Samstag, 4. Juni 2016

Brief 169 vom 4./5.6.1941


Mein lieber Ernst!                                                                       Konstanz, den 4.6.41    

Einige Tage ist es mir wie Dir gegangen, ich habe einfach keinen Brief von Dir bekommen. Jetzt will mich aber scheinbar die Post entschädigen. Als wir gestern Nachmittag heimkamen, war Dein lieber Brief vom 26.5. da und vorhin erhielt ich die Briefe vom 28. und 29.5. Für alle recht vielen Dank.
Die Pralinen, die Dur mir geschickt hattest, sind nun bereits aufgegessen. Das macht doch nichts? Ich habe ja noch viel Schokolade aufgehoben. Fein haben sie geschmeckt, den Kindern auch, d.h. eigentlich waren sie nur auf die Füllung ganz wild. Da habe ich manchmal die Schokolade abgegessen und sie haben die Füllung bekommen. Du wirst denken, na, die machen ja nette Sachen. Weißt Du, ganz allein aufessen mag ich sie nicht, wenn die Kinder da sind, vor allen Dingen, wo ich auch noch Schokolade habe, die sie nicht essen.
Mit dem Paßbild bist Du  also nicht ganz zufrieden. Du mußt eben bedenken, für ein Paßbild ist eine bestimmte Haltung vorgeschrieben und außerdem muß das ganze Ohr frei sein. Dadurch kommt es Dir vielleicht etwas fremd vor.
Deine guten Pfingstgrüße sind ja nun nicht in Erfüllung gegangen, aber gefreut habe ich mich trotzdem darüber.
Wegen Deinem Zahn hatte ich schon immer wieder einmal fragen wollen. Ich habe es dann aber immer wieder vergessen. Hoffentlich kommt er nun bald in Ordnung.
Du mußt nicht denken, daß ich etwas dagegen habe, daß Du Dir Stiefel und Hose kaufen willst, im Gegenteil. Ein Soldat in Stiefeln sieht immer fein aus. Du weißt ja, daß mir das prima gefällt. So müßtest Du aber einmal heimkommen.
Den Durchschlag, der zu Deinem Schreiben an den Oberbürgermeister gehört, hebe ich auf. Wenn es auch nicht viel ist, was sie schreiben können, so ist es doch anders, als wenn Du nur von Dir aus geschrieben hättest. Schaden kann es auf keinen Fall.
Wir sind gestern Nachmittag mit dem Omnibus in die Stadt gefahren. Es ist mir soweit nicht schlecht bekommen, nur kann ich noch nicht viel laufen, ich bin doch noch ziemlich matt. Außerdem kann ich nur ganz langsam gehen, sonst langt der Atem nicht. Ich habe noch einen ziemlichen Bronchialkatarrh. Ich mache schon allerhand dagegen. Es muß doch einmal besser werden.
Wir sind auch beim Sattler mit vorbeigegangen wegen dem Ranzen. Er hatte schon die Riemen angenäht. Heute poliert er ihn noch auf, so daß wir ihn heute Nachmittag holen können. Helga freut sich schon so sehr darauf, als wäre es ein neuer. So hat Jörg dann einen Ranzen mit ganzer Klappe, wie es hier die Jungen haben und Helga hat einen richtigen Mädchenschulranzen. Da sind beide zufrieden.
Heute haben wir Salat aus unserem Garten geholt , dazu gibt es Bratkartoffeln mit Ei. Das ist doch ein feines Essen. Wir freuen uns alle schon auf den Salat. Ich habe ja meist auch nichts Appetit, aber beim Salat bin ich mit Begeisterung dabei.
Gestern sind die Kinder zum ersten Mal barfuß gelaufen. Es war aber auch heiß. Heute scheint auch die Sonne, aber es weht ein Lüftchen. Das ist dann gleich nicht so drückend. Unser Drahtfenster haben wir auch wieder in Gebrauch. Da kann man wenigstens den ganzen Tag  das Küchenfenster auflassen, ohne daß man von Fliegen aufgefressen wird.
Übrigens lag in dem Päckchen von meinen Eltern ein 5,-Markschein. Den sollte ich für Pfingsten verwenden, damit wir einmal einkehren können. Ich habe mich sehr darüber gefreut und ihn einstweilen aufgehoben.
Nun will ich für heute wieder schließen. Hoffentlich erhältst Du jetzt auch wieder regelmäßig Post.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                     Konstanz, den 5.6.41

