Mein lieber Ernst! Konstanz,
den 3. Juni 1941
Der Briefträger war ja noch nicht da, aber
ich will doch gleich mit schreiben beginnen. Die Pfingstfeiertage sind ja auch
wieder vorbei. Bei dem schönen Wetter ist, wie es auch in der Zeitung steht,
überall mächtiger Betrieb gewesen. Die Leute haben kaum auf den Schiffen Platz
gehabt. Da war es doch ganz gut, daß wir gestern nicht gefahren sind, abgesehen
davon, daß ich ja nicht konnte.
Ich denke, daß ich wieder über den Berg
bin. Gestern bin ich den ganzen Tag auf gewesen und heute will ich in die Stadt
fahren. Natürlich nicht mit dem Rad, sondern erst einmal mit dem Omnibus. Ich
will bei dieser Gelegenheit meine Kennkarte holen und Vater hat mir seine
Gasrechnung über 56,70 M zum bezahlen mitgegeben. Das sind die 235 Kw.
Das einzige, was noch nicht in Ordnung
ist, das ist der Hals. Es löst sich wohl immerzu, aber ich muß auch dauern
aushusten, dadurch kann ich fast gar nicht schlafen. Ich denke aber, daß sich
das auch bald geben wird.
Gestern wollte Vater gleich am Nachmittag
kommen. Wollte! Als er auf ein paar Minuten kam, war es 1/2 9. Er brachte noch
ein paar Stück Kuchen mit. Eigentlich
wollte er von seinem Streuselkuchen mitbringen, aber „der ist ein bißchen
dunkel geworden. Ich habe das Gas ein bißchen größer gestellt, denn man will
doch, daß es nicht so lange dauert, da war er gleich ein wenig dunkel.“ Da ich
gestern den ganzen Tag auf war, habe ich schon 1/2 10 Schluß gemacht. Es war ihm aber ganz recht, denn er wollte
sowieso noch „etwas von dem harten Streuselkuchen essen, und da brauche ich Zeit dazu. Früh ist mir die Zeit dazu zu
kurz“ meinte er.
Die Kinder hatten gestern Nachmittag den
Brief für Dich weggebracht. Da haben sie in der Stadt einmal warten müssen, da
der Omnibus besetzt war und in den zweiten sind sie gerade noch mit knapper Not
hineingekommen. Helga erzählte mir, wie an allen Haltestellen die Leute lange Hälse
gemacht haben, weil sie nicht mehr mit konnten.
Da habe ich denn doch ein friedlicheres
Pfingsten gehabt. Ich habe mich wenigstens nicht drängeln brauchen. Ich habe
gestern in Herzog und Vogt gelesen. Es hat mir sehr gut gefallen.
Ich bin jetzt gerade erst einmal im Garten
gewesen und habe mir alles angesehen. Es geht alles gut vorwärts. Die Erdbeeren
blühen besser, als ich es erst dachte. Der Salat, den Du dazwischen gepflanzt
hast, kann jetzt geholt werden. Die Beeren an den Stachelbeer- und
Johannisbeersträuchern sind schon ziemlich groß. Die Dahlien treiben Blätter,
die Kartoffeln sind schon ziemlich weit heraus und sollten jetzt eigentlich
einmal gehackt werden. Aber das kann ich jetzt leider noch nicht. Die Kohlrabi
setzen Knollen an. Die Bohnen sind heraus oder sind gerade dabei,
herauszukommen. Einzelne Gurken kommen auch schon. Ich denke, daß in den
nächsten Tagen alle kommen werden.
Nachdem ich vor 4 Tagen Deinen Brief vom
24. erhielt, kam heute Dein Schreiben vom 27.5. Ich danke Dir recht herzlich
dafür. Vielleicht war es ganz gut, daß die Telefonverbindung nicht geklappt
hat, denn nachdem ich krank war, war ich um 1/2 10 schon lang im Bett.
