Dienstag, 13. Februar 2018

Brief 515 vom 11.02.1943


Mein liebster Ernst!                                                Konstanz, 11.2.43

Mit dem zeitig schlafen gehen, wie ich es vorhatte, ist es leider gestern wieder nichts geworden. Als ich kurz nach 8 Uhr bald mit dem Brief an Papa fertig war und dann ins Bett gehen wollte, klingelte es und Vater kam. Er hatte vorgestern vergessen, mir zu sagen, dass Nanni eine Zeitung mit der Anzeige für Kurt mitnehmen wollte. Deswegen kam er extra. Das wäre doch nicht so schlimm gewesen. Lubmin liegt ja nicht aus der Welt. Da hätte man sie eben hingeschickt. Vater hat dann noch Zeitung gelesen und mit mir gesprochen. Ich muss sagen, dass ich gestern an der Unterhaltung wenig Freude gehabt habe. Sonst hat Vater immer so vernünftig geredet, ich habe  mich in letzter Zeit wirklich gefreut, und gestern war er wie ausgewechselt. Das kommt von Paula und Nanni her. Was er erzählt, war im Wesentlichen dasselbe, was diese Beiden schon zu mir erzählt hatten. Da hieß es nur immer „hätten sie, hätten sie nicht.2 Ach weißt Du, Kritik üben und schimpfen ist ja so leicht. Bei einem hat es mir ja bald die Stimme verschlagen. Da sagte Vater: „Hätten sie die letzten Jahre lieber keine Bauten hergestellt, sondern immer nur gerüstet und gerüstet, das wäre besser gewesen.“ Und weißt Du noch, wie gerade Vater immer sagte, wie viel Geld doch die Rüstung verschlingen würde, das wäre ganz schlimm. Und wir haben drauf gesagt, lieber soll es Gelder kosten anstatt Blut. Mit jedem, was wir mehr an Geschützen usw. hätten, sparen wir Blut. Jetzt ist das auf einmal vergessen. Ich könnte Dir noch manches schreiben (ich hatte es auch vorhin schon getan und habe den Brief jetzt doch lieber zerrissen) aber sowas schreibt man lieber nicht. Davon kann ich Dir lieber später erzählen. Aber das eine möchte ich doch noch sagen, Paula hat keine Veranlassung, Kritik zu üben. Das können nur unsere Soldaten tun, die ja draußen stehen müssen. In der Heimat ist auch alles gar nicht so zu übersehen. Klug schwätzen kann schließlich jeder. Aber Schluss damit, ich ärgere mich sonst zu sehr.
Heute Vormittag erhielt ich Dein lieben Briefe vom 24. und 28.1., sowie die Päckchen Nr. 8, 10 und 11 mit Zigarren, Mehl und verschiedenen kleinen Sachen. Halt, die Butter darf ich nicht vergessen.  Das ist keine kleine Sache, sondern etwas, was mich auch sehr gefreut hat. Die Kerzen hebe ich mit auf. Du, sag mal, warum hast Du bei dem Mehl an der Seite noch 2 kleine Brezeln von Weihnachten wieder zurück geschickt? Sie waren ja ziemlich zerbrochen, aber sonst waren sie noch gut. Ich dachte erst, es wäre nur Papier zum ausstopfen, aber dann merkte ich, dass es glatt zusammen lag und etwas drin sein musste. Wahrscheinlich hast Du´s gar nicht gemerkt, dass da noch was drin ist.
Ich habe wirklich lachen müssen, als ich las, dass es dir dort bei dem Wasser genau so geht, wie mir hier nach dem baden. Wenn es bei Dir auch nicht an derselben Stelle ist, wie bei mir, so hast Du doch nun auch gemerkt, wie unangenehm das ist. Nach dem baden im Hallenbad bin ich übrigens nicht mehr so geplagt.
Dass ich nun meinen eigenen Schneeschipper habe, darüber freue ich mich wirklich. Das borgen ist scheußlich. Bei dem Besen, den ich schon zum schneewegmachen verwendet habe, meine ich natürlich den harten Besen, den ich sonst für den Vorraum oder den Hof verwende, nicht etwa den Stubenbesen.
