Samstag, 28. November 2015

Brief 99 vom 27./28.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                                          Konstanz, 27.11.40     

Post habe ich heute keine von Dir erhalten, was ich gleich zuerst bemerken möchte. Von den Eltern kam eine Karte mit der Bitte, daß ich bald wieder schreiben soll. Das ist ja nun inzwischen schon geschehen. Auch von Elsa erhielt ich wieder einen Brief. Ich hatte ihr auf den vorhergehenden noch gar nicht geantwortet. Sie schreibt, daß sie 2 - 4 mal wöchentlich in den Luftschutzkeller müssen, daß die Kinder erkältet sind, daß Gerhard wieder wo anders hingekommen ist, daß der Helmit jetzt auch geheiratet und auch einen Jungen hat, auf den Gerhard auch sehr stolz ist, weil so wenigstens  die Familie nicht ausstirbt. Am Schluß schreibt sie: „Schreibe mir doch bitte, bitte einmal wieder.“ Dann folgen Grüße und hinterher: „Vergiß mir bitte nicht zu schreiben.“ Da muß ich mich doch in den nächsten Tagen tatsächlich gleich mal ans schreiben machen.
Unser kleiner Bursche ist für mich jetzt ein richtiger kleiner Helfer geworden. Er holt mir manchmal, d.h. eigentlich oft Holz, Kohlen, Kartoffeln und Möhren aus dem Keller. Manchmal putzt er die Treppe mit, heute hat er mir Rosenkohl aus dem Garten geholt. Man kann ihn also schon zu mancher Arbeit brauchen. Helga hilft natürlich auch mit, wenn sie da ist, aber oft muß sie natürlich zur Schule, wenn diese Arbeiten notwendig sind.
Nun ist doch noch ein Brief von Dir gekommen und zwar vom 17. 11. Inzwischen habe ich ja den Fahrtbericht, den Du in diesem Brief ankündigst, schon erhalten. Danken möchte ich Dir aber doch noch für den Brief, den Du geschrieben hast, als Du müde von der Fahrt zurückgekommen bist. Du hast also auch da noch an uns gedacht.
Heute ist wieder einmal einer der jetzt so seltenen sonnigen Tage. Es ist direkt eine Freude, wenn man wieder einmal einen blauen Himmel sieht.
An Helga`s Filzschuh war ein Stück von der Sohle abgegangen. Ich hatte gerade keine Zeit zum annähen und sagte ihr deshalb, sie solle es doch selber einmal probieren. Das hat sie dann auch getan und es ist ihr ganz gut gelungen. Da kannst Du Dir die Freude denken. „Weißt Du, Mutterle, das kann ich mir gar nicht denken, daß ich das selber gemacht habe,“ sagte sie die ganze Zeit und hat sich`s immer wieder angesehen. Ich bin der Meinung, daß es für die Kinder doch ganz gut ist, wenn sie selber etwas können. Eine Freude habe ich jetzt auch noch an ihnen. Du weißt sicher noch, wie sie früh immer schon so laut im Bett geredet haben, so daß wir öfter schimpfen mußten. Vor ca. 1 Woche habe ich mir beide einmal vorgenommen und habe ihnen erklärt, daß ich, wenn ich gleich früh schimpfen muß, den ganzen Tag nicht mehr richtig fröhlich sein kann, daß es doch viel schöner sei, wenn wir fröhliche Tage zusammen hätten usw. Seitdem sind sie früh nun ganz still, wenn sie früh rauskommen freuen sie sich schon, daß ich mich freue und so beginnen seit einer Woche die Tage in fröhlicher Stimmung. Hoffentlich bleibt es so. Nun ist es schon wieder Zeit, daß ich in die Stadt fahre. Ich beende deshalb diesen Brief. Sei Du, mein lieber, lieber Kerl, recht herzlich und oft gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Mann!                                                                      Konstanz, 28.11.40

Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom 19.11. und danke Dir vielmals dafür.
Die 5,-M für die beiden Hemden für Kurt werde ich aufschreiben. Willst Du wirklich die restlichen 25,- für Briefmarken verwenden? Frage doch mal bei Kurt an, ob er nicht noch Interesse für einen ärmellosen Pullover oder so etwas hat. Seine, die ich bis jetzt gesehen habe, sind nicht mehr besonders. Du kannst natürlich tun, was du willst.
Wegen der W.H.W. Briefmarken habe ich noch keinen Bescheid von Dir. Ich habe deshalb nun 2 Sätze gekauft. Einen werde ich stempeln lassen. Ich denke, daß Kurt ihn sich selber besorgen wird, da er ja noch im Reich ist. Die Behring-Sondermarke werde ich Dir auch noch besorgen.
Die 26,- hast Du also erhalten. Am 25.11. habe ich Dir wieder 25,- geschickt, wie ich Dir schon geschrieben habe. Wenn du vom zu vielen Wirtschaftgehen schreibst, so kommt mir das immer wieder eigenartig vor, nachdem Du früher nie so in Wirtschaften gesessen bist. Es läßt sich natürlich unter den jetzigen Verhältnissen nicht anders machen, aber mir kommt es doch so fremd an Dir vor. Du mußt nun natürlich nicht gleich böse sein, daß ich das geschrieben habe, denn,  wie ich schon geschrieben habe, unter den jetzigen Verhältnissen geht es nun einmal   nicht anders. Wenn du nur sonst der alte bleibst.
Gestern und heute habe ich mit der Weihnachtsbäckerei angefangen. Vom vielen Rumspringen bin ich richtig ein bißchen müd´ geworden. Draußen ist heute scheußliches Wetter. Halb schneit und regnet es. Es ist richtiger Matsch draußen. Es ist gut, daß ich mein Rad habe und nicht laufen muß.
Helga hat heute auch ihre festen neuen Schuhe gut brauchen können. Ihre Halbschuhe sind gestern an der Seite aufgerissen. Ich will mal sehen, ob sie noch zu reparieren sind. Ich fahre heute gleich noch beim Schuster vorbei. Ich habe zum Advent zwei Päckchen an Dich abgeschickt, bereits vorige Woche. Vielleicht hast Du sie inzwischen schon erhalten. Ich schreibe es nur, damit Du weißt, daß welche unterwegs sind. Hoffentlich erfreuen sie Dich ein wenig. Mein lieber Schatz, sei bitte nicht böse, wenn der Brief heute kürzer wird. Ich bin ein bißchen abgespannt. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Lieber Vater! Jetzt ist bald Advent und wir dürfen ein Fensterle aufmachen, das freut mich schon. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.---Jörg 28.11.40

Brief 98 vom 25./26.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                                        Konstanz, 25.11.40 

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 20.11. Ich danke Dir sehr dafür.
Wie ich Dir ja schon schrieb, sind meine Finger inzwischen wieder geheilt. Es ist überall frische Haut gewachsen. Natürlich ist diese noch ein bißchen zart, aber schaffen kann ich schon wieder gut. Schlimm war es schon, aber jetzt ist es ja vorbei. Geduld muß man dabei nur haben.
Du meinst, daß Jörg noch nie beim Friseur war. Das stimmt aber nicht. Wir haben ihm schon in der Wilhelmstraße und beim Frieden die Haare schneiden lassen. Er kann sich sogar noch gut daran erinnern. Er sagt: „Weißt, die schneiden einfach zu. Da muß man immer still halten. Du wartest wenigstens einmal eine Weile, wenn ich`s Dir sage.“
Wenn Du eine Weste für ca. 6,- für Vater bekommen könntest, wäre es ja schön.
Wegen dem Geld für Deinen Mantel werde ich es so machen. Ich schicke Dir heute 15,-Mk. (Mehr habe ich diesen Monat nicht). Evtl. kannst Du davon mit die Weste für Vater bezahlen. Am 15.12. schicke ich Dir 50,-.  Doch warte mal, ich werde noch 10,- von der Sparkasse holen und schicke Dir heute 25,-. Du mußt mir dann eben noch schreiben, wie viel Geld noch fehlt. Ist es so recht?
Du fragst nach dem achten Päckchen der 1. Sendung. Soviel ich weiß, habe ich Dir doch alle Päckchen bestätigen können. Ich habe jetzt gerade nochmals alle Briefe durchgesehen in denen Du die Päckchen ankündigst und den Inhalt beschreibst. Danach habe ich alle Päckchen erhalten.
Am Vormittag habe ich noch das schräge Stück hinterm Haus umgegraben. Da ist dann alles soweit fertig. Nur der Mist muß noch auf die Erdbeeren getan werden. Das drückt mein Gewissen, daß ich das noch nicht gemacht habe.
Siehst Du, gerade als ich den letzten Satz geschrieben hatte, bin ich mit mir zu Gericht gegangen und habe mich gefragt, hast Du nun wirklich keine Zeit oder graut Dir nicht ein bißchen vor der Arbeit und es ist nur Faulheit, daß die Arbeit noch nicht gemacht worden ist? Und siehe da, nach gründlicher Prüfung mußte ich feststellen, daß das Letztere der Fall ist. Da habe ich mir erst einmal gesagt, daß ich doch ein Feigling bin, daß ich Arbeiten, die ich nicht gern mache, hinaus schiebe. Dann hat mich der Zorn gepackt und ich bin kurz entschlossen in den Garten gegangen und habe Mist auf die Erdbeeren getan und siehe da, ich bin sogar ganz fertig geworden. Es ist also halb so schlimm gewesen, als es vorher ausgesehen hat.
Nun muß ich aber für heute schließen. Es ist nun ziemlich spät geworden und ich will den Brief noch wegschaffen. Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, 26.Nov.40

