Mein lieber Ernst! Konstanz,
den 15.6.41
Ich erhielt heute Deien lieben Brief vom
11.6. Vielen Dank. Leider habe ich auch daraus wieder ersehen müssen, daß Du
mit Post ganz schlecht versorgt wirst.
Gestern Abend habe ich immer an Dich
gedacht, wie wohl der Kameradschaftsabend verlaufen ist. Vater war auch da und
ich habe ihm Deinen Dank ausgesprochen, daß er zu Pfingsten extra rauf gekommen
ist. Er hat natürlich jeden Dank abgelehnt. Ich habe ihn gebeten, mir eine
Flasche Rotwein mitzubringen, denn das soll doch gut zur Kräftigung sein. Ich
habe auch gestern und heute Morgen ein Glas getrunken, aber jetzt macht sich
leider schon ein kleines bißchen die Niere bemerkbar. Da ich das nicht auch
noch dazu haben möchte, muß ich das Weintrinken also wieder aufstecken, denn
bei der Niere soll man überhaut keinen Alkohol trinken. Ich verlege mich also
wieder aufs Tee trinken und zwar trinke ich Lindenblütentee, der den
Wasserabgang fördert. Man muß immer noch von sich aus etwas tun, denn bei den
Ärzten geht es jetzt im Kriege husch husch. Wie ich es selbst gesehen habe und
auch schon hörte, nehmen sie sich gar nicht die Zeit, einen richtig zu
untersuchen. Sie fragen, wo tut es weh. Da horchen sie und fragen gar nicht, ob
es vielleicht mit etwas anderem zusammenhängen könnte.
Von meinen Eltern habe ich heute eine
Karte bekommen. Sie wollen in den nächsten Tagen Brief schreiben. Sie hoffen
auch, daß ich wieder gesund bin, aber ich glaube, da werden sie sich
wahrscheinlich schon noch 3 - 4 Wochen gedulden müssen.
Es ist heute gar kein schönes Wetter.
Erst war es nun bewölkt und nun regnet
es sogar ab und zu. Also gar kein Sonntagswetter. Es ist nur gut, dass wir
Radio haben, da habe ich doch ein bißchen Abwechslung. Gestern Abend war ja ein
sehr schönes Programm. Ein Stück habe ich gehört, aber dann bin ich leider
dabei eingeschlafen, denn schlafen kann ich jetzt viel. Das tut mir gut.
Du wirst vielleicht jetzt manchmal denken,
immer schreibt sie nur von ihrer Krankheit. Aber weißt Du, es ist so, ich bin den
ganzen Tag im Zimmer und erlebte jetzt wirklich nichts. Sollte es Dir aber über
sein, so schreibe mir`s bitte. Ich würde dann nur aller paar Tage schreiben.
Herr Steinmehl hat gestern bereits die
Kartoffeln gehäufelt. Ich habe mich bedankt und habe ihn gefragt, was ich ihm
dafür geben darf. Er will natürlich nichts dafür nehmen. Vielleicht kann ich
ihm später, wenn ich wieder selber einkaufen kann, Zigarren oder Zigaretten
mitbringen.
Sonst wüßte ich eigentlich heute nichts zu
schreiben. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! 16.6.41
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom
13.6. Ich habe mich recht darüber gefreut.
Du hättest wegen den Büchern von Busch
nicht so rennen müssen. So eilig ist das nicht. Ich hatte nur gemeint, wenn Du
25% Ermäßigung bekommst, kann man das mitnehmen. Also so sehr wichtig ist es
nicht.
Bei der Angelegenheit mit Nanni werde ich
es natürlich so machen, daß ich ihr in jeder Weise höflich entgegenkomme. Nur,
wie gesagt, viel Wert lege ich auf die ganze Angelegenheit nicht mehr, denn ich
bin eben der Meinung, wenn sie gern mit dem Du sagen einverstanden wäre, hätte
sie das im ersten Antwortbrief mit ein
paar freundlichen Worten zum Ausdruck bringen können. Ein monatelanges Überlegen
wär da nicht nötig gewesen. Du sagst ja schließlich zu Dora, Alice und Paul
auch Du. Das ist doch eigentlich ganz selbstverständlich innerhalb der Familie.
Na, lassen wir das. Das regt mich sonst wieder auf und das kann ich jetzt nicht
brauchen. Jörg bastelt die ganze Zeit. Alles Mögliche wird da gemacht. Mit
anderen Kindern zusammen baut er im Hof auch Unterstände und Bunker. Mich
wundert nur, daß ihnen noch nicht mehr auf den Kopf gefallen ist. Ein paar Mal
hat es ja schon Beulen gegeben. Leider ist es aber immer noch so, daß er über
dem Spielen das Arbeiten vergißt. Wenn er etwas wegräumen soll, da faßt er das
erste Stück an und ist damit schon wieder ins Spielen vertieft. Erst nach einem
kräftigen Anranzer geht es dann weiter.
