Freitag, 16. Februar 2018

Brief 520 vom 16.2.1943


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz,16.2.1943

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 29.1. Du schreibst darin von der Arbeitspflicht. Ich glaube schon, dass man richtig durchgreifen wird. Es würde ja sonst auch Unzufriedenheit entstehen. Dr. Göppels hat ja auch gleich bemerkt, dass nur ja niemand mit Attesten kommen soll. Das wird schon genau geprüft werden. Bei der Frau vom Nähen, von der ich Dir schon schreib, dass sie wegen eines Attestes zum Arzt gehen will, habe ich jetzt gehört, dass sie dasselbe hatte, wie ich, also eine Herzgeschichte. Aber das befreit doch nicht vom Schaffen.
Papa hat sich über die Geschenke zum Geburtstag gefreut. Ich hatte mir ja auch Mühe gegeben, wie Du schon schreibst.
Bei Jörg muss man schon immer ein wenig den Ehrgeiz anspornen, aber im Allgemeinen ist er ja ein fleißiger Kerl. Jedes Kind hat eben andere Interessen, bei Jörg liegen sie bis jetzt im Basteln. Da ist er ja immer an der Arbeit. Dass Jörg seinen Stolz über das Schwimmen hat, verstehe ich voll und ganz. Ich bin sogar froh darüber.
Du wirst ja sehen, ob Du den Vorschaltwiderstand besorgen kannst. Schön wäre es ja. Bis jetzt habe ich mir ja geholfen, wie ich Dir schon mal schrieb, sodass er schon noch eine Weile halten wird.
Heute war innerhalb kurzer Zeit schon der dritte Streit im Hause. Ich war ja bei keinem beteiligt, worüber ich sehr froh bin. Worum es das erste Mal ging, weiß ich nicht. Den zweiten Krach gab es, weil der Erich mutwilligerweise bei Nussbaumers die Luftschutztüten mit dem Fuß kaputtgestoßen hat. Das war Frau Nussbaumer doch zu dumm und sie ist zum Ganahl gegangen, der scheinbar Frau Büssing einbestellt hat. Darüber ist diese nun Gift und Galle und hat heute einen elenden Krach gemacht. Sie war so gemein, wie immer. Vor allem hat sie zu dem Emil Leimenstoll gesagt, er wäre ein schwindsüchtiger Kerl und wäre schon einige Male operiert worden. Ale Leute würden schon darüber reden. Ist das nicht die Höhe der Gemeinheit? Scheinbar lässt sich´s Frau Leimenstoll nicht gefallen. Ich war froh, dass ich nicht außerhalb unserer Wohnung war. Aber dies und jenes hat man auch drin gehört, denn geschrieben wurde genug.
Am Nachmittag gehe ich wieder nähen. Eigentlich wollte ich erst morgen gehen, aber vielleicht kommt am Morgen der Kohlenmann, da muss ich am Nachmittag schichten. Dann ist es auch nichts damit. Und am Donnerstag geht es doch Baden. Gestern habe ich auch wieder 4 Z.(elte?) genäht. Dabei war ich schon ½ 6 Uhr fertig. Je mehr man macht, desto schneller geht es.
Heute ist es bereits einen Monat her, seit Kurt gefallen ist. Ich habe noch keinen Brief von Dir, ob Du die Nachricht bald bekommen hast. Vater fragt auch schon immer, was Du dazu schreibst. Glaubst Du, ich kann es jetzt manchmal noch nicht glauben, dass Kurt nicht mehr leben soll. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Er ist noch so frisch und munter hier weg gefahren, und dann hatte er nur noch wenige Tage zu leben.
Mein liebster Ernst, ich muss schon wieder schließen. Die Zeit zum Fortgehen ist schon bald da. Vorher wollen wir noch essen. Viel Wichtiges hatte ich Dir ja heute nicht zu schreiben, aber es sollte doch ein Gruß für Dich sein.
Lass Dich recht herzlich grüßen und vielmals küssen von Deiner Annie.

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