Samstag, 18. Juni 2016

Brief 177 vom 18./19.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                         Konstanz, den 18.6.41    

Heute kam einmal kein Brief von Dir. Von den Eltern habe ich ein Schreiben erhalten. Auch eine Abschrift des Briefes an Dich. Unter anderem schreiben die Eltern, ich solle doch im Juli auf 14 Tage zu ihnen kommen. Das wär an und für sich nicht schlecht, aber es läßt sich nicht machen. Erstens bin ich ja noch nicht ganz gesund und weiß nicht, wie lange sich die Sache noch hinzieht. Zweitens ist es so, Vater kann den Garten nicht machen, und vor allen Dingen kommt dann gerade die Stachelbeer- und Johannisbeerernte. Das ist das einzige, was ich einkochen kann, das möchte ich nun nicht umkommen lassen. Vielleicht hätte es im August für 14 Tage besser gepaßt, aber da verreisen wieder die Eltern. Außerdem ist es ja ziemlich viel Geld, was ich da verbrauchen würde, ich werde absagen.
Gestern und heute haben wir wunderbar sonniges Wetter. Das habe ich gestern gleich ausgenutzt, habe den Liegestuhl ans Fenster gerückt und ein Sonnenbad genommen. Im Hof könnte ich ja nur das Gesicht bescheinen lassen, aber oben kann ich alles, was mir vom husten weh tut, bis herunter zur Brust, bescheinen lassen. Das hat mir gestern sehr gut getan. Ich hatte sogar gestern Abend ein bißchen rote Backen. Nachher will ich mich wieder hinlegen, denn die Sonnentage sind bis jetzt so rar gewesen, daß man jeden ausnutzt.
Gestern sagte mir Frau Leimenstoll, sie hätte heute Morgen Zeit und könnte mir verschiedenes setzen. Ich sollte nur mit in den Garten kommen um zu zeigen, wo es hin soll. Heute Morgen hat mir Herr Leimenstoll das Spinatbeet umgegraben und Frau Leimenstoll hat mir Weißkraut, Rotkraut und Wirsing gesetzt. Einstweilen einmal im großen Garten. Sie hat mir von ihren Setzlingen gegeben, weil unsere noch nicht so groß sind. Unsere sind dann gerade recht, wenn ich das Erbsenbeet abernten kann. Da kommt dann auch Kraut hin. Ich habe insoweit mitgeholfen, als ich die Setzlinge angegossen habe. Leider konnte in die Arbeit nicht bis zuletzt durchhalten, weil ich einfach nicht mehr stehen konnte. Ich war dann so kaputt, daß ich bis zum Mittagessenkochen schlafen mußte. Jetzt bin ich aber wieder wohlauf. Überhaupt geht es mir in den letzten Tagen ziemlich gut. Appetit habe ich auch schon wieder mehr. Heute Mittag habe ich einen ganzen Teller Spätzle gegessen. Ich denke, dass es jetzt schon nach und nach gut wird. Du siehst aber, was ich für eine Luxusfrau bin. Ich fühle mich nur wohl, wenn ich nicht viel schaffen muß. Wenn es mir morgen wieder gut geht, will ich aber doch zusehen, daß ich die Tomaten anbinde, trotz meiner Luxusrolle, die ich jetzt spiele. Die Tomaten sind eigentlich noch nicht so gewachsen, wie man es wünschen möchte, aber daran ist das trübe, kühle Wetter schuld. Sie sind doch schon einen ganze Weile in der Erde und jetzt muß ich sie erst zum zweiten Mal anbinden.
Ich habe mich für die Arbeit bei Leimenstolls bedankt, aber sie sagte, ich hätte ihnen schon manchen Gefallen getan, ohne daß ich etwas dafür angenommen hätte so daß es selbstverständlich ist, wenn sie mich jetzt ein bißchen unterstützen. Mir ist es ja schon eine große Hilfe.
Vater wollte doch erst nicht, daß Herr Steinmehl mir die Kartoffeln hackt. Er wollte es machen. Ebenso die Setzlinge setzen. Ich habe ihm dann gesagt, daß die Leute  beleidigt wären, wenn sie es mir angeboten haben und ich lehne es ab. Es ist doch so, Vater ist ein guter Kerl, aber wenn ich mit den Gartenarbeiten auf ihn warten müßte, käme ich überhaupt mit nichts zurecht. Da habe ich mich lieber auf fremde Hilfe verlassen.
Nun schließe ich heute schon. Mein Sonnenplatz der lockt. Ich will nun mein Sonnenbad halten. - Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                    Konstanz, den 19. Juni 1941

