Dienstag, 10. November 2015

Brief 89 vom 10./11.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                 10.November 

heute Nacht haben wir durchschlafen können und sind nicht gestört worden.  Der Briefträger brachte mir am Morgen zwei Briefe von Dir, vom 3. und 5.11. Der vom 4. fehlt noch, so daß ich auch noch nicht weiß, warum Du am 5. „mit Rücksicht auf den vergangenen Abend sehr häuslich“ warst. Das geht sicher aus dem fehlenden Brief hervor.
Aber ich will erst einmal mit der Beantwortung des Briefes vom 3. beginnen.  Inzwischen habe ich ja nun sieben Päckchen erhalten, so daß nur noch eins aussteht. Ich habe mich wirklich über alle Sachen sehr gefreut. Du weißt eben auch immer richtig, was ich brauchen kann.  Ich habe mich heute auch sehr über Deinen langen Sonntagsbericht gefreut. Da hast Du aber lange Zeit für mich geopfert und auch dafür möchte ich Dir danken. Du schreibst überhaupt immer so lieb. 
Dein Mantel ist wirklich nicht teuer, besonders, wenn er, wie Du schreibst, schön und solid ist.  Da hast Du wenigstens auch noch etwas rechtes.  Also gibt es jetzt auch in Frankreich Marken. Wir hier haben uns ja schon daran gewöhnt, da können es die Franzosen auch einmal kennen lernen. Die Hauptsache ist ja schließlich, daß Jeder das Seine erhält. 
Bei uns war heute früh wieder Frost. Alles sah weiß aus. Es ist eben doch bald Winter, da kann man nichts anderes erwarten. Es ist wirklich gut, daß Du dort eine richtige Unterkunft hast, besonders, da richtig geheizt werden kann.
Aus Deinem Brief vom 5.11. ersehe ich, daß es Dir bezüglich der Briefe von mir auch schlecht ergangen ist. Ich habe ja auch so bummlig Post erhalten. Jetzt renkt es sich scheinbar wieder ein. Wie ich aber lese, hast du scheinbar am 4.11. das gesandte Gebäck erhalten und es freut mich, daß es Dir schmeckt. Das ist ja schließlich die Hauptsache. 
Für die Karte von dem Cafe‘ Ganquie‘ danke ich Dir. Da sehen wir doch, wo Du Dich öfter aufhältst. Das interessiert uns ja sehr. 
Die Zeugnisabschrift hat Dir ja Helga schon geschickt. Bei Betragen stand „gut“, aber keine Zahl dabei. Vielleicht gibt es das nicht mehr. Bei den Bemerkungen, die Du auf dem einen Zeugnis mit aufgeschrieben hast, steht ja, dass bei Betragen 1 = gut ist. Zum Vergleich schicke ich Dir wunschgemäß die vorhergehenden Zeugnisabschriften mit.  Nach dem Schulranzen habe ich mich schon bei Vater erkundigt. Ich dachte, er bringt ihn mal mit rauf, da man ihn ja nicht immer antrifft. Ich glaube aber, ich werde den Ranzen wohl selber mal holen müssen. 
Unsere 2 Stromer sind eine richtige wilde Bande voll Übermut. Manchmal bin ich froh, wenn sie abends endlich im Bett sind. Aber sonst sind sie soweit brav und helfen mir auch mancherlei. Wir haben jetzt in die Küche das kleine Tischle aus dem Kinderzimmer mit den zwei Hockern geholt. Das Kindertischle, unter das sie immer mit ihren langen Beinen nicht mehr richtig drunter kommen, steht nun im Kinderzimmer. Nun sitzen sie an dem Tischle und malen. Scheinbar etwas lustiges, denn es gibt ein dauerndes Gelächter.  Ich habe vorhin gerade mal richtig hingeguckt. Wenn Jörg auf dem Hocker sitzt, reichen seine Beine tatsächlich schon bis auf den Boden. Das ist doch schon ein langer Kerl.  Die Ursache des Gelächters von vorhin war der Churchill, den sie wunderbar gemalt haben. Vorhin ist ja gerade im Radio bekannt gegeben worden, daß Chamberlain gestorben ist. Die Kinder sagten: „Das ist recht, der kommt aber nicht in den Himmel, wo der so ein frecher und böser Mann war.“ Na, schade ist es um ihn tatsächlich nicht.  Ich muß mich vorgestern Abend im Keller ein bißchen erkältet haben Trotz derber Schuhe und Socken hatte ich eiskalte Füße. Das hat sich ein bißchen auf die rechte Niere gelegt. Nun muß ich mich ein bißchen vorsichtig bewegen und warm halten. Aber sonst ist es mir ganz wohl zumute.
Heute kann ich auch den Brief selber wieder fort bringen und muß nicht, wie vergangenen Sonntag, die Kinder schicken.  Jetzt fängt bald das Wunschkonzert an, das ich mir auch wieder anhören werde. Dazwischen fahr ich nur schnell zur Post. Sei Du, mein lieber Ernst, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Lieber Vater! Ich will auch noch einen Gruß schreiben. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.   Jörg


