Dienstag, 14. Juni 2016

Brief 174 vom 13./14.6.1941


Mein lieber Ernst                                                                          Konstanz, den 13.6.41    

Gerade, als ich den gestrigen Brief an Dich zugeklebt hatte, kam der Briefträger. Er brachte mir Deinen lieben Brief vom 7.6. Heute früh erhielt ich noch dazu Deine lieben Briefe vom 8. und 9.6. Ich danke Dir für alle recht sehr.
Deine Vermutung, daß es mich diesmal richtig gepackt hat, ist richtig. Das siehst du ja schon daran, dass ich jetzt noch nicht ganz auf der Höhe bin. Ich wäre vielleicht schon eher gesund geworden, aber dazu hätte ich Ruhe gebraucht und die hat mir, wie Du Dir denken kannst, vollkommen gefehlt. Die Kinder sind immer noch nicht verständig genug, um zu verstehen, was es heißt, krank sein. Die ersten 2 Tage kann man ja etwas still sein, aber dann wird es langweilig. Die notwendigsten Arbeiten habe ich ja sowieso machen müssen. Dazu haben dann die Kinder täglich hunderte von Fragen. Dann wird rumgetobt, dann händeln sie sich auch einmal, so daß man dazwischen fahren muß. Zum runtergehen haben sie sich ja jetzt immer einen Schlüssel mitgenommen, damit sie nicht immer klingeln müssen. Das hat den Vorteil, daß ich nicht immer aufstehen muß. Aber Du weißt ja, wie es ist. Alle 5 Minuten haben sie etwas anderes. Da wird die Türe zugeschmissen, daß man in die Höhe fährt, wenn man gerade ein bißchen beim einschlafen ist. Sagt man ihnen dann etwas, dann fangen sie an zu heulen vor lauter Reue und nach einigen Minuten habe sie es schon wieder vergessen. Sie tun es auch bestimmt nicht aus Bosheit, sondern sie sind noch zu dumm. Wenn Vater da ist, hat er sie schon ein paar Mal gründlich runtergeputzt und gesagt, daß sie doch Rücksicht auf mich nehmen sollen. Es hat ja alles nicht viel Zweck. Na, das Schlimmste ist ja vorbei und ich will mich beeilen, daß ich bald gesund bin.
Hoffentlich ist Dein Zahn nun tatsächlich in Ordnung; Es wäre ja zu wünschen.
Die mit gesandten Bilder hebe ich auf. Du bist doch gar nicht so schlecht getroffen, daß Du mir erst eine genaue Beschreibung von Dir geben mußt. Ich habe Dich jedenfalls auf jedem Bild erkannt.
Wenn alles so gekommen ist, wie Du schreibst, bist du ja nun schon 1 /2 halbe Woche in Deinem neuen Zimmer. Hoffentlich gefällt es Dir dort auch.
Die Beschreibung Deiner verschiedenen Arbeiten hat mich sehr interessiert. Ich habe daraus entnommen, dass sie Dich auch befriedigt. Da macht man ja alles noch einmal so gern.
Die Briefe an Kurt, Nanni und Legler sind gut. Es ist mir nur ein bißchen peinlich, daß Du nun doch an Legler geschrieben hast, daß Du einen Kurs mitgemacht hast, während wir doch ausgemacht hatten, nichts davon zu erwähnen und ich daraufhin doch an Elsa nur von einem 3 tägigen Urlaub geschrieben habe. Aber es ist ja jetzt gleich.
Wenn Du Gardinen besorgen kannst, ist es mir schon recht. Ich könnte drei Paar brauchen. Zwei oder ein Paar tun es auch. Es wäre für das Schlafzimmer, das Kinderzimmer und die Küche. Für Vorhänge zum zuziehen wäre nötig je 4 mtr80 cm breit(das ist am günstigsten) oder 2 mtr.140 bzw. 150cm breit. Solltest Du aber Scheibengardinen bekommen können, so müßten sie je Scheibe 135 cm lang und 50 cm breit sein. (Also je Fenster, wenn es sich um Stückware handelt, wie es bei uns ist, 270 cm) Stores sind ja auch sehr schön, aber da müßte ich erst eine ganze Zugeinrichtung dazu kaufen und die werde ich jetzt kaum bekommen.
Die Socken von vorigem Jahr, die Du den Kindern geschickt hattest, tragen sie jetzt noch. Sie sind sehr gut. Nur werden sie ihnen bald zu klein. Die Größe war von der Ferse bis zu Spitze 23 cm.
Die Photographie von den zwei Männern hebe ich auf.(Wie die Namen geschrieben werden, weiß ich nicht mehr genau, drum schreibe  ich sie gar nicht erst) Der Dicke gefällt uns allen nicht so gut.
An Alice habe ich noch nicht wieder geschrieben. Ich habe ja an meine Eltern geschrieben, daß ich krank bin und daß sich Alice noch etwas gedulden soll. Wegen Geld für Jörg werde ich nichts schreiben, vielleicht kommen sie selber drauf, daß sie da etwas geben können. Wenn Du so verwundert feststellst, daß die Pralinen schon aufgegessen sind, komme ich mir wahrhaft wie ein Freßsack vor. Wir haben sie doch nicht in einem Tag gegessen, daß wir hätten Leibweh bekommen können. Außerdem waren wir ja zu dritt. Ich kann Dir aber sagen, daß dafür fast noch alle Schokolade da ist und daß ich sie auch gut aufheben werde. Hat es Dich geärgert, daß wir die Pralinen schon aufgegessen haben?
Die 5,- von den Eltern hebe ich auf. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich mich zu einem größeren Ausflug entschließen werde, aber Geld wird ja nicht schlecht.
Nun will ich wieder schließen. Die Kinder fahren nachher in die Stadt zum einkaufen und nehmen den Brief gleich mit. Es ist heute ganz schlechtes Wetter. Den ganzen Tag regnet es.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                            Konstanz, 14.6.41

