Dienstag, 3. November 2015

Brief 85 vom 03./04.11.1940


 Mein liebster Ernst!                                            3.November

Heute, am Sonntag, bleiben wir zuhause, denn es fängt schon wieder an zu regnen. Wir hören uns das Wunschkonzert an. Dabei werde ich ein Seifenbad machen. Von den Brombeeren habe ich nämlich einige Stacheln in den Fingern und davon fangen einige Stellen an zu eitern. Das stört natürlich beim arbeiten sehr. Heute ist nun gerade die beste Gelegenheit, dem abzuhelfen.  Einen Brief habe ich heute nicht erhalten. Ich mache es aber wie Du und vertröste mich auf den nächsten Tag.  Heute Nachmittag lese ich wieder in den Schulungsbriefen. Ich finde sie sehr interessant. Am Abend schreibe ich wieder. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

 Mein lieber Ernst!                                   Konstanz, 3.Nov. 40 abends

Ich schreibe heute schon um ½ 6 Uhr an Dich, da mich unsere Tochter sehr unterstützt und abwäscht und abtrocknet. Erstens wegen meiner Finger, da sie doch ein bißchen eitern, und zweitens, weil ich heute gar nicht recht auf der Höhe bin. Ich habe schrecklich Kopfweh und mir ist so schlecht, dazu habe ich heute Mittag 38,5 Fieber gehabt. Im Übrigen bin ich auch nicht wohl, so daß alles zusammen kommt. Ich denke, daß es ein leichter Grippeanfall ist. Als mir´s am schlechtesten war, habe ich mich an den Benediktiner erinnert, den Du mir dagelassen hast. Ich habe ein Gläschen getrunken. Besser ist es mir zwar noch nicht viel, aber es ist wenigstens nicht schlimmer geworden. Am unangenehmsten ist es, daß ich 5 Minuten friere, dann ist mir wieder ganz heiß. Ich trinke heute Abend nochmals von dem Benediktiner ehe ich zu Bett gehe, selbst auf die Gefahr hin, daß Du sagst, ich wäre ein Säufer. Oder wunderst Du Dich nicht, wie energisch ich mich auf den Alkohol stürze? Ich versuche es aber mal damit, denn eine Krankheit kann ich jetzt nicht gut brauchen.
Aus dem Studium der Schulungsbriefe ist heute auch nicht mehr viel geworden. Ich habe zwar ein paar Seiten gelesen, aber die meiste Zeit habe ich richtig rumgedöst.  Die Kinder haben auch heute den Brief fortgebracht, wieder mit dem Omnibus. Ich konnte beim besten Willen nicht fort und den Kindern hat es wieder mächtige Freude gemacht.  Es ist jetzt ½ 7 Uhr geworden. Die Kinder gehen jetzt ins Bett und ich tue dasselbe. Da bin ich heute am besten aufgehoben.  Bleib Du nur gesund, schlaf gut und wach gesund wieder auf, mein lieber Schatz!

Mein lieber Ernst!                                                    4.Nov.

Wenn mir´s nicht besser geworden wäre, hätte ich ja den Brief nicht fortgeschickt, damit Du Dir keine Sorgen machst. Aber nun, da sich die Lage gebessert hat, kann ich´s ja ruhig tun. Ich habe gestern Abend, ehe ich ins Bett gegangen bin, zwei, -bedenke tatsächlich-, zwei Gläschen von dem Benediktiner getrunken. Ich habe gedacht, mich brennt‘s aus. Ich weiß nicht, ob das was ausmacht, aber heute Nacht habe ich gewaltig schwitzen müssen. Heute früh war nun der quälende Kopfschmerz und auch das Fieber weg. Nur ist mir noch öfter schwindlig und noch nicht ganz wohl zu Mute, aber das gibt sich schon noch.
Vor allen Dingen hat sich die Arbeitslust schon wieder eingestellt, die gestern ganz verschwunden war. Das ist doch ein gutes Zeichen, nicht wahr. 
Wir haben heute richtigen Sturm, Westwind, aber ganz warm. Man weiß nur nicht, ob der Wind nicht doch Kälte im Gefolge hat, denn es ist immerhin schon November. 
Nun ist es Nachmittag und mir ist es bedeutend besser. Ich fahre nachher noch in die Stadt.  Post habe ich heute keine bekommen.  Ich glaube jetzt fast, die ersten zwei Päckchen sind verloren gegangen, denn es sind bereits 14 Tage her, seit Du sie fortgeschickt hast. Es wäre ja schön, wenn sie noch ankämen, aber wie es bis jetzt aussieht, müssen wir fast mit dem Verlust rechnen. 
Ich habe heute noch die Möhren raus gemacht, damit sie nicht evtl. noch erfrieren. Jörg hat mir fest geholfen und jetzt sitzt er unten im Vorraum und schneidet das Kraut von den Möhren ab. Da siehst Du erst, was für große Kindern wir haben. Helga hilft jetzt auch mit, bis jetzt war sie in der Schule. Ich konnte das Abschneiden nicht mehr machen, denn nachdem ich die Möhren raus gemacht hatte, hatte ich genug. Ich bin eben doch nicht ganz auf der Höhe. Aber wenn man solche große Kinder hat, geht es ja, da springen die in die Bresche. Das Kraut, Rotkraut, Weißkraut und Wirsing, habe ich noch drin gelassen, damit warte ich, bis ich wieder ganz gesund bin, sonst schimpfst Du doch. Das ist ja auch nicht so empfindlich wie die Möhren. Die Roten Rüben koche ich und mache sie in einem Steintopf. Da geht dann wenigstens nichts kaputt.  Nun will ich schließen.
Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


Mein lieber Ernst!                                    Konstanz, 4.November 40 abends

Heute Abend bin ich wieder so gut wie gesund. Ich bin wieder guter Dinge.  Ich habe mir die ganze Zeit schon überlegt, wie ich Dir eine kleine Freude machen könnte. Ich habe doch vom Vater Wäschegeld erhalten, das wollte ich so gern für Dich verwenden. Nun habe ich von dem Buch in der Zeitung eine Besprechung gelesen und dachte mir, daß ich Dir damit vielleicht eine kleine Freude machen kann.  Hoffentlich ist es mir wirklich geglückt, das Richtige zu treffen.  Sonst ist eigentlich heute nicht viel zu berichten.
Das einzige was geschehen ist, war wieder ein großer Krach im Haus. Gott sei Dank nicht mit mir, ich war nur stiller Zuhörer und wahrscheinlich auch Zeuge, denn Frau Büsing ist so gemein geworden, daß Frau Nußbaumer die Sache vielleicht nicht auf sich beruhen lassen wird. Was mir Spaß gemacht war das: Beim größten Keifen hat Frau Büsing auf einmal ihr Gebiß verloren und hat‘s erst wieder im Hof auflesen müssen, wo ja auch der Krach stattfand. Für mich war das sehr erheiternd.  Der Sturm hat den ganzen Tag nicht nachgelassen. Wahrscheinlich kommt´s bald zum regnen. Sollte es morgen noch aushalten, hole ich noch die roten Rüben herein und mache den Leimring an. Der Feldhüter macht auch erst jetzt die Leimringe an die Bäume. Da sind wir also noch nicht zu spät dran.  Nun will ich wieder schlafen gehen. Gute Nacht, mein allerliebster Schatz.

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