Kubikmeter Mist aufgesetzt und dann habe ich ihn mit dem Handwagen nach dem Garten gefahren. Ich habe ihn nun nicht einfach hingeworfen, sondern gleich richtig aufgesetzt. Die Kinder haben mir beim Ziehen des Wagens geholfen. Es ist aber eigentlich nicht ein Kubikmeter, sondern etwas mehr. Als ich ihn schätzen ließ, wurde mir gesagt, ich solle nur noch ein paar Gabeln voll nehmen, so genau käme es nicht darauf an. Das habe ich mir natürlich nicht zweimal sagen lassen. In ununterbrochener Arbeit von 8 bis ½ 2 Uhr hatte ich den Mist in unserem Garten.  Zwischendurch konnte ich auch nichts essen, denn Du weißt ja, der Schweinemist stinkt furchtbar. Vorhin habe ich mich erst umgezogen und fest gewaschen. Nun ist mir wieder appetitlicher.
Wir haben heute halt erst um 3 Uhr zu Mittag gegessen, aber das macht ja nichts. Heute früh kamen zwei Briefe von Dir vom 30.10. und 1.11. und ein Päckchen. Ich habe es erst vorhin aufmachen können. Da habe ich dann aber gleich nach der Arbeit viel Freude gehabt. In dem Päckchen war Kakao, Schokolade und Gummi.  Ich danke Dir recht sehr für die guten Sachen. 
Nun zu Deinen lieben Briefen. Wenn Du Öl hast kaufen können, so habe ich schon Verwendung dafür. Es schadet nichts, wenn du mir‘s jetzt noch nicht schicken kannst, ich bin auch später noch dankbar dafür.  Das kleine Bildchen ist doch gar nicht so schlecht. Ich lege es mit zu den anderen Bildern. Es ist doch immerhin eine Erinnerung an den Besuch von Paris. 
Helga‘s Zeugnis ist ja nun doch gut ausgefallen. Nur im Lesen hat sie zwei statt eins. Aber das kommt auch daher, daß ja die anderen Kinder im Lesen auch besser geworden sein werden und dass gutes Lesen im zweiten Schuljahr kein Ausnahmefall mehr ist.  Die zwei ist ja die beste Zensur. 
Daß Ihr für Eure Dienststelle noch einen großen Wagen bekommen habt, wußte ich noch nicht.  Es freut mich, daß Ihr doch beim fahren vorsichtig seid, besonders wenn Ihr etwas Alkohol getrunken habt. Es lohnt sich ja auch wirklich nicht, wenn man wegen leichtinnigem fahren vielleicht zum Krüppel wird. 
Als ich heute beim Mist holen war, habe ich doch lachen müssen. Der Mann da drüben hat den Mist so gelobt, wie „saftige“ er sei. Auch bei unserem Garten hatten sich einige Zuschauer eingefunden, die festgestellt haben, wie „fett“ der Mist sei. Das ist mir so putzig vorgekommen, die sachverständigen Mienen, die sie dabei aufsetzen. Glaubst Du, ich freue mich doch sehr, daß ich auch diese Arbeit geschafft habe. Da siehst Du doch, daß ich auch zu etwas nutz bin, nicht wahr? Ich wollte es nur feststellen, wenn Du es noch nicht wissen solltest.  Übrigens muß ich Dir auch bezüglich der Schokolade noch etwas schreiben. Helga ißt jetzt von der „Korona“-Schokolade gern ein Stück, während Jörg davon gar nichts mag, sondern nur auf die Schokolade „Lutetia“ versessen ist, die doch nach unserem Geschmack so gut ist wie die andere. Da kann man also auch sagen, die Geschmäcker sind verschieden.  Nun will ich für heute schließen, mein lieber, lieber Ernst. Hab nochmals vielen Dank für Deine Briefe und Dein Päckchen,. Es grüßt und küßt Dich recht herzlich Deine Annie.

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