Ich bin wirklich froh, dass Du so einverstanden bist, dass ich nähen gehe. Ich hätte auch wirklich keine Ruhe zuhause. Vor allen Dingen jetzt, wo die Zeit so schwer ist und viele Hände gebraucht werden. Weißt Du, nach denen, die noch zurückstehen, kann man sich ja nicht richten. Wenn ihr das als Soldaten machen würdet, kämen wir ja auch nicht weit. Da tut ja auch jeder sein bestes. Die anderen Frauen wird man jetzt schon auch noch holen. Weißt Du, wenn ein Kollege von Dir meint, seine Frau könnte den Haushalt mit 2 Kindern nicht machen, wenn auch noch die Mutter da ist, so ist das, meines Erachtens, Einbildung. Aber es gibt eben manche Frauen, die können dem Mann so viel vorbarmen, dass er es zuletzt selber glaubt. Aber zu denen will ich nicht gehören. Ich will auch meinen Teil schaffen, soweit ich irgend kann.
Du Deutest in dem einen Brief an, dass ihr vielleicht dort fort kommt. Vielleicht ist dieser Umstand schon eingetreten, denn die Kämpfe müssen ja in nächster Nähe sein. Aus einer Karte, die heute in der Zeitung war, ist es ersichtlich. Mir ist es schon seit einiger Zeit so schwer ums Herz. Hoffentlich bist Du ganz gesund und es geht Dir soweit gut. Ich wäre so froh. Ich denke ja immer an Dich.
Hoffentlich hast Du das Päckchen mit dem Gebäck und mit den anderen Sachen erhalten. Ich könnte Dir bald wieder etwas schicken, aber es sind ja nur 100g-Päckchen frei, das sind meist nur 3-4  Stück. Mal sehen, wie man es machen kann.
Meinst Du, dass Papa das Gedicht, das ich Dir einmal mitgeschickt habe, selber gemacht hat? Ich meine, er hat es irgendwo abgeschrieben.
Gerade angenehm ist Vater das Schaffen bei Stomeyer nicht. Aber er hat jetzt nicht so schwere Arbeit. Dass er nicht als Facharbeiter beschäftigt ist, ist wegen des Geldes unangenehm. Aber Vater sagt, er macht eben jetzt im Kriege, was geht. Alles wäre ja wichtig. Darin muss ich ihm ja Recht geben. Bei seiner letzten Stelle hatten sie auch Hilfsarbeiter hingeschrieben und als er meinte, er sie doch als Schreiner angestellt worden, so sagte der Mann, das könne er nicht hinschreiben, denn Modellschreiner sei etwas anderes, als Schreiner. In seinem Alter sei er auch keine volle Arbeitskraft mehr. Vater sagte, dass es ihm nicht mehr so schnell von der Hand ginge, das sähe er ein. (Das hat er nur zu mir, nicht zu dem Mann gesagt!) Man merkt schon an manchem, dass Vater älter wird. Gerade jetzt, wo er verschiedene Formulare auszufüllen hatte, kam er immer wieder durcheinander, wo er dies und jenes Formular hinbringen muss, trotzdem ich es ihm öfter erklärt habe. Das Gedächtnis lässt eben doch nach. Vater sieht es ja auch ein.
Das kleine Regal für den Küchenschrank hat mir wirklich Freude gemacht. Für Deinen Glückwunsch zum Gelingen danke ich Dir. Ich bin bestimmt froh, dass ich mir in vielen Sachen selber helfen kann. Gerade gestern kam Helga ganz verwundert heim, dass bei ihrer Schulkameradin die Schuhe gleich zum Schuhmacher geschafft werden müssen, wenn nur ein paar Nägel fehlen oder rausstehen. Das brauchen wir doch wenigstens nicht.
Schiebungen kommen hier schon noch vor, aber wenn man sie erwischt, dann folgen auch harte Strafen. Du hast Recht, wir haben gar keine Verbindungen und wären auch nicht dazu geeignet, solche Schiebungen mitzumachen. Ich müsste mich vor mir selber schämen.
Ich schicke Dir anbei noch den Durchschlag meines Briefes an Papa mit.
Nun lass mich schließen. Es ist jetzt gleich Mittagszeit. Heute gibt es Kartoffelstückchen. Gestern hatten wir Tomaten suppe, Eierkuchen.
Mein lieber Ernst, bleib gesund und sei recht herzlich gegrüßt und viel, vielmals geküsst von Deiner Annie.

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