Samstag, 18. Juni 2016

Brief 175 vom 15./16.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                       Konstanz, den 15.6.41   

Ich erhielt heute Deien lieben Brief vom 11.6. Vielen Dank. Leider habe ich auch daraus wieder ersehen müssen, daß Du mit Post ganz schlecht versorgt wirst.
Gestern Abend habe ich immer an Dich gedacht, wie wohl der Kameradschaftsabend verlaufen ist. Vater war auch da und ich habe ihm Deinen Dank ausgesprochen, daß er zu Pfingsten extra rauf gekommen ist. Er hat natürlich jeden Dank abgelehnt. Ich habe ihn gebeten, mir eine Flasche Rotwein mitzubringen, denn das soll doch gut zur Kräftigung sein. Ich habe auch gestern und heute Morgen ein Glas getrunken, aber jetzt macht sich leider schon ein kleines bißchen die Niere bemerkbar. Da ich das nicht auch noch dazu haben möchte, muß ich das Weintrinken also wieder aufstecken, denn bei der Niere soll man überhaut keinen Alkohol trinken. Ich verlege mich also wieder aufs Tee trinken und zwar trinke ich Lindenblütentee, der den Wasserabgang fördert. Man muß immer noch von sich aus etwas tun, denn bei den Ärzten geht es jetzt im Kriege husch husch. Wie ich es selbst gesehen habe und auch schon hörte, nehmen sie sich gar nicht die Zeit, einen richtig zu untersuchen. Sie fragen, wo tut es weh. Da horchen sie und fragen gar nicht, ob es vielleicht mit etwas anderem zusammenhängen könnte.
Von meinen Eltern habe ich heute eine Karte bekommen. Sie wollen in den nächsten Tagen Brief schreiben. Sie hoffen auch, daß ich wieder gesund bin, aber ich glaube, da werden sie sich wahrscheinlich schon noch 3 - 4 Wochen gedulden müssen.
Es ist heute gar kein schönes Wetter. Erst  war es nun bewölkt und nun regnet es sogar ab und zu. Also gar kein Sonntagswetter. Es ist nur gut, dass wir Radio haben, da habe ich doch ein bißchen Abwechslung. Gestern Abend war ja ein sehr schönes Programm. Ein Stück habe ich gehört, aber dann bin ich leider dabei eingeschlafen, denn schlafen kann ich jetzt viel. Das tut mir gut.
Du wirst vielleicht jetzt manchmal denken, immer schreibt sie nur von ihrer Krankheit. Aber weißt Du, es ist so, ich bin den ganzen Tag im Zimmer und erlebte jetzt wirklich nichts. Sollte es Dir aber über sein, so schreibe mir`s bitte. Ich würde dann nur aller paar Tage schreiben.
Herr Steinmehl hat gestern bereits die Kartoffeln gehäufelt. Ich habe mich bedankt und habe ihn gefragt, was ich ihm dafür geben darf. Er will natürlich nichts dafür nehmen. Vielleicht kann ich ihm später, wenn ich wieder selber einkaufen kann, Zigarren oder Zigaretten mitbringen.
Sonst wüßte ich eigentlich heute nichts zu schreiben. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                               16.6.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 13.6. Ich habe mich recht darüber gefreut.
Du hättest wegen den Büchern von Busch nicht so rennen müssen. So eilig ist das nicht. Ich hatte nur gemeint, wenn Du 25% Ermäßigung bekommst, kann man das mitnehmen. Also so sehr wichtig ist es nicht.
Bei der Angelegenheit mit Nanni werde ich es natürlich so machen, daß ich ihr in jeder Weise höflich entgegenkomme. Nur, wie gesagt, viel Wert lege ich auf die ganze Angelegenheit nicht mehr, denn ich bin eben der Meinung, wenn sie gern mit dem Du sagen einverstanden wäre, hätte sie das im ersten Antwortbrief  mit ein paar freundlichen Worten zum Ausdruck bringen können. Ein monatelanges Überlegen wär da nicht nötig gewesen. Du sagst ja schließlich zu Dora, Alice und Paul auch Du. Das ist doch eigentlich ganz selbstverständlich innerhalb der Familie. Na, lassen wir das. Das regt mich sonst wieder auf und das kann ich jetzt nicht brauchen. Jörg bastelt die ganze Zeit. Alles Mögliche wird da gemacht. Mit anderen Kindern zusammen baut er im Hof auch Unterstände und Bunker. Mich wundert nur, daß ihnen noch nicht mehr auf den Kopf gefallen ist. Ein paar Mal hat es ja schon Beulen gegeben. Leider ist es aber immer noch so, daß er über dem Spielen das Arbeiten vergißt. Wenn er etwas wegräumen soll, da faßt er das erste Stück an und ist damit schon wieder ins Spielen vertieft. Erst nach einem kräftigen Anranzer geht es dann weiter.
