Mein lieber Ernst! Konstanz,
den 11.6.41 abends
Heute habe ich keinen Brief an Dich
abgeschickt, trotzdem ich einen bekommen habe, vom 6.6. Heute hatte ja Helga
keine Schule und so habe ich das benutzt und habe fast den ganzen Tag im Bett
gelegen und geschlafen.
Nun will ich aber Deinen lieben Brief
beantworten. Der Streik bei Euch hat sich also noch verschärft. Am schlimmsten
ist es ja, wenn sich Frauen einmischen. Das hat man ja früher bei uns in
Deutschland auch gesehen. Mir ist ja die Hauptsache, daß Dir nichts dabei
passiert.
Mit den Schuhen für mich ist es so. Ich habe doch fast alles Schuhe mit höheren
Absätzen als sie bei den Sportschuhen, die Du besorgt hast, sind. Dadurch wirkt
doch das Schuhmuster kleiner. Am besten richtet man sich nach der Nummer. Ich
schicke Dir nun noch einen Fußabdruck mit. Vielleicht nützt Dir das eher etwas.
Es tut mir leid, daß ich Dir die Überraschung so verpatzt habe, aber ich habe
mir wirklich nichts dabei gedacht, wenn Helga und ich die gleichen Schuhe hätten.
Vielleicht kommt es auch daher, daß ich krank bin, da macht man sich über alles
weniger Gedanken. Jörg ist von seinen Schuhen auch begeistert. Er traut sie
sich gar nicht anzuziehen, damit sie ja nicht kaputt gehen.
Nun wegen dem schießen. Du schreibst, ich
hätte geschrieben, Du hättest „doch noch“ gut abgeschnitten. Da habe ich
wirklich keinen Hintergedanken gehabt, denn es sind Deine eigenen Worte. Das
bezieht sich doch auf den zweiten Schuß mit einer 7, von dem Du selbst
schreibst, daß er Dich geärgert hat, so daß Du Dir noch einmal fest Mühe
gegeben hast, so daß Du durch eine 12 „doch noch gut abgeschnitten hast“. Du
siehst also, dass gar kein böser Gedanke dabei war. Das darfst Du auch nicht
denken. Ich habe Dich doch viel zu lieb, als daß ich so boshaft schreiben
würde. Es ist aber so, wir sind schon wieder eine ganze Weile voneinander
getrennt, da schleichen sich schon wieder so Mißverständnisse ein. Also, lieber
Ernst, Du darfst nicht bös von mir denken, nicht wahr!
Kurt wird sich sicher über den Artikel vom
Killenweiher freuen, denn davon hat er doch oft gesprochen.
Inzwischen bist Du wahrscheinlich schon
aus Deinem Zimmer ausgezogen und wohnst nun mit Deinen Kameraden zusammen. Ich
bin ja gespannt, wie es Dir da gefällt. Du wirst dich auch erst wieder
eingewöhnen müssen.
12.6.
Als ich gestern weiter an Dich schreiben
wollte, kam Vater. Da ich ihm erzählt hatte, dass ich keinen Appetit habe, besonders
nicht auf Butter, Wurst usw., brachte er mir ein großes Glas Marmelade mit. Es
schmeckt mir auch wirklich und ich habe schon mehrere Brote gegessen. Etwas
regt sich mein Appetit ja wieder. Mittags esse ich jetzt auch immer ein bißchen
mit.
Heute Vormittag habe ich auch endlich
einmal alle Wäsche wegbügeln können, die noch dalag. Es wurde ja endlich Zeit.
Hinterher habe ich mich von dieser „Riesenarbeit“ wieder ausgeschlafen und bin
nun wieder munter. Ich muß mir eben jetzt alles einteilen.
Heue ist das Wetter ein wenig besser als
gestern. Es ist zwar noch bewölkt, aber es regnet wenigstens nicht. Jörg ist
unten beim Soldatenspielen. Er ist natürlich der „Höchste“. Anders geht es gar nicht.
Helga hat vorhin Schularbeiten gemacht. Jetzt hat sie aber schnell die
Gelegenheit benutzt ehe sie den Brief wegschaffen, noch zum Seilspringen runter
zu kommen.
Ich packe heute das Heft von Kurt an Dich
ein. Im zusammengerollten Heft ist die Zahnbürste und die Zahnpasta.
Hoffentlich kommt alles gut an. Einen Brief habe ich nicht beigelegt.
Die zurückgesandten Bilder hebe ich auf,
bis Nanni einmal kommt. Bis jetzt hat sich noch niemand sehen lassen. Das ist
ja jetzt auch ganz gut so.
Jörg wird auch schon ziemlich selbständig,
seitdem ich krank bin. Er kann sie Brote schneiden und schmieren, und was die
Hauptsache dabei ist, er vergeudet nicht. Auch zum Einkaufen kann man ihn schon
allein schicken. Heute war er beim Metzger und in der Bodan-Apotheke. Schaden
kann es ihm ja nichts, denn wenn er nun bald zur Schule muß, ist ihm der Weg
doch nicht mehr so ungewohnt.
Nun will ich schließen, mein lieber,
lieber Ernst. Ich glaube, wenn du hier wärst, wäre ich schon wieder gesund.
Denn wenn ich Dich sehe, bin ich von ganzer Seele froh und Freude macht doch
auch gesund. Das ist ja aber jetzt nicht möglich und so beißen wir uns eben durch.
Sei für heute wieder recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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