Mein lieber Mann!                                           Konstanz, 11.11.40

Ich schicke Dir heute einen kleinen Kuchen. Laß ihn Dir gut schmecken. Hoffentlich kommt er nicht ganz zerbrochen an. Ich hätte Dir gern einen größeren geschickt, aber da reicht es mit dem Gewicht nicht. 
Viele herzlich Grüße und Küsse von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 11.11.40

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 7. /8.11. Auch mir geht es wie Dir, bei der Post fällt immer ein Tag aus. Ich habe Deine Briefe vom 1., 3., 5. und 7. erhalten. Die anderen fehlen noch. Ich schreibe jeden Tag an Dich, so daß die Verzögerungen bei der Post liegen. Eins ist das Dumme dabei. Man bezieht sich doch in manchen Sachen auf den vorhergehenden Brief und da weiß der Andere dann manchmal gar nicht, um was es sich eigentlich handelt.  Über die Sachen, die Du für Kurt besorgst, werde ich Buch führen. Kurt hat mir heute gerade geschrieben, daß er mit noch 5 Kameraden zu einer Feldeinheit versetzt wird. Wo er hinkommt, weiß er noch nicht. Wahrscheinlich wird er Dir auch schreiben. 
Wie Du ja aus den vorhergehenden Briefen ersehen haben wirst, geht es mir soweit wieder gut. Sollte es mir wieder mal dumm zu Mute sein, werde ich Deinen Rat beherzigen und von dem Kirschwasser trinken.  Hoffentlich ist es nicht nötig. 
Du, ich glaube, ich bin etwas begriffsstutzig geworden. Daß Dich Deine Kameraden mit dem Ausspruch vom überhaupt wollen, aufziehen wollten, habe ich nun begriffen. Nun schreibst Du wieder so einen Satz, von dem ich nicht weiß, ob er ernst gemeint ist, nämlich: „ Ich finde, daß meine These, die ich früher einmal aufstellte, Du seiest zwar keine ausgesprochene Schönheit, aber die Frau, die zu mir paßt in Bezug auf den Punkt Deines äußeren Eindrucks glatt widerlegt ist“.
((Nebenbei gemerkt, hieß Dein Ausspruch nicht so, das habe ich mir nämlich ganz genau gemerkt, da er mir nämlich immer einen Dämpfer aufgesetzt hat, wenn ich bezüglich meines Eindrucks von meinem Aussehen zu übermütig wurde. Von ausgesprochener Schönheit war da nicht die Rede, sondern Du hast gesagt: „Daß Du nicht schön bist, weißt Du ja selber, aber mir bist Du schon recht.“ Also, lieber Kerl, nur nicht mogeln, gell?)) Sollte der Satz ernst gemeint sein, was ich nicht hoffen will, so müßte ich ja über meinen lieben, klugen Mann den Kopf schütteln und mich fragen, wie er zu so einer Meinung kommt. Passen wir zwei nicht auch äußerlich zusammen? Sind wir nicht gleich groß, sind wir nicht beide grad gewachsen, hast Du kein liebes Gesicht? Du wirst nicht umhin können, alles mit ja zu beantworten. Also bitte schön! Jetzt wirst Du denken, „also tatsächlich, sie ist doch begriffsstutzig, ich mache mir einen Spaß und sie muß deswegen über eine Seite voll schreiben. Jetzt hätte ich aber auch allen Grund, den Kopf zu schütteln.“ Ist es nicht so?
Jörg ist ganz stolz, daß Du ihn für sein Schreiben und Helfen lobst. Er sagt eben, Du wärst doch der liebste, liebste Schatz. Inzwischen sind ja die ersten zwei Päckchen, wie ich Dir schon schrieb, angekommen. Um die Bluse und Weste, sowie um die Strümpfe und das Leder wäre es tatsächlich sehr schad gewesen. 
Aus dem Brief ersehe ich, daß Du inzwischen das Zeugnis von Helga erhalten haben mußt. Helga freut sich schon sehr darauf, daß Du ihr schreiben willst.  Zur Abwechslung regnet es heute wieder die meiste Zeit, dafür ist es nicht ganz so kalt wie die vergangenen Tage.  Vater hat gestern Abend gesagt, daß er ½ Kubikmeter Mist nehmen würde, Frau Nußbaumer will auch ½. Ich brauche ja den einen für uns. Jetzt schau ich zu, daß ich nochmals einen bekomme. Da hole ich dann die eine Hälfte für Vater einstweilen in unseren Garten, die andere Hälfte holt Frau Nußbaumer. Ein bißchen graut mir ja vor der Arbeit, aber wir werden es schon machen. Es ist ja nur die halbe Arbeit diesmal. 
Gestern Abend habe ich angefangen, Fausthandschuhe für die Kinder zu stricken, damit sie, wenn es recht kalt wird, ein paar richtige haben. Ihre anderen sind ihnen bald zu klein.  Nun will ich für heute schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber, lieber Ernst von Deiner Annie, die große Sehnsucht nach Dir hat.


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