Zuerst möchte ich Dir heute von mir erzählen. In der letzten Zeit ist es mir ganz verschieden gegangen. Einmal war es sehr gut, ein andermal ging es wieder schlechter. Das hing mir bald zum Halse heraus. Das Atmen ging ja schon ganz gut, d.h. wenn ich nicht viel schaffte. Die letzten Nächte habe ich auch sogar schon durchschlafen können. Aber das richtige war es doch nicht. Da hab ich mir vorgenommen, wenn ich heute Geld holen ging, (denn wen sollte ich sonst schicken) da gehe ich gleich mit zum Doktor. So habe ich es auch gemacht. Es ist ja nicht viel dabei herausgekommen, nur weiß ich jetzt, daß es eine Art Asthma ist. Der Arzt hat mir etwas verschrieben, das den Schleim lösen soll(so etwas habe ich mir auch schon selbst gekauft gehabt) und dann noch Herztropfen. Vielleicht schafft mir das etwas Erleichterung, denn das Herz muß ja schlimm schaffen. Ich habe ihm gleich gesagt, daß ich mich nicht die ganze Zeit hinlegen kann, sondern daß ich das notwendigste schaffen muß. Ich habe ihm auch gesagt, daß ich die Grippe gehabt habe. Also, außer den Herztropfen bleibt alles beim Alten. Ich schaffe das nötigste und lege mich die andere Zeit hin. Wenn ich auf dem Liegestuhl liege, habe ich es jetzt öfter so gemacht, daß ich das Fenster geöffnet habe und tief einatme. Das  ist mir ganz gut bekommen. Es tut ja etwas weh, aber das nehme ich schon mit in Kauf. Viel schaffen kann ich aber noch nicht. Das habe ich heute früh gesehen. Ich bin kaum mehr heimgekommen, trotzdem ich doch mit dem Omnibus gefahren bin. Ich hatte mich angezogen, wie im tiefsten Winter und trotzdem habe ich schrecklich gefroren. Ich habe mich dann gleich hingelegt, habe heißen Tee getrunken und eine heiße Suppe gegessen, das hat mich wieder auf die Beine gebracht. Ich habe dem Arzt auch gesagt, daß ich vollkommen kaputt bin. Er hat mir dann gesagt, er gibt mir erst einmal die Herztropfen zur Erleichterung und Ende der Woche soll ich wieder hinkommen, da werden wir weitersehen.
Um das Kartoffelhäufeln brauche ich mich nicht mehr sorgen. Wahrscheinlich macht es Herr Steinmehl und sonst hat Herr und Frau Leimenstoll gesagt, dass sie es machen wollen. Sie wollen mir auch die notwendigsten Gartenarbeiten machen. Um die Treppe brauche ich mich auch nicht kümmern. Frau Nußbaumer macht sie bis ich wieder gesund bin. Du siehst also, dass ich schon unterstützt werde. Ich werde mir wahrscheinlich nächstes Mal auch von Frau Nußbaumer waschen lassen. Ich muß eben etwas Geld ausgeben, aber meine Gesundheit ist mir lieber.
Doch nun genug davon. Jetzt zu Deinem lieben Brief vom  10.6., den ich vorfand, als ich heimkam. Du wirst also scheinbar nicht so gut mit Post versorgt wie ich augenblicklich. Ich will es nicht beschreien.
Heute steigt also Euer Kameradschaftsabend. Hoffentlich klappt alles. Ich wünsche es Dir von ganzem Herzen und werde mit meinen Gedanken bei Dir sein.
Ihr seid also ganz mit militärischer Pünktlichkeit umgezogen. Ich werde ja bald hören, wie es Dir jetzt gefällt.
Ich schrieb Dir doch gestern, daß es die Kinder noch gar nicht verstehen, was es heißt, krank zu sei. Da kann ich Dir heute ein Beispiel davon geben. Mir ging es gestern ziemlich gut, so daß ich eigentlich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder etwas gelacht habe. Sofort kam Helga und sagte: „Mutterle, weißt Du, was mich freuen würde, wenn Du mit uns Blindekuh spielen würdest.“ Ich sagte zu ihr „Ja Kind, ich bin doch nicht gesund, daß ich so etwas mitmachen könnte.“ Da sagte sie “Ich dachte Du bist wieder gesund, weil Du doch gelacht hast.“
