Freitag, 6. November 2015

Brief 86 vom 5./6.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                       5.November

Nun ist schon wieder Dienstag. Der Sturm hat heute etwas nachgelassen, da bin ich heute früh mit Jörg gleich in den Garten gegangen. Helga mußte ja in die Schule. Wir haben das Kraut rausgenommen, Jörg hat es rüber geschafft, ebenso die roten Rüben. Ich habe dann das alles umgegraben, wo die Möhren das Kraut und die roten Rüben gestanden haben. Jetzt sind nur noch die Schwarzwurzeln drin. Sonst ist der Garten drüben in Ordnung, d.h. die Setzlinge von den Erdbeeren, die für Vater bestimmt sind, muß ich noch abschneiden. Vater hat mich gebeten, ich möchte sie bis Frühjahr drin stehen lassen, da er seinen Garten noch nicht in Ordnung hat. Ich will sie aber wenigstens von den großen Pflanzen abtrennen.  Nachmittags geht es wieder in den Garten. Da setze ich das Kraut noch ein. Aber davon berichte ich Dir heute Abend. Ebenso beantworte ich Dir Deinen lieben Brief vom 29.10., den ich heute früh erhielt. Ich danke Dir sehr dafür.
So ein Brief ist doch immer eine große Freude.  Heute ist der Brief etwas kürzer geworden, aber das wirst Du sicher entschuldigen. Wenn ich am Abend mit der Arbeit fertig bin, schreibe ich Dir wieder.  Gestern Abend habe ich auch wenig geschrieben, da ich bis um 10 Uhr noch gebügelt hatte.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie.

Mein lieber, guter Ernst!                                    Konstanz, 5.November 40, abends