Einen Brief habe ich von Dir nicht bekommen. Ich habe ja eigentlich auch nicht viel zu berichten. Gestern haben wir den Schulranzen für Helga geholt. Er ist wirklich wieder ganz fein geworden. Helga braucht sich nicht mit ihm zu schämen. Sie ist auch ganz stolz darauf und hat ihn heute gleich mit zur Schule genommen. Beim anderen ist hinten, wo es zum aufhängen geht, die Schlaufe etwas eingerissen. Das lassen wir nun auch gleich mit machen, dann ist alles in Ordnung. Der Ranzen hat zum machen 2.50 gekostet. Ich finde es nicht zu viel.
Das wollte ich auch noch schreiben. Wenn du ja einmal telefonieren willst, dann bitte jetzt nicht. Weißt Du, ich brauche viel Schlaf und Ruhe, damit ich wieder bald zu Kräften komme. Da gehe ich meist schon gegen 9 Uhr ins Bett und vorher liege ich schon auf dem Liegestuhl. Da könnte es dann sein, daß ich nicht schnell genug zu Webers vor könnte und das würde mich  sehr ärgern. Mit geht es soweit ganz gut. Der Katarrh ist auch ein wenig besser geworden. In dem Eiltempo, wie ich es gern möchte, geht es eben nicht. Das einzige, mit was ich im Garten im Rückstand bin, sind die Kartoffeln. Aber ich muß eben doch erst sehen, daß ich selber wieder gesund werde.
Von Dora hatte ich zu Pfingsten übrigens auch eine Karte bekommen. Ich werde ihr so bald als möglich schreiben. Ebenso an alle anderen, von denen ich Briefe daliegen habe. Viel Briefe bekommen ist ja ganz schön, aber das Beantworten (außer an Dich) nicht so.
Es sieht aus, als gebe es heute noch ein Gewitter. Es ist ganz schwül draußen. Da will ich Helga noch zum Einkaufen schicken, ehe sie naß wird.
Bei unserem Baum haben die Blätter jetzt ihre normale Größe erreicht. Vorm Haus macht sich die Kapuzinerkresse gut heraus und unsere Gurken kommen jetzt alle heraus. Ich bin froh, daß ich die Bohnen, Gurken usw. schon gelegt hatte, ehe ich krank geworden bin. Jetzt wäre es doch schon ziemlich spät dazu. Da hätte ich mich sehr geärgert. So habe ich doch nicht so viel versäumt.
Daß man mit Frau Büsing aus dem Haus nicht in Frieden leben kann, hat jetzt auch Frau Leimenstoll erfahren müssen. Als ihr der Schlüssel weggekommen ist, hat sie mich, Frau Nußbaumer und Frau Büsing gefragt, ob wir ihn vielleicht gefunden hätten. Sie wollte ja niemanden verdächtigen. Wir haben natürlich gesagt, nein. Frau Büsing hat sie nun gleich angefahren: „Was sie sich einbildete, sie hätte schon ein paar mal so saudumme Fragen an sie gerichtet und wenn sie auch keine Beamtenfrau sei, so würde sie doch mit keiner aus dem Haus tauschen.“ Worauf Frau Leimenstoll sagte, sie solle vor allem die Beamtenfrau aus dem Spiel lassen, darauf käme es ja gar nicht an, was einer wär. Da ist sie dann ausfallend geworden, genau wie bei mir. Man sieht also, es ist bei ihr nur der Neid. Jetzt steht sie nun allein im Haus, aber sie versucht es durch doppelte und dreifache Bosheit wett zu machen. Bei dem Willi, der ja immer noch da ist, sieht man deutlich die Früchte der Erziehung. Als er herkam, war er ganz anständig, jetzt wird er aber genau so ein Flegel wie die anderen.
Unsere Amaryllis solltest Du einmal sehen. Die große Pflanze hat jetzt vier schöne starke Blätter und die kleine macht sich auch fein heraus. Ich denke, daß es Dich freuen wird, nachdem sie doch von Euch zuhause sind.
Nun will ich wieder schließen. Es wird sonst zu spät für Helga. Sei recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

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