Liebster, bester Ernst! Konstanz, 1.2.43
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 26.1., dem der
Brief an Jörg mit den 5 Mk. beilag. Jörg hat sich sehr über sein
„selbstverdientes „ Geld gefreut. Er wird Dir sicher bald schreiben. Auch der
Brief hat ihm gefallen.
Du schreibst, dass Du ein Päckchen Nr.13 fertig gemacht
hast. Aus Deinen Briefen, die ich bisher erhielt (es fehlen ja noch manche)
weiß ich erst, Dass Du ein Päckchen Nr. 7 zuletzt weggeschickt hast. Nun bist
Du schon bei Nr.13. Ich sehe immer wieder, dass Du Dir so große Mühe gibst,
etwas für uns zu erhalten. Ich kann Dir gar nicht genug danken. Du bist doch
ein so lieber Mann.
Nun möchte ich Dir noch von gestern Abend und heute
erzählen. Gegen ½ 6 Uhr kam Vater und ging dann gleich zur Paula, die ihn doch
darum gebeten hatte. Um 8 Uhr kam er wieder. er hatte sich mit Paula und Nanni
von Kurt unterhalten. Eine Todesanzeige hatten sie auch aufgesetzt, die wir nur
in wenigen Sachen abgeändert haben. Vater schrieb dann noch an Frau Frick.
Gegen 12 Uhr ist er heimgegangen.
Mit der Anzeige bin ich heute gleich zur Standart gefahren.
Sie hatten ihren Nachsatz schon telefonisch aufgegeben, gaben mir dann aber
doch den Zettel noch mit. Die Standart will die ganze Anzeige bezahlen. Sie gaben
mir dann noch das Sparbuch von Kurt mit, auf das die 10 Mk. monatlich Beitrag
der Standart eingezahlt waren. Dann sagten sie, dass wir den Brief, den wir von
dem Kompanieführer erhielten abschreiben sollen und die Abschrift ihnen bringen
müssen, damit sie dieselbe mit einem Antrag und dem Buch der DAF einschicken.
Weißt Du, es ist kein schönes Gefühl, wenn man von einem
Angehörigen, kaum dass er tot ist, schon Geldsachen besorgen muss. Vater würde
am liebsten auch darauf verzichten, so ist ihm das zuwider, aber ich glaube
auch wieder nicht, dass das im Sinne von Kurt wäre. Ich bin dann in die Stadt
zur Zeitung gefahren und habe die Anzeige aufgegeben. Dann bin ich auf´s
Standesamt gefahren und habe mich erkundigt, ob man das anmelden muss, wenn
jemand gefallen ist, man aber noch keine amtliche Meldung bekommen hat. Man
sagte mir dann, dass wir den Brief mit Schreibmaschine abschreiben müssen, mit
so vielen Durchschlägen, wie wir für die Krankenkasse, DAF usw. benötigen.
Diese muss ich dann zu Herrn Eisingerbringen, der sie bestätigt. Dann gelten
sie als Ausweis, denn die Bestätigung wird wahrscheinlich erst in ½ Jahr zu
erwarten sein. Es wird dann auch ein
Totenschein ausgestellt.
Es gibt doch nicht gleich etwas, was einem mehr zuwider
wäre, als die ganzen geschäftlichen Sachen, die man bei dem Tod eines
Angehörigen erledigen muss. Es ist einem gar nicht danach zumute. Es war ja
genau so, als Mama starb. Was bin ich da mit meinem Vater rumgelaufen. Und doch
möchte man von alledem am liebsten nichts hören. Es bleibt einem aber gar
nichts weiter übrig.
Als ich in der Standart war, zeigte mir Herr Ketterer noch
den Saal, in dem ½ 10 Uhr ein Betriebsappell für Kurt stattfinden sollte. Ich
muss sagen, es war mir eigenartig zumute, als ich da eintrat. Da stand das Bild
von Kurt in einem großen Rahmen mit einem eisernen Kreuz und darunter stand
„Auf dem Felde der Ehre gefallen“. Um das Bild standen Blumenstöcke. Dabei war
es so still. Es war wie bei einer Trauerfeier. Und Kurt auf dem Bild schaute so
her, sodass man ihn sich wieder richtig vorstellen konnte. Es kam einem zuerst
wieder richtig zu Bewusstsein, dass er ja nun nie wiederkommen würde.
Als ich heimfuhr, traf ich Paula. Sie fragte mich, ob ich
alles erledigt habe. Dann bat sie mich, doch einmal zu Nanni zu gehen, sie
würde sich bestimmt freuen, wenn sich jemand um sie kümmern würde. Als ich heim
kam, bin ich dann gleich runter gegangen. Der Kurtl führte mich in die Stube,
dann kam Nanni. Sie sieht so schlecht aus. Sie hat überhaupt keine Farbe mehr.
Und geweint hat sie so sehr. Es kommt ihr hart an. Sie ist doch ganz ahnungslos
hergekommen. Sie dachte, es sei etwas mit Paula. Nun musste sie das erfahren.
Sie ist aber doch froh, dass sie hier her gekommen ist. Sie sagt, sie hätte
nicht gewusst, was sie getan habe, wenn sie es bei sich zuhause erfahren hätte.
Wir haben uns dann auch lange von Kurt unterhalten. Zuletzt sind wir darauf zu
sprechen gekommen, dass es doch so schade sei, das kein Kind von ihm da sei.
Paula und Nanni meinten, und wenn es ein uneheliches gewesen wär, man hätte es
mit durchgebracht und es wäre doch noch etwas von ihm da. Das ist ja nun auch
alles zu spät.
Nanni ist so verzweifelt und sagt immer „Nichts ist mehr von
ihm da, nun ist er ganz dahin, alles ist ausgelöscht.“ Siehst Du Ernst, das
glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass ein Mensch ganz vergehen kann. Ich
glaube fest an ein Wiedersehen. Schau, wie groß ist doch das Weltall. Schon
das, was man sich ausrechnen kann, ist wunderbar genug. Ich las gerade jetzt
einmal, dass die Milchstraße 1 000 000 Lichtjahre von uns entfernt ist und aus
Welt- und Sonnensystemen besteht. Sollte in diesem großen Raum nicht irgendwo
Raum für die Menschenseele sein? Vielleicht ist die Seele, wenn sie vom Körper
befreit ist, glücklich? Wer weiß das? Ich habe hier ein ganz kleines Heft vor
mir liegen. In diesem stehen Grabinschriften. Zwei möchte ich Dir davon
aufschreiben. Auf dem Grab von Johannes Kepler, von ihm selbst verfasst:
Himmelsweiten errechnet´ ich einst
jetzt mißt mich die Grube
modert der Leib auch, so schaut selig
sein Urlicht der Geist.
Droste Hülshoff (letzte Worte)
Geliebte, wenn mein Geist geschieden
So weint mir keine Träne nach;
denn wo ich weile, dort ist Frieden,
Dort leuchtet mir ein ewger Tag!
Wo aller Erdengram verschwunden,
soll Euer Bild mir nicht vergehn,
Und Linderung für Eure Wunden,
für Euren Schmerz will ich erflehn.
Weht nächtlich seine Seraphsflügel
der Friede übers Weltenreich
So denkt nicht mehr an meinen Hügel,
denn von den Sternen grüß ich Euch.
So wollen wir´s mit unseren Toten auch halten. Sie leben ja
auch noch in unseren Gedanken.
Nun gute Nacht mein liebster Ernst, wach gesund wieder auf
und bleib immer gesund, damit wir uns wiedersehen.
Ich grüße und küsse Dich ganz herzlich, Deine Annie.
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