Freitag, 16. Februar 2018

Brief 518 vom 14.2.1943


Mein liebster Mann!                                                  Konstanz, 14.2.1943

Heute Morgen habe ich Dir einen Brief geschrieben. Da er aber so kurz geworden ist und ich außerdem gestern nicht schreiben konnte, lässt es mir keine Ruhe, ich muss Dir noch einen Gruß senden. Das Kopfweh, bzw. der benommene Kopf, ist etwas besser geworden, wenn es auch noch nicht ganz vorbei ist. Da es sonst nie so lange angehalten hat, kam mir schon der Gedanke, ob vielleicht nicht nur das Kino, sondern auch das daran Schuld ist, dass ich gestern so hingefallen bin. Ich hatte gar nicht mehr so daran gedacht, aber heute tut mir erst richtig die rechte Seite weh. Ich wollte gestern zum Bäcker gehen. Als ich das Rad hingestellt hatte und die Stufen raufgehen wollte, rutschte ich auf dem nassen Stein aus und bin mächtig auf die Stufen hingefallen. Im ersten Moment war mir´s ganz schwindlig.
Heute Vormittag bei der Haussammlung fürs WHW fragte der Blockleiter auch, was wir für einen Garten haben, ob wir Kunstdünger, Setzlinge, Kartoffeln brauchen. Das wird alles notiert, und man hat dann die Gewissheit, dass man diese Sachen bekommt. Wenn ich auch Schweinemist habe, so macht es nichts aus, wenn ich noch Kunstdünger dazu bekomme. Bei Gemüse will ich ja Verschiedenes selbst aussäen, aber wenn ich frühe Setzlinge bekommen kann, schadet es auch nichts. Von Kartoffeln habe ich 30 Pfund bestellt. Ich weiß nämlich nicht, ob mir unsere auch für alle Saatkartoffeln ausreichen.
In dem Zeitungspaket von Papa gestern waren auch Kasperleabzeichen dabei, die bei uns noch nicht verkauft worden sind. Es war ein Krokodil, 1 Pferd, König, Königin, Schutzmann, Gretel, Großmutter und der Seppel. Da haben sich die Kinder aus der Mehltüte und einem großen Briefumschlag von Dir je ein Kaspertheater gemacht. In den Umschlag haben sie 4 zusammengenagelte Holzleisten gesteckt, damit das Ganze steht. Dann haben sie eine Bühne ausgeschnitten und alles bemalt. Dann haben sie die Figuren an der Anstecknadel auf eine Gabel gespießt und haben gespielt. Außer den Abzeichen hatte Papa noch je ein Notizbuch für die Kinder mitgeschickt. Das kannst Du Dir denken, dass sie sich gefreut haben. Da hat Helga vor allen Dingen gleich ihren Stundenplan reingeschrieben, danach den Zugfahrplan und dann den Omnibusfahrplan. Sie meinte, das müsste sie wissen. Jörg hat heute wieder ein Geschäft gemacht. Er hatte einen alten Kalender von 1936, den hat er für 50 Pfg. an den Richard verkauft. Die Kinder von Büsings haben ja überhaupt immer viel Geld in den Händen. Vor kurzem, als ich Jörg bei Tengelmann für die Kinder einige Waffeln mitbringen ließ (ich meine für sich und für Helga), als er mir Butter holte, durfte sich Richard von seiner Mutter aus auch einige kaufen. Da hat sie ihm einfach 20 Mk. mitgegeben. Als wir gestern mit dem Omnibus in die Stadt fuhren, war die Gardie auch drin und hatte gleich wieder 5 Mk. mit. Und dann kaufen sie sich immer alles, was es nur gibt. Ich höre es doch immer wieder von Jörg. Da heißt es auch immer wieder “Richard will mir für das und das 10 Pfg. oder 20 Pfg. geben.“ Ich muss immer Obacht geben, dass Jörg nicht auch angestiftet wird, nichts mehr zu sparen. Die 50 Pfg. , die er sich heute verdient hat, wollte er auch nicht gern in die Sparbüchse tun. Ich habe nichts dazu gesagt, aber heute Abend siegte doch seine Sparsamkeit und er hat das Geld mit Helga geteilt und beide haben es in die Sparbüchse getan. Da war er doch wieder ein ganz lieber Kerl, nicht wahr? Im Nähen habe ich mich auch schon wiederholt gefreut. Ich bin ja manchmal mit dem Folgen noch nicht ganz zufrieden, aber draußen betragen sie sich immer gut. Schon verschiedene Male haben mir die Frauen gesagt „Das sind nette Kinder, die sindgut erzogen, das merkt man gleich.“ Das freut mich dann doch sehr.
Kannst Du Dich noch an die Kapuze erinnern, die Du immer als Nikolaus aufgesetzt hast? Die hat jetzt einen anderen Platz gefunden, wo sie gute Dienste leisten kann. Wir haben die Spitze weggemacht und haben sie rund genäht, so wie meine Mütze am blauen Regenmantel ist. So abgeändert habe ich sie an Helgas Mantel angeknöpft und es sieht jetzt ganz modern aus. Helga ist auch mächtig stolz.
Heute kam im Volkskonzert das Lied „Wohlan die Zeit ist kommen“ vor. Da ist mir so manche Erinnerung an früher gekommen. Wie oft haben wir das Lied doch gesungen? Auch an manches Andere habe ich gleich dabei gedacht. Weißt Du noch, wo wir mal den Ernst Gottschalk (?) besuchen wollten? Wie uns da seine Mutter abgefertigt hat und wie wir dann in der Kälte im Wald noch photografiert haben? Dann kam mir auch in Erinnerung, wie wir manchmal so über Äcker gelaufen sind und dann die Schuhe dick voll Erde hatten. Es war doch auch eine schöne Zeit. Es ist komisch, was einem so bei einem Lied alles einfallen kann.
Während ich jetzt schreibe, hat Helga gerade abgewaschen und Jörg ist jetzt noch dabei, abzutrocknen. Sie wollen nämlich nachher noch den Brief mit wegschaffen. Wir haben heute wieder einen ganz klaren Abend, da ist es draußen so schön. Wir schauen uns immer den Großen Wagen an und denken dabei an Dich.
Viel geschafft habe ich heute nicht, nur die bunten Sachen von der vergangenen Woche die wir heute ausgezogen haben, habe ich gewaschen. Morgen Vormittag kann ich sie vielleicht schon bügeln und bin so fertig, wenn ich dann zum Nähen gehe. Am Nachmittag habe ich heute ein Bisschen gelesen.
Auch heute heißt es wieder im Wehrmachtsbericht, dass dort, wo Du bisher warst, schwere Kämpfe im Gange sind. Hoffentlich bist Du nicht mehr dort.
Mein liebster Mann, bleib gesund und lass Dich herzlich grüßen und küssen von Deiner Annie.

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