Als ich heute aus dem Omnibus stieg, wurde mir auch eine Überraschung zuteil. Da steht Helga davor mit verbundener Hand und Knie. Ich kann Dir sagen, nachdem es mir schon nicht gut war, habe ich einen Schreck bekommen. Ich dachte sonst was, was passiert ist. Wie es sich dann herausstellte, ist sie heute, als sie in die Schule ging, einem Mädel nachgerannt und ist über den Schirm, den sie dabei hatte, trotzdem ich es nicht gern sehe, geflogen. Da hat sie sich die Finger und das Knie aufgeschlagen. Da es gerade vor dem Hause der Frau Meßmer passiert ist, hat sie sie reingeholt und verbunden. Das war ja nett von der Frau. Helga läuft ja jetzt direkt mit einem Stolz mit ihrem Verband herum. Vor allen Dingen macht es sie ganz stolz, daß alle Leute fragen, was sie denn gemacht hat.
Gestern hatte ich doch die Kinder zum einkaufen geschickt. Sie wußten nun, daß ich gern Zitronen gehabt hatte, dass es aber nicht überall welche gibt. Da haben sie doch welche gesehen, Riesendinger, die nach Pfund abgewogen werden und brachten mir doch 2 Pfund (5 Stück) zu 90 Pfg. Das waren wirklich teure Zitronen, aber ich habe natürlich nicht geschimpft, denn sie haben ganz gestrahlt, weil sie mich damit überraschen konnten. Für`s nächste Mal habe ich natürlich gesagt, sie sollen mich erst fragen.
Gestern hatte ich die Kinder zum Schnittlauch holen geschickt. Als sie wieder rauf kamen, brachten sie mir noch einen ganzen Strauß Schnittlauchblumen mit, weil „die doch auch so schön sind“. Sie stehen nun auch in einer Vase, denn beide wären schwer beleidigt gewesen, wenn ich die Blumen weggeworfen hätte.
Gestern Abend war Vater da. Er hatte mir auch Zitronen besorgen wollen und brachte auch 2 Stück mit, zu je 8 Pfg. Er hatte nicht mehr gebracht, weil sie ihm zu teuer waren. (Siehe den obigen Kauf)Als die Kinder ihr Bärle mit ins Bett nehmen wollten, sagte er zu ihnen, daß doch so große Kinder keinen Bär mehr mit ins Bett nehmen. Da waren aber beide beleidigt. Sogar Tränen hat es gegeben. Die Bärle sind ihnen eben doch sehr ans Herz gewachsen und ich finde auch gar nichts dabei. Ein Bärle heißt Heidemarie. Davon wurde gestern ein Lied im Radio gesungen, von Soldaten. Hinterher meinte er dann „Es war doch gut, daß wir es Heidemarie genannt haben. So gibt es wenigstens ein Lied von ihm.“ Helga hat doch auch schöne Puppen, aber den Bär sticht keine aus.
Ich will nachher noch einen Kuchen backen. Du siehst also, mir geht es jetzt wieder gut. Ich darf eben nur nicht viel schaffen, dann geht es schon. Auch das Atmen geht ganz gut. Ich muß mich  also schon noch eine Weile dem Faulenzertum hingeben, aber ich denke, das werde ich später, wenn ich ganz gesund bin, schon wieder aufholen.
Kurt muß sich mit seiner Phototasche schon noch gedulden, die ich ihm schicken sollte. Sie  ist wahrscheinlich doch oben in der Kiste und es ist eine ziemliche Arbeit, die ganzen Schrauben aufzumachen. Das kann ich jetzt noch nicht. Ich werde es ihm in den nächsten Tagen auch schreiben.
Von meinen Eltern habe ich seit dem Paket auch nichts wieder gehört, trotzdem ich ihnen doch zwei mal geschrieben habe. Na ja, man hat ja auch nicht immer Lust zum schreiben.
Nun will ich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt  und geküßt von Deiner Annie.

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