Mein lieber Ernst! Konstanz, 12.November 40
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 6.11. Recht vielen Dank
dafür. Ich sehe aus ihm wieder, daß Du augenblicklich viel Arbeit hast.
Mit dem Zeugnis von Helga können
wir schon zufrieden sein. Sie hat gestrahlt, als ich vorgelesen habe, daß Du
Dich darüber gefreut hast. Du
schreibst, wir wollen Dich nicht so viel loben, Du seist auch nur ein Mensch.
Ein bißchen Lob mußt Du Dir schon gefallen lassen. Wenn Du auch nur ein Mensch
bist, so bist Du doch für uns der liebste Mensch.
Aus Deinem Brief habe ich nun
auch ersehen, warum Du am 6. so spät ins Bett gekommen bist. Da war also Dein
gutes Herz daran schuld, denn das hat Dich doch veranlaßt, den beiden Chefs
über die Katerstimmung hinweg zu helfen. Du armer Kerl, Du bist zu bedauern.
Die Hauptsache war ja, daß Du am nächsten Morgen frisch und munter warst, wie
ich aus dem Brief vom 7. lesen konnte.
Daß Brombeerstacheln Schwierigkeiten
machen, habe ich gemerkt. Zwei Finger eitern immer noch. Es ist gut, daß ich
die vielen Leukopflaster mit Mulleinlage habe. Das sieht wenigstens sauber aus.
Ich habe schon ein ganz Teil verbraucht, denn bei den Hausarbeiten werden sie
doch oft feucht und schmutzig. Helga wäscht mir ja schon die ganze Zeit über
ab, jeden Tag, da brauche ich nicht so oft ins Wasser fassen. Meist trocknet
sie auch noch ab. Man sieht doch, daß man schon eine große Tochter hat. Ich
möchte nur wissen, woher das kommt. Jeder kleine Riß eitert gleich, es brauchen
nicht mal Brombeerstacheln sein. Heute
hat Jörg auch wieder mal was angestellt. Er hat seine erste Fensterscheibe
zerschmissen. Er war im Kinderzimmer. Da wollten wieder die Kinder von Büsings
reingucken. Erst hat er sie angebrüllt, sie sollten fort gehen. Als sie zu dem
kleinen Fenster hereinlangen wollten, hat er zugeschlagen, zwar mit der flachen
Hand (ich habe es gesehen), da er sich im Handteller ein bißchen geschnitten
hat, aber so stark, daß die untere Scheibe futsch war. Ich habe mich erst
schwer geärgert, denn 3 bis 4 Mk. sind umsonst rausgeschmissen, aber es läßt
sich nicht mehr ändern. Da aber Strafe sein muß, gehen wir nun nicht in die Film-Märchenstunde,
in die wir eigentlich gehen wollten.
Morgen früh 9 Uhr muß ich mit
Helga zur Untersuchung, von der Krankenkasse aus, zu Dr. Nast. Gestern Nachmittag habe ich noch die Dahlien
in den Keller getan und einen Teil Möhren eingekellert. Im Freien kann ich
heute auch nichts tun, denn es regnet schon wieder den ganzen Tag. Als die Flieger vor ein paar Tagen da waren,
haben sie die SS-Kasernen in R. bombardiert, aber nur einen Schuppen getroffen.
Die Kasernen selber sind nicht beschädigt. Als die Bomben fielen, hat man das
bei uns aber ganz genau gehört, es müssen drei Stück gewesen sein. Herr
Leimenstoll, der wieder auf Urlaub da war, sagte gleich, daß das bestimmt
Bomben gewesen seien. Sonst gebe ich ja nicht viel auf dessen Urteil, aber da
hat er mal recht gehabt. Nun will ich
in die Stadt und beim Glaser vorbei fahren, damit das Fenster bald wieder in
Ordnung kommt. Mein lieber Ernst, sei
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Ich habe Dir doch mal einen Zeitungsausschnitt geschickt, in dem
davon die Rede war, daß zu schwere Päckchen an die NSV gehen. Gestern stand nun
in derselben Zeitung der beiliegende Artikel.
Lieber Ernst! 12.11.40
Ich habe das Päckchen teilweise
noch einmal aufgepackt, um Dir mitzuteilen, daß heute Nachmittag die zwei
ersten Päckchen mit der Bluse, dem Jäckchen, dem Leder, Kaffee und den
Strümpfen angekommen sind. Sind sie also doch noch angekommen.
Mein lieber Ernst! Konstanz, 13.11.40
Heute trudelte endlich der Brief
vom 4. ein. Der hat lange gebraucht, bis er bei mir war. Du hast Dich also gefreut, daß ich Dir etwas
Gebäck mitgeschickt hatte. Das freut mich nun auch wieder. Inzwischen wird es
ja nun alle geworden sein. Der Name,
Professor Spiegel, ist mir nicht unbekannt. In der Zeitung “Wir sind im Bilde“
muß ich schon etwas von ihm gesehen haben oder im I.B. Wenn ein Mann mit 61
Jahren noch mit nach England fliegt, so ist das schon eine Leistung.
Ihr seid aber doch Süffel. Sieben
Flaschen Sekt an einem Abend, um Himmels willen. Mir würde dabei Angst. Ihr
seid ja da schon eher etwas gewöhnt.
Heute früh waren wir beim Arzt. Helga ist gesund. Jetzt hat er ihr noch
eine Salbe am Rücken eingerieben. Warum, weiß ich nicht, nur ungefähr
handtellergroß. Am Samstag müssen wir nochmals hinkommen, da will er sehen, was
draus geworden ist. Wir hatten die
vergangenen Tage ziemlich stürmisches Wetter. Da steht unser Baum ganz kahl da.
Alle Blätter hat es abgeweht.
Ich weiß gar nicht, was mit den
Eltern los ist. Auf meinen Brief habe ich bis heute noch keine Antwort
erhalten. Vielleicht schreibe ich noch eine Karte. Gestern haben wir das zerbrochene Fenster wieder ganz machen
lassen. Es hat nicht 3,- sondern nur 2,- gekostet. Da war ich ganz froh, aber
Jörg fast noch mehr. Ich hatte ihm nämlich gesagt, das würde alles von den
Weihnachtsgeschenken abgezogen. Da
kannst Du Dir die Angst denken. Lieber
Ernst, ich weiß heute gar nichts mehr zu schreiben. Sei bitte für heute mit dem
Wenigen zufrieden. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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