So, nun bin ich mit der Gartenarbeit ganz fertig. Heute früh habe ich vorm Haus am Zaun noch umgegraben, dann auf den Abfall auf dem Komposthaufen Erde getan wie Du es mir gesagt hattest, daß ich auf den Rhabarber auch Mist getan habe, ist doch sicher recht. Ich wollte beim Spinat auch welchen hintun, aber ich weiß nicht, ob das richtig ist. Heute steht in der Zeitung, daß man im Dezember das Doppelte des Wehrsoldes überweisen kann. Soviel habe ich ja nicht, aber ich könnte Dir statt der 50,- die ich schicken wollte, 60,- schicken. Soviel hätte ich gerade übrig. Diesen Monat hatte ich auch ca. soviel, aber ich brauchte davon 10,- für Kirchensteuer und 15,- für Schuhe, sowie 30,- für Weihnachten.
Lieber Ernst! Wenn ich Dir das Geld für den Mantel schicke, kann ich Dir ja nun leider kein anderes Weihnachtsgeschenk machen, denn Du hast ja keinen Wunsch weiter geäußert. Es kommt mir ja ein bißchen kahl vor, wenn ich Dir nur das Geld schicke, aber einen Mantel kannst Du eben doch gut brauchen. Ein kleines Geschenk für die Kinder kaufe ich nun doch noch und zwar Plastellina. Der Bub knetet immer wieder Figuren und sein Handwerkszeug ist fast alle. Wie Dir ja Helga schon schrieb, bin ich am Handschuh stricken. Jörg seine sind nun auch bald fertig. Hinterher will ich noch Socken für unsere zwei Banausen stricken, denn in die hohen Schuhe brauchen sie welche. Gestern habe ich zum ersten Mal mein Rücklicht ausprobiert, als ich den Brief für Dich fortschaffte. Um 6 Uhr ist es jetzt doch schon dunkel und vor allen Dingen neblig. Durch den Nebel ist es dann gleich so naßkalt. Da freut man sich dann auf eine warme Stube. Wenn Du einmal wieder auf Urlaub kommst, wirst Du auch staunen. Ich gebe jetzt nämlich immer Hauskonzerte auf der Mundharmonika. Du weißt ja, ich wollte schon immer gern spielen. Vor 3 Tagen habe ich mir mal die Mundharmonika rausgesucht und zu meinem Erstaunen kann ich fast alle Lieder spielen. Also nicht nur so stümpern, sondern fließend spielen, sonst hätte ich es gar nicht geschrieben. Die Kinder waren auch ganz paff, genau wie Vater und eigentlich ich selbst. Da kann man doch auch sagen, den Seinen gibt´s der Herr im Schlafe. Freuen tue ich mich ja sehr. Du weißt ja, singen kann ich nicht wegen meinem Hals, trotzdem ich´s gern möchte. Da ist das spielen ein Ersatz, denn wenn ich mal froh oder betrübt bin, kann ich doch spielen. In beiden Fällen erleichtert es. Lieber Schatz, nicht wahr, Du lachst mich nicht aus, daß ich Dir das geschrieben habe. Mit Dir möchte ich doch alles teilen, auch die kleine Freude, die ich jetzt habe. Einen Haken hat die ganze Sache nur. Die Kinder wollen abends nicht mehr ins Bett, immer soll ich noch weiter spielen. Du denkst doch nun nicht, daß ich mir auf meine Spielerei was einbilde. Ich freue mich nur so und besser als meine Singerei klingt es auf jeden Fall. Weißt Du, wenn Du jetzt hier wärst, würde  ich mal mit Dir umeinander tanzen, wie ich es früher manchmal gemacht habe, wenn ich mich gefreut habe. Nun schließe ich für heute wieder. Sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Dienstag, 24. November 2015

Brief 97 vom 23./24.11.1940


Mein lieber Mann!                                              Konstanz, 23.11.40  

Endlich hat heute die Post ein Einsehen gehabt. Nachdem ich so lange hab warten müssen, bin ich heute geradezu verwöhnt worden. Ich bekam Deine beiden lieben Briefe vom 14. (der 2. von diesem Tag) und vom 18.11. sowie die restlichen 5 Päckchen. Eins hatte ich ja schon vor einigen Tagen erhalten. Ich möchte Dir für alles recht, recht sehr danken. Über den Zucker habe ich mich sehr gefreut und über das Fett, auch über den Kaffee, die Seife und das Seifenpulver. Das Hemd hebe ich für Kurt auf. Den Preis teilst Du mir ja noch mit, damit ich‘s aufschreiben kann. Die 2 Päckchen, die ich noch nicht aufmachen darf, habe ich weggestellt. Du kannst Dich bestimmt darauf verlassen, daß ich sie nicht aufmache. Das weißt Du ja auch, sonst hättest Du sie ja noch nicht geschickt.
Du schreibst von einer Dose Konserven. Die war ja nicht dabei. Wahrscheinlich war sie zu schwer.  Über den Bericht von Eurer Sonntagsfahrt habe ich mich sehr gefreut, auch über die Karten. Da hast Du ja wieder allerhand gesehen. Durch Deinen Bericht kann ich mir doch von allem wenigstens ein wenig ein Bild machen.
Es freut mich, daß der Kuchen gut angekommen ist. Hoffentlich hat er auch geschmeckt. Hast Du eigentlich das kleine Buch vom Hegau bekommen? Wenn ich sie brauche, werde ich also die blauen Birnen vom Kaspertheater mit verwenden. Die neue Adresse von Kurt lautet: Feldpostnummer 19 655. In Deiner Nähe ist er ja nun noch nicht. 
Von dem Kaffee, den Du geschickt hast, verkaufe ich an Vater noch ½ Pfund. Von der Seife gebe ich ihm noch 2 kleine Stücke.  Ist Dir das auch recht?
Für die Kinder habe ich die meisten Weihnachtsgeschenke gekauft. Für Helga eine Puppe mit Kleider im Karton, Wilhelm-Busch-Bilderbogen. Da sind verschiedene Sachen von Busch drin, aber bunt für Kinder. Die Bilderbogen sind natürlich ein Buch, der Titel lautet nur so. Max und Moritz ist ausverkauft gewesen. Für Jörg ein Märklin-Motorrad, ein Motorrad mit Beiwagen, ein Lastwagen mit Anhänger. Alles ist so klein wie das Märklin Auto, das er schon hatte. ein Buch zum Ausmalen. Für Helga übrigens noch eine neue Umhängetasche, da die alte schon bald kaputt geht. Die neue Tasche ist auch ein bißchen größer, so daß sie Brot und Äpfel in die Tasche tun kann.  Ich will beiden noch ein paar Buntstifte kaufen, denn Jörg hat ja die anderen bald alle vermalt. Das dürfte in der Hauptsache alles sein. 
Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, daß ich wieder einen Brief von Dir erhalten habe. Ich habe schon nachts immer Angstträume gehabt. Heute Nacht träumte ich, mir wäre gesagt worden, von Lille aus dürfte nicht geschrieben werden, da dort Unruhen wären. Da dachte ich, also darum bekomme ich keine Briefe. Als ich heute früh aufwachte, war ich noch ganz benommen, so einen tiefen Eindruck hatte der Traum auf mich gemacht. Gott sei dank ist alles nicht wahr. Helga ist heute wieder ganz fleißig. Während ich schreibe, hat sie abgewaschen und die Küche ausgekehrt. Jörg, der eben noch geheult hat, daß für ihn gar nichts zum helfen da sei, räumt nun auch noch mit auf. Vor allen Dingen tun sie‘s auch deshalb, daß ich schnell fertig werde und bald wieder komme, damit ich noch vorlesen kann. Darauf freuen sie sich doch immer.  Lieber Ernst! Ich möchte Dir für Deine lieben Päckchen und Briefe nochmals danken. Ich habe mich so sehr darüber gefreut und bin so froh. 
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber Schatz, von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                                Konstanz, 24.11.40

So nach und nach treffen doch alle Briefe ein. Ich erhielt heute die beiden vom 12. und 15.11. Ich danke Dir recht herzlich dafür. Ich habe daraus auch ersehen, daß Du das kleine Buch vom Hegau erhalten hast, so daß meine Frage von gestern dadurch überflüssig geworden ist. 
Für meine Arbeit im Garten sollst Du mich nicht entschädigen. Das tue ich doch, weil ich Dich so lieb habe. Wenn ich weiß, daß Du Dich darüber freust, ist mir keine Arbeit zu viel. Bezüglich meiner „Schönheit“ gehe ich bestimmt nicht darauf aus, Komplimente von Dir zu hören. Nur lieb haben sollst Du mich, Ernst, liebhaben und mich nie vergessen.  Gestern habe ich das Buch „Max und Moritz“ in einem kleinen Laden doch noch entdeckt. Es war aber auch dort das letzte Exemplar. Ich habe es noch gekauft. Auch ein paar Buntstifte habe ich noch gekauft und nun ist es mit dem kaufen Schluß. 
Heute ist wieder ein ruhiger Sonntag. Wir sind erst ½ 9 Uhr aufgestanden, gegen 1 Uhr haben wir Mittagbrot gegessen, dann hat sich Helga und Jörg ein bißchen hingelegt. Vorhin war ein schönes Volkskonzert. Vielleicht hast Du‘s auch gehört. Es wurden verschiedene Lönslieder gesungen, die mir ja immer besonders gefallen. Das Wunschkonzert hören wir uns nachher auch an, denn zum Fortgehen haben wir alle keine Lust. Ich fahre nur noch schnell zum Brief fortschaffen. Ich habe Vater gestern ½ Pfund Kaffee runter gebracht. Für den in Verpackung habe ich 1,25 M für ½ Pfund verlangt.  Es freut mich sehr, daß Du mir jetzt wieder immer die Programme mitschickst, wo Du gewesen bist. Ich wollte auch schon wieder einmal ins Kino gehen, aber bis jetzt ist es noch nicht dazu gekommen. 
Jetzt, da die Schweiz abends ab 11 Uhr auch verdunkelt hat, sieht man erst, was richtige Verdunklung ist. Wenn man da zum Fenster hinaus schaut, ist es wirklich stockdunkel. Früher, als  es drüben noch hell war, hat man das gar nicht so empfunden. Nachher will ich mich nun bestimmt einmal hinsetzen und an die Eltern und Kurt schreiben. Ich habe es immer wieder hinausgeschoben. Lieber Ernst! Ich freue mich immer noch sehr über Deine lieben Päckchen und möchte Dir deshalb heute nochmals dafür danken. Sei Du, mein allerliebster Schatz, für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner immer an Dich denkenden Annie. Lieber Vater . Mutter hat gestern meine Handschuhe fertig gemacht, sie sind Braun, und sie sind schön gestrickt. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.