Gestern hatte ich keinen guten Tag. Das wirst Du wahrscheinlich
schon am Brief gemerkt haben. Erstens macht da das Wetter etwas aus und
zweitens hatte ich auch so Ärger. Es ist doch so, wenn man krank ist, sollte
man am besten mit niemand zusammenkommen. Am Samstag ließ sich das ja nicht
ganz vermeiden. Da hat es denn auch so viel Bedauern geregnet, daß ich den
ganzen Sonntag damit zu tun hatte, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen. „Ach
sehen sie aber schlecht aus, sehen sie sich nur vor, sonst sind Ihre Kinder
eines Tages ganz allein.“ „Was haben sie denn, sie haben ja ganz blaue Lippen,
das ist sicher Herzasthma. Das kann lange Zeit dauern.“ (Die blauen Lippen
hatte ich, weil ich schrecklich gefroren habe.) Am schlimmsten war Frau Bolz „Man
könnte direkt weinen, so elend sehen sie aus.“ Ich kann Dir sagen, am liebsten
hätte ich ihr eine gelangt. Ich bin doch schließlich noch nicht gestorben, daß
man um mich weinen müßte. Und außerdem, wenn man fast 3 Wochen nichts gegessen,
d.h. drei Wochen fast nichts gegessen und kaum geschlafen hat, da kann man doch
schließlich nicht gut aussehen. Wo ich außerdem noch den Husten habe. Das gute
Aussehen muß doch mit der Zeit wieder kommen. Ich muß doch schließlich am
besten merken, ob es besser wird. Am Samstag hat mir das Gerede eigentlich noch
gar nicht so viel ausgemacht, aber als ich gestern mehr liegen mußte, kamen mir
die Worte immer wieder ins Gedächtnis. Ich habe alle Energie aufbieten müssen,
um nicht selber zu glauben, ich sei ein halber Todeskandidat. Man kommt bald
dazu, sich selber zu bemitleiden und das ist doch der größte Kohl. Ich nehme
mich sonst immer zusammen und sehe zu, daß es immer ein bißchen besser wird,
aber solche alte Tangen können einem alles verderben. Jetzt bin ich ja wieder
darüber hinaus. Das gute ist, daß Vater nicht in diese Trauergesänge einstimmt,
sonder er ist auch um jede Besserung froh.
Nachdem Helga hingefallen war, hat es Jörg
keine Ruhe gelassen und so ist er gestern auch hingesegelt. Er hat sich das
Knie aufgestoßen. Nun sind wenigstens beide verpflastert.
Die Amaryllis macht mir wirklich Freude,
vor allen Dingen, weil sie jetzt so gut wächst. So treibt die große Pflanze
schon das 5te und die kleine, die noch ganz winzig ist, das 2te Blatt. Wir haben
alle unsere Freude daran.
Dieses Mal habe ich 96,- ausbezahlt
bekommen. Am Samstag habe ich 30,- an Dich weggeschickt. Helga hat es auf die
Post geschafft. Ich habe mir dieses Mal das Haushaltungsgeld etwas reichlicher
zugemessen, denn wenn man nicht selber einkaufen geht, kommt mache Aufgabe, mit
der man nicht gerechnet hat. Auch für Medizin muß man manche Mark ausgeben. Den
Gehaltszettel habe ich übrigens noch nicht erhalten, der wird sicher an einem
der nächsten Tage eintrudeln.
Ich wollte eigentlich dieses Mal Brikett
bestellen, aber es hat ja keinen Zweck, da ich sie noch nicht schichten kann.
Ich denke, dass es auch noch nächsten Monat Zeit haben wird, denn es ist doch immer
noch Sommer.
Ich habe heute Helga wegen dem Fleck auf ihrem Kopf, den sie doch schon
länger hat, zu Dr. Baumgärtner geschickt. Es handelt sich um einen rosa Fleck,
auf dem sich immer ein ganzer Schuppenberg, oder was das für Zeug ist, bildet.
Ich hatte es mit öfterem Waschen versucht. Beim Waschen geht das Zeug wohl
runter, aber am nächsten Abend ist es schon wieder da. Dann dachte ich,
vielleicht ist die Kopfhaut zu trocken und habe den Fleck eingeölt. Da dauerte
die Schuppenbildung länger, aber weg ging es doch nicht. Helga hat nun eine
Salbe verschrieben bekommen. Ich muß ihr heute den Kopf waschen, damit die
Kruste auf dem Fleck weggeht. Dann direkt auf die Haut Salbe einreiben. Nach 10
Tagen wahrscheinlich zum nochmals waschen und dann neue Salbe einreiben. Nach
14 Tagen muß sie wieder hinkommen. Wir werden ja sehen, wie der Erfolg ist.
Helga erregt überall Aufsehen mit ihren
neuen Schuhen von Dir. Alle fragen sie, wo man die kaufen könnte und ob sie auf
Bezugschein 1 oder 2 gehen. Helga sagt dann immer, das weiß sie nicht, sie hat
die Schuhe von mir geschenkt bekommen. Helga sieht in den Schuhen aber auch
wirklich sehr gut aus.
Mir geht es heute soweit gut. Ich bin
schon fast den ganzen Vormittag auf, ohne dass es mir viel ausmacht. Nur
schnell bewegen darf ich mich noch nicht, sonst wird mir noch der Atem zu kurz.
Aber es ist doch schon ganz gut, wenn ich mich nicht ganz schwach fühle, nicht
wahr?
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie.
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