Dienstag, 21. Juni 2016

Brief 179 vom 22./23./24.6.1941


Mein liebster Ernst!                                                                Konstanz, 22.6.41   

Das war heute wieder eine Sonntagsüberraschung, Krieg mit Rußland. Will denn dieser Krieg nie ein Ende nehmen. Immer wieder kommen neue dazu. Zu was schließt man denn Verträge, wenn sie nie gehalten werden. Du hast doch sicher den Aufruf des Führers auch gehört. Das sind doch anmaßende Fragen die der Molotow da gestellt hat. Wenn man das schon hört, sie fühlen sich von Finnland bedroht.
Wenn ich die Karten für den Zirkus nicht schon hätte, ginge ich sicher nicht. Mir ist alle Lust vergangen. Wie viele Soldaten heute schon wieder sterben werden. Aber die Kinder verstehen ja das alles noch nicht so und sie sollen ihre Freude haben. Sie freuen sich ja schon so.
Siegfried wird sicher auch an der russischen Grenze sein, denn er hat doch seinen 3tätigen Urlaub auch abbrechen müssen, da sein Zug einsatzbereit sein mußte.
Die Kinder haben sich der neuen Lage schnell angepaßt. Sie spielen schon Deutsche und Russen. Gerade hörte ich, wie sie unten sagten: “Wir sind Russen, wir ergeben uns nachher.“ Bei denen geht es schnell.

                                                                                                        23.6.
Mein lieber Ernst! Nun ist es so, daß ich augenblicklich gar nicht schreiben kann, weil Postsperre ist. Aber ich schreibe Dir inzwischen doch alles auf und schicke es weg, wenn die Sperre aufgehoben ist.
Gestern Morgen war ich ziemlich niedergedrückt und hatte gar keine Lust zum Zirkus, aber dann war es doch ganz schön und man konnte einmal über 2 Stunden alle Sorgen vergessen. Die Leistungen waren wirklich gut, aber sie verlangen ja auch gutes, bzw. ziemlich viel Geld. Ich habe für uns drei 5,- Mk. bezahlt. Dafür könnten wir mehrere Male ins Kino gehen. Aber es war eben wieder einmal etwas anderes. Den Kindern hat es so gefallen, daß sie am liebsten heute nochmals gegangen wären.
Bei mir geht es jetzt gesundheitlich schnell vorwärts, besonders was die Kräfte anbelangt. Der Hals ist noch nicht ganz gut. Es löst sich immer noch Schleim und das ganze tiefe Atmen tut mir weh. Aber das fällt kaum mehr ins Gewicht, womit nicht gesagt sein soll, daß ich ihm keine Beachtung schenke. Ich gebe nicht eher nach, bis es ganz ausgeheilt ist. Aber sonst geht es mir soweit gut. Ich liege bei Tag kaum mehr auf dem Liegestuhl, aber abends gehe ich ziemlich zeitig schlafen, denn überanstrengen möchte ich mich nicht.
Jetzt kümmere ich mich auch schon wieder ein bißchen um den Garten. Heute habe ich die Roten Rüben auseinander gesetzt. Morgen möchte ich evtl. Kohlrabi und noch etwas Kraut setzen. Ich teile es mir eben so ein, daß es mir nicht zu viel wird. In den letzten Tagen haben wir zusammen ca. 2 Pfund Erdbeeren geerntet. Wir haben sie so aufgegessen, denn es waren immer nicht viel. Ich habe ja auch nicht so viel Zucker. Den hebe ich für die Stachelbeeren auf.
Die Kinder baden doch immer im Hof. Da hatten sie nie richtiges Badezeug. Das konnte ich heute nicht mehr mit ansehen. Ich habe Jörg aus dem guten Stück meines schwarzen Turnanzugs eine Badehose gemacht. Aus dem Verdunklungsbehang der Kinderzimmerlampe, den wir nicht mehr  brauchen, da wir ja blaue Glühbirnen haben, habe ich ihm noch eine Sporthose genäht. Es ist schwarzer Satin, wie bei Deiner Sporthose. Für Helga habe ich aus meinem alten blauen Badeanzug einen für sie genäht. Ich wollte das alles schon früher machen, aber dann kam meine Krankheit dazwischen.  

                                                                                                           24.6.
Heute erhielt ich Deine beiden lieben Briefe vom 19. und 20.6. Ich danke Dir sehr dafür.
Das neueste für mich war ja, daß Du Bier trinkst. Aber Du mußt Dich jetzt eben dort anpassen. Das geht ja nicht zu ändern. Gaz ohne etwas tu trinken kann man das Abendbrot auch nicht essen.
Wenn der Krieg vorbei sein wird, wird  sich sicher mancher Unterschied in der Lebensweise herausstellen, der durch das lange Getrenntsein entstanden ist. Aber wir sind ja noch keine alten Leute und das wird sich sicher wieder ausgleichen lassen. Aber darüber wollen wir uns jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen, denn bei dem Krieg läßt sich ja das Ende noch gar nicht absehen, das kann noch lange dauern.
Die Krankheit hatte mich wirklich ziemlich gepackt, aber jetzt ist es ja schon viel, viel besser geworden. Ich freue mich, daß ich Dir das auch noch in einem Brief mitteilen konnte, ehe die Postsperre kam. Sonst hättest Du Dir solange Sorgenmachen müßen.
Der Frau Nußbaumer kann ich für das Treppeputzen nicht gut etwas geben, das würde sie beleidigen. Im umgekehrten Falle ginge es mir genau so. Die Hausarbeiten kann ich jetzt wieder gut machen. Dazu brauche ich also keine Hilfe nehmen.
Nun hast Du schon das größere Zimmer bekommen. Fühlst Du Dich jetzt wohler?
Ich habe diesmal ganz vergessen an Dora zum Geburtstag zu schreiben. Ich werde es in nächster Zeit tun und sagen, daß ich krank war und deshalb nicht schreiben konnte.
Als ich mich heute Nachmittag etwas ausruhen wollte, klingelte es und Nanni erschien. Wir haben uns ca. 2 Stunden ganz gut unterhalten. Sie war erstaunt, wie groß die Kinder geworden sind. Sie brachte eine Tüte Bonbons, für Jörg eine Mundharmonika und eine Pfeife, für Helga ein Armband mit. Ich habe Nanni die Bilder von den Kindern übergeben. Sie sagte, daß sie schon noch einmal herkommen würde, vielleicht könnten wir auch einmal zusammen einen Spaziergang machen. Mal sehen, ob etwas daraus wird.
Beim Erzählen kamen wir auch darauf zu sprechen, daß Jörg manchmal so hohl hustet. Nanni sagte, daß das sicher ein Erbstück von Deinem Großvater sei. Der habe auch beim geringsten Husten so hohl gebellt, daß man gemeint hat, er sein todkrank, dabei sei er kerngesund gewesen.
Nun muß ich für heute schließen, es ist bereits 10 Uhr vorbei und ich bin sehr müd.

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