Freitag, 16. Februar 2018

Brief 519 vom 15.2.1943


Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz,15.2.1943

Ehe ich nachher zum Nähen gehe, habe ich noch etwas Zeit und da will ich Dir gleich schreiben. Vor allen Dingen will ich Dir den Eingang von zwei Deiner lieben Briefe bestätigen, vom 27. und 31.1. Aber auch zwei Päckchen habe ich erhalten mit Cognac und Kirschlikör, Nr.13 und 14. Sie sind gut angekommen, wie es ja bei dieser guten und weichen Verpackung gar nicht anders möglich war.
Dir hat es auch so wehgetan, dass die Soldaten von Stalingrad so heldenhaft sterben mussten. Mir geht es auch jetzt noch so und wenn man manchmal in den Leistungen nachlassen will, so denkt man immer daran und sieht daraus, wie wenig man doch eigentlich tut. Es spornt immer wieder an.
Es freut mich, dass Du mit meinem Schürzenkauf einverstanden bist. Ich werde sie bestimmt noch gut brauchen können, vor allem im Sommer, wenn es sehr heiß ist.
Für Vater führe ich jetzt manche Aufträge aus. Mit dem Stricken der zweiten paar Strümpfe bin ich bisher noch nicht weiter gekommen, denn Vater hat immer noch nicht die Wolle rausgesucht. Du brauchst auch keine Angst zu haben, dass ich mich überanstrenge. Wohl sind die Tage bis zum Abend mit Arbeit ausgefüllt, aber ich denke, dass ich es schonleisten kann. Weißt Du, ich habe jetzt einfach keine Ruhe zum Nichtstun, es treibt mich immer wieder weiter. Ich muss etwas schaffen. Das müssen ja so viele andere auch und die haben´s noch schwerer. Ich konnte doch bisher noch daheim bei den Kindern sein.
Wenn Vater auch nicht mehr verpflichtet ist zum Schaffen, so hat er doch auch gesagt, dass er so lange arbeiten will, wie es geht. In einem bist Du im Irrtum. Vater wird bei St(romeyer) nicht mit Facharbeiten beschäftigt, sondern mit den anderen, nicht so schweren Sachen, und ich schrieb dir ja schon einmal, dass es Vater an sich jetzt gleich ist, was er tut. Gestern hat Vater übrigens auch wieder ganz vernünftig geredet. Das vorherige Gerede war nur auf den Einfluss Paula zurückzuführen. Du glaubst gar nicht, wie ich schon wieder genug von ihr habe. Sie hat noch manches geredet, aber davon erzähl ich Dir später lieber.
Mit der Laubsäge hat Jörg schon verschiedene Sachen für sich gebastelt. Er hat ein Sägeblatt vom Walter geschenkt bekommen. Ich muss jetzt aber mal zusehen, ob ich nicht selber welche bekomme. Einige Zigarrenkistendeckel  und dünnes Holz von deinen Eierkistchen habe ich schon aufgehoben.
Ich glaube, dass Jörg später schon zum Friseur gehen wird, ohne viel drum herum zu machen, aber jetzt ist es ihm so bequemer und einfacher. Vor allen Dingen will er doch nicht warten. Meist Du, da bin ich beleidigt, wenn Du schreibst, ich würde Jörg schon jedes Haar einzeln rausziehen? Deswegen gebe ich das Haareschneiden nicht auf. Ich kenn Dich doch und weiß, wie gerne Du mich mal fuchst. Das ärgert mich gar nicht. (Ätsch!) 
An Erna muss ich in den nächsten Tagen schreiben. Ich hatte jetzt in letzter Zeit gar keine Lust. Es war so eine schwere Zeit. Vor allem die unverhoffte Nachricht vom Heldentod Kurt´s, und dann auch Stalingrad. Was soll man da so schreiben. Ich habe nicht die Gabe, mich da mit Menschen, die mir doch nicht so nahe stehen, auszusprechen.
Nun mein lieber Ernst, ist es Zeit geworden, dass ich mich auf den Weg mache. Jörg muss nachher noch in die Stadt zu Tengelmann gehen und Butter holen und Helga muss nach der Schule noch 2 Brote einkaufen. Sie müssen mich eben jetzt in dieser Beziehung unterstützen.
Sei für heute wieder ganz, ganz herzlich gegrüßt und ganz fest geküsst von Deiner Annie.

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