Dienstag, 13. Februar 2018

Brief 513 vom 8./9.2.1943


 Mein liebster Mann                                                Konstanz,den 8.2.43        

Eigentlich hatte ich heute vor, nähen zu gehen.
 Es ist aber nichts daraus geworden. Wir hatten schon immer gesagt, wenn der Film "Die grosse
Nummer" kommt, gehen wir bestimmt hin, wenn er Jugendfrei  ist. Das war nun der Fall. Am
 Montag hat ja Helga sonst nachmittags Schule. Da aber die Lehrerin noch erkältet ist, fiel sie aus. Da
haben mich nun die  Kinder gequält, dass wir heute schon in den Film gehen. Mir ist  es ja schliesslich
gleich, heute oder morgen. So haben wir uns denn auf den Weg gemacht. Wir haben es bestimmt nicht
bereuen  müssen. Es ist ein Zirkusfilm, mit Tiger- und Löwengruppen.
 Hoffentlich kommt der auch mal zu Euch. Den musst Du Dir ansehen. Das Kino war auch gedrängt
voll. Wenn die Kinder allein gegangen wären, wären sie nicht mehr reingekommen. Es sind viele ab-
 gewiesen worden. 
Ehe wir fortgingen kam nochmals die Frau von der Kriegsopferversorgung. Vater ist am Samstag nicht
hingegangen. Nun habe ich einen Zettel ausgefüllt und 2 andere Formulare habe ich für Vater
bekommen, die er ausfüllen und nachher nach der Robert Wagnerstrasse bringen muss. Montags -und
 Donnerstags von. 6-7 Uhr haben sie Sprechstunde. Herr Wolf sei auch immer da. Bei den Formularen
für Vater handelt es sich um die Elterngabe von 300 Mk. Bei den anderen Sachen handelt es  sich
darum, dass Vater, wenn er einmal krank oder nicht mehr arbeitsfähig ist, Antrag auf Gewährung einer
Beihilfe stellen kann, wenn sein Einkommen nicht 100Mk übersteigt. Er bekäme das dann als Beihilfe
anstelle der Unterstützung, die ihm Kurt evtl. gegeben hätte.  Am liebsten würde Vater ja auf das
 alles verzichten. Aber andererseits freut es mich dass die Leute extra deswegen kommen, denn Vater
hatte schon einmal von einem Arbeitskameraden erzählt, dessen Sohn gefallen war. Ihm  hätte man die
Unterstützung nicht gegeben. Ich sagte zu Vater, dass die genauen Bestimmungen darüber ja erst
einige Tage nachher herausgekommen sind und dass danach der Mann erst den Antrag stellen
müsste. Aber Vater meinte, das sei ja alles Schwindel. Vielleicht sieht er jetzt doch, dass es nicht so ist.
Morgen und übermorgen Nachmittag gehe ich aber bestimmt nähen. Ich will nichts versäumen und
nicht nachlässig werden. Heute Morgen habe ich zu hause mit der Maschine genäht, bzw.
ausgebessert. Morgen muss ich mich auch noch eine Weile dransetzen. - Heute hatte es nach längerer
Zeit wieder einmal ein wenig geschneit. Aber bis heute Abend war alles wieder getaut und auch
getrocknet. - Jörg hat heute seine Lehrerin wegen der Zensur und Führung und Haltung gefragt. Sie
hatte vergessen, sie einzuschreiben, Er hat "gut"
Du Ernst, was meinst Du dazu. Ich habe noch ein paar weisse Bohnen da. Erst wollte ich ja Erna
welche schicken,  aber die kann sie doch jetzt nicht so gut essen. Da dachte ich, ich wollte sie mit
etwas Kakao dazu. den ich übrig habe, an Papa schicken. Es tut mir leid. dass er jetzt so viel
abgenommen hat.
 Erst jetzt, nachdem Erna nicht mehr dort ist und er also auch nichts mehr von den Sachen erhält, die
Siegfried manchmal mitgebracht hat, wird er merken, dass es jetzt knapper zugeht. Ich glaube, früher
hat er es immer als selbstverständlich angenommen, dass immer genügend da ist. Denn wie mir Erna
bei ihrem Hiersein sagte, hat sie ja manchmal von ihren Sachen etwas gegeben, nur
dass sie eben nichts so offen hingestellt hat, was ja Papa erbost hatte. Schreib mir also mal, was Du denkst, obich was schicken kann.

9.2.
Siehst Du, lieber Ernst nun bin ich gestern Abend doch nicht mit schreiben fertig geworden. Plötzlich hat mich soder Schlaf überfallen, dass ich einfach schlafen gehen musste. Aber nun schreibe ich jetzt gleich weiter. Da
kommt der Brief heute Nachmittag noch mit fort.
 Vorhin, kam der Briefträger und brachte mit die Päckchen Nr. 5 und 6 mit Öl und Honig und Deinen lieben Brief vom 23.1. Aus diesem habe ich jetzt ersehen, warum Du zusammenpacken musstest. Hoffentlich war es wirklichnur eine Vorsichtsmassnahme. Ich werde ja wieder von Dir hören. Die vergangenen Wochen waren ja schwerund es wird wenige geben, die nicht davon berührt worden sind. Es werden auch noch länger schwere Zeitenkommen, aber wir wollen uns nicht unterkriegen lassen.
Wir müssen einfach durchhalten, es geht ja garnicht anders.
 Genau so, wie ich mich über Deine Briefe freue, tuen es auch die Kinder mit denen, die Du ihnen schreibst. Dufindest auch immer den richtigen Ton für sie. Ich freue mich jedesmal mit.
Wenn die Häuser aussen ganz weiss beschlagen sind, so ist das doch ein Zeichen (soviel ich -weiss) dass nasseSteine beim bauen verwendet worden sind. Ich hatte jedenfalls mal so was gelesen. Die Häuser sind dann sehrkalt und auch muffig.
Das habe ich schon .oft gemerkt, dass Du Dich freust, uns etwas schicken zu können. Und glaub mir, Ernst, ichfreue mich auch jedesmal ganz fest. Leider kann ich es Dir ja immer  nur so schreiben. Aber aus jeder Sendung spüre ich ja Deine Sorge und Liebe. Denn dass Dir die Sachen nicht einfach in den Schoss fallen, das kann ichMir auch denken. Da hast Du bestimmt manche Mühe damit. Du bist wirklich ein lieber, lieber Mann.
Wenn ich geschrieben habe, dass Du in einem Brief frech gewesen bist, so habe ich das wirklich nicht ernsthaftgemeint. D.h. ein bißl frech warst Du ja schon, aber ich kenne Dich doch und nehme das nicht krumm. Du meinstes ja auch garnicht so ernsthaft. Also da mach Dir nur mal keine Sorgen darüber, Eine Notgemeinschaft mit Jörgbrauchst Du bestimmt nicht eingehen, das "Bürschle" war doch eine halbe Liebkosung. Aber ich muss schonsagen, Du bist ein netter "reuiger Sünder". Du meinst, wenn Du nun einmal büßen musst, kannst Du ruhig noch  einmal ein bißchen frech werden. 0 Du (lieber) frecher Kerl.
Nun muss ich wirklich schliessen. Zwischendurch habe ich schon das Essen mit fertig gemacht und jetzt –
werden bald die Kinder heim kommen. Da soll das Essen fertig sein, denn ich will bald nähen gehen.
Lass Dich recht herzlich grüssen und ganz fest küssen von
Deiner Annie

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