So, bis jetzt habe ich gebügelt. Nun habe ich´s geschafft. Es ist 9 Uhr und für mich Feierabend. Nun kann ich an Dich schreiben, das macht mir Freude.  Dieser Tag war überhaupt an Freuden reich, wenn ich auch etwas Ärger gehabt habe. Aber was will das bei so viel Freude schon heißen. 
Heute früh kam schon Dein lieber Brief vom 29.10. und heute Nachmittag nun die schon verloren geglaubten 2 ersten Päckchen. Da habe ich mich aber gefreut. Das war dann schon eine Überraschung. So etwas Schönes hatte ich mir unter der Bezeichnung „leichte Weste“ gar nicht vorgestellt und auch die Bluse ist so schön, ebenso die Strümpfe. Das hast du wieder fein eingekauft. Über das Leder habe ich mich auch fest gefreut. Das gibt mindestens vier Paar Sohlen und noch mehrere Absätze. Verschwenden tue ich natürlich nichts, aber es ist so ein beruhigendes Gefühl, wenn man weiß, man kann jederzeit die Schuhe ausbessern.
Ich danke Dir auch für den Kaffee. An die Eltern habe ich noch nichts geschrieben, da die Päckchen so lange nicht ankamen.  Nun möchte ich Dir erst einmal Deinen lieben Brief beantworten. Wie ich aus ihm ersehe, verwöhnst Du uns ja jetzt schön mit Päckchen. Langt Dir denn da auch Dein Geld? Du sollst wegen uns nicht ganz ausgeräubert dastehen.
Du schreibst auch, ich sollte nicht lachen, daß Du exotisches statt äthiopisches Yemen verstanden hast. Erstens ist der Klanglaut sehr ähnlich, so daß man das schon verwechseln kann. Zweitens muß ich ja offen zugeben, daß mir das eine wie das andere Wort wenig über das Aussehen des Mantels sagt, denn in Pelzen weiß ich nun tatsächlich nicht Bescheid. Ich kenne zwar gewöhnliches Fohlen, aber viel weiter geht meine Kenntnis in Pelzmänteln nicht. Ich habe ja auch nie geglaubt, daß ich in meinem Leben je zu einem Pelzmantel kommen könnte. So hoch gingen in dieser Beziehung meine Wünsche nicht. Daß Du mir den Mantel jetzt noch nicht schicken kannst, braucht Dich nicht zu kränken. Ich hätte ihn doch noch nicht anziehen können. Vorher hätte ich unbedingt den Kindern auch neue Mäntel machen müssen, denn es soll doch wenigstens alles zusammen passen. Dazu bin ich nun aber beim besten Willen noch nicht gekommen.
Vor allen Dingen muß erst einmal der Garten fertig werden. Im Übrigen freue ich mich aber auf den Mantel wirklich sehr und ich danke Dir für Deine viele Mühe, die Du damit gehabt hast. Im Übrigen hast Du ja auch Dein ganzes Geld dafür geopfert.
Nun zu dieser Frau Synkovis. Wenn man die Frau sieht, da denkt man, nach der Kleidung zu urteilen, sie lebt in sehr guten Verhältnissen. Sie tut auch so, als wäre sie über alle erhaben. Bei der Unterredung habe ich dann gemerkt, daß alles mehr Tünche ist. Ich habe bei meiner Begegnung mit der Frau festgestellt, daß sie in ihrem ganzen Getue verzweifelte Ähnlichkeit mit Frau Junghans hat. Das hat mich gleich abgestoßen. Die hat auch immer so ein öliges Lächeln auf dem Gesicht.
Im Winterhalbjahr schicke ich Helga auch nicht mehr in die Spielschar. Es freut mich sehr, daß Du noch einige Hemden hast für Dich und Kurt besorgen können.  Da kommt mir gerade auch ein Gedanke. Vater wollte doch gern Kaffee haben. Soll ich ihm da nicht von dem geben, den Du geschickt hast und Du schickst direkt an die Eltern welche, wenn jetzt mehrere Päckchen geschickt werden können? Schreib mir bitte deswegen. Ich tue den Kaffee einstweilen in eine Dose, damit er nicht verriecht.  Schlecht wird er ja nicht.
Ich sehe auch oft nach unseren Sternen und hoffe dabei, daß Du vielleicht gerade dasselbe tust. Heute hat sich am Abend der Himmel zugezogen und es hat mit regnen angefangen.  Nun möchte ich Dir noch einiges von unserem Tagewerk berichten. Von der Vormittagsarbeit habe ich Dir ja schon im vorigen Brief erzählt. Am Nachmittag habe ich noch die Dahlienstöcke raus gemacht. Dann habe ich das Rot- und Weißkraut eingegraben, wie Du es die vergangenen Jahre immer gemacht hast, daß also die Köpfe über dem Boden sind. In den vergangenen Tagen hat der Sturm bei den Brombeeren ziemlich viele Ranken wieder runtergerissen. Ich habe nun manche noch einzeln festgebunden und im übrigen habe ich noch ein paar Mal Bindfaden vom obersten zum untersten Draht gebunden, damit viele Ranken auf einmal festgehalten werden, also so ungefähr. (Zeichnung). Später habe ich noch den Raupenring um den Baum gemacht.
Die Kinder helfen immer fleißig mit und besonders Jörg ist im Garten unermüdlich, wenn man ihm richtig was zu schaffen gibt. Zur Belohnung für ihren Fleiß haben sie von mir nochmals ein paar Bonbons bekommen.  Gegen 5 Uhr bin ich dann in die Stadt gefahren und als ich ½ 6 heim kam, war das Unglück des Tages schon geschehen. Jörg war von der Wippe im „Frieden“ runter geflogen. Erstens ist er dabei noch an den Nägeln hängen geblieben und seine Hose, von dem bräunlichen Anzug, ist an einem Bein total zerfetzt. Das Hosenbein ist zu ¾ direkt abgerissen und ein Teil des abgerissenen ist so zerfetzt, daß man von Stoff überhaupt nicht mehr reden kann, das sind nur noch Fetzten. Zweitens ist er dabei noch in eine richtige Pfütze geflogen, so daß er dazu noch naß und dreckig war. Ich habe ihn am „Frieden“ gleich aufs Rad gesetzt und heim ging´s. Eigentlich war ein Mädel dran schuld, mit der er geschaukelt hat. Sie war schon etwas älter als er. Als Jörg runter wollte, hat sie ihn, als er ganz oben saß, erst nicht runter lassen wollen, plötzlich ist sie runter gesprungen, die Wippe ist nach unten geschlagen und schon war Jörg auch unten gelandet, aber wie. Das Mädel hat dann gleich das Weite gesucht. Ich habe nicht geschimpft, ich konnte einfach nicht. Ich war noch so voll Freude über Deinen Brief und die Päckchen. Im Übrigen war ich ja auch froh, daß Jörg selber nichts passiert ist. Ich hatte ihm ja schon mal verboten, auf der Wippe zu schaukeln, weil sie so sehr hoch geht, aber wenn es alle tun, will er natürlich auch nicht als feig gelten. Ins Gewissen habe ich ihm natürlich noch geredet, mal sehen, ob‘s was hilft. 
Ich mußte gestern zu Herrn Döbele fahren, da bei der Tür des Waschkessels ein Stück abgebrochen ist, durchgebrannt. Zwar nicht bei mir, aber das tut ja nichts zur Sache. Ich hätte ja nicht hinfahren müssen, aber ich habe gerade gesehen, wie er auf sein Büro gehen wollte, da habe ich es ihm gleich gesagt, auch, daß das Rohr schon lange kaputt ist. Er fragte, ob ich mich noch nicht gewundert hätte, daß er nichts mehr gesagt hat, daß unsere Küche gemacht wird. Aber es beständen immer so Schwierigkeiten mit den Handwerkern, weil viele eingezogen sind. Ich antwortet darauf: „Gerade weil wir das eingesehen haben, haben wir auch nicht mehr darauf gedrängt“. Er sagte, daß er zusehen wird, daß die Küche sobald als möglich gemacht wird. Heute früh, als er den Kessel besichtigte, sagte er mir nun, daß er heute noch zu dem Maler Stadelhofer in Wollmatingen fahren wird. Dieser käme dann vorbei und würde mit mir besprechen, wann er die Küche machen kann. Ich bin ja nun gespannt, was daraus wird. Ich war jedenfalls ganz erstaunt, daß Herr Döbele noch an die Küche gedacht hat. 
So, lieber Ernst, nun ist es wieder Zeit, daß ich schlafen gehe. Heute habe ich Dir ja viel zu erzählen gehabt. Aber ehe ich zu Bett gehe, möchte ich Dir noch recht, recht oft danken für die große Freude, die Du mir heute wieder gemacht hast.  Beim nochmaligen Durchlesen Deines Briefes sehe ich gerade, daß ja Dein Kamerad Thomas Grüße an mich bestellt hat. Ich danke ihm dafür. Ob Du die Grüße erwidern willst, überlasse ich ganz Dir. Nun ist aber endgültig Schluß. Schlaf gut, mein lieber Mann, und wach ganz gesund wieder auf und behalte mich lieb. 

