Dienstag, 24. November 2015

Brief 96 vom 22.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                  Konstanz, 22.11.40 

Um es gleich vorweg zu nehmen, Post habe ich heute früh auch wieder keine bekommen. Da ich nun keinen Brief beantworten kann, will ich Dir von gestern Nachmittag und heute erzählen.  Wie ich Dir schon schrieb, wollten wir gestern Schuhe für Helga kaufen. Ich hatte Socken mitgenommen, damit die Schuhe reichlich groß sind. Da brauchte Helga Nr. 36. Nun hatten sie noch feste Lederschuhe zu 10,80 M da. Die standen schon länger, weil, wie das Frläulein sagte, vorm Krieg keiner für Kinderschuhe soviel ausgeben wollte. 36 ist nun eigentlich schon Damengröße und Damen wollten wieder leichtere Schuhe. So sind sie noch dageblieben. Verhältnismäßig sind die Schuhe billig. Ich habe mir vorher schon andere angesehen. Die kosteten bis Größe 35 12,50 M. Unter diesem Preis bekommt man jetzt fast keine und das sind dann keine so guten Ledersohlen. Ich habe sie Vater gestern gezeigt, dem gefallen sie auch sehr gut. Nun wirst Du staunen, wenn ich Dir sage, daß ich mir auch noch ein paar Schuhe mit Holzsohle gekauft habe. Dunkelblau mit rot abgesetzt. Der Stoff sieht aus wie Wildleder. Ich habe doch nur meine Lackschuhe, die ein bißchen nett aussehen. Die möchte ich noch nicht ganz kaputtmachen, da ich ja auch, wenn diese kaputt sind, keine neuen bekomme, denn ich habe doch noch die braunen schweren, die schwarzen zum schnüren und die ganz guten. Die ganz guten will ich noch nicht tragen, damit ich ein paar Schuhe habe, wenn ich mit Dir fortgehe. Die schwarzen zum Schnüren ziehe ich meist nur an, wenn es regnet, (denn ich bin jetzt schon ein bißchen eitel geworden) und die braunen schweren nur im Winter oder wenn es sehr kalt ist. Die Lackschuhe will ich jetzt für Sonntag anziehen, denn da möchte ich nicht mit Holzschuhen laufen. Die Holzschuhe vom Sommer kann ich ja jetzt nicht tragen, die sind zu hell. Ich habe sie gewaschen und weggestellt. Die Holzschuhe, die ich mir gekauft habe, gefallen mir ja prima. Kosten tun sie 7,90 M. Nun wirst Du fragen, ja, hast Du denn soviel Geld? Das ist so. 15, hatte ich für Helga‘s Schuhe zurückgelegt.  Da sie nur 10,80 kosteten, blieben mir 4,- übrig. 2,- habe ich für Rabattkarten bei Tengelmann gelöst und 2,- habe ich noch dazutun müssen. Ich hoffe, daß Du mit dem Kauf einverstanden bist.  Heute früh habe ich meine Lackschuhe besohlt. Sie sind gut geworden. Bei Jörg seinen Halbschuhen habe ich meine Lederabsätze drauf machen müssen, die alten waren ganz schief getreten und zwar tritt er sie immer nach innen.  Gestern habe ich einmal die neue Weste, die Du mir geschenkt hast, angezogen.  Die ist wirklich fein. Jetzt bin ich mit Kleidern usw. wirklich ausgestattet. Das einzige, was ich mir einmal noch kaufen möchte, ist ein fester Sportrock, den ich auch auf dem Rad anziehen kann, also ohne eingelegte Falte. Diese reißt auf dem Rad gern ein. Dann bin ich aber wirklich für Jahre hinaus versorgt, denn ich habe ja auch noch die Stoffe von Dir da. So eine reichliche Ausstattung habe ich überhaupt noch nie gehabt und das verdanke ich nur Dir allein, daß es mir in dieser Beziehung jetzt so gut geht. 
In den nächsten Tagen muß ich an meine Eltern und Kurt schreiben.  Abends hat man nur nicht immer Lust.  Von Vater soll ich Dich auch herzlich grüßen. Er kommt so schlecht zum schreiben.  Wenn ich nachher in die Stadt fahre, will ich sehen daß ich schon ein paar Weihnachtsgeschenke für die Kinder kaufen kann. Ich fahre heute schon ein bißchen zeitiger fort, da es in den letzten Tagen immer zum spät zum Märchen vorlesen war und darauf freuen sich doch unsere beiden Stromer immer so.  Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Wenn nur recht bald wieder ein Brief von Dir käme, ich wäre so froh.

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