Gestern hatte ich  keinen guten Tag. Das wirst Du wahrscheinlich schon am Brief gemerkt haben. Erstens macht da das Wetter etwas aus und zweitens hatte ich auch so Ärger. Es ist doch so, wenn man krank ist, sollte man am besten mit niemand zusammenkommen. Am Samstag ließ sich das ja nicht ganz vermeiden. Da hat es denn auch so viel Bedauern geregnet, daß ich den ganzen Sonntag damit zu tun hatte, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen. „Ach sehen sie aber schlecht aus, sehen sie sich nur vor, sonst sind Ihre Kinder eines Tages ganz allein.“ „Was haben sie denn, sie haben ja ganz blaue Lippen, das ist sicher Herzasthma. Das kann lange Zeit dauern.“ (Die blauen Lippen hatte ich, weil ich schrecklich gefroren habe.) Am schlimmsten war Frau Bolz „Man könnte direkt weinen, so elend sehen sie aus.“ Ich kann Dir sagen, am liebsten hätte ich ihr eine gelangt. Ich bin doch schließlich noch nicht gestorben, daß man um mich weinen müßte. Und außerdem, wenn man fast 3 Wochen nichts gegessen, d.h. drei Wochen fast nichts gegessen und kaum geschlafen hat, da kann man doch schließlich nicht gut aussehen. Wo ich außerdem noch den Husten habe. Das gute Aussehen muß doch mit der Zeit wieder kommen. Ich muß doch schließlich am besten merken, ob es besser wird. Am Samstag hat mir das Gerede eigentlich noch gar nicht so viel ausgemacht, aber als ich gestern mehr liegen mußte, kamen mir die Worte immer wieder ins Gedächtnis. Ich habe alle Energie aufbieten müssen, um nicht selber zu glauben, ich sei ein halber Todeskandidat. Man kommt bald dazu, sich selber zu bemitleiden und das ist doch der größte Kohl. Ich nehme mich sonst immer zusammen und sehe zu, daß es immer ein bißchen besser wird, aber solche alte Tangen können einem alles verderben. Jetzt bin ich ja wieder darüber hinaus. Das gute ist, daß Vater nicht in diese Trauergesänge einstimmt, sonder er ist auch um jede Besserung froh.
Nachdem Helga hingefallen war, hat es Jörg keine Ruhe gelassen und so ist er gestern auch hingesegelt. Er hat sich das Knie aufgestoßen. Nun sind wenigstens beide verpflastert.
Die Amaryllis macht mir wirklich Freude, vor allen Dingen, weil sie jetzt so gut wächst. So treibt die große Pflanze schon das 5te und die kleine, die noch ganz winzig ist, das 2te Blatt. Wir haben alle unsere Freude daran. 
Dieses Mal habe ich 96,- ausbezahlt bekommen. Am Samstag habe ich 30,- an Dich weggeschickt. Helga hat es auf die Post geschafft. Ich habe mir dieses Mal das Haushaltungsgeld etwas reichlicher zugemessen, denn wenn man nicht selber einkaufen geht, kommt mache Aufgabe, mit der man nicht gerechnet hat. Auch für Medizin muß man manche Mark ausgeben. Den Gehaltszettel habe ich übrigens noch nicht erhalten, der wird sicher an einem der nächsten Tage eintrudeln.
Ich wollte eigentlich dieses Mal Brikett bestellen, aber es hat ja keinen Zweck, da ich sie noch nicht schichten kann. Ich denke, dass es auch noch nächsten Monat Zeit haben wird, denn es ist doch immer noch Sommer.
Ich habe heute Helga wegen  dem Fleck auf ihrem Kopf, den sie doch schon länger hat, zu Dr. Baumgärtner geschickt. Es handelt sich um einen rosa Fleck, auf dem sich immer ein ganzer Schuppenberg, oder was das für Zeug ist, bildet. Ich hatte es mit öfterem Waschen versucht. Beim Waschen geht das Zeug wohl runter, aber am nächsten Abend ist es schon wieder da. Dann dachte ich, vielleicht ist die Kopfhaut zu trocken und habe den Fleck eingeölt. Da dauerte die Schuppenbildung länger, aber weg ging es doch nicht. Helga hat nun eine Salbe verschrieben bekommen. Ich muß ihr heute den Kopf waschen, damit die Kruste auf dem Fleck weggeht. Dann direkt auf die Haut Salbe einreiben. Nach 10 Tagen wahrscheinlich zum nochmals waschen und dann neue Salbe einreiben. Nach 14 Tagen muß sie wieder hinkommen. Wir werden ja sehen, wie der Erfolg ist.
Helga erregt überall Aufsehen mit ihren neuen Schuhen von Dir. Alle fragen sie, wo man die kaufen könnte und ob sie auf Bezugschein 1 oder 2 gehen. Helga sagt dann immer, das weiß sie nicht, sie hat die Schuhe von mir geschenkt bekommen. Helga sieht in den Schuhen aber auch wirklich sehr gut aus.
Mir geht es heute soweit gut. Ich bin schon fast den ganzen Vormittag auf, ohne dass es mir viel ausmacht. Nur schnell bewegen darf ich mich noch nicht, sonst wird mir noch der Atem zu kurz. Aber es ist doch schon ganz gut, wenn ich mich nicht ganz schwach fühle, nicht wahr?
 Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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