Mein lieber Ernst! Konstanz, 27.11.40
Post habe ich heute keine von Dir
erhalten, was ich gleich zuerst bemerken möchte. Von den Eltern kam eine Karte
mit der Bitte, daß ich bald wieder schreiben soll. Das ist ja nun inzwischen
schon geschehen. Auch von Elsa erhielt ich wieder einen Brief. Ich hatte ihr
auf den vorhergehenden noch gar nicht geantwortet. Sie schreibt, daß sie 2 - 4
mal wöchentlich in den Luftschutzkeller müssen, daß die Kinder erkältet sind,
daß Gerhard wieder wo anders hingekommen ist, daß der Helmit jetzt auch geheiratet
und auch einen Jungen hat, auf den Gerhard auch sehr stolz ist, weil so
wenigstens die Familie nicht ausstirbt.
Am Schluß schreibt sie: „Schreibe mir doch bitte, bitte einmal wieder.“ Dann
folgen Grüße und hinterher: „Vergiß mir bitte nicht zu schreiben.“ Da muß ich
mich doch in den nächsten Tagen tatsächlich gleich mal ans schreiben machen.
Unser kleiner Bursche ist für mich jetzt
ein richtiger kleiner Helfer geworden. Er holt mir manchmal, d.h. eigentlich
oft Holz, Kohlen, Kartoffeln und Möhren aus dem Keller. Manchmal putzt er die
Treppe mit, heute hat er mir Rosenkohl aus dem Garten geholt. Man kann ihn also
schon zu mancher Arbeit brauchen. Helga hilft natürlich auch mit, wenn sie da
ist, aber oft muß sie natürlich zur Schule, wenn diese Arbeiten notwendig sind.
Nun ist doch noch ein Brief von Dir
gekommen und zwar vom 17. 11. Inzwischen habe ich ja den Fahrtbericht, den Du
in diesem Brief ankündigst, schon erhalten. Danken möchte ich Dir aber doch noch
für den Brief, den Du geschrieben hast, als Du müde von der Fahrt
zurückgekommen bist. Du hast also auch da noch an uns gedacht.
Heute ist wieder einmal einer der jetzt so
seltenen sonnigen Tage. Es ist direkt eine Freude, wenn man wieder einmal einen
blauen Himmel sieht.
An Helga`s Filzschuh war ein Stück von der
Sohle abgegangen. Ich hatte gerade keine Zeit zum annähen und sagte ihr
deshalb, sie solle es doch selber einmal probieren. Das hat sie dann auch getan
und es ist ihr ganz gut gelungen. Da kannst Du Dir die Freude denken. „Weißt
Du, Mutterle, das kann ich mir gar nicht denken, daß ich das selber gemacht
habe,“ sagte sie die ganze Zeit und hat sich`s immer wieder angesehen. Ich bin
der Meinung, daß es für die Kinder doch ganz gut ist, wenn sie selber etwas
können. Eine Freude habe ich jetzt auch noch an ihnen. Du weißt sicher noch,
wie sie früh immer schon so laut im Bett geredet haben, so daß wir öfter
schimpfen mußten. Vor ca. 1 Woche habe ich mir beide einmal vorgenommen und
habe ihnen erklärt, daß ich, wenn ich gleich früh schimpfen muß, den ganzen Tag
nicht mehr richtig fröhlich sein kann, daß es doch viel schöner sei, wenn wir
fröhliche Tage zusammen hätten usw. Seitdem sind sie früh nun ganz still, wenn
sie früh rauskommen freuen sie sich schon, daß ich mich freue und so beginnen
seit einer Woche die Tage in fröhlicher Stimmung. Hoffentlich bleibt es so. Nun
ist es schon wieder Zeit, daß ich in die Stadt fahre. Ich beende deshalb diesen
Brief. Sei Du, mein lieber, lieber Kerl, recht herzlich und oft gegrüßt und
geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Mann! Konstanz, 28.11.40
Ich erhielt heute Deinen lieben Brief vom
19.11. und danke Dir vielmals dafür.
Die 5,-M für die beiden Hemden für Kurt
werde ich aufschreiben. Willst Du wirklich die restlichen 25,- für Briefmarken
verwenden? Frage doch mal bei Kurt an, ob er nicht noch Interesse für einen
ärmellosen Pullover oder so etwas hat. Seine, die ich bis jetzt gesehen habe,
sind nicht mehr besonders. Du kannst natürlich tun, was du willst.
Wegen der W.H.W. Briefmarken habe ich noch
keinen Bescheid von Dir. Ich habe deshalb nun 2 Sätze gekauft. Einen werde ich
stempeln lassen. Ich denke, daß Kurt ihn sich selber besorgen wird, da er ja
noch im Reich ist. Die Behring-Sondermarke werde ich Dir auch noch besorgen.
Die 26,- hast Du also erhalten. Am 25.11.
habe ich Dir wieder 25,- geschickt, wie ich Dir schon geschrieben habe. Wenn du
vom zu vielen Wirtschaftgehen schreibst, so kommt mir das immer wieder
eigenartig vor, nachdem Du früher nie so in Wirtschaften gesessen bist. Es läßt
sich natürlich unter den jetzigen Verhältnissen nicht anders machen, aber mir
kommt es doch so fremd an Dir vor. Du mußt nun natürlich nicht gleich böse
sein, daß ich das geschrieben habe, denn,
wie ich schon geschrieben habe, unter den jetzigen Verhältnissen geht es
nun einmal nicht anders. Wenn du nur
sonst der alte bleibst.
Gestern und heute habe ich mit der
Weihnachtsbäckerei angefangen. Vom vielen Rumspringen bin ich richtig ein
bißchen müd´ geworden. Draußen ist heute scheußliches Wetter. Halb schneit und
regnet es. Es ist richtiger Matsch draußen. Es ist gut, daß ich mein Rad habe
und nicht laufen muß.
Helga hat heute auch ihre festen neuen
Schuhe gut brauchen können. Ihre Halbschuhe sind gestern an der Seite
aufgerissen. Ich will mal sehen, ob sie noch zu reparieren sind. Ich fahre
heute gleich noch beim Schuster vorbei. Ich habe zum Advent zwei Päckchen an
Dich abgeschickt, bereits vorige Woche. Vielleicht hast Du sie inzwischen schon
erhalten. Ich schreibe es nur, damit Du weißt, daß welche unterwegs sind.
Hoffentlich erfreuen sie Dich ein wenig. Mein lieber Schatz, sei bitte nicht
böse, wenn der Brief heute kürzer wird. Ich bin ein bißchen abgespannt. Sei für
heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Lieber
Vater! Jetzt ist bald Advent und wir dürfen ein Fensterle aufmachen, das freut
mich schon. Viele Grüße und Küsse von Deiner Helga.---Jörg 28.11.40