Mein lieber Ernst!                                                          6. November
Schon wieder ist ½ Tag vorbei. In der vergangenen Nacht sind wir von ¾ 3 ab  ½ Stunde im Keller gewesen. Die Flieger waren scheinbar über der Schweiz, denn die hatten auch zuerst Alarm.  Gestern hatte ich auch noch einen kleinen Ärger. Er war aber wirklich so klein, daß ich ihn gestern Abend vergessen hatte. Herr Steinmehl hatte mir doch gesagt, daß er wegen des Schweinemists anfragen und die Scheine besorgen wollte. Ich hatte ja nun einmal nachgefragt, wie ich Dir schon schrieb. Gestern bekam nun Herr Steinmehl von der Kaserne Pferdemist. Nicht, daß mich das geärgert hätte, aber ich meine, Herr Steinmehl hätte mir doch vorher Bescheid geben können, daß ich mich selber wegen des Scheins hätte umsehen können. Er sagte gestern dann zu mir, sein Sohn hätte wegen dem Schein noch mal rein fahren wollen, aber vielleicht wäre es besser, ich ginge selber mal zu Herrn Gaßner. So dumm bin ich nun doch nicht, daß ich glaube, sein Sohn würde extra, nur um den Schein für uns zu besorgen, zur NSV fahren. Aber meinst Du nicht, es hätte sich wenigstens gehört, mir Bescheid zu sagen? Jetzt werde ich mich mal selber um die Sache kümmern. Ich schreibe Dir dann wieder darüber.  Diesen Brief will ich nun schließen, denn sonst mußt Du ja zu viel lesen und wirst noch ärgerlich. Das möchte ich so gern vermeiden. Das siehst Du doch ein, Du lieber Kerl. 
Siehst Du, nun habe ich doch noch was vergessen. Es kommen doch neue Winterhilfsbriefmarken heraus. Ich soll dir doch gestempelte und ungestempelte besorgen? Kurt wird sie sich wohl selber besorgen?  Ich habe mir eben noch mal gründlich überlegt, ob ich Dir nun auch alles geschrieben habe, ich glaube, es ist alles. Nun grüße und küsse ich Dich recht herzlich. Denke immer an uns und behalte uns lieb. Deine Annie. 
Die Sache von Herrn Steinmehl habe ich natürlich nicht an Dich geschrieben, daß Du Dich ärgern sollst, sondern nur, damit Du auch über diese Angelegenheit informiert bist. 

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