Ich bin jetzt gespannt, was die Stadt auf
Deinen Brief antworten wird. Ich denke mir jedenfalls, daß sie vor Wut
schnauben werden, denn die können nur Leute brauchen, die vor ihnen im Staube
kriechen. Dann fühlen sie sich erst richtig als Herren. Richtig ist es, was Du
geschrieben hast, denn warum sollst Du, der Du selbständige Arbeiten machst,
schlechter gestellt sein als die Mädel. Denn die sind noch ledig, während Du
Familie hast. Vor allen Dingen, wenn man weiß, daß es nur daran liegt, daß
einen ein Mann nicht leiden kann. Darunter kann man doch schließlich nicht das
ganze Leben lang leiden. Da muß man eben doch sehen, daß man wo anders
hinkommt.
Wegen der Schokolade ist es jetzt klar. So
viel für Milchschokolade ausgeben wäre ja Unsinn.
Heute erhielt ich auch einen Brief von
Alice. Ich schreibe ihn Dir gerade mit ab:
Meine
liebe Marianne und Kinder!
Deinen
lieben Brief mit Freude erhalten, vielen Dank dafür. Die Bilder von den Kindern
haben uns sehr viel Freude bereitet, jetzt kann ich es Dir ja schreiben. Seit
vielen Jahren habe ich darauf gewartet, wir selber haben keine Kinder und sind
beide sehr kinderlieb. Manche Träne hat es mich gekostet, wenn ich sehe, wenn
die Kinder zur Schule kommen, nur von uns keine. Es ist so im Leben, nicht
jeder Wunsch wird einem erfüllt und manchmal packt das Leben hart an und da ist
es schön, wenn man im Leben jemand hat, zu dem wir gehören. Schreib mir doch
bitte, wann Jörg zur Schule kommt und ob wir nicht dem kleinen Kerl eine Freude
machen können. Dass Du viel Arbeit hast, glaube ich gern, schöner ist es, wenn
Dein lieber Ernst wieder daheim ist und mithelfen kann. Wir wollen hoffen, daß
der Krieg bald zu unseren Gunsten entschieden ist. Daß ich auf Arbeit gehe,
habe ich Dir schon mal geschrieben. Da fehlt es auch nicht an Arbeit. Im Krieg
soll eben jeder helfen auf seine Art. Ich möchte Euch alle mal sehen und mit
Dir mal plaudern. So recht nahe sind wir uns noch nicht gekommen. Als Du
fortmachtest warst Du noch sehr jung und so kennen wir beiderseitig unseren Charakter
noch nicht richtig. Ich glaube, wir
würden uns gut verstehen, ich habe sehr viel von Mutter. Später, wenn wir alle
älter sind und die Eltern nicht mehr sind, freuen wir uns, wenn wir uns haben.
(Verzeihung, ich sprach von mir, ich weiß nicht, ob Du, liebe Marianne, auch so
denkst) Bitte schreib mal etwas mehr von den Kindern und in der Hoffnung auf
ein gutes Verstehen grüßt Dich und die Kinder herzlich gez. Deine Alice und Paul.
Also, über meinen Brief hat sie sich
scheinbar doch gefreut. Ich werde ihr in den nächsten Tagen wieder antworten.
Einen Wunsch für Jörg zur Schule habe ich ja nicht, denn einen Ranzen hat er,
Schieferkasten bekommt er von Frau Diez und die Bücher hat er noch von Helga.
Da wäre eigentlich nichts zu wünschen. Anzuziehen können sie sowieso nichts
kaufen, da sie ja keine Kinderkarten haben.
Das Zeitungspaket ist vorhin auch
gekommen. Die Kinder haben mich schon gleich bestürmt, ich solle es aufmachen,
aber erst kommt einmal Dein Brief daran. Das ist noch viel wichtiger, nicht
wahr, lieber Schatz?
Sei nun für heute wieder recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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