Samstag, 21. November 2015

Brief 95 vom 20./21.11.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 20.Nov.40 

Ich glaube, die Post ist vollkommen verdreht. Vor 3 Tagen erhielt ich Deinen Brief vom 14. und heute früh den vom 11. Gefreut habe ich mich aber doch sehr, daß es ein Brief von Dir war. In ihm hast Du mir auch wieder geschrieben, wie Du den Abend verbracht hast, so daß meine Bitte gestern eigentlich überflüssig war. 
Über die Weste habe ich mich wirklich sehr gefreut, aber auch über die Bluse.  Über die Weste aber ganz besonders deshalb, weil ich so etwas noch nie hatte. Lieber Ernst, halte mich bitte nicht für ungenügsam, aber wenn Du mir später noch einmal so etwas Ähnliches kaufen könntest, würde ich mich sehr freuen. Aber es hat Zeit, Du mußt nun nicht gleich danach springen. 
Ich wollte beim ersten Mal Mist holen wirklich ein paar Ruhetage vorher einlegen, aber ich habe es einfach nicht ausgehalten. Was getan ist, ist getan. Der Wohlgeruch hat mich im Allgemeinen wenig gestört, nur darf man sich mit der Kleidung, die man beim holen anhatte, nicht in die Küche wagen, da ist es dann schon unangenehm. 
Wenn Du noch einige Tafeln der Corona-Schokolade da hast, sind wir gern Abnehmer, aber nur, wenn Du auch welche für Dich hast. Sonst schmeckt sie uns auch nicht.  Wie ich bei Musik aus dem „Fliegenden Holländer“ immer an Dich denken muß, so geht es Dir jetzt scheinbar mit dem „Lügenlord“. Das Lied macht mir aber auch wirklich immer Vergnügen. 
Heute früh habe ich rote Rüben in Steintöpfen eingemacht, in kleinen Litertöpfen. Mal sehen, ob sie sich halten. Die hebe ich für Dich auf, wenn Du mal auf Urlaub kommst.  Heute Nachmittag wollen wir mal in den Wald gehen und sehen, wo es evtl. Tannenreisig für einen Adventskranz gibt. Es paßt gerade, da Helga ja heute keine Schule hat. 
4 Uhr.    Nun sind wir wieder da und haben auch Reisig gefunden.  Nicht haufenweise, aber es langt gut. Ich versorge es einstweilen im Keller. Es war ganz schön im Wald. Die Kinder haben sich an verschiedenen Stellen an Ostereier erinnert. Sie haben auch überall gewußt, wo wir mit Dir gegangen sind. Unser aller Meinung war, daß es eben doch am schönsten war, mit Dir im Wald spazieren zu gehen. Wir wollen hoffen, daß diese Zeit auch wieder einmal kommt.  Ich will heute schon einmal etwas früher in die Stadt fahren, denn ich soll heute nochmals nach dem Rückstrahler fragen. Am Montag waren sie schon wieder ausverkauft.  Ich schließe darum heute schon und grüße und küsse Dich innig Deine Annie.


 Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 21.11.40

Ich glaube, fast jeden Tag kann ich im Brief mit dem Seufzer beginnen, Post habe ich heute keine von Dir bekommen. Ich möchte nur wissen, wo die Briefe alle stecken, denn Du schreibst doch jeden Tag.
Vielleicht geht es Dir aber mit dem Empfang von Briefen genau so.  Heute ist wieder einmal sonniges Wetter und da am Morgen der Schein für die Schuhe für Helga gekommen ist, nehmen wir die Gelegenheit wahr und gehen am Nachmittag in die Stadt. Helga macht nur noch schnell Schulaufgaben. 
Kurt hat an Vater geschrieben, daß er jetzt in Privatquartier ist, bei einer Frau mit drei Kindern. Es gefällt ihm sehr gut. Ich soll ihm bald etwas zu lesen schicken, da er und auch seine Wirtin sehr gerne liest. Er ist noch in der Nähe von K. Den Rückstrahler habe ich gestern bekommen. Er kostet ohne anmachen 1,90 M. Für so ein kleines Ding ziemlich viel Geld. Für Dein Rad habe ich noch keinen besorgt, da Du es ja nicht wolltest. Das anmachen war gar nicht so einfach. Ich hab fast den ganzen Vormittag damit zugebracht. Ich hätte es vom Händler gleich machen lassen, aber da hätte ich das Rad dort lassen müssen, da sie so viele Räder zum anmachen haben.
Die Kinder unterstützen mich jetzt auch wieder, damit ich an Dich schreiben kann. Helga wäscht ab und Jörg hat eben die Küche ausgekehrt.  Lieber Ernst! Du wirst mir nicht böse sein, wenn ich heute weniger schreibe. Wir möchten gern noch bei Sonnenschein raus gehen. Sei für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Lieber Vater! Heute kaufen wir Schuhe für mich, da kriegen wir sicher wieder ein buntes Heft. Mutter hat uns gestern eine große Freude gemacht, sie hat uns ein Adventskalender gekauft.  Viele Grüße und tausend tausend Küsse von Deiner Helga.  Jörg.

Mein lieber Ernst!                                                  Konstanz, 21.11.40

Zum Advent schicken wir Dir 2 kleine Päckchen. Hoffentlich hast Du ein wenig Freude daran. Die Tanne haben wir gestern im Wald geholt. So erhältst Du also auch einen kleinen Gruß aus unserem Wald. 
Sei vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

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