Auch heute ist kein Brief von Dir gekommen. Ich glaube, die Post will mich jetzt kurz halten, nachdem sie mich ein paar Tage verwöhnt hat.
Wir haben heute wieder schönes sonniges Wetter. Man ist das noch gar nicht gewöhnt.
Gestern Abend hat mir Jörg mitgeholfen, die Setzklinge zu gießen. Heute Morgen standen sie ganz schön da. Auch heute Morgen hat mir Jörg die Setzlinge wieder gegossen. Er macht es ganz gern, nur muß ich dabei sein, damit er mit der Arbeit nicht allein ist. Heute Morgen habe ich auch die Tomaten angebunden. Bei den Gurken habe ich in den letzten Tagen noch einige Kerne nachgelegt, weil nicht alle gekommen waren. Ich denke, dass sie schon noch kommen werden. Die Erbsen haben auch angesetzt, nur sind die Kerne noch ganz klein.
Es ist schade, daß ich jetzt, wo es so schön warm ist, nicht mit den Kindern baden gehen kann. Ich glaube, ich werde wohl fast den ganzen Sommer darauf verzichten müssen. Für die Kinder will ich sehen, daß ich ihnen wieder Wasser in den Hof stelle, daß sie wenigstens ein bißchen etwas haben. Wenn mir nur das Wasser tragen nicht so viel Mühe machen würde. Es ist mir noch sehr schwer.
Morgen gehe ich auch wieder zum Doktor. Ich habe Dir, glaub ich, noch garnicht geschrieben, daß ich bei Dr. Deeg bin. Das ist doch der Vertreter von Dr. Bundschuh. Mal sehen, was er sagt. Gegen die vergangenen Wochen ist es ja schon viel besser, aber ganz gut ist es eben noch nicht. Husten muß ich jetzt meist nur am morgen, wo sich alles löst, was sich in der Nacht festgesetzt hat. Das Atmen geht auch wieder soweit, nur beim ganz tiefen Atmen holen tut es noch weh, als wenn es inwendig wund wär. Die Schwäche läßt auch langsam nach, aber eben langsam. In der Wohnung kann ich jetzt soweit wieder alles schaffen, natürlich mit Ausruhpausen. Abends gehe ich natürlich immer zeitig schlafen, denn am Abend habe ich dann genug. Mit dem essen geht es auch wieder besser. Man merkt doch, dass eine Besserung eintritt. Jetzt heißt es acht geben, daß kein Rückschlag eintritt. Manchmal will es mich entmutigen, wenn ich etwas länger schaffen möchte und es geht einfach nicht mehr. Aber ich sage mir, man kann einfach nichts übers Knie brechen. Es braucht Zeit, bis man wieder bei vollen Kräften ist.
Es ist gut, daß Helga schon so groß ist, daß sie mir immer einkaufen gehen kann. Sie weiß jetzt schon Bescheid mit dem Geld. Ich habe ihr, wenn sie in verschiedenen Geschäften einkaufen mußte, schon manchmal 10,-Mk mitgegeben und sie hat jedes Mal auf den Pfennig genau abrechnen können. So brauche ich doch dazu keine fremden Leute zu bemühen.
Ich bin heute ein bißchen spät zum Schreiben gekommen und wahrscheinlich wird der Brief erst morgen wegkommen. Ich will nachher noch an die Eltern schreiben, damit sie Bescheid wissen, daß wir nicht hinkommen können. Ich glaube, meiner Mutter wird es nicht so unrecht sein, denn sie hätte doch, kurz wenn sie wegreisen, viel Arbeit mit uns gehabt. Außerdem wahrscheinlich viel Rennerei mit der Lebensmitteversorgung. Mein Vater versteht das doch nicht so. Den Durchschlag des Briefes lege ich bei.
ch schließe nun für heute. Sei Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 


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