Brief 96 vom 22.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                  Konstanz, 22.11.40 

Um es gleich vorweg zu nehmen, Post habe ich heute früh auch wieder keine bekommen. Da ich nun keinen Brief beantworten kann, will ich Dir von gestern Nachmittag und heute erzählen.  Wie ich Dir schon schrieb, wollten wir gestern Schuhe für Helga kaufen. Ich hatte Socken mitgenommen, damit die Schuhe reichlich groß sind. Da brauchte Helga Nr. 36. Nun hatten sie noch feste Lederschuhe zu 10,80 M da. Die standen schon länger, weil, wie das Frläulein sagte, vorm Krieg keiner für Kinderschuhe soviel ausgeben wollte. 36 ist nun eigentlich schon Damengröße und Damen wollten wieder leichtere Schuhe. So sind sie noch dageblieben. Verhältnismäßig sind die Schuhe billig. Ich habe mir vorher schon andere angesehen. Die kosteten bis Größe 35 12,50 M. Unter diesem Preis bekommt man jetzt fast keine und das sind dann keine so guten Ledersohlen. Ich habe sie Vater gestern gezeigt, dem gefallen sie auch sehr gut. Nun wirst Du staunen, wenn ich Dir sage, daß ich mir auch noch ein paar Schuhe mit Holzsohle gekauft habe. Dunkelblau mit rot abgesetzt. Der Stoff sieht aus wie Wildleder. Ich habe doch nur meine Lackschuhe, die ein bißchen nett aussehen. Die möchte ich noch nicht ganz kaputtmachen, da ich ja auch, wenn diese kaputt sind, keine neuen bekomme, denn ich habe doch noch die braunen schweren, die schwarzen zum schnüren und die ganz guten. Die ganz guten will ich noch nicht tragen, damit ich ein paar Schuhe habe, wenn ich mit Dir fortgehe. Die schwarzen zum Schnüren ziehe ich meist nur an, wenn es regnet, (denn ich bin jetzt schon ein bißchen eitel geworden) und die braunen schweren nur im Winter oder wenn es sehr kalt ist. Die Lackschuhe will ich jetzt für Sonntag anziehen, denn da möchte ich nicht mit Holzschuhen laufen. Die Holzschuhe vom Sommer kann ich ja jetzt nicht tragen, die sind zu hell. Ich habe sie gewaschen und weggestellt. Die Holzschuhe, die ich mir gekauft habe, gefallen mir ja prima. Kosten tun sie 7,90 M. Nun wirst Du fragen, ja, hast Du denn soviel Geld? Das ist so. 15, hatte ich für Helga‘s Schuhe zurückgelegt.  Da sie nur 10,80 kosteten, blieben mir 4,- übrig. 2,- habe ich für Rabattkarten bei Tengelmann gelöst und 2,- habe ich noch dazutun müssen. Ich hoffe, daß Du mit dem Kauf einverstanden bist.  Heute früh habe ich meine Lackschuhe besohlt. Sie sind gut geworden. Bei Jörg seinen Halbschuhen habe ich meine Lederabsätze drauf machen müssen, die alten waren ganz schief getreten und zwar tritt er sie immer nach innen.  Gestern habe ich einmal die neue Weste, die Du mir geschenkt hast, angezogen.  Die ist wirklich fein. Jetzt bin ich mit Kleidern usw. wirklich ausgestattet. Das einzige, was ich mir einmal noch kaufen möchte, ist ein fester Sportrock, den ich auch auf dem Rad anziehen kann, also ohne eingelegte Falte. Diese reißt auf dem Rad gern ein. Dann bin ich aber wirklich für Jahre hinaus versorgt, denn ich habe ja auch noch die Stoffe von Dir da. So eine reichliche Ausstattung habe ich überhaupt noch nie gehabt und das verdanke ich nur Dir allein, daß es mir in dieser Beziehung jetzt so gut geht. 
In den nächsten Tagen muß ich an meine Eltern und Kurt schreiben.  Abends hat man nur nicht immer Lust.  Von Vater soll ich Dich auch herzlich grüßen. Er kommt so schlecht zum schreiben.  Wenn ich nachher in die Stadt fahre, will ich sehen daß ich schon ein paar Weihnachtsgeschenke für die Kinder kaufen kann. Ich fahre heute schon ein bißchen zeitiger fort, da es in den letzten Tagen immer zum spät zum Märchen vorlesen war und darauf freuen sich doch unsere beiden Stromer immer so.  Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Wenn nur recht bald wieder ein Brief von Dir käme, ich wäre so froh.

Samstag, 21. November 2015

Brief 95 vom 20./21.11.1940


Mein lieber Ernst!                                            Konstanz, 20.Nov.40 

Ich glaube, die Post ist vollkommen verdreht. Vor 3 Tagen erhielt ich Deinen Brief vom 14. und heute früh den vom 11. Gefreut habe ich mich aber doch sehr, daß es ein Brief von Dir war. In ihm hast Du mir auch wieder geschrieben, wie Du den Abend verbracht hast, so daß meine Bitte gestern eigentlich überflüssig war. 
Über die Weste habe ich mich wirklich sehr gefreut, aber auch über die Bluse.  Über die Weste aber ganz besonders deshalb, weil ich so etwas noch nie hatte. Lieber Ernst, halte mich bitte nicht für ungenügsam, aber wenn Du mir später noch einmal so etwas Ähnliches kaufen könntest, würde ich mich sehr freuen. Aber es hat Zeit, Du mußt nun nicht gleich danach springen. 
Ich wollte beim ersten Mal Mist holen wirklich ein paar Ruhetage vorher einlegen, aber ich habe es einfach nicht ausgehalten. Was getan ist, ist getan. Der Wohlgeruch hat mich im Allgemeinen wenig gestört, nur darf man sich mit der Kleidung, die man beim holen anhatte, nicht in die Küche wagen, da ist es dann schon unangenehm. 
Wenn Du noch einige Tafeln der Corona-Schokolade da hast, sind wir gern Abnehmer, aber nur, wenn Du auch welche für Dich hast. Sonst schmeckt sie uns auch nicht.  Wie ich bei Musik aus dem „Fliegenden Holländer“ immer an Dich denken muß, so geht es Dir jetzt scheinbar mit dem „Lügenlord“. Das Lied macht mir aber auch wirklich immer Vergnügen. 
Heute früh habe ich rote Rüben in Steintöpfen eingemacht, in kleinen Litertöpfen. Mal sehen, ob sie sich halten. Die hebe ich für Dich auf, wenn Du mal auf Urlaub kommst.  Heute Nachmittag wollen wir mal in den Wald gehen und sehen, wo es evtl. Tannenreisig für einen Adventskranz gibt. Es paßt gerade, da Helga ja heute keine Schule hat. 
4 Uhr.    Nun sind wir wieder da und haben auch Reisig gefunden.  Nicht haufenweise, aber es langt gut. Ich versorge es einstweilen im Keller. Es war ganz schön im Wald. Die Kinder haben sich an verschiedenen Stellen an Ostereier erinnert. Sie haben auch überall gewußt, wo wir mit Dir gegangen sind. Unser aller Meinung war, daß es eben doch am schönsten war, mit Dir im Wald spazieren zu gehen. Wir wollen hoffen, daß diese Zeit auch wieder einmal kommt.  Ich will heute schon einmal etwas früher in die Stadt fahren, denn ich soll heute nochmals nach dem Rückstrahler fragen. Am Montag waren sie schon wieder ausverkauft.  Ich schließe darum heute schon und grüße und küsse Dich innig Deine Annie.


 Mein lieber Ernst!                                        Konstanz, 21.11.40

Ich glaube, fast jeden Tag kann ich im Brief mit dem Seufzer beginnen, Post habe ich heute keine von Dir bekommen. Ich möchte nur wissen, wo die Briefe alle stecken, denn Du schreibst doch jeden Tag.
Vielleicht geht es Dir aber mit dem Empfang von Briefen genau so.  Heute ist wieder einmal sonniges Wetter und da am Morgen der Schein für die Schuhe für Helga gekommen ist, nehmen wir die Gelegenheit wahr und gehen am Nachmittag in die Stadt. Helga macht nur noch schnell Schulaufgaben. 
Kurt hat an Vater geschrieben, daß er jetzt in Privatquartier ist, bei einer Frau mit drei Kindern. Es gefällt ihm sehr gut. Ich soll ihm bald etwas zu lesen schicken, da er und auch seine Wirtin sehr gerne liest. Er ist noch in der Nähe von K. Den Rückstrahler habe ich gestern bekommen. Er kostet ohne anmachen 1,90 M. Für so ein kleines Ding ziemlich viel Geld. Für Dein Rad habe ich noch keinen besorgt, da Du es ja nicht wolltest. Das anmachen war gar nicht so einfach. Ich hab fast den ganzen Vormittag damit zugebracht. Ich hätte es vom Händler gleich machen lassen, aber da hätte ich das Rad dort lassen müssen, da sie so viele Räder zum anmachen haben.
Die Kinder unterstützen mich jetzt auch wieder, damit ich an Dich schreiben kann. Helga wäscht ab und Jörg hat eben die Küche ausgekehrt.  Lieber Ernst! Du wirst mir nicht böse sein, wenn ich heute weniger schreibe. Wir möchten gern noch bei Sonnenschein raus gehen. Sei für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 
Lieber Vater! Heute kaufen wir Schuhe für mich, da kriegen wir sicher wieder ein buntes Heft. Mutter hat uns gestern eine große Freude gemacht, sie hat uns ein Adventskalender gekauft.  Viele Grüße und tausend tausend Küsse von Deiner Helga.  Jörg.

Mein lieber Ernst!                                                  Konstanz, 21.11.40

Zum Advent schicken wir Dir 2 kleine Päckchen. Hoffentlich hast Du ein wenig Freude daran. Die Tanne haben wir gestern im Wald geholt. So erhältst Du also auch einen kleinen Gruß aus unserem Wald. 
Sei vielmals herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Brief 94 vom 18./19.11.1940


Mein liebster Ernst!                                               Konstanz 18.Nov. 40 

Diese Woche hat besser begonnen als die vorhergehende, denn meine Finger sind fast wieder heil. Vor allen Dingen kann ich nun wieder so ziemlich alles schaffen. Da gibt es für mich mancherlei nachzuholen. Vor allen Dingen auch im Garten. Heute habe ich mal vorläufig am Zaun das dürre Zeug von den blauen Blumen abgeschnitten und das schräge Beet hinterm Haus soweit es geht abgeräumt. Nun muß ich das noch umgraben. Später will ich dann noch den Mist an die Erdbeeren tun. Es ist eben alles liegen geblieben. Morgen oder übermorgen will ich aber erst noch vom Gutshof den Mist für Vater holen.
Dieser Tag ist nun auch wieder vergangen, ohne daß ein Brief von Dir angekommen ist. Eigentlich sollte ich es ja nun bald gewöhnt sein, daß die Post unregelmäßig eingeht, aber ich bin doch immer wieder enttäuscht, wenn ein Tag ohne Brief vergeht. Wie ich ja schon aus Deinen Briefen ersehen habe, geht es Dir ebenso.
Heute war wieder einmal einer der wenigen Tage in letzter Zeit, die sonnig waren. Das heitert einen doch gleich ein wenig auf. Leider ist es nun gegen Abend schon wieder damit vorbei, denn es bewölkt sich. Einige Tage hat es auch gegeben, an denen man die Berge wundervoll sehen konnte. Da kann ich mich immer gar nicht satt sehen. Einmal waren die Berge so nahe gerückt, daß man meinen konnte, sie ständen bereits bei Romanshorn. Sie haben auch alle schon wieder ein weißes Kleid angezogen. Wenn ich über die Brücke fahre und die Berge sehe, meine ich manchmal, da solltest Du auch da sein, das würde Dir sicher auch Freude machen. 
Jetzt hast Du ja dort zum Ersatz andere Freuden, die Du später hier wieder entbehren mußt, wie Kino, Variete und Theater. Da darf natürlich die Gegend dort nicht so schön sein, sonst wäre ja hier gar nichts mehr, auf was Du Dich freuen könntest. Außer uns natürlich, denn ich hoffe, daß wir Dir unersetzlich sind. 
Im Herbst ist ja das Leben jetzt ziemlich langweilig. Man ist die meiste Zeit ans Haus gefesselt und alle. Na, wie müssen eben sehen, daß wir so gut wie möglich durch den Winter kommen. Ich habe ja oft rechte Sehnsucht nach Dir. Vergiß auch Du mich nicht.  Von den Eltern ist auch noch kein Brief angekommen. Ich glaube, die haben uns vergessen. Eine Karte habe ich vor ein paar Tagen nochmals geschickt. Mal sehen, ob sie nun etwas von sich hören lassen. Nun will ich wieder schließen. Ich muß jetzt immer sehen, daß ich nicht so spät fortkomme, da es bald dunkel wird. Ich will nachher noch einmal nachfragen, ob es wieder Rückstrahler gibt. Sei Du, lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                                       Konstanz, 19.11.40

Heute kam wieder kein Brief von Dir an,. Das ist sehr traurig, denn ich sehne mich sehr nach ein paar lieben Worten von Dir. Hier ist so richtiges Herbstwetter, wieder neblig. Das drückt so nieder. Ich bin jetzt auch viel öfter als im Sommer an die Wohnung gebunden, da man ja bei Regenwetter, wie es jetzt öfter herrscht, nicht so gut im Garten schaffen kann. Wenn ich dann am Abend so einsam sitze, kommen mir so viele Gedanken und ich muß sehr dagegen ankämpfen, um nicht in trübe Stimmung zu verfallen. Da freue ich mich dann immer, wenn ich wieder einen Brief bekomme, aus dem ich lesen kann, daß Du mich genau wie früher lieb hast. 
Ein liebes Päckchen habe ich heute Nachmittag von Dir erhalten. Als ich es aber öffnen wollte, durfte ich es nicht, denn „nicht öffnen“ stand da drauf. Für das Päckchen danke ich Dir. Für die Sachen, die drin sind, kann ich es noch nicht, denn ich darf sie ja noch nicht sehen. Eine kleine Weihnachtsfreude ist mir also schon ins Haus geflogen. 
Von den Eltern erhielt ich heute früh ein Zeitungspaket mit Brief, von dem Du wahrscheinlich eine Abschrift erhalten haben wirst, wie ich sie ja auch von dem Brief an Dich bekommen habe. Eine erfreuliche, wenigstens unter den jetzigen Umständen erfreuliche Nachricht, ist ja die, daß Hans Krall nicht tot ist. Da wird Tante Agnes froh sein, wenn auch Gefangenschaft kein schönes Los ist. 
Der heutige Vormittag war mit dem holen von Mist ausgefüllt. Das wäre also auch geschafft.  Da ich jetzt wieder stricken kann, bin ich sehr froh, daß ich wieder Zeitungen bekommen habe.  Beim stricken läßt es sich ja ganz gut lesen und die Abende gehen schneller vorbei. Die Eltern fragen doch wegen eines Geschenks für Jörg an. Ich werde schreiben, daß sie ihm die Soldaten kaufen mögen, die er sich wünscht. Das ist Dir doch sicher recht. In letzter Zeit schreibst Du mir nie mehr, wenn Du ins Theater oder Kino gegangen bist und was gespielt wurde. Das hat mich aber immer sehr interessiert.  Würdest Du mir‘s bitte wieder schreiben. 
Ich hätte auch noch eine Bitte an Dich.  Könntest Du mir nicht einmal aufzeichnen, wie so alle Möbel in den Zimmern stehen, die Du bewohnst? Das heißt, wenn es Dir nicht zu viel ist. Ich möchte doch gern wenigstens ein bißchen mit Dir leben und so kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie alles bei Dir ist.
Ach Ernst, ich glaube, ich habe Heimweh nach Dir und da quäle ich Dich mit so viel Wünschen. 
Ich möchte für heute gern schließen und grüße und küsse Dicht recht oft und fest Deine Annie.

Montag, 16. November 2015

Brief 93 vom 16./17.11.1940


Mein lieber Mann!                                                            16.11.

Heute vor einem Monat bist Du von uns fortgefahren. Wie schnell so ein Monat vergeht. Nachdem Du dort so viel Arbeit hast, wird Dir die Zeit auch schnell vergangen sein.  Vorhin kam Dein lieber Brief an die Kinder an. Für mich war heute früh nichts dabei. Wenn Helga aus der Schule kommt, wird sie sich freuen. Sie darf den Brief selber aufmachen, auf den sie schon so gewartet hat. Sie möchte Dir nämlich gern wieder schreiben und dabei Deinen Brief beantworten.
Ich habe vorhin mit Jörg die Doppelfenster eingesetzt. Jörg hat mir fest geholfen und die Haken eingehängt. Er ist mit dem Hammer ganz vorsichtig und geschickt zu Werke gegangen, trotzdem er noch so ein kleiner Kerl ist. Er selber kommt sich ja nicht mehr so klein vor. Nachher will ich mit ihm einkaufen fahren, das ist für ihn ein großes Vergnügen. Dabei nehme ich dann gleich den Brief mit, den ich deshalb schon früh geschrieben habe. Nachmittags komme ich heute nicht mehr in die Stadt. Nun will ich schließen. Wahrscheinlich schreibe ich heute Abend wieder an Dich. Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Denk mal, dieses Jahr habe ich sogar an Alice eine Geburtstagskarte geschrieben. Da werden sie in Leipzig beruhigt sein.


Mein lieber Ernst!                                             Konstanz, 17.11.40

Der Sonntag ist nun schon halb vorbei, ehe ich an Dich schreibe.  Eigentlich sollte das schon gestern Abend geschehen, aber ich bin nicht dazu gekommen. Erst sind die Kinder etwas später ins Bett gekommen, da ich Jörg noch die Haare geschnitten habe, später kam dann noch Vater. Ehe er fort ging, war es ¼ 12 Uhr. Mit dem Haare schneiden von Jörg war es auch so eine Sache. Ich wollte ihn zum Friseur schicken, weil ich mit meinen Fingern nicht gut schneiden konnte. Er hat sich mit Händen und Füßen gesträubt. Am Freitag hatte ich ihn soweit, daß er zu dem Melin vorgehen sollte. Nun hatte der sein Geschäft aber nur die 14 Tage auf, in denen er auf Urlaub da war. Als wir nun vor kamen, war das Geschäft zu. Da hat Jörg einen Freudentanz aufgeführt. Er sagte dann, ich sollte es doch einmal probieren, ob ich‘s nicht doch machen kann. Nun wollte ich ihn nicht am Sonntag so liederlich rumlaufen lassen und hab‘s gestern Abend noch geschnitten. Jörg sagte: „Man läßt sich doch lieber von seiner eigenen Mutter die Haare schneiden als vom Friseur.“
Heute früh kam Dein lieber Brief vom 14.11. an. Hab recht vielen Dank dafür. Die Briefe, die zwischen dem 10. und 14. liefen, habe ich noch nicht erhalten.  Wir haben in diesem Herbst auch schon manchen starken Sturm erlebt. Bei Euch dort muß es ja auch ziemlich getan haben. Waren in dem Sommertheater, welches abgebrannt ist, auch für Euch schon Vorstellungen?
Dein Wunsch für Weihnachten wäre also ein Wintermantel. Ich bin gern damit einverstanden unter der Bedingung, daß ich Dir das Geld dazu schicke. Auf einmal wird es zwar kaum gehen, aber das wird schließlich nicht so schlimme sein. Du wirst jetzt vielleicht lachen und sagen, daß ich große Töne rede vom zahlen, wo es ja schließlich Dein Geld ist. Aber bei mir geht es eben nicht anders, da ich ja selber nichts verdiene. Aber es ist ja in einer Beziehung wieder so, daß ich das Geld ja auch anderweitig verbrauchen könnte. Wenn ich Dir dafür aber etwas kaufen kann, macht es mir doppelte Freude. 
Die Nieren tun mir nicht mehr weh. Da sehe ich mich auch ganz besonders vor. Heute ist wieder ganz unfreundliches Wetter. Es ist gar nicht richtig hell geworden und regnet die ganze Zeit.  Gestern Nachmittag bin ich mal zu Vater runter gefahren. Ich habe ihm noch ein paar Fleischmarken, etwas Milch und auch den Kaffee von Dir gebracht, 1 ½ Pfund. Jetzt weiß ich nur nicht, ob ich ihn richtig berechnet habe. Ich wollte nicht zu viel von ihm verlangen und habe mir für 1 Pfund 2,30 M geben lassen. Ist das zu wenig? 
Nun möchte ich noch etwas mit Dir besprechen. Wir wollen doch Vater evtl. auch etwas zu Weihnachten schenken. Nun habe ich schon gedacht, ob du nicht einmal zusehen könntest, ob Du vielleicht eine Strickjacke oder einen Pullover für ihn bekommen könntest. Es kommt natürlich drauf an, wie schwer und wie teuer einer ist. Das Geld würde ich Dir schicken. Ich würde ihm hier eine kaufen, aber er wird mir sicher nicht seine Kleiderkarte geben. Die Hauptsache ist mir natürlich, daß Du überhaupt damit einverstanden bist. 
Wenn ich die zwei Päckchen von Dir erhalte, die ich nicht aufmachen soll, stelle ich sie bis Weihnachten weg.  Du weißt doch, wie unsere zwei Bengel sich öfter hänseln. Wie sie aber doch aneinander hängen, sieht man doch an mancherlei Begebenheiten. Gestern sagte Helga, als Jörg mal raus gegangen war, unser Bub ist doch ein schöner, kleiner Kerl, während Jörg mir heute sagte: „Helga ist doch mein lieber Schatz.“ Heute hat er den ganzen Vormittag geduldig gewartet, bis Helga Schulaufgaben gemacht und an Dich geschrieben hat. Nun ist er glücklich, daß er jemand zum spielen hat. Kaspertheater wird gespielt. 
Ich habe gestern auch den Schulranzen mitgebracht, als ich bei Vater unten war. Ich gebe ihn nun mal zum Sattler, damit er wieder hergerichtet wird. Das Leder ist ja noch sehr gut. Den Ranzen bekommt ja dann Helga, da sie ja bis jetzt einen „Bubenschulranzen“ gehabt hat. Der Ranzen von Euch hat ja eine halbe Verschlußklappe, wie ihn die Mädchen hier haben.  Nun will ich aber eilen, daß ich den Brief noch fortbringe. Es ist ¼ 6 Uhr. Es wird schon duster und ich habe noch keinen Rückstrahler bekommen. 
Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 92 vom 15.11.1940


Mein lieber Mann!                                              Konstanz, 15.11.40 

Deinen lieben Brief vom 8.11. habe ich heute bekommen, in dem vom Haar raufen die Rede ist. Das würde ich wirklich gern einmal tun, aber Du brauchst Dir noch keine Sorgen deshalb machen. Ehe ich Dich an die Öffentlichkeit lassen würde, würde ich Dich natürlich erst wieder richtig kämmen. Beim raufen kommt es aber leider vor allen Dingen darauf an, ob du es dir gefallen läßt. Ich glaube, darüber unterhalten wir uns, wenn Du wieder mal Urlaub hast. 
Heute morgen war ich in der Stadt zum Geld holen, Dabei habe ich gleich nachgesehen, wann der Dr. Nast Sprechstunde hat. Wir müssen doch  noch mal hinkommen, da wollen wir gleich heute Nachmittag gehen, sonst muß sie morgen die Schule schwänzen. Leider regnet es heute wieder, da ist das spazieren gehen keine reine Freude. 
Ich möchte in den nächsten Tagen gern die Doppelfenster in den beiden Schlafzimmern rein machen.  Denn wenn es erst einmal richtig kalt war und man macht dann die Fenster rein, so wird es so feucht im Zimmer. Nun war in der Zeitung in den letzten Tagen eine Bestimmung, nachdem in Zimmern, die man während der Nacht öffnet, also wo man die Fenster öffnet, blaue Birnen verwendet werden sollen. Ich habe mir auch zwei Stück besorgt, da brauche ich doch auch dann keine weitere Verdunklung anbringen, wenn ich die Fensterläden nicht mehr zumachen kann. Die Geschäfte sind auch verpflichtet, blau zu färben, aber nur bis zu 15 W. Stärkere Birnen dürfen nicht verwendet werden. 
Jetzt muß ich Dich auch noch was fragen, da Du gerade die Fahrscheine mitgeschickt hast. Hast Du vielleicht auch noch die Fahrradschlüssel von mir und Dir dort. In Uniform bist Du doch auch einmal mit meinem Rad gefahren und von Dir ist auch wieder nur noch ein Schlüssel da. Guck bitte einmal nach.  Heute ist es wieder ein ziemlich kurzer Brief, aber ich habe nur über Mittag schreiben können, da wir gleich zum Doktor müssen. Er hat von 2 bis 4 Sprechstunde.  Mein lieber Schatz! Ich grüße und küsse Dich recht herzlich und denke immer in Liebe an Dich Deine Annie.


 Mein lieber Ernst!                                             Konstanz, 15.Nov.40

Ich lasse gerade mein Fingerbad wieder warm werden. In der Zwischenzeit will ich Dir schnell noch ein paar Zeilen schreiben.  Wir waren doch heute beim Doktor, um nachsehen zu lassen, wie die Salbe gewirkt hat. Sie hatte ja überhaupt keine Wirkung gehabt. Ich habe natürlich gefragt, was damit bezweckt werden sollte. Es handelt sich nun darum, wenn die Salbe irgendwie gewirkt hätte, hätte Tuberkuloseverdacht bestanden. So ist sie nun also gesund. Ich hatte schon die Absicht, vielleicht auch Jörg deshalb nochmals untersuchen zu lassen, möchte aber erst Dein Urteil gern wissen, ob Du von dieser Untersuchung etwas hältst. 
Als wir heute nach hause kamen, wartete noch eine große Freude auf uns. Dein Päckchen  mit dem Kaffee, Schokolade, Bonbons und Gummi war angekommen. Hab recht vielen Dank dafür. Der Gummi ist auch prima. Die Bilder von der Schokolade sind für die Kinder erst einmal die Hauptsache. Nur fragen sie immer, was auf den Bildern steht und was für Märchen das sind, und ich kann doch nun leider nicht französisch. Ich sollte auch gleich diese Schokolade aufmachen, denn bei der anderen hatten sie gesehen, daß noch zwei Bilder drin liegen. Vorläufig habe ich mich aber einmal geweigert. Vor den Bonbons hat jeder zwei Stück vorläufig bekommen. Sie schmecken aber gut. Den Kaffee hebe ich mir noch auf. 
Mein Daumen ist dem Gefühl nach etwas besser geworden, wenn es jetzt auch unter dem Nagel eitert. Ich habe aber gestern mit einer Nagelfeile den Nagel soweit abgefeilt, daß der Eiterherd bald unter dem Nagel hervortreten muß. Da kann ich dann besser dazu. Es ist ja ein ziemliches Theater mit dem Zeug, aber was will ich machen. Nun will ich mal aufhören mit schreiben und mit der Baderei fortfahren. 
Jetzt habe ich doch noch am Abend alles unter dem Daumennagel entfernen können. Du wirst denken, weiß sie denn wirklich nichts anderes zu erzählen. Aber das beschäftigt mich jetzt wirklich sehr, denn ich kann augenblicklich weder nähen noch stopfen und das ist doch gerade notwendig. Aber ich glaube, jetzt habe ich es mit den Fingern bald geschafft und dann werde ich Dir auch wieder über erfreulichere Dinge berichten können. Ich will dann auch bald im Garten weiterschaffen und das wird Dich wieder mehr interessieren.
Nun gehe ich schlafen und wünsche Dir auch eine recht gute Nacht. Schlaf gut, mein lieber Ernst und wach gesund wieder auf. 

Brief 91 vom 14.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                    Konstanz, 14.11.40    

Am 14. vor einem Monat hieß es schon, übermorgen mußt Du wieder fortfahren. Schon wieder ist ein Monat vorbei.  Ich finde in letzter Zeit kommt die Post sehr unregelmäßig an. Heute früh habe ich auch keinen Brief von Dir bekommen. Nur der Koffer von Kurt kam an. Im verpacken ist doch Kurt leichtsinnig. Er hat den Koffer nur einfach zugemacht, ohne Bindfaden drum zu tun, also auch nicht abgeschlossen. Im Koffer waren seine ganzen Schlüssel, das Photoalbum, seine Schreibmappe und Verschiedenes mehr. 
Du wirst dich wundern, daß ich heute so scheußlich schreibe. Das kommt daher, daß ich mit dem rechten Daumen nicht richtig zufassen kann. Mit meinen Händen bin ich in den letzten Wochen ein richtiger Pechvogel. Nur gut, daß mich Helga ein bißchen unterstützen kann. Erst waren doch die Stellen von den Brombeerstacheln vereitert. Vier hemdknopfgroße Blasen habe ich mir aufschneiden müssen, da das aufstechen nichts genutzt hat. Da ich nun nicht richtig zufassen konnte, denn drei von den Stellen waren an der rechten Hand, habe ich mich vor ca. 1 ½ Woche am linken Mittelfinger geschnitten. Nicht sehr schlimm, aber auch das eiterte auf einmal. Ich habe die letzten Abende immer Seifenbäder gemacht, darum bin ich auch abends nicht zum schreiben gekommen. Es wurde aber nicht besser und ging auch nicht auf.  Gestern wurde es nun ganz dunkelrot und um den Eiter rum blau. Da blieb mir auch nichts anderes übrig als aufschneiden. Ich war ganz entsetzt, was da alles raus kam. Ich habe auch da rings herum die Haut weg schneiden müssen, weil´s ziemlich eingefressen war. Das ist nun auch auf dem Weg der Besserung, aber damit mir´s nicht zu wohl wird, ist wieder was anderes gekommen. Als Jörg die Scheibe zerschmissen hat, mußte ich doch die Splitter entfernen. Da ich wieder nicht richtig zufassen konnte, habe ich mich scheinbar mit einer Spitze in den Fingernagel des rechten Daumens gestochen. Es ist nur ein kleiner Stich, aber das ganze obere Glied des Daumens tut furchtbar weh. Es ist eben so, wenn mir auch Helga verschiedenes hilft, Kartoffeln schälen und so Sachen muß ich doch selber machen. Da weichen eben die Pflaster weg und die Wunde wird wieder schlimmer. Bin ich nicht ein Pechvogel? 
Vorgestern habe ich nach vielem Bitten die Puppenküche und den Kaufmannsladen vom Speicher geholt. Beide Kinder sind ganz selig. Gestern fragte nun Helga: „Hast Du auch eine Puppenküche gehabt?“ „Ja“ „Auch so groß?“ „Ja“ „Auch einen Balkon?“ „Ja“ „Hast Du vielleicht die Puppenküche gehabt, die mir jetzt gehört?“ Nach einigem Zögern habe ich das dann bejaht. Im nächsten Moment bin ich fast erdrückt und fest geküßt worden. Mit dem Ruf „Das ist fein, das ist aber fein“ hing Helga an meinem Halse. Da mußte ich nun Helga alles erzählen und dann sagte sie: „Weißt Du, die hebe ich gut auf, die kriegen meine Kinder und von denen wieder ihre Kinder.“ Auf meinen Einwurf „Na, das wollen wir mal sehen“ sagte sie dann „Das kannst Du doch dann gar nicht mehr sehen, da bist Du ja schon lange tot.“ Ich habe beiden Kindern dann auch zur Warnung erzählt, wie ich mal so feste Schläge bekommen habe, weil ich naschen wollte. Helga sagte darauf: “Weißt Du, ich möchte den Papa nicht als Vater haben, unser Vaterle ist dagegen viel lieber.“ Vor den festen Schläge hat sie ziemlich Respekt bekommen. 
Heute Nachmittag ist nun doch noch ein Brief von Dir gekommen, vom 10.11. Der letzte, den ich erhielt, war vom 7. Es kommt also alles durcheinander an.  In ein Geschäft möchte ich nicht gern gehen, um mich nach dem Preis für einen Pelzmantel zu erkundigen. In der Zeitung stand aber jetzt mal „Pelzmäntel von 287,-Mk a n . Das wird dann auch nicht der Beste sein. 
Ich werde also Vater vom Kaffee abgeben. Der wird sich sicher freuen. Bis jetzt ist noch niemand wieder wegen der Küche da gewesen. Ich muß sowieso wegen der Waschküche noch mal zu Herrn Döbele. Da werde ich noch mal nachfragen. Vater kam gestern Abend und sagte, wenn ich wegen dem Mist noch nichts unternommen habe, solle ich‘s sein lassen, denn er könnte mir die ganze Arbeit nicht zumuten. Ich habe ihm gesagt, daß ich es schon bestellt habe, und daß ich es schon mit erledigen werde. Es ist doch Dein Vater. 
Der Brief an die Kinder ist heute noch nicht angekommen. Wahrscheinlich wird er morgen eintreffen.  Du schreibst, daß Ihr bei einer bekannten Familie, welche in Richtung Arras wohnt, Kaffee getrunken habt. Woher kennt Ihr die Leute alle? Ihr seid doch eigentlich fremd dort. Ich glaube, Ihr schafft Euch dort so langsam einen Bekanntenkreis an und werdet ganz heimisch.  Vergiß nur uns dabei nicht. Wie ich aber lesen kann, hast Du Dich auch bei der Familie an uns erinnert. Lieber Ernst! Ich möchte nun mit schreiben aufhören, denn der Daumen tut mir ziemlich weh.  Sei nun für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem halben Invaliden Annie.

Brief 90 vom 12./13.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                Konstanz, 12.November 40

 Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 6.11. Recht vielen Dank dafür. Ich sehe aus ihm wieder, daß Du augenblicklich viel Arbeit hast. 
Mit dem Zeugnis von Helga können wir schon zufrieden sein. Sie hat gestrahlt, als ich vorgelesen habe, daß Du Dich darüber gefreut hast.  Du schreibst, wir wollen Dich nicht so viel loben, Du seist auch nur ein Mensch. Ein bißchen Lob mußt Du Dir schon gefallen lassen. Wenn Du auch nur ein Mensch bist, so bist Du doch für uns der liebste Mensch. 
Aus Deinem Brief habe ich nun auch ersehen, warum Du am 6. so spät ins Bett gekommen bist. Da war also Dein gutes Herz daran schuld, denn das hat Dich doch veranlaßt, den beiden Chefs über die Katerstimmung hinweg zu helfen. Du armer Kerl, Du bist zu bedauern. Die Hauptsache war ja, daß Du am nächsten Morgen frisch und munter warst, wie ich aus dem Brief vom 7. lesen konnte. 
Daß Brombeerstacheln Schwierigkeiten machen, habe ich gemerkt. Zwei Finger eitern immer noch. Es ist gut, daß ich die vielen Leukopflaster mit Mulleinlage habe. Das sieht wenigstens sauber aus. Ich habe schon ein ganz Teil verbraucht, denn bei den Hausarbeiten werden sie doch oft feucht und schmutzig. Helga wäscht mir ja schon die ganze Zeit über ab, jeden Tag, da brauche ich nicht so oft ins Wasser fassen. Meist trocknet sie auch noch ab. Man sieht doch, daß man schon eine große Tochter hat. Ich möchte nur wissen, woher das kommt. Jeder kleine Riß eitert gleich, es brauchen nicht mal Brombeerstacheln sein.  Heute hat Jörg auch wieder mal was angestellt. Er hat seine erste Fensterscheibe zerschmissen. Er war im Kinderzimmer. Da wollten wieder die Kinder von Büsings reingucken. Erst hat er sie angebrüllt, sie sollten fort gehen. Als sie zu dem kleinen Fenster hereinlangen wollten, hat er zugeschlagen, zwar mit der flachen Hand (ich habe es gesehen), da er sich im Handteller ein bißchen geschnitten hat, aber so stark, daß die untere Scheibe futsch war. Ich habe mich erst schwer geärgert, denn 3 bis 4 Mk. sind umsonst rausgeschmissen, aber es läßt sich nicht mehr ändern. Da aber Strafe sein muß, gehen wir nun nicht in die Film-Märchenstunde, in die wir eigentlich gehen wollten. 
Morgen früh 9 Uhr muß ich mit Helga zur Untersuchung, von der Krankenkasse aus, zu Dr. Nast.  Gestern Nachmittag habe ich noch die Dahlien in den Keller getan und einen Teil Möhren eingekellert. Im Freien kann ich heute auch nichts tun, denn es regnet schon wieder den ganzen Tag.  Als die Flieger vor ein paar Tagen da waren, haben sie die SS-Kasernen in R. bombardiert, aber nur einen Schuppen getroffen. Die Kasernen selber sind nicht beschädigt. Als die Bomben fielen, hat man das bei uns aber ganz genau gehört, es müssen drei Stück gewesen sein. Herr Leimenstoll, der wieder auf Urlaub da war, sagte gleich, daß das bestimmt Bomben gewesen seien. Sonst gebe ich ja nicht viel auf dessen Urteil, aber da hat er mal recht gehabt.  Nun will ich in die Stadt und beim Glaser vorbei fahren, damit das Fenster bald wieder in Ordnung kommt.  Mein lieber Ernst, sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.  Ich habe Dir doch mal einen Zeitungsausschnitt geschickt, in dem davon die Rede war, daß zu schwere Päckchen an die NSV gehen. Gestern stand nun in derselben Zeitung der beiliegende Artikel.

Lieber Ernst!                                                                 12.11.40

Ich habe das Päckchen teilweise noch einmal aufgepackt, um Dir mitzuteilen, daß heute Nachmittag die zwei ersten Päckchen mit der Bluse, dem Jäckchen, dem Leder, Kaffee und den Strümpfen angekommen sind. Sind sie also doch noch angekommen.


Mein lieber Ernst!                                                    Konstanz, 13.11.40

Heute trudelte endlich der Brief vom 4. ein. Der hat lange gebraucht, bis er bei mir war.  Du hast Dich also gefreut, daß ich Dir etwas Gebäck mitgeschickt hatte. Das freut mich nun auch wieder. Inzwischen wird es ja nun alle geworden sein.  Der Name, Professor Spiegel, ist mir nicht unbekannt. In der Zeitung “Wir sind im Bilde“ muß ich schon etwas von ihm gesehen haben oder im I.B. Wenn ein Mann mit 61 Jahren noch mit nach England fliegt, so ist das schon eine Leistung. 
Ihr seid aber doch Süffel. Sieben Flaschen Sekt an einem Abend, um Himmels willen. Mir würde dabei Angst. Ihr seid ja da schon eher etwas gewöhnt.  Heute früh waren wir beim Arzt. Helga ist gesund. Jetzt hat er ihr noch eine Salbe am Rücken eingerieben. Warum, weiß ich nicht, nur ungefähr handtellergroß. Am Samstag müssen wir nochmals hinkommen, da will er sehen, was draus geworden ist.  Wir hatten die vergangenen Tage ziemlich stürmisches Wetter. Da steht unser Baum ganz kahl da. Alle Blätter hat es abgeweht.
Ich weiß gar nicht, was mit den Eltern los ist. Auf meinen Brief habe ich bis heute noch keine Antwort erhalten. Vielleicht schreibe ich noch eine Karte.  Gestern haben wir das zerbrochene Fenster wieder ganz machen lassen. Es hat nicht 3,- sondern nur 2,- gekostet. Da war ich ganz froh, aber Jörg fast noch mehr. Ich hatte ihm nämlich gesagt, das würde alles von den Weihnachtsgeschenken abgezogen.  Da kannst Du Dir die Angst denken.  Lieber Ernst, ich weiß heute gar nichts mehr zu schreiben. Sei bitte für heute mit dem Wenigen zufrieden. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Dienstag, 10. November 2015

Brief 89 vom 10./11.11.1940


Mein lieber Ernst!                                                 10.November 

heute Nacht haben wir durchschlafen können und sind nicht gestört worden.  Der Briefträger brachte mir am Morgen zwei Briefe von Dir, vom 3. und 5.11. Der vom 4. fehlt noch, so daß ich auch noch nicht weiß, warum Du am 5. „mit Rücksicht auf den vergangenen Abend sehr häuslich“ warst. Das geht sicher aus dem fehlenden Brief hervor.
Aber ich will erst einmal mit der Beantwortung des Briefes vom 3. beginnen.  Inzwischen habe ich ja nun sieben Päckchen erhalten, so daß nur noch eins aussteht. Ich habe mich wirklich über alle Sachen sehr gefreut. Du weißt eben auch immer richtig, was ich brauchen kann.  Ich habe mich heute auch sehr über Deinen langen Sonntagsbericht gefreut. Da hast Du aber lange Zeit für mich geopfert und auch dafür möchte ich Dir danken. Du schreibst überhaupt immer so lieb. 
Dein Mantel ist wirklich nicht teuer, besonders, wenn er, wie Du schreibst, schön und solid ist.  Da hast Du wenigstens auch noch etwas rechtes.  Also gibt es jetzt auch in Frankreich Marken. Wir hier haben uns ja schon daran gewöhnt, da können es die Franzosen auch einmal kennen lernen. Die Hauptsache ist ja schließlich, daß Jeder das Seine erhält. 
Bei uns war heute früh wieder Frost. Alles sah weiß aus. Es ist eben doch bald Winter, da kann man nichts anderes erwarten. Es ist wirklich gut, daß Du dort eine richtige Unterkunft hast, besonders, da richtig geheizt werden kann.
Aus Deinem Brief vom 5.11. ersehe ich, daß es Dir bezüglich der Briefe von mir auch schlecht ergangen ist. Ich habe ja auch so bummlig Post erhalten. Jetzt renkt es sich scheinbar wieder ein. Wie ich aber lese, hast du scheinbar am 4.11. das gesandte Gebäck erhalten und es freut mich, daß es Dir schmeckt. Das ist ja schließlich die Hauptsache. 
Für die Karte von dem Cafe‘ Ganquie‘ danke ich Dir. Da sehen wir doch, wo Du Dich öfter aufhältst. Das interessiert uns ja sehr. 
Die Zeugnisabschrift hat Dir ja Helga schon geschickt. Bei Betragen stand „gut“, aber keine Zahl dabei. Vielleicht gibt es das nicht mehr. Bei den Bemerkungen, die Du auf dem einen Zeugnis mit aufgeschrieben hast, steht ja, dass bei Betragen 1 = gut ist. Zum Vergleich schicke ich Dir wunschgemäß die vorhergehenden Zeugnisabschriften mit.  Nach dem Schulranzen habe ich mich schon bei Vater erkundigt. Ich dachte, er bringt ihn mal mit rauf, da man ihn ja nicht immer antrifft. Ich glaube aber, ich werde den Ranzen wohl selber mal holen müssen. 
Unsere 2 Stromer sind eine richtige wilde Bande voll Übermut. Manchmal bin ich froh, wenn sie abends endlich im Bett sind. Aber sonst sind sie soweit brav und helfen mir auch mancherlei. Wir haben jetzt in die Küche das kleine Tischle aus dem Kinderzimmer mit den zwei Hockern geholt. Das Kindertischle, unter das sie immer mit ihren langen Beinen nicht mehr richtig drunter kommen, steht nun im Kinderzimmer. Nun sitzen sie an dem Tischle und malen. Scheinbar etwas lustiges, denn es gibt ein dauerndes Gelächter.  Ich habe vorhin gerade mal richtig hingeguckt. Wenn Jörg auf dem Hocker sitzt, reichen seine Beine tatsächlich schon bis auf den Boden. Das ist doch schon ein langer Kerl.  Die Ursache des Gelächters von vorhin war der Churchill, den sie wunderbar gemalt haben. Vorhin ist ja gerade im Radio bekannt gegeben worden, daß Chamberlain gestorben ist. Die Kinder sagten: „Das ist recht, der kommt aber nicht in den Himmel, wo der so ein frecher und böser Mann war.“ Na, schade ist es um ihn tatsächlich nicht.  Ich muß mich vorgestern Abend im Keller ein bißchen erkältet haben Trotz derber Schuhe und Socken hatte ich eiskalte Füße. Das hat sich ein bißchen auf die rechte Niere gelegt. Nun muß ich mich ein bißchen vorsichtig bewegen und warm halten. Aber sonst ist es mir ganz wohl zumute.
Heute kann ich auch den Brief selber wieder fort bringen und muß nicht, wie vergangenen Sonntag, die Kinder schicken.  Jetzt fängt bald das Wunschkonzert an, das ich mir auch wieder anhören werde. Dazwischen fahr ich nur schnell zur Post. Sei Du, mein lieber Ernst, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Lieber Vater! Ich will auch noch einen Gruß schreiben. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.   Jörg


Mein lieber Mann!                                           Konstanz, 11.11.40

Ich schicke Dir heute einen kleinen Kuchen. Laß ihn Dir gut schmecken. Hoffentlich kommt er nicht ganz zerbrochen an. Ich hätte Dir gern einen größeren geschickt, aber da reicht es mit dem Gewicht nicht. 
Viele herzlich Grüße und Küsse von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 11.11.40

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 7. /8.11. Auch mir geht es wie Dir, bei der Post fällt immer ein Tag aus. Ich habe Deine Briefe vom 1., 3., 5. und 7. erhalten. Die anderen fehlen noch. Ich schreibe jeden Tag an Dich, so daß die Verzögerungen bei der Post liegen. Eins ist das Dumme dabei. Man bezieht sich doch in manchen Sachen auf den vorhergehenden Brief und da weiß der Andere dann manchmal gar nicht, um was es sich eigentlich handelt.  Über die Sachen, die Du für Kurt besorgst, werde ich Buch führen. Kurt hat mir heute gerade geschrieben, daß er mit noch 5 Kameraden zu einer Feldeinheit versetzt wird. Wo er hinkommt, weiß er noch nicht. Wahrscheinlich wird er Dir auch schreiben. 
Wie Du ja aus den vorhergehenden Briefen ersehen haben wirst, geht es mir soweit wieder gut. Sollte es mir wieder mal dumm zu Mute sein, werde ich Deinen Rat beherzigen und von dem Kirschwasser trinken.  Hoffentlich ist es nicht nötig. 
Du, ich glaube, ich bin etwas begriffsstutzig geworden. Daß Dich Deine Kameraden mit dem Ausspruch vom überhaupt wollen, aufziehen wollten, habe ich nun begriffen. Nun schreibst Du wieder so einen Satz, von dem ich nicht weiß, ob er ernst gemeint ist, nämlich: „ Ich finde, daß meine These, die ich früher einmal aufstellte, Du seiest zwar keine ausgesprochene Schönheit, aber die Frau, die zu mir paßt in Bezug auf den Punkt Deines äußeren Eindrucks glatt widerlegt ist“.
((Nebenbei gemerkt, hieß Dein Ausspruch nicht so, das habe ich mir nämlich ganz genau gemerkt, da er mir nämlich immer einen Dämpfer aufgesetzt hat, wenn ich bezüglich meines Eindrucks von meinem Aussehen zu übermütig wurde. Von ausgesprochener Schönheit war da nicht die Rede, sondern Du hast gesagt: „Daß Du nicht schön bist, weißt Du ja selber, aber mir bist Du schon recht.“ Also, lieber Kerl, nur nicht mogeln, gell?)) Sollte der Satz ernst gemeint sein, was ich nicht hoffen will, so müßte ich ja über meinen lieben, klugen Mann den Kopf schütteln und mich fragen, wie er zu so einer Meinung kommt. Passen wir zwei nicht auch äußerlich zusammen? Sind wir nicht gleich groß, sind wir nicht beide grad gewachsen, hast Du kein liebes Gesicht? Du wirst nicht umhin können, alles mit ja zu beantworten. Also bitte schön! Jetzt wirst Du denken, „also tatsächlich, sie ist doch begriffsstutzig, ich mache mir einen Spaß und sie muß deswegen über eine Seite voll schreiben. Jetzt hätte ich aber auch allen Grund, den Kopf zu schütteln.“ Ist es nicht so?
Jörg ist ganz stolz, daß Du ihn für sein Schreiben und Helfen lobst. Er sagt eben, Du wärst doch der liebste, liebste Schatz. Inzwischen sind ja die ersten zwei Päckchen, wie ich Dir schon schrieb, angekommen. Um die Bluse und Weste, sowie um die Strümpfe und das Leder wäre es tatsächlich sehr schad gewesen. 
Aus dem Brief ersehe ich, daß Du inzwischen das Zeugnis von Helga erhalten haben mußt. Helga freut sich schon sehr darauf, daß Du ihr schreiben willst.  Zur Abwechslung regnet es heute wieder die meiste Zeit, dafür ist es nicht ganz so kalt wie die vergangenen Tage.  Vater hat gestern Abend gesagt, daß er ½ Kubikmeter Mist nehmen würde, Frau Nußbaumer will auch ½. Ich brauche ja den einen für uns. Jetzt schau ich zu, daß ich nochmals einen bekomme. Da hole ich dann die eine Hälfte für Vater einstweilen in unseren Garten, die andere Hälfte holt Frau Nußbaumer. Ein bißchen graut mir ja vor der Arbeit, aber wir werden es schon machen. Es ist ja nur die halbe Arbeit diesmal. 
Gestern Abend habe ich angefangen, Fausthandschuhe für die Kinder zu stricken, damit sie, wenn es recht kalt wird, ein paar richtige haben. Ihre anderen sind ihnen bald zu klein.  Nun will ich für heute schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt, mein lieber, lieber Ernst von Deiner Annie, die große Sehnsucht nach Dir hat.


Brief 88 vom 9.11.1940


Mein lieber Ernst!                                           Konstanz, 9.Nov. 1940  

Ich schreibe Dir heute Morgen nur kurz, da ich nachher Lebensmittelkarten holen und einkaufen fahren muß, möchte ich den Brief gleich mitnehmen.  Heute Nachmittag möchten wir baden, da kann ich dann nicht mehr fortfahren und ohne Nachricht sollst Du auch heute nicht bleiben. 
Gestern Abend wollte ich mich zeitiger schlafen legen. Als ich um ¾ 10 Uhr gerade ins Bett steigen wollte, ging die Sirene an.  Also schnell wieder angezogen und in den Keller. Da haben wir bis um 12 Uhr gesessen.  In der Nähe von uns hat es ziemlich gewummert, besonders im Westen und Osten. Auch Leuchtbomben hat es gegeben.  Die Schweiz verdunkelt doch jetzt doch ab 10 Uhr, nach unserer Zeit 11 Uhr. Das wissen die Engländer natürlich auch und da das helle Schweizer Gebiet doch ein wunderbarer Wegweiser ist, kommen sie nun scheinbar vor der Verdunklung.
Heute hat es wieder Frost gegeben und ich bin froh, daß ich das meiste im Garten schon geschafft habe. Um die Erdbeeren werde ich noch etwas Mist tun.  Der Gummi, den Du mir mitgeschickt hast, ist aber gut. Ich danke Dir dafür.
Soeben traf Dein lieber Brief vom 31.10. ein. Den vom 30.10 und 1.11. habe ich ja gestern erhalten. Ich beantworte ihn heute Abend, wenn ich richtig Ruhe dazu habe. Da freut es mich viel mehr, als wenn es so in Eile geschehen muß.  Nimm heute bitte mit diesem kurzen Brief vorlieb und sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                              Konstanz, 9.Nov. abends

Es ist ¼ 10 Uhr und Feierabend für mich. Gebadet habe ich auch schon, so daß ich also blitzsauber an Dich schreibe.  Wie ich Dir heute schon schrieb, habe ich Deinen lieben Brief vom 31.10. erhalten, nachdem bereits gestern der vom 1.11. eingetroffen ist. Ich danke Dir recht herzlich.  Der 1.November war hier ein Tag wie alle. Die Geschäfte hatten geöffnet und auch die Kinder sind in die Schule gegangen, nur daß eben viele Leute den Friedhof besuchten.  Du schreibst vom Brennmaterial sammeln und hast sehr recht, wenn Du meinst, man solle diese Zeiten nicht vergessen. Vor allen Dingen für Dich war es ja manchmal eine schwere Schinderei. Gemessen an dieser Zeit stehen wir ja heute gut da. Ich bin auch immer wieder dankbar und froh, wenn ich unser Eigentum überblicke. Es hängen soviel Erinnerungen an den einzelnen Stücken. Wie froh waren wir immer, wenn wir wieder ein Stück dazu kaufen konnten. Jetzt haben wir es ja ganz schön und vor allen Dingen ist alles selbst erarbeitet. Das gibt allen Sachen doppelten Wert. Wir haben ja immer gesehen, daß wir voran gekommen sind.
Wenn Du für Helga Stoff und für Jörg einen Anzug kaufen willst, so bin ich gern einverstanden damit. Es ist nur so, daß ich Dir diesmal nicht viel schicken könnte. Ich habe 30,-Mk übrig und davon möchte ich ein paar Weihnachtsgeschenke kaufen. Es kommt mir aber von mir aus direkt unverschämt vor, wenn ich einfach verlange, daß Du Dein Geld alles für uns ausgeben sollst.  Du fragst auch noch nach besonderen Wünschen von mir. Du lieber Kerl, was soll ich mir noch wünschen, wo Du mich schon so verwöhnst.
Aber von Dir möchte ich gern einen Weihnachtswunsch hören. Zeit zum überlegen hast Du ja gehabt, denn ich habe des Dir schon gesagt, als Du auf Urlaub warst. Da gibt es also gar keine Ausrede, hörst Du? Du mußt Dich sofort hinsetzen und mir Deinen Wunsch schreiben. 
Ich soll Dich auch noch etwas von Frau Leimenstoll fragen. Sie hat aus Frankreich einen Schlafanzug bekommen aus Seide, wahrscheinlich Seidentrikot. Der soll 10,- gekostet haben. Das kann sie nicht glauben. Ich soll Dich nun fragen, ob der Preis stimmen könnte. Der Schlafanzug hat kurze Ärmel. 
Wenn du jetzt in unseren Keller kommen würdest, hättest Du allen Grund zum Staunen. Du weißt doch, wo die Bank steht, neben dem Regal mit Eingemachtem. Davor steht jetzt ein weißer Tisch und drei Stühle. Der Tisch und ein Stuhl ist von L. Ich bringe unsere Stehlampe mit runter, unterm Tisch liegt ein ganz alter Teppich, da ist es soweit ganz gemütlich. Der Platz ist für die Kinder, für mich, für Leimenstolls und Frl. Nußbaumer. Frau N. als Luftschutzwart kann sowieso nicht immer sitzen bleiben und Frau B. und Kinder sollen sich selber was besorgen, wenn sie richtig sitzen wollen. Gestern Abend hat sie sich unten so dumm benommen. Die ganze Zeit hat sie sich so gesetzt, daß sie uns allen den Rücken zugekehrt hat und wenn sie einmal rausgegangen ist, hat sie so rücksichtslos rumgefuhrwerkt. Ich sehe gar nicht ein, daß ich mich da um etwas kümmern soll. Für uns und die anderen, die mitgeholfen haben, ist es ja jetzt ganz annehmbar im Keller geworden. Schöner ist es natürlich, wenn wir nicht oft runter müssen. Heute ist wieder eine ganz klare Nacht. Mal sehen, ob sie uns schlafen lassen.  Vorhin habe ich nach unseren Sternen gesehen. Ich bin jetzt sehr müd´ und geh schlafen.
Gute Nacht, mein lieber Schatz.

Freitag, 6. November 2015

Brief 87 vom 6./7./8.11.1940


Mein lieber Ernst!                                     Konstanz, den 6.Nov. 40 abends

Es ist nun wieder 9 Uhr und ich habe Zeit, an Dich zu schreiben. Post habe ich heute keine erhalten, so daß ich also keinen Brief beantworten kann.  Aber etwas anderes möchte ich mit Dir besprechen. 
Ich habe die Kinder nach ihren Weihnachtswünschen gefragt. Ich möchte doch nach dem 15. an die Besorgung der Geschenke gehen. Ich schreibe Dir nun die Wünsche und bitte Dich, Deine Meinung zu äußern, ob Du etwas dagegen hast, wenn ich diese Sachen kaufe. Vielleicht hast Du auch noch ein paar bessere Vorschläge. 
Also Jörg wünscht sich: Eine Reichsautobahn (sie ist in 8er Form aufgebaut und ein Auto fährt darauf) Ich muß mich aber erst einmal erkundigen, wie teuer sie ist.  Ein oder zwei Motorräder, so groß  wie das Märklin-Auto, sie dürfen aber auch größer sein.  Ein paar Soldaten, einen davon mit Fahne. 
Helga wünscht sich eine Puppe in einem Karton mit Anziehkleidern.  Sie wünscht sie sich schon lange, wir haben aber immer gesagt, es sein nicht nötig. Ein Bettchen dazu. Ich dachte, daß wir ihr vielleicht das Buch von Max und Moritz schenken könnten. Beide bekommen noch die Trainingshosen. 
Nun zu etwas anderem. Ich habe heute mit Herrn Gaßner wegen dem Mist gesprochen. Ich kann welchen bekommen. 1 Kubikmeter 4,-Mk. Ich muß ihn selber aufsetzen, dann wird er geschätzt und dann hole ich ihn mit dem Handwagen nach und nach. Ich habe 1 Kubikmeter bestellt und werde ihn in den nächsten Tagen, evtl. auch erst nächste Woche holen. Erst schiebe ich ein paar faule Tage zum Kräfte sammeln ein, denn kaputt will ich mich nicht machen.
Der Garten ist ja fast fertig, da geht das schon.  Als ich heute die Knöpfe an der Weste festgenäht habe, die Du mir geschickt hast, habe ich festgestellt, daß die Knöpfe aus einem verschwundenen Staat stammen, nämlich aus  „Czecho-Slovakia“. Ich habe gestern Abend die Bluse und die Weste einmal anprobiert. Beides paßt wunderbar. Ich möchte Dir nochmals dafür danken.  Heute haben wir eine klare Nacht und ich habe vorhin längere Zeit unsere Sterne angesehen. Es ist eine große Freude, daß Du sie auch sehen kannst.  Nun gute Nacht, mein lieber Ernst! Ich habe manchmal doch große Sehnsucht danach, Dich hier bei uns zu haben.

 Mein lieber Ernst!                                                     7.Nov. 40

Heute habe ich wieder keine Post von Dir bekommen. Der letzte Brief von Dir, den ich erhalten habe, war vom 29.10. Da dürfte mir die Post bald mal wieder einen Brief bringen, denn wenn ich morgen wirklich den vom 30. erhalte, so war der 10 Tage unterwegs. Das ist eine lange Zeit. Na, ich muß mich einstweilen bis morgen vertrösten.
Heute habe ich also einen Ruhetag eingelegt, wie ich gestern schrieb. Faulenzen tue ich ja nun auch nicht gerade, aber ich mache keine schwere Arbeit.  Ich bin heute wirklich schwer enttäuscht, daß ich gar keine Nachricht von Dir bekommen habe. Ich hatte so fest damit gerechnet. Ich bin direkt ein bißchen unruhig geworden. Du wirst doch nicht etwa krank sein, daß Du nicht hast schreiben können?
Na, es wird mir alles nichts nützen, ich werde bis morgen warten müssen. Wenn nur die Zeit bis morgen recht bald vorbei ginge.  Ich weiß heute gar nichts mehr zu schreiben. Meine Gedanken sind immer nur bei Dir. Hoffentlich treffen Dich diese Zeilen auch gesund an.  Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.


 Mein lieber Ernst!                                          Konstanz, 8.Nov.40

Gestern bin ich nicht zum schreiben gekommen. Ich hatte noch zu schaffen. Heute will ich aber gleich bei Tag schreiben, denn ich glaube, heute Abend werde ich ziemlich müd´ sein. Ich habe nämlich heute Mist geholt. Um 8 Uhr bin ich auf den Gutshof gegangen, habe einen Kubikmeter Mist aufgesetzt und dann habe ich ihn mit dem Handwagen nach dem Garten gefahren. Ich habe ihn nun nicht einfach hingeworfen, sondern gleich richtig aufgesetzt. Die Kinder haben mir beim Ziehen des Wagens geholfen. Es ist aber eigentlich nicht ein Kubikmeter, sondern etwas mehr. Als ich ihn schätzen ließ, wurde mir gesagt, ich solle nur noch ein paar Gabeln voll nehmen, so genau käme es nicht darauf an. Das habe ich mir natürlich nicht zweimal sagen lassen. In ununterbrochener Arbeit von 8 bis ½ 2 Uhr hatte ich den Mist in unserem Garten.  Zwischendurch konnte ich auch nichts essen, denn Du weißt ja, der Schweinemist stinkt furchtbar. Vorhin habe ich mich erst umgezogen und fest gewaschen. Nun ist mir wieder appetitlicher.
Wir haben heute halt erst um 3 Uhr zu Mittag gegessen, aber das macht ja nichts. Heute früh kamen zwei Briefe von Dir vom 30.10. und 1.11. und ein Päckchen. Ich habe es erst vorhin aufmachen können. Da habe ich dann aber gleich nach der Arbeit viel Freude gehabt. In dem Päckchen war Kakao, Schokolade und Gummi.  Ich danke Dir recht sehr für die guten Sachen. 
Nun zu Deinen lieben Briefen. Wenn Du Öl hast kaufen können, so habe ich schon Verwendung dafür. Es schadet nichts, wenn du mir‘s jetzt noch nicht schicken kannst, ich bin auch später noch dankbar dafür.  Das kleine Bildchen ist doch gar nicht so schlecht. Ich lege es mit zu den anderen Bildern. Es ist doch immerhin eine Erinnerung an den Besuch von Paris. 
Helga‘s Zeugnis ist ja nun doch gut ausgefallen. Nur im Lesen hat sie zwei statt eins. Aber das kommt auch daher, daß ja die anderen Kinder im Lesen auch besser geworden sein werden und dass gutes Lesen im zweiten Schuljahr kein Ausnahmefall mehr ist.  Die zwei ist ja die beste Zensur. 
Daß Ihr für Eure Dienststelle noch einen großen Wagen bekommen habt, wußte ich noch nicht.  Es freut mich, daß Ihr doch beim fahren vorsichtig seid, besonders wenn Ihr etwas Alkohol getrunken habt. Es lohnt sich ja auch wirklich nicht, wenn man wegen leichtinnigem fahren vielleicht zum Krüppel wird. 
Als ich heute beim Mist holen war, habe ich doch lachen müssen. Der Mann da drüben hat den Mist so gelobt, wie „saftige“ er sei. Auch bei unserem Garten hatten sich einige Zuschauer eingefunden, die festgestellt haben, wie „fett“ der Mist sei. Das ist mir so putzig vorgekommen, die sachverständigen Mienen, die sie dabei aufsetzen. Glaubst Du, ich freue mich doch sehr, daß ich auch diese Arbeit geschafft habe. Da siehst Du doch, daß ich auch zu etwas nutz bin, nicht wahr? Ich wollte es nur feststellen, wenn Du es noch nicht wissen solltest.  Übrigens muß ich Dir auch bezüglich der Schokolade noch etwas schreiben. Helga ißt jetzt von der „Korona“-Schokolade gern ein Stück, während Jörg davon gar nichts mag, sondern nur auf die Schokolade „Lutetia“ versessen ist, die doch nach unserem Geschmack so gut ist wie die andere. Da kann man also auch sagen, die Geschmäcker sind verschieden.  Nun will ich für heute schließen, mein lieber, lieber Ernst. Hab nochmals vielen Dank für Deine Briefe und Dein Päckchen,. Es grüßt und küßt Dich recht